Entstehung und Umbildung charismatischer Autorität


Dossier / Travail de Séminaire, 2002

19 Pages, Note: 1-2


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Entstehung charismatischer Herrschaft

3. Form der genuin charismatischen Herrschaft

4. Die Jesusbewegung als charismatische Herrschaft

5. Veralltäglichung des Charismas

6. Versachlichung des Charismas

7. Die Legitimation des Paulus

8. Schlußbetrachtung

Literatur

1. Einführung

Max Weber stellt in Wirtschaft und Gesellschaft drei, von ihm idealtypisch konstruierte Herrschaftsformen dar. Die traditionale, rationale und charismatische Herrschaft. Ich will mich in dieser Arbeit mit der charismatischen Herrschaft und ihrer Umbildung beschäftigen. Ich habe mich in erster Linie auf die entsprechenden Kapitel im ersten Halbband von M. Webers Werk Wirtschaft und Gesellschaft gestützt.

Ich möchte in einem ersten Schritt auf die Entstehung der charismatischen Herrschaft eingehen. Hierbei sollen vor allem notwendige Voraussetzungen berücksichtigt werden. Danach will ich zeigen, wie sich die genuin charismatische Herrschaft darstellt. Wichtige Unterschiede zur traditionalen und rationalen Herrschaft sollen in diesem Teil auch sichtbar gemacht werden. Anschließen sollen die verschiedenen Umbildungsformen der charismatischen Herrschaft behandelt werden. Zu Beginn geht es um die, unter den Begriff Veralltäglichung des Charisma fallenden Umbildungen . Versachlichung des Charisma ist zwar auch eine Art der Veralltäglichung, soll in dieser Arbeit jedoch in einem neuen Kapitel behandelt werden. Auch wenn M. Weber diese formale Trennung in Wirtschaft und Gesellschaft nicht macht, so halte ich sie doch für inhaltlich sinnvoll.

Leider liegt uns vom M. Weber keine Monographie über das Urchristentum vor. Er hatte zwar eine solche in Planung, aber konnte dieses Vorhaben nicht mehr vor seinem Tod verwirklichen. Dennoch finden wir an vielen Stellen seines Werkes Hinweise, die uns erlauben, seine Gedanken zu diesem Thema zu rekonstruieren. Ausführungen über das antike Christentum finden man u.a. in dem religionssoziologischen Teil von Wirtschaft und Gesellschaft, in den Studien über den Hinduismus und den Buddhismus, sowie in den Abschnitten über die Herrschaftssoziologie. Hier dient u.a. die Jesusbewegung um den Typus der Charismatischen Herrschaft zu entwickeln. Ferner behandelt M. Weber in den Studien über das antike Judentum die Trennung des antiken Christentums von demselben als eine innerjüdische Erneuerungsbewegung, die zu einer eigenständigen Kulturreligion geworden ist. Ich möchte vor diesem Hintergrund an einigen wenigen Stellen auf das antike Christentums eingehen.

2. Entstehung charismatischer Herrschaft

Zur Entstehung einer charismatischen Herrschaft bedarf es zunächst eines Charismaträgers. Laut M. Weber handelt es sich hierbei um eine Person, die im Besitz übernatürlicher und außeralltäglicher Fähigkeiten ist, welche es ihr erlauben, eine Beziehung zum Heiligen, zum Numinosen, aufzunehmen.

„‚Charisma‘ soll eine als außeralltäglich (ursprünglich, sowohl bei Propheten wie bei therapeutischen wie bei Rechts-Weisen wie bei Jagtführern wie bei Kriegshelden: als magisch bedingt) geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer‘ gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus ‚objektiv‘ richtig zu bewerten sein w ü r d e, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den ’A n h ä n g e r n‘, bewertet w i r d , kommt es an.“[1]

Wir sehen hier schon, daß nicht nur der Besitz übernatürlicher bzw. außeralltäglicher Fähigkeiten als Voraussetzung für eine charismatische Herrschaft ausreichen. Entscheidend ist die Bewertung dieser Fähigkeiten durch möglichen Anhänger eines Charismaträgers. Ein solcher kann also erst dann eine charismatische Herrschaft aufbauen, wenn sein übernatürlichen und außeralltäglichen Eigenschaften als solche erkannt und anerkannt werden.

Die Anerkennung seiner Fähigkeiten darf nicht als Legitimationsgrund für die charismatische Herrschaft gesehen werden. Der Träger des Charisma wird eben durch dieses legitimiert. Die Anerkennung besteht lediglich in der kompromißlosen Hingabe und dem Vertrauen der Beherrschten zu dem Herrscher.

„Aber diese (Anerkennung) ist nicht der Legitimationsgrund, sondern sie ist P f l i c h t der kraft Berufung und Bewährung zur Anerkennung dieser Qualität Aufgerufenen. Diese ‚Anerkennung‘ ist psychologisch eine aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborene gläubige, ganz persönliche Hingabe.“[2]

Wenn dem Charismaträger die Anerkennung verwehrt wird, ist zwar die Grundlage für seine Herrschaft nicht mehr gegeben, das Charisma bleibt jedoch weiterhin an ihn gebunden. Um sich der Anerkennung seiner Anhänger sicher zu sein muß sich der Charismaträger immer wieder bewähren bzw. beweisen, also Außeralltägliches oder Übernatürliches bewirken. Der Charismaträger steht also nur in seiner Funktion als charismatischer Herrscher in einer wechselseitigen Abhängigkeit zu seinen Anhängern. Die legitimierende charismatische Gabe kann zwar auch verloren gehen. Die Anhänger haben an einem solche Vorgang jedoch keinen Anteil.

Man kann nun fragen, ob der Charismaträger selbst unbedingt an die Übernatürlichkeit oder Außeralltäglichkeit seiner Fähigkeiten glauben muß. Eine übernatürliche Kraft bekommt in dem Augenblick ein Art von „Realität“, wenn, rein aus dem Glauben an sie, reales (antwortendes) Verhalten und Handeln stattfindet, welche dann natürlich ebenso reale Konsequenzen für die Gläubigen wie für ihre Umwelt haben. Würde ein charismatischer Herrscher die Übernatürlichkeit seiner Fähigkeiten für sich jedoch abstreiten, so wären die Handlungen, mit ihren Konsequenzen, nicht mehr allein durch den Glauben erklärbar. Weltliche Handlungsmotive nähmen dem Numinosen dessen „Realität“. R. Bendix schreibt hierzu:

„Auch bei Webers Definition des Wesens des Charismas muß man davon ausgehen, daß der charismatisch Begnadete selbst das Geheimnis seiner Begnadung nicht offenbaren kann, daß er sich zu ihr gezwungen fühlt und ihr nicht zu entgehen vermag. Also ist das Numinose, Übernatürliche, ein Bestandteil dieser Definition.“[3]

M. Weber bringt den Begriff der charismatischen Herrschaft nicht nur mit der Magie und der Religion in Zusammenhang, sondern spricht u.a. auch von dem Charisma eines Kriegshelden. Auch wenn hier die Verbindung zum Heiligen oder Numinosen nicht vorhanden zu sein scheint, so muß auch der Kriegsheld außeralltägliche und übernatürliche Taten, also Wunder vollbringen. Die Kraft für solche Wunder liegt nicht bei ihm selbst, sonder wird ihm verliehen. Auch er ist nur Träger eines Charismas, einer Gnadengabe, die ihm von einem wie auch immer gearteten Anderen geschenkt wurde.

„Nur jene Eigenschaften gelten als übernatürlich oder übermenschlich, die an dem ganz Anderen teilhaben. Deshalb auch läßt sich das charismatische Legitimationsprinzip letztlich als ein Sendungsprinzip verstehen.“[4]

Beim Entstehen einer charismatischen Herrschaft spielt jedoch ein weiterer Aspekt eine wichtigen Rolle. Selbst wenn eine Person als Träger von Charisma bewertet wird, so ist es möglich, daß seine charismatische Gabe nicht benötigt wird. Verläuft das Leben in alltäglichen Bahnen, und sind die Anforderungen gesellschaftlicher Existenz ohne größere Probleme zu bewältigen, so gibt es mit Sicherheit keinen Grund sich der Herrschaft einer Person mit außeralltäglichen oder übernatürlichen Fähigkeiten zu unterwerfen. Charismatische Herrschaft ist also situationsabhängig. Situationen , die einen Nährboden für die charismatische Herrschaft bilden, sind solche der inneren Not, in denen tradierte Lebensdeutungen zusammenbrechen. Diese können sich verbinden mit Situationen äußerer Not, in denen tradierte Verteilungsmuster nicht mehr funktionieren. In derart außeralltäglichen Situationen wächst die Offenheit für außeralltägliche Lösungswege. Menschen mit dieser Offenheit bilden das potentielle Klientel für eine charismatische Herrschaft. Sie „suchen“ nach einem Charismaträger, dessen Sendung die, in den alltäglichen Strukturformen der Herrschaft, nicht mehr befriedigten Bedürfnisse stillen kann.

M. Weber unterscheidet zwischen den beiden revolutionären Mächten Charisma und „ratio“, die jede auf ihre Art wirken. Während die „ratio“ Einstellungen zum Leben entweder von außen, durch Veränderung der Lebensumstände und Lebensprobleme oder durch Intellektualisierung, verändert, wirkt das Charisma durch eine Umformung von innen, die „eine Wandlung der zentralen Gesinnungs- und Tatenrichtung unter völliger Neuorientierung aller Einstellungen zu allen einzelnen Lebensformen und zur ‚Welt‘ überhaupt bedeutet.“[5] Die Lebenssituation wird in einer Art Gesinnungsrevolution oder Metanoia neu definiert. Dies kann auch im Rahmen von Bekehrungserlebnissen geschehen.

3. Die Form der genuin charismatischen Herrschaft

M. Weber unterscheidet grundsätzlich zwei Arten von Herrschaft: Herrschaft kraft Autorität und Herrschaft kraft Interessenkonstellation.[6] In dem ersten Fall beobachtet man eine Unterordnung aufgrund von Gehorsamsmotiven, bei dem zweiten aufgrund von Nutzenmotiven. Die charismatische Herrschaft fällt gemeinsam mit der traditionalen Herrschaft und der rationalen Herrschaft unter die Bezeichnung Herrschaft kraft Autorität. Pflichtmäßiger Gehorsam wird in der charismatischen Herrschaft dem Charismaträger, in der traditionalen Herrschaft dem durch traditional überkommener Regeln bestimmten Herrscher und in der rationalen Herrschaft dem gesatzten Recht bzw. dessen Vertretern geschuldet.

An dieser Stelle wird schon ein grundlegender Unterschied zwischen der charismatischen Herrschaft und den beiden anderen Herrschaftsformen deutlich. Die charismatische Herrschaft ist an eine Person gebunden, wohingegen zumindest die rationale Herrschaft durch eine unpersönliche Ordnung gefestigt wird. Die traditionale Herrschaft kennt diese Bindung an eine Person zwar auch, doch die zum herrschen nötige Eigenwürde wird durch die Tradition verliehen. Die Bestimmung des Herrschers knüpft sich also an äußere Regeln und Ordnungen, die gewiß heilig sein können, dem Herrscher aber nicht eigen sind. Nur der charismatische Herrscher legitimiert sich aus seiner Person heraus, durch das ihm geschenkt und zu seinem Eigentum (oder seiner Eigenheit) gewordene Charisma.

Die nicht vorhandene Bindung an äußere Regeln hat zur Folge, daß die charismatische Herrschaft kein „Beamtentum“ kennt.

„Die charismatische Herrschaft ist, als das A u ß e r alltägliche, sowohl der rationalen, insbesondere der bureaukratischen, als der traditionalen, insbesondere der patriarchalen und patrimonialen oder ständischen, schroff entgegengesetzt. (...) Die bureaukratische Herrschaft ist spezifisch rational im Sinn der Bindung an diskursiv analysierbare Regeln, die charismatische spezifisch irrational im Sinn der Regelfremdheit. Die traditionale Herrschaft ist gebunden an die Präzidenzien der Vergangenheit und somit ebenfalls regelhaft orientiert, die charismatische stürzt (innerhalb ihres Bereichs) die Vergangenheit um und ist in diesem Sinn spezifisch revolutonär.“[7]

Der „Verwaltungsstab“ einer charismatischen Gemeinde setzt sich nicht aus Personen zusammen, die aufgrund eines, an äußeren Regeln orientierten, Auswahlverfahrens ein bestimmtes, beschreibbares Amt bekleiden. Vielmehr werden sie von dem charismatischen Herrscher wegen ihrer eigenen charismatischen Qualität berufen. Der „Verwaltungsstab“ stellt im Grunde eine Gefolgschaft dar, die in sich weder funktional differenziert, noch durch Hierarchien segmentiert ist. Diese Gefolgschaft rekrutiert sich aus der Menge der Anhängerschaft, und deren Aufgaben werden, je nach Bedarf, von dem charismatischen Herrscher delegiert. Auch wenn M. Weber den Begriff „Gefolgschaft“ für den charismatischen Kriegshelden reserviert hat und z.B. bei einem Propheten von „Jüngern“ als „Verwaltungsstab“ spricht, will ich, der Einfachheit zuliebe, diesen Begriff weiterhin verwenden.

Die Gefolgschaft stellt die einzige Nahgruppe des charismatischen Herrschers dar. Grundsätzlich besteht zwischen diesem und seiner Anhängerschaft nur eine ephemere Beziehung. Zu den Gefolgsleuten muß die Beziehung etwas enger sein, da sie als ausführendes Organ für den charismatischen Herrscher bereitstehen müssen. Sie können sich an keinem gesatzten oder traditionalen Recht orientieren, da über, in bestimmten Situationen notwendige, Handlungsweisen von Fall zu Fall, durch Offenbarung oder Eingebung, entschieden wird. Im begrenzten Maß können die Gefolgsleute auf Grundlagen ihrer eigenen charismatischen Qualität selbst Offenbarungen oder Eingebungen empfangen. Im Bereich der Mission z.B. muß ein Gefolgsmann, wegen der räumlichen Distanz zu seinem charismatischen Herrscher, recht eigenständig operieren können.

[...]


[1] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Aufl., Tübingen 1972, S. 140

[2] Ebda.

[3] In: Schluchter, Wolfgang: Max Webers Sicht des antiken Christentums. Frankfurt am Main 1985, S. 406

[4] Schluchter, Wolfgang: Religion und Lebensführung. Bd. 2, Frankfurt am Main 1991, S. 539

M. Weber sieht solche Fähigkeiten jedoch ursprünglich als magisch bedingt, also selbstgewirkt.

[5] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Aufl., Tübingen 1972, S. 142

[6] Vgl.: Schluchter, Wolfgang: Religion und Lebensführung. Bd. 2, Frankfurt am Main 1991, S. 542 f

[7] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Aufl., Tübingen 1972, S. 141

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Entstehung und Umbildung charismatischer Autorität
Université
University of Bonn  (Religionswissenschaftliches Seminar)
Cours
Hauptseminar Grundformen religiöser Autorität
Note
1-2
Auteur
Année
2002
Pages
19
N° de catalogue
V5721
ISBN (ebook)
9783638135184
ISBN (Livre)
9783656208457
Taille d'un fichier
528 KB
Langue
allemand
Mots clés
Entstehung, Umbildung, Autorität, Hauptseminar, Grundformen, Autorität
Citation du texte
Jan Eickhoff (Auteur), 2002, Entstehung und Umbildung charismatischer Autorität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5721

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