Hermeneutik in der pädagogischen Wirtschaftstheorie


Dossier / Travail, 2005

18 Pages, Note: sehr gut


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Historische Entwicklung der Hermeneutik

3. Die Grundgedanken des Verstehens

4. Die Versuchsmöglichkeiten der methodischen Absicherung des Verstehens

5. Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit an die Hermeneutik

6. Fazit

7. Literaturangaben

8. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Diese Hausarbeit ist entstanden in dem Rahmen des Seminars „Probleme pädagogischer Wissenschaftstheorie“. Wie im Titel schon erwähnt haben wir uns mit den Problemen der Wissenschaftstheorie beschäftigt, wobei wir die Wissenschaftstheorien in drei Bereiche gegliedert haben.

Der erste Bereich war die Wissenschaftsphilosophie, in dem es darum ging die Wissenschaft zu definieren, d.h. sie von anderen Bereichen wie z.B. Geistes- oder Naturwissenschaften abzugrenzen, aber auch von alltäglichen oder künstlerischen Erfahrungen.

In dem zweiten Bereich der Sprachanalyse und –logik haben wir besprochen, wie Sprache als „Werkzeug“ zum Erzeugen von Wahrheit und Gewissheit verstanden werden kann und auch, dass mit Sprache Wirklichkeit erzeugt werden kann. Des Weiteren haben wir die Nachteile von Sprache kennen gelernt, wie z.B. Alltagssprache, Vagheit oder Mehrdeutigkeit. Aus diesem Grund hat die Wissenschaft eine Kalkülsprache entwickelt, die den Wissenschaftsansprüchen gerecht wird.

Das dritte Gebiet war die Methodenlehre, wo die Verfahren der Einzelwissenschaften zur Gewinnung wahren Wissens beschrieben wurden. Wir haben zwischen den drei Grundoperatoren Beobachtung, Erklärung und Verstehen differenziert.

Bei der Beobachtung haben wir zwischen der induktiven und der deduktiven Beobachtung unterschieden. Bei der induktiven Beobachtung werden Aussagen erst nach der Beobachtung gemacht, während bei der deduktiven Beobachtung erst ein Modellkonstrukt entworfen wird und danach die eigentliche Beobachtung erfolgt.

Beim Erklären gibt es das Problem der alltagssprachlichen Vagheit des Ausdrucks. Außerdem haben wir Erklären in zwei Bestandteile zerlegt, und zwar in Explanandum und Explanans.

Auch bei dem Verstehen gibt es dasselbe Problem wie beim Erklären und es herrscht eine Kontroverse zwischen Erklären und Verstehen. Verstehen haben wir unter anderem als Sinn- oder Bedeutungsverstehen kennen gelernt. Aber zu dieser Thematik werde ich mich in diese Hausarbeit noch ausführlich zu äußern.

Generell wurde in diesem Seminar zwischen Hermeneutik und Kritischem Rationalismus unterschieden. Im Bereich des Kritischen Rationalismus haben wir Karl Popper kennen gelernt. Ihm zufolge haben Theorien wissenschaftlichen Charakter nur insofern, als sie durch Tatsachen widerlegbar sind, d.h. die Wissenschaftler müssen ihren Theorien gegenüber insofern kritisch eingestellt sein, als sie nach widerlegenden Tatsachen suchen sollen, anstatt ihnen auszuweichen. Die Hermeneutik wurde uns als „Kunst der Auslegung“ und als „Lehre vom Verstehen“ vorgestellt.

Insgesamt hat die Hermeneutik verschiedene Problematiken zu überwinden, die bewirken, dass die Kritiker der Hermeneutik ihr unterstellen, unwissenschaftlich zu sein. So stellen König / Zedler die These auf, dass „ein Problem (der Hermeneutik) … die fehlende Forschungsmethodik hermeneutischen Vorgehens“[1] sei.

Ich werde mich zunächst mit der historischen Entwicklung mit einem Schwerpunkt auf Diltheys Hauptthesen auseinandersetzen. Ich will aufzeigen, dass Dilthey als Begründer der Hermeneutik angesehen wird.

In einem nächsten Schritt möchte ich die Grundgedanken des Verstehens verdeutlichen, indem ich zunächst auf die verschiedenen Verstehensarten eingehe.

Daraufhin zeige ich die Versuchsmöglichkeiten der methodischen Absicherung des Verstehens auf, durch die hermeneutischen Forschungsmethoden, dem hermeneutischen Zirkel und den hermeneutischen Regeln.

Ich greife die oben genannte These von König / Zedler auf und setze mich auseinander mit der Problematik des Verstehens und dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit an die Hermeneutik.

Zum Abschluss meiner Arbeit gebe ich ein Fazit.

2. Die Historische Entwicklung der Hermeneutik

Nach Danner wird der heutige Hermeneutik Begriff erstmals im Jahre 1654 von Dannhauser in dessen Schrift „Hermeneutica sacra sive methodus exponendarum sacrum litterarum“ geprägt.[2]

In der historischen Entwicklung kristallisierten sich drei hermeneutische Strömungen heraus, die Danner wie folgt benennt:

1. die philologisch-historische Hermeneutik
2. die theologische Hermeneutik
3. die juristische Hermeneutik

Schleiermacher (1768 – 1834) entwickelte eine allgemeine Hermeneutik, die er als „Kunstlehre des Verstehens“ bezeichnete, unter der er diese drei spezifischen hermeneutischen Strömungen zusammenfasste.[3] W. Dilthey (1833 – 1911) griff die schleiermachsche allgemeine Hermeneutik als „methodologische Grundlegung der Geisteswissenschaften“[4] auf.

Im Folgenden soll nun auf Diltheys Hauptthesen der Hermeneutik eingegangen werden, da Dilthey als „Begründer der Hermeneutik als einer wissenschaftstheoretischen Grundlage der Sozialwissenschaften“[5] gilt. Danner fasst Diltheys Begründung der Hermeneutik in vier Hauptthesen zusammen:

1. „Gegenstand der Wissenschaftstheorie Diltheys sind Geisteswissenschaften.“[6]

Für Dilthey sind alle Wissenschaften, die sich mit dem Menschen auseinander setzen bzw. beschäftigen, unter dem Begriff der Geisteswissenschaften zusammengefasst.[7]

2. „Für diese Geisteswissenschaften sind die naturwissenschaftlichen Vorgehensweisen ungeeignet, sie bedürfen deshalb einer eigenen wissenschaftstheoretischen Grundlegung. „[8]

Nach Dilthey geht das Menschliche in der naturwissenschaftlichen Vorgehensweise verloren.[9]

Es ist wichtig zu erkennen, dass das Menschliche sich an Ereignissen, Sinn und Zweck orientiert und nicht an naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Jeder Mensch ist ein Individuum, mit eigenen Emotionen und Beweggründen, die sich nicht an allgemeinen Gesetzmäßigkeiten festmachen lassen. Zur Verdeutlichung wird folgendes Beispiel angeführt:

Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist die Liebe ein chemischer Prozess, während aus menschlicher Sicht nicht die Zusammenwirkung chemischer Substanzen im menschlichen Körper verantwortlich für die Verliebtheit sind. Aus menschlicher Sicht sind Erlebnisse und Emotionen die Verantwortungsträger für diesen Zustand.

3. „Während es Aufgabe der Naturwissenschaften ist, Verhalten zu erklären, geht es in den Geisteswissenschaften darum, innere Zustände in ihrer Bedeutung zu verstehen.“[10]

„Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“[11] Diese Aussage Diltheys spiegelt den Grundgedanken der Hermeneutik wieder. Naturwissenschaftlich lässt sich der Zustand der Verliebtheit erklären, hermeneutisch allerdings lässt sich dieser verstehen. Das Seelenleben kann nicht erklärt, sondern muss verstanden werden.

4. „Die methodische Überprüfung des Verstehens erfordert einige, hermeneutische Methoden.“[12]

Die Problematik des Verstehens liegt in der Tatsache, dass es mehrere Arten von Verstehen gibt. Es gibt kein richtiges und kein falsches Verstehen, sondern unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. “Ich kann mich irren, wenn ich die Bedeutung einer Handlung oder den Sinn eines Textes zu erfassen suche. Hier beginnt die Aufgabe der Hermeneutik.“[13]

3. Die Grundgedanken des Verstehens

Die Verstehensarten

Es besteht ein Unterschied zwischen Verstehen und Erklären, allerdings darf der Zusammenhang zwischen Verstehen und Erklären nicht außer Acht gelassen werden. Das Erklären lässt sich zurückführen auf Ursachen oder Gründe, während es beim Verstehen eine Sache (etwas Menschliches) als solches wahrzunehmen bzw. zu erfassen gilt. „Im Hinblick auf das Verstehen muss beachtet werden, dass es bei diesem darum geht, was jemand tut oder als was etwas erscheint, und nicht darum, warum er es tut, oder warum etwas so ist, wie es ist.“[14] Zum Beispiel: Ein Erzieher beobachtet in einer Kindertagesstätte, wie ein Kind ein anderes schlägt. Der Erzieher kann die Situation verstehen, er wird verstehen, dass es sich bei dem Verhalten des Kindes um ein aggressives Verhalten handelt, aber die Gründe des Verhaltens kann der Erzieher nur durch Erklären erschließen.

Danner unterteilt das Verstehen in drei Strukturmomente:

1. Sinnliche Wahrnehmung
2. Das Wahrgenommene als etwas Menschliches erkennen
3. Das Verstehen der Bedeutung dessen

Dilthey wiederum bezeichnete die sinnliche Wahrnehmung als äußere Zeichen, die zu innerem Verstehen führen. „Verstehen besteht darin, durch das Äußere ein Inneres zu erkennen.“[15]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1[16]

Zeichen sind hermeneutische Gegenstände, d.h. zu verstehende Gegenstände von Dilthey auch als „dauernd fixierte Lebensäußerungen“ bezeichnet, darunter fallen menschliche Produkte.[17] Äußeres ist für Dilthey ein Ausdruck bzw. etwas sinnlich Gegebenes, dass verstanden wird, indem es interpretiert oder ausgelegt wird. Durch das Innere erlangt es Bedeutung und Sinn. Es ist jedoch möglich, dass das Äußere falsch interpretiert bzw. verstanden wird. Auf diese Problematik wird später näher eingegangen.

Die hermeneutische Aufgabe besteht darin den Sinn zu verstehen.[18] Es gibt elementares und höheres Verstehen. Der Unterschied zwischen den beiden Verstehensarten liegt darin, dass sich das elementare Verstehen auf das alltägliche Miteinander bezieht. Höheres Verstehen baut auf elementarem Verstehen auf, es ist komplexer und komplizierter und steht somit im Zentrum der Hermeneutik. Es muss festgehalten werden, dass elementares und höheres Verstehen nicht für jeden gleich sind. So kann beispielsweise eine Problematik von einer Person elementar verstanden sein, während für eine andere Person diese Problematik höheres Verstehen erfordert.

Elementares und höheres Verstehen lassen sich wiederum aus psychologischer und sinnhaltiger Sicht betrachten, wobei dem Sinn-Verstehen in der Hermeneutik eine größere Bedeutung zugesprochen wird.[19] Das Sinn-Verstehen bzw. die Sinn-Ebene und das Innere-Verstehen ergeben für Dilthey den „objektiven Geist“.[20] Auf den objektiven Geist wird jedoch näher eingegangen.

Uhle unterteilt folgende fünf Verstehensarten, die von dem Interpretierendem zu wählen ist:

1. Verstehen eines Satzes aufgrund der Syntax;
2. Verstehen des Kontextes;
3. Verstehen des Grundes, warum das zu Interpretierende „geschrieben“ worden ist;
4. Verstehen des Effektes;
5. Verstehen des Gesamtzusammenhanges in Bezug auf die Wissenschaft oder die Gesellschaft;
6. Der Interpretierende muss sich für eine Verstehensart entscheiden, mit deren Hilfe er das zu Interpretierende verstehen möchte.[21]

4. Die Versuchsmöglichkeiten der methodischen Absicherung des Verstehens

Der hermeneutische Zirkel

Die Hermeneutik versucht, eine eigene Forschungsmethodik zu entwickeln, um das Verstehen methodisch abzusichern; hierzu wurde der „hermeneutische Zirkel“ entwickelt. „Entwickelt wurde dieses Verfahren des hermeneutischen Zirkels an Texten und deren Interpretation.“[22] Beim hermeneutischen Zirkel wird vorausgesetzt, dass vor dem Lesen eines Textest ein gewisses Vorverständnis existiert. Durch dieses Vorverständnis ergibt sich ein vorläufiges Textverständnis. Beim Lesen des Textes erweitert sich das Vorverständnis, und bedingt ein erweitertes Textverständnis. Dieser Vorgang lässt sich beliebig weit fortsetzen. Schematisch ist der Vorgang in einer spiralförmigen Bewegung festzuhalten:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abb.2

„Dennoch wird am hermeneutischen Zirkel eine paradoxe Situation des hermeneutischen Vorgehens sichtbar: Es muß nämlich dasjenige, was verstanden werden soll, schon irgendwie vorweg verstanden sein.“[23] Die Aussage, dass ein Vorverständnis immer vorhanden ist, lässt sich nicht verifizieren, sondern nur falsifizieren. Eine weitere Problematik besteht darin, dass keine genaue Übereinstimmung zwischen dem Textverständnis des Autors und dem des Aufnehmenden geben kann.[24] Dies wird „hermeneutische Differenz“ genannt. Auf die hermeneutische Differenz wird zu einem späteren Punkt eingegangen. Es besteht eine weiterentwickelte Version des hermeneutischen Zirkels. In dem zweiten hermeneutischen Zirkel wird nicht nur vom Vorverständnis und Textverständnis ausgegangen, sondern von einem Teilverständnis und einem ganzen Verständnis. Es ergibt sich nicht nur ein erweitertes Teilverständnis, sondern auch ein erweitertes Verständnis der ganzen Thematik des Textes. Beim Lesen eines Textes über Hermeneutik erweitert sich beispielsweise das Teilverständnis des Textes und fügt sich in das ganze Verständnis des Lesers ein. Somit ergibt sich ein erweitertes Teilverständnis des Textes und führt zu einer Erweiterung des ganzen Verständnisses.

„Der hermeneutische Zirkel stellt keine Addition dar. (...)Er ist ein Hin und Her spielen“[25]

Die hermeneutischen Regeln

Die hermeneutischen Regeln sind auf das höhere Verstehen anzuwenden. Die hermeneutischen Regeln sind als Richtlinien zu verstehen und nicht als streng genommenes Regelwerk. „Aber sie können nicht als methodische Instrumente technisch eingesetzt werden, um zu garantierten Ergebnissen zu kommen.“[26] Danner stellt folgende Regeln auf:

„Verstehen ist Erkennen von etwas als etwas Menschliches und von dessen Bedeutung“[27]

„Hermeneutisches Verstehen ist vom Erklären zu unterscheiden.“[28]

„Psychologisches und Sinn-Verstehen sind zu unterscheiden.“[29]

„Verstehen ist möglich aufgrund eines Gemeinsamen, aufgrund des objektiven Geistes.“[30]

„Objektiver Geist ist kulturell bedingt“[31]

„Objektiver Geist ist geschichtlich bedingt.“[32]

„Das Verstehen selbst ist geschichtlich.“[33]

„Hermeneutisches Verstehen kann zwar nicht dem Ideal der Allgemeingültigkeit gerecht werden; es kommt jedoch der Forderung nach Objektivität nach.“[34]

„Wesensmäßige Subjektivität beeinträchtigt nicht die Objektivität der Interpretation; sie ist von der vermeidbaren Subjektivität zu unterscheiden.“[35]

„Höheres Verstehen läuft in einer Zirkelbewegung.“[36]

„Aus dem Abstand zwischen Interpreten und zu Verstehendem ergibt sich ein hermeneutische Differenz.“[37]

5. Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit an die Hermeneutik

König, Zedler stellen die These auf, dass „ein Problem (sc. der Hermeneutik) … die fehlende Forschungsmethodik hermeneutischen Vorgehens“ sei.[38] Um diese These aufgreifen zu können, wird zunächst auf die Objektivitäts- und Subjektivitätsfrage der Hermeneutik eingegangen.

Wie bereits erwähnt, bezeichnet Dilthey das Sinn-Verstehen und das Innere - Verstehen als „objektiven Geist“. „ Das Objektive ist nämlich in dem Sinne zu verstehen, daß es dem Subjektiven gegenüber steht.“[39]

Der objektive Geist stellt die verbindende Gemeinsamkeit der einzelnen Subjekte (Menschen) dar, deshalb ist Verstehen für die Subjekte möglich. Dilthey beschreibt den objektiven Geist als Sphäre von Gemeinsamkeit, die aber für die Subjekte verbindlich ist.[40] So haben die einzelnen Subjekte zum Beispiel dieselbe Sprache und verstehen sich aufgrund dieser Gemeinsamkeit. Kommt ein Subjekt in ein anderssprachiges Land, so kann es nicht davon ausgehen, dass es aufgrund seiner Sprache verstanden wird. Wörter besitzen in anderen Kulturen andere Bedeutungen, so ist es möglich, dass die Subjekte sich nicht verstehen, da die Gemeinsamkeit der Sprache nicht mehr besteht.[41] Es lässt sich also festhalten, dass der objektive Geist durch Kultur und Geschichte bedingt ist. Denn um die Gegenwart verstehen zu können, muss die Vergangenheit verstanden sein. „Wenn wir also zunächst meinen konnten, durch den objektiven Geist sei eine verbindliche Basis für das Verstehen gegeben, so erweist sich diese wiederum als relativ, weil sie zeit- und kulturbedingt ist.“[42] Die Kritiker der Hermeneutik werfen ihr daher vor, dass sie nicht allgemeingültig ist, dies ist das Hauptproblem der Hermeneutik. Sie kann nicht allgemeingültig sein, weil es keine Allgemeingültigkeit für menschliches Verhalten gibt. Die Kunst ist es nun, zwischen „einer (absoluten) Allgemeingültigkeit und einer bloßen Subjektivität“[43] zu entscheiden. O. F. Bollnow und G. Misch benennen die Objektivität als Kriterium der Verbindlichkeit, anstatt der Allgemeingültigkeit.[44] Ein weiteres Kriterium für die Verbindlichkeit sieht Bollnow in der Angemessenheit des Verstehens. Hierin liegt ein Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit an die Hermeneutik. Es kann niemand über die Angemessenheit des Verstehens entscheiden, da dann wieder die Allgemeingültigkeit als Kriterium zugelassen werden müsste, die aber, wie bereits erwähnt, nicht zulässig ist für die Hermeneutik. Die These von König, Zedler, dass „ein Problem (sc. der Hermeneutik) .. die fehlende Forschungsmethodik hermeneutischen Vorgehens“ sei, lässt sich nun aufgreifen.

Ein weiterer Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit an die Hermeneutik liegt darin, dass, wie bereits erwähnt, bei dem hermeneutische Zirkel eine hermeneutische Differenz besteht. Es ist nämlich nicht abgesichert, dass es ein endgültig, kongruentes Verstehen zwischen Autor und Verstehendem gibt.[45] Der hermeneutische Zirkel ist eine Methode, der die Objektivität des Verstehens nicht gewährleisten kann, weil Verstehen nicht immer so verstanden wird, wie vom Autor beabsichtigt.

Zedler wirft der Hermeneutik vor, dass Interpret und Interpretandum keine Gemeinsamkeit haben. Wenn überhaupt, dann die, dass sie die gleiche Ausgangslage verbindet.[46] „Objektives Verstehen als gelungene Verständigung von Aktor und Interpret ist danach nur möglich, wenn wir uns jener Gemeinsamkeiten resp. Differenzen rekonstruktiv versichern, die uns mit einem Ausdruck als dem Medium der Verständigung verbinden.“[47] Es lässt sich also festhalten, dass Verstehen nicht hundertprozentig möglich ist.

Ein weiterer Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit liegt in der empirischen Unbegründbarkeit der Hermeneutik. Da für eine empirische Begründbarkeit „gesetzesartige Annahmen über das Auftreten bestimmter Ereignisse bzw. das Auftreten bestimmter Verhaltensweisen, Merkmale, Zustände gestattet“[48] werden müssten, wäre allerdings wieder die Allgemeingültigkeit als Kriterium für die Hermeneutik zuzulassen.

So lässt sich festhalten, dass es notwendig ist, dass Autor und der Interpret die gleichen Kompetenzen besitzen. Hier liegt allerdings das Problem vor, dass Autor und Interpret nicht eine kongruente Kompetenz erlangen können, da sie nicht die gleiche Person sind und somit unterschiedliche Erfahrungen gesammelt haben und nicht die gleiche Ausgangsposition besitzen. Nun könnte angenommen werden, dass eine künstliche Kompetenz hergestellt wird auf Seiten des Interpreten. Aber ist dies wirklich realisierbar?

Zedler schlägt drei Kontrollarten des Verstehens zur Lösung dieses Problems vor:

1. Kontrolle durch Rückfragen[49]
2. Kontrolle durch Partizipation[50]
3. Kontrolle anhand antizipierter Handlung und ihrer implikativen Folgen[51]

Durch Kommunikation lässt sich kontrollieren, ob der Interpret den Autor richtig verstanden hat, und es kann eine Angleichung der Kompetenz vorgenommen werden, die dem Interpreten hilft, den Autor besser zu verstehen. Diese Art der Lösung birgt aber ein weiteres Problem: es besteht nicht immer die Möglichkeit, dass Autor und Interpret kommunizieren können.

Es ist wichtig, nicht außer Acht zu lassen, dass sich der Interpret somit auf seine Vermutungen auf den Sinn und Bedeutung verlassen muss.[52] Somit steht fest: „Den Erwerb solcher erfahrungsabhänigiger Kompetenzen für bestimmte Bereiche zu ermöglichen kann nur der praktische Sinn einer Hermeneutik sein, die die von ihr reklamierte aufklärerische Kraft einer empirischen Bewährung auszusetzen bereit ist.“[53]

Zedler stellt folgende Forderungen an die Hermeneutik für den Bereich der hermeneutisch-rekonstruktiver Analyse[54]:

1. „Die skizzierten Konzeptionen sowohl einer verstehenden Aneignung sozialer Wirklichkeit wie einer Sicherung der Objektivität des Verstehens bleiben hinsichtlich der für eine Bewährungskontrolle erforderlichen Voraussetzung defizitär.“[55]
2. „Die Objektivität des Verstehens muß sich an Antizipation bewähren können, die wir aufgrund nachwüchsiger erworbener oder explizit erlernter Kenntnisse der einen Objektbereich konstituierenden Regeln vornehmen können.“[56]
3. „Um Antizipation als Ergebnis von Lernprozessen vornehmen zu können und somit auch vermittelbar zu machen, bedarf es einer an Fällen orientierten Explikation der Regeln, nach denen sie generiert werden. Um diese Annahmen kontrollierbar und daher zugleich falsifizierbar zu halten, ist es forderlich, diese Fälle als Datum zugänglich zu machen bzw. so zu dokumentieren, daß an ihnen hypothetische Regelnannahmen mit Blick auf die sich daraus für den Fall ergebenden Implikationen hin überprüft werden können.“[57]
4. Uhle verifiziert das Problem der Objektivität nochmals unter dem Aspekt des pädagogischen Verstehens. Er stellt heraus, dass in der Pädagogik die Gefahr besteht, zu schnell, zu hastig und zu starre Interpretationen des Verhaltens eines Kindes aufzustellen. Hier liegt in der Pädagogik das Problem der Objektivität.[58]

[...]


[1] König E., Zedler P.: Theorien der Erziehungswissenschaft. A.a.O., S.93

[2] Vgl. Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 31

[3] ebd., S. 31

[4] ebd., S. 31

[5] König, E., Zedler, P. Theorien der Erziehungswissenschaft. A.a.O., S. 85

[6] ebd., S.85

[7] vgl., ebd., S.85

[8] ebd., S. 86

[9] vgl., ebd., S.86

[10] König, E., Zedler, P. Theorien der Erziehungswissenschaft. A.a.O., S. 86

[11] König, E., Zedler, P. S. 87, zit. n. Dilthey 1957, Bd. 5, D, 144

[12] König, E., Zedler, P. Theorien der Erziehungswissenschaft. A.a.O., S. 87

[13] ebd., S, 87

[14] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 34

[15] ebd. S. 36

[16] vgl. Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 38

[17] vgl. ebd., S. 38

[18] vgl. ebd., S. 40

[19] vgl. ebd., S. 43

[20] vgl. ebd., S. 44

[21] vgl. Uhle, R.: Objectivity in Pedagogic Hermeneutics. In Danner, H. (ed.): Hermeneutics & Educational Discourse. Johannisburg 1997, S. 113

[22] König, E., Zedler, P. Theorien der Erziehungswissenschaft. A.a.O., S. 88

[23] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 54

[24] Vgl., ebd., S. 54

[25] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 56, S.57

[26] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 58

[27] ebd., S. 58

[28] ebd., S. 58

[29] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 59

[30] ebd., S. 59

[31] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 59

[32] ebd., S. 59

[33] ebd., S. 59

[34] ebd., S. 59

[35] ebd., S. 59

[36] ebd., S. 59

[37] ebd., S. 59

[38] König E., Zedler, P.: Theorien der Erziehungswissenschaft. A.a.O., S.93; vgl. Uhle, R.: Hausarbeitsthema 2 (Hermeneutik) zum Wissenschaftstheorie – Seminar im SS 05

[39] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 44

[40] vgl. Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 45

[41] vgl. ebd., S. 46

[42] ebd. S.48

[43] ebd. S. 49

[44] vgl., ebd. S.49

[45] Danner, H. Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, 1994, S. 54

[46] vgl. Zedler, P.: Empirische Hermeneutik. Eine Problemskitze. In: Zedler, P., Moser, H.(Hrsg.): Aspekte qualitativer Forschung. Opladen 1983, S. 149

[47] ebd., S.151f

[48] vgl., ebd. S. 144

[49] Zedler, P.: Empirische Hermeneutik. Eine Problemskitze. In: Zedler, P., Moser, H.(Hrsg.): Aspekte qualitativer Forschung. Opladen 1983, S. 156

[50] ebd., S. 156

[51] ebd. , S. 156

[52] vgl., ebd., S. 158

[53] ebd., S. 160

[54] vgl., ebd., S. 160

[55] ebd., S. 160

[56] ebd., S.160

[57] Zedler, P.: Empirische Hermeneutik. Eine Problemskitze. In: Zedler, P., Moser, H.(Hrsg.): Aspekte qualitativer Forschung. Opladen 1983, S. 160

[58] vgl., Uhle, R.: Objectivity in Pedagogic Hermeneutics. In Danner, H. (ed.): Hermeneutics & Educational Discourse. Johannisburg 1997, S. 109

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Hermeneutik in der pädagogischen Wirtschaftstheorie
Université
University of Lüneburg
Cours
Seminar "Probleme pädagogischer Wissenschaftstheorie"
Note
sehr gut
Auteur
Année
2005
Pages
18
N° de catalogue
V58369
ISBN (ebook)
9783638525909
ISBN (Livre)
9783656771104
Taille d'un fichier
495 KB
Langue
allemand
Mots clés
Hermeneutik, Seminar, Probleme, Wissenschaftstheorie
Citation du texte
Ulrike Basedow (Auteur), 2005, Hermeneutik in der pädagogischen Wirtschaftstheorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58369

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