Wie kopftuchtragende Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden


Fachbuch, 2020

71 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Diskriminierungstheorie

3 Armutstheorie und Bildungsarmut
3.1 Armutstheorien
3.2 Bildungsarmut
3.3 Auswirkungen von Bildungsarmut auf dem Arbeitsmarkt

4 Kopftuchträgerinnen in Deutschland
4.1 Kopftuch in Deutschland
4.2 Bildungsarmut und Kopftuch
4.3 Kopftuch und Erwerbstätigkeit

5 Kopftuch und Diskriminierung
5.1 Kopftuch: Symbol und Debattengegenstand
5.2 Diskriminierung per Gesetz?
5.3 Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt

6 Fazit

Quellen und Literaturverzeichnis

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Impressum:

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1 Einleitung

Kaum ein Kleidungsstück dürfte in den vergangenen Jahren so oft Gegenstand politischer und medialer Debatten gewesen sein wie das Kopftuch. Die Debatten handelten meist von den Gründen, warum Frauen dieses tragen und ob und wie die Politik darauf reagieren sollte. Äußerungen reichten dabei von der Einschätzung, dass das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung sei, welches einer vermeintlich christlich-abendländischen Kultur widerspreche:

„Kopftuch ist ein religiöses Symbol und es steht darüber hinaus für Unterdrückung und Minderwertigkeit der Frau“ (Gauland 2016).

Eine solche Einschätzung wurde vor allem aus dem rechten bis konservativem Spektrum geäußert. Dem gegenüber steht eine Einschätzung, dass das Tragen des Kopftuchs der Entscheidung der Trägerinnen unterliegen sollte und ein Verbot, welches in Debatten gefordert wurde, Freiheiten einschränkt:

„Frauen besitzen das Recht und die Fähigkeit ihre persönliche Entscheidung zu treffen. Diesen Frauen, wird durch ein Verbot, die gesellschaftliche Teilhabe grundlos erschwert“ (Buchholz 2016).

Diese Position wurde dabei vor allem von linken bis sozialdemokratischen politischen Kräften geäußert. Gemeinsam war aber beiden Positionen, dass sie sich an Fragen von juristischen Möglichkeiten sowie deren Sinnhaftigkeit, und der Frage von kulturellen Räumen orientierten.

Abseits des politischen und medialen Diskurses wurde die Debatte, die ihren Ursprung Ende der 90er Jahre in der Klage einer Lehrerin hatte, auch in der Wissenschaft geführt. Die Untersuchungen und Auseinandersetzungen mit der Frage sind dabei nicht nur beschränkt auf eine einzige Wissenschaft, sondern sind Teil eines Diskurses in verschiedenen Bereichen. So wurde unter anderem die Frage des Kopftuchverbots aus rechtswissenschaftlicher, soziologischer oder politikwissenschaftlicher Perspektive diskutiert. In der Soziologie und der Politikwissenschaft wie auch der Religionswissenschaften wurde die Frage beleuchtet, warum Frauen das Kopftuch tragen und welche Bedeutung es für die Trägerinnen hat.

Meist ging es um vermeintliche Unterdrückungsverhältnisse oder die Symbolik, welche vom Kopftuch ausgeht. Die Diskussion um das Kopftuch wurde dabei sowohl politisch geführt, als auch religionswissenschaftlich. Die Aussagen reichten von einer Einordnung des Kopftuchs als politisches Statement, bis zur, meist von Trägerinnen geäußerten Aussage, dass das Kopftuch ein Symbol des eigenen Glaubens ist. Teil der in Deutschland geführten Debatten ist neben der Bedeutung des Kopftuchs auch die Frage, wie sich das Tragen auf die Trägerinnen auswirkt. Dabei wird nicht nur auf deren Gründe für das Tragen des Kopftuchs eingegangen, sondern auch auf mögliche gesellschaftliche Folgen des Kopftuchs. Im Zentrum dieses Diskurses stehen dabei Untersuchungen zu Diskriminierungen und Vorurteilen gegenüber den Frauen. Eine geringe Beachtung erhält dagegen die Auseinandersetzung mit möglichen ökonomischen Folgen, die das Tragen des Kopftuchs für seine Trägerinnen haben könnte.

Die ökonomischen Folgen, die bei dem Diskurs momentan nur ein Randthema darstellen, sollen im Zentrum dieser Ausarbeitung stehen, die sich mit der Frage der „Benachteiligung kopftuchtragender Frauen auf dem Arbeitsmarkt“ beschäftigt. Bei dem Großteil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den ökonomischen Auswirkungen steht insbesondere die Untersuchung von Gesetzen, die die Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen, im Vordergrund. Verbunden wird eine Auseinandersetzung mit dieser Frage vor allem mit dem öffentlichen Dienst, da in einigen Bundesländern Gesetze existieren, welche es Kopftuchträgerinnen untersagen, an Schulen zu unterrichten oder in Kindergärten zu arbeiten. Auch eine Tätigkeit im Rechtssystem ist mit dem Kopftuch nur eingeschränkt möglich. Die Frage der Beschäftigungsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst wird im Rahmen der Bachelorarbeit ebenfalls untersucht werden, allerdings ist dies nicht ausreichend, um die Frage zu beantworten.

Zur Beantwortung der Fragestellung der Arbeit soll neben der Untersuchung der Möglichkeiten im öffentlichen Dienst, auch eine Auseinandersetzung mit einer möglichen Diskriminierung bei Bewerbungen stattfinden. Eine Auseinandersetzung mit den Chancen auf eine Einladung zum Bewerbungsgespräch bei Personen mit nicht deutsch klingenden Namen hat in den vergangenen Jahren verstärkt stattgefunden. Die Frage, ob das Kopftuch ebenfalls ein Merkmal ist, welches die Chancen auf eine Einladung verringert, ist dagegen bis heute kaum Thema wissenschaftlicher Untersuchung, soll aber im Rahmen dieser Arbeit einen hohen Stellenwert einnehmen. Das Kopftuch wird zwar mehrheitlich von Frauen mit Migrationshintergrund getragen, allerdings nicht ausschließlich, weswegen die Frage nach den direkten Auswirkungen des Kopftuchs bei Bewerbungen sich nicht nur auf Menschen mit Migrationshintergrund bezieht.

Um der Frage nachzugehen, ob Diskriminierung die alleinige Ursache für schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt ist, soll noch eine Auseinandersetzung mit Bildungsarmut im Bezug auf Kopftuchträgerinnen, stattfinden. Bildungsarmut stellt; neben Diskriminierung eine mögliche weitere Ursache für schlechtere Chancen bei dem Versuch einen Arbeitsplatz zu erhalten, dar. Sowohl Diskriminierungs- als auch Armutstheorie sollen vor dem Bezug auf die Fragestellung allerdings grundlegend erläutert werden um zu prüfen, inwiefern diese bei der Beantwortung der Frage hilfreich sein könnten.

Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den beiden Theorien, steht eine Darstellung der aktuellen Situation von Muslima mit Kopftuch. Dabei soll zum einen die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Bezug auf die Erwerbsbeteiligung dargestellt werden, zum anderen die Daten zur Bildungsbeteiligung ausgewertet werden. Dieses Kapitel schließt dabei an die vorangehenden Kapitel an, insbesondere die Theorie der Bildungsarmut spielt eine Rolle für die Auseinandersetzung mit den Bildungsabschlüssen von muslimischen Frauen mit Kopftuch. Die Beschreibung der Erwerbstätigkeit von Muslimas ist dagegen weniger theoriebasiert, sondern eine Darstellung der Faktenlage.

Das vorletzte und ausführlichste Kapitel widmet sich der Auseinandersetzung mit dem Kopftuch in Deutschland. Im Kontext soll sowohl die Frage beantwortet werden, wie das Kopftuch in Deutschland gesehen wird, als auch die Bedeutung von Diskriminierung und Bildungsarmut für Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Auseinandersetzung mit dem Kopftuch und seiner Bedeutung in Deutschland wird dabei anhand von drei Themen/Fragen verlaufen, zum einen der Auseinandersetzung mit dem Kopftuch als Symbol und Debattengegenstand, den Gesetzen, die die Chancen von Kopftuchträgerinnen möglicherweise einschränken, sowie Studien, die die Auswirkungen auf eine Bewerbung analysieren.

Den Abschluss der Arbeit stellt eine Beantwortung der Ausgangsfrage nach „Benachteiligungen von Kopftuchträgerinnen auf dem Arbeitsmarkt“ anhand der vorhergehenden Untersuchungen dar. Das Fazit soll dahingehend auf Basis der verwendeten Theorien ein kurzes Resümee aus den vorhergehenden Kapiteln ziehen. In diesem Kontext soll auch der Versuch unternommen werden, kurz auf Lösungsvorschläge einzugehen, welche die Situation der betroffenen Gruppe verbessern könnten.

2 Diskriminierungstheorie

Zur Beantwortung der Frage, ob die schlechtere Erwerbsbeteiligung von kopftuchtragenden Frauen eine Folge von Diskriminierung ist, bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der Diskriminierung in der Soziologie. Dieses Kapitel soll der Frage nachgehen, wie Diskriminierung in der Soziologie definiert wird und welche Folgen Diskriminierung haben kann. Dabei soll ein besonderer Blick auch auf institutionelle Diskriminierung geworfen werden, um nicht nur die Frage zu beantworten, ob Diskriminierung vorliegt, sondern auch, ob diese von Institutionen befördert wird.

Diskriminierung bedeutet die Abwertung von Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder einer Abweichung von der Norm. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit geht einher mit Verwehrungen und Einschränkungen von politischen, rechtlichen oder ökonomischen Möglichkeiten.

„Durch Diskriminierung werden auf der Grundlage jeweils wirkungsmächtiger Normalitätsmodelle und Ideologien Personengruppen unterschieden und soziale Gruppen markiert, denen der Status des gleichwertigen und gleichberechtigten Gesellschaftsmitglieds bestritten wird“ (Scherr 2012: 9).

Die Folge dieser Nicht-Anerkennung einer Gleichwertigkeit ist Benachteiligung, die sich in schlechteren politischen, rechtlichen oder ökonomischen Möglichkeiten offenbart.

Diskriminierung basiert nach Scherr auf der Abweichung von Personen von dem Zustand, der in einer Gesellschaft als Norm deklariert wird.

„Dieser angenommene Normalfall ist der erwachsene, männliche, physisch und psychisch gesunde Staatsbürger, der zudem kulturell (Sprache, Religion, Herkunft) und im Hinblick auf äußerliche Merkmale (Hautfarbe) der Bevölkerungsmehrheit bzw. der dominanten gesellschaftlichen Gruppe angehört“ (Scherr 2012: 8).

Diese Abweichung kann somit auf verschiedensten Merkmalen beruhen, die von kulturellen oder äußerlichen Unterschieden bis zu einer Abweichung von dem als normal geltenden physischen und psychischen Zustand geht.

Die angenommene Abweichung von der Norm stellt also die Grundlage der Diskriminierung dar, die Verwehrung oder Einschränkung bestimmter gesellschaftlicher Möglichkeiten ihre Folge. Diskriminierung kann dabei durch gesellschaftliche Vorurteile verstärkt werden, hat ihre Ursache aber nicht zwingend in dem Vorhandensein bestimmter Vorurteile. Scherr definiert Diskriminierung vor allem über eine Abweichung von der Norm, somit können große Teile der Bevölkerung zum Opfer von Diskriminierung werden, da sie nicht den erwarteten Normen entsprechen. Er sieht daher auch eine Ungleichbehandlung von Gruppen als Ursache oder verstärkendes Merkmal für Vorurteile gegenüber Gruppen, in seinem Ansatz schließt er an die von Merton beschriebene „selbsterfüllende Prophezeiung“ an.

„Diskriminierung erzeugt so betrachtet – z.B. durch politische Entscheidungen – die „Tatsachen“, die in einer vorurteilsbehafteten Sichtweise Ursache des „Versagens“ der Benachteiligten sind. Dies wird dadurch unsichtbar gemacht, dass der soziale Prozess, durch den Benachteiligung und ihre Folgen entstehen, ausgeblendet wird“ (Scherr 2012: 14).

Die Folgen der Diskriminierung sind somit eine Benachteiligung der betroffenen Gruppen und die Entstehung von Vorurteilen. Jene Vorurteile basieren dabei häufig auf den Folgen von diskriminierenden Mechanismen, wie dies im Beispiel von Merton (Scherr 2012: 14) gezeigt wird. Vorurteile erfüllen allerdings nicht nur die Funktion eine andere Gruppe abzuwerten, sondern auch das Selbstwertgefühl der eigenen Gruppe zu stärken.

Scherrs Ansatz der Diskriminierung lässt sich auf verschiedene Gebiete anwenden, behandelt allerdings nicht den besonderen Charakter von institutioneller und instituionalisierter Diskriminierung. Dieser Ansatz geht auf die Wirkung einer Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen durch Institutionen ein. Dies soll am Beispiel der Diskriminierungstheorie von Feagin und Feagin aufgezeigt werden.

Feagin und Feagin weisen daraufhin, dass bis in die frühen 70er Jahre das vorherrschende Model zur Interpretation von Diskriminierung Vorurteile als Grundlage und Ursache für diese ansah. Sie stellen fest, dass seit den 60er Jahren drei neue Betrachtungsweisen von Diskriminierung festzustellen sind. Bei der ersten handelt es sich um die „interest theory of discrimination“ (Feagin & Feagin 1986: S7), diese basiert auf dem Gedanken, dass eine wesentliche Motivation von Diskriminierung auf dem Wunsch basiert, die eigenen Privilegien zu erhalten und zu schützen. Diese Theorie sieht Diskriminierung nicht nur als eine Form des Ausschlusses einer Gruppe, sondern als einen Prozess der stetigen Verteidigung der eigenen Vorteile und Gewinne auf Kosten anderer. Eine weitere Theorie ist der sogenannte „Interne Kolonialismus“. Hierbei steht die Entstehung der Privilegien durch den Raub von Land und Ressourcen durch weiße Europäer sowie im weiteren Verlauf der Entwicklung durch die ungleiche Verteilung von technischem Fortschritt und Industrialisierung im Vordergrund.

Eine dritte Perspektive betrachtet den „Institutionellen Rassismus / Sexismus“. Dies ist ein Prozess bei dem Privilegien durch die Einbettung in Normen, Regeln und Gesetze verschiedenster sozialer, wirtschaftlicher und politischer Organisation institutionalisiert werden.

Feagin und Feagin erkennen bei der Betrachtung der „Institutionalisierten Diskriminierung“ als problematisch, dass zwischen individueller und institutionalisierter Diskriminierung unterschieden wird, da dann das Individuum bei letzterer keine Rolle spielt. Auch für wesentlich halten sie die Differenzierung zwischen direkter und indirekter institutionalisierter Diskriminierung. Sie definieren Diskriminierung als „Discrimination here refers to actions or practices carried out by members of dominant groups, or their representatives, which have a differential and negative impact on members of subordinate groups“ (Feagin & Feagin 1986: 20/21).

Ihrer Ansicht nach kann man diskriminierendes Verhalten in zwei Punkte unterteilen; den Effekt und den Mechanismus. Der Effekt bezieht sich auf die negativen Auswirkungen des Verhaltens, während der Mechanismus sich auf die verschiedenen Schritte des Verhaltens, welche zu schädlichen Auswirkungen führen können, bezieht. Sie machen deutlich, dass bisherige Ansätze zumeist von Individuen oder kleineren Gruppen als Diskriminierern ausgingen, während die Bedeutung der institutionalisierten Diskriminierung in ihrer sozialen Struktur liegt und darin, dass sie integraler Bestandteil großer bürokratischer Organisationen ist. Ein weiterer bedeutender Unterschied zur traditionellen Sichtweise liegt auch darin, dass hierbei vorurteilsbehaftete Personen durch fehlerhafte Sozialisierung als Diskriminierer ausgemacht werden, während bei der institutionalisierten Betrachtung das diskriminierende Verhalten als normal angesehen wird und aus übergeordneten Regeln und Verhaltensweisen resultieren kann. Man kann zwischen beabsichtigter und unbeabsichtigter institutionalisierter Diskriminierung unterscheiden, wobei bei der unbeabsichtigten das Bewusstsein bezüglich des diskriminierenden Faktors nicht vorhanden ist.

Diskriminierende Handlungen unterscheiden sich im Grad ihrer sozialen Akzeptanz. Diskriminierungen in größerem Umfang stehen oft im Zusammenhang mit gut organisierten Institutionen und deren Regeln. Diese Regeln können z.B. eine diskriminierende Behandlung von Minderheiten oder Frauen vorsehen. Der Einzelne kann sich auf diese Regeln zurückziehen. Dennoch ist auch in diesen Fällen immer ein Individuum notwendig, das etwas tut. Auch wenn eine Handlung von vielen auf der Grundlage von institutionalisierten Praktiken ausgeführt wird, bleibt sie trotzdem etwas Persönliches, auch wenn sie durch die institutionelle Umgebung eine gewisse Legitimation erfährt.

Feagin & Feagin unterscheiden auch zwischen beabsichtigter und unbeabsichtigter Diskriminierung. Sie gehen davon aus, dass Formen der heutigen Diskriminierung häufig nicht die Absicht haben, dem Opfer zu schaden, vielmehr entsteht dieser Effekt durch die Beziehung zu anderen Bereichen, die diese Absicht haben oder aus der Vergangenheit. Sie erkennen vier grundlegende Typen von Diskriminierung. Zum einen die „isolierte Diskriminierung“, bei der ein Individuum bewusst einem Mitglied einer untergeordneten Gruppe Schaden zufügt. Zu dieser Gruppe gehören durch Vorurteile veranlasste Handlungen. Eine zweite Gruppe sind die Diskriminierungen durch Kleingruppen, bei denen die Handlungen von einer kleinen Gruppe von Personen, die nicht in einen größeren sozialen oder gesellschaftlichen Zusammenhang eingebunden sind, gegen Mitglieder einer untergeordneten Gruppe ausgeführt werden. Häufig werden derartige Aktionen von der sozialen Umgebung der Gruppe nicht gutgeheißen. Eine dritte Variante ist die „direkte institutionalisierte Diskriminierung“, bei der die Verhaltensweise von Organisationen oder der Gemeinschaft vorgeschrieben wird und die Handlungen routinemäßig von einer großen Personenzahl ausgeführt werden. Diese kann die Form von ungeschriebenen Regeln, aber auch die von formellen Gesetzen haben. Die zugrundeliegende Intention kann sowohl auf Vorurteilen beruhen, als auch dem Schutz der wirtschaftlichen oder politischen Interessen dienen.

Die vierte Form ist die „indirekte, institutionalisierte Diskriminierung“, sie bezieht sich auf Praktiken, die einen negativen, schädlichen Einfluss auf Minderheiten haben, obwohl die Regularien auf denen sie beruhen, ohne die Intention zu schaden und ohne Vorurteile eingeführt wurden. Hierbei werden zwei Unterformen unterschieden, „NebeneffektDiskriminierung“ und „Vergangenheit in Gegenwart Diskriminierung“. Bei der ersteren haben Handlungen einer Institution diskriminierende Wirkung in einer anderen, da Diskriminierung, nach Ansicht der Autoren, einen inter institutionellen Charakter hat. Bei der zweiten Spielart handelt es sich um Auswirkungen von vergangen Ereignissen oder Entscheidungen, die auf heutige nicht-diskriminierende Regeln nachwirken. Diese Art der Diskriminierung liegt auch vor, wenn die Personen zwar über die notwendigen Qualifikation verfügen, aber sich von den bisherigen Normen aufgrund von Merkmalen unterschieden. Dabei sind nicht offen artikulierte Kriterien ausschlaggebend, sondern die bisherige Art der Handhabung. So könnte eine Stelle zum Beispiel weiterhin eher an Männer vergeben werden, weil dies in der Vergangenheit schon so gehandhabt wurde (Feagin & Feagin 1986: 31-33).

Als Beispiel für indirekte institutionalisierte Diskriminierung führen Feagin und Feagin die „Screening Practices“ auf. Diese führen dazu, dass zum Beispiel nichtweiße Personen bei der Bewerbung als Kellnerinnen oder Kellner diskriminiert werden, weil vermutet wird, dass sie von der mehrheitlich weißen Kundschaft abgelehnt werden. Durch die vermutete Ablehnung der Kundschaft werden insbesondere schwarze Bewerberinnen deutlich eher nicht eingestellt als weiße.

Feagin und Feagin erläutern, dass rassistische wie auch geschlechtsspezifische Diskriminierung häufig auf Wechselwirkungen zwischen indirekter und direkter institutionalisierter Diskriminierung basieren. So wird teilweise direkte Diskriminierung abgebaut, während indirekte Diskriminierung durch andere Gesetze wieder hinzukommt. Es werden beispielsweise formelle Zugangsbeschränkungen aufgehoben, aber Gesetze eingeführt, die die betroffene Gruppe benachteiligen. Feagin und Feagin bieten mit ihrer Theorie der institutionalisierten Diskriminierung, die Möglichkeit Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen zu untersuchen und herauszuarbeiten, welche Form von Diskriminierung vorliegt.

3 Armutstheorie und Bildungsarmut

Armut ist ein geläufiger Begriff, sowohl in der Soziologie, wie auch im Alltag der Menschen, das bedeutet allerdings nicht, dass der Begriff immer gleich verwendet wird, auch die Festlegung, wann Armut beginnt, ist in der Soziologie umstritten, ebenso wie auch die Ursachen von Armut. Zu Beginn dieses Kapitels soll deswegen eine kurze Auseinandersetzung mit dem Armutsbegriff und der Unterschiedlichkeit von Armutstheorien stattfinden. Im Anschluss daran wird das Konzept der Bildungsarmut anhand der Begriffe aus der Armutsforschung erläutert und in den Kontext der Bildungsforschung gesetzt. Das dritte und letzte Unterkapitel beschäftigt sich mit der Frage, in welchem Ausmaß Bildungsarmut zu schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt beitragen kann und ob ein Zusammenhang zwischen materieller Armut und Bildungsarmut existiert beziehungsweise, in welchem Ausmaß. Durch die Erläuterung von Armuts- und Bildungsarmutstheorie sowie einer Darstellung der Folgen von Bildungsarmut soll später untersucht werden, ob neben Diskriminierung auch Bildungsarmut Auswirkungen auf die schlechteren Arbeitsmarktchancen von Frauen mit Kopftuch hat.

3.1 Armutstheorien

Bei dem Versuch Armut soziologisch zu definieren muss zur Kenntnis genommen werden, dass es nicht eine allein gültige soziologische Armutstheorie gibt. Die Auseinandersetzung mit Armut im soziologischen Kontext soll daher auch nicht den Versuch darstellen, eine allgemeingültige Theorie zu finden und zu erklären, sondern die für große Teile der Armutstheorien geltenden gemeinsamen Punkte in Kurzform herauszuarbeiten, um im nächsten Kapitel Bildungsarmut zu erläutern.

Die Existenz von Armut wird nicht bestritten, strittiger ist dagegen, wann Armut beginnt und in welchem Ausmaß sie existiert. In der Soziologie kann daher nicht von einer Armutstheorie gesprochen werden, die von allen Soziologinnen und Soziologen geteilt wird. Es existieren verschiedene Theorien von Armut, die nicht nur Unterschiede vorweisen, wenn es um die Herausarbeitung der von Armut betroffenen Personen geht, sondern auch gänzlich unterschiedliche Ansätze für deren Entstehung aufzeigen.

So erkennen sowohl der sozialistische Theoretiker Karl Marx als auch einer der wichtigsten kapitalistischen Vordenker, Adam Smith, an, dass Armut existiert. Ihre Analyse, wie diese entstanden ist, unterscheidet sich dagegen grundlegend. Bei Smith entsteht eine Verbesserung der Lage der Armen nur infolge von Wirtschaftswachstum, welches es deswegen anzustreben gilt:

„Wer von Arbeit leben muss, unterliegt dem Armutsrisiko. Allerdings sieht er (nur) im Wachstum der Volkswirtschaft, vorangetrieben durch das Profitmotiv, eine Chance auch für die Arbeiter, ihre Lage zu verbessern“ (Eißel 2012: 64).

Nach Marx dagegen ist Armut eine Folge der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und kann nur durch einen (revolutionären) Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft beendet werden. Gleichzeitig sieht er in Fortschritt und Wirtschaftswachstum keine Bedingung für Armutsbekämpfung, sondern sogar eine Chance für noch mehr Armut:

„Der moderne Arbeiter dagegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich noch schneller als Bevölkerung und Reichtum“ (Marx & Engels 2009: 60).

Einigkeit herrscht neben der Erkenntnis, dass Armut existiert auch bei der Anerkennung der Tatsache, dass Armut nicht nur in der Moderne vorhanden ist, sondern auch in der Geschichte schon lange bekannt ist.

„Armut ist ganz offensichtlich eine die verschiedensten gesellschaftlichen Formationen überdauernde – quasi ‚zeitlose’ – Tatsache. Armut gehört zur Menschheitsgeschichte als einer Geschichte der Gestaltung von Lebensbedingungen, nicht aber zum Menschen im Sinne einer anthropologischen Konstante. Denn Armut bringt immer auch soziale Akteure hervor, die versuchen, sie zu überwinden“ (Huster et al. 2012: 13-14).

Als anerkannter Maßstab zur Messung monetärer Armut hat sich international die Unterscheidung zwischen relativer und extremer Armut durchgesetzt. Extreme Armut wird im internationalen Maßstab unterschieden zwischen Entwicklungsländern, wo extreme Armut bei weniger als einem Dollar pro Tag beginnt, und entwickelten Ländern.

„Dies ist natürlich ein willkürlich festgelegtes Maß; es dient vor allem dazu, eine grobe Abschätzung des Ausmaßes von extremer Armut zu erhalten“ (Strengmann-Kuhn & Hauser 2012: 165).

Die Definition, ab welchem Betrag extreme Armut beginnt, beeinflusst dementsprechend auch, wie viele Menschen als extrem arm gelten. Würde der Betrag gesenkt oder angehoben wäre dementsprechend die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, größer oder kleiner als dies aktuell der Fall ist.

Umstritten ist international dagegen, ob es auch in den sogenannten entwickelten Ländern extreme Armut gibt, da es zumindest offiziell kaum Menschen gibt, die von weniger als einem Dollar leben müssen. Daher wird eher von relativer Armut gesprochen, welche sich nicht über einen international gültigen Wert definiert, sondern über Einkommen, welches ins Verhältnis gesetzt wird zu der Vergleichseinheit, meist der Nationalstaat. Relative Armut kann daher international nicht über den feststehenden Wert des Einkommens verglichen werden, sondern über einen festgelegten Prozentsatz des Durchschnittseinkommens, unterhalb dessen Menschen als arm gelten.

Relative Armut wird daher meist über einen Wert unterhalb von 50 oder 60 Prozent „des arithmetischen Mittels oder des Medians des Nettoäquivalenzeinkommens des jeweiligen Landes ermittelt wird“ (Strengmann-Kuhn & Hauser 2012: 167). Dies ermöglicht, wenn einer der beiden Werte für alle Länder angewendet wird, eine Vergleichbarkeit für alle Länder, in denen die Daten verfügbar sind. Relative Armut kann somit genauer anhand der wirtschaftlichen Daten eines Landes bestimmt werden und ist, anders als der festgesetzte Wert für absolute Armut, eine Möglichkeit Armut im Kontext zu betrachten.

Neben der unterschiedlichen Bemessung unterscheiden sich relative und absolute Armut auch durch die Folgen, welche sie für die Betroffenen mit sich bringen. Absolute Armut hat gravierende Folgen für das Individuum, bei ihrem Vorliegen: „droht der frühe Tod durch Verhungern, Verdursten, Erfrieren oder durch Krankheiten. Diese Menschen erreichen nicht einmal das absolute Existenzminimum“ (Hauser 2012: 124).

Die Folgen relativer Armut sind Ausschluss oder Marginalisierung in der Gesellschaft und eine Einschränkung der Partizipationsmöglichkeiten.

Neben den Definitionen von absoluter und relativer Armut, die sich an finanziellen Ressourcen festmachen, existieren Armutstheorien, welche die Armutsbegriffe erweitern. So erläutert Hauser, dass relative Armut auch weiter gedeutet werden kann, wenn Armut anhand von Verwirklichungschancen definiert wird, wie dies der Nobelpreisträger Amartya Sen vorschlägt. Im Anschluss an dieses Konzept würde relative Armut nicht ausschließlich über finanzielle Aspekte bestimmt, sondern auch über einen „Mangel an individuellen nicht‐finanziellen Potenzialen (Gesundheit, Bildung) sowie in einem Mangel an gesellschaftlich bedingten Chancen (politische Chancen, ökonomische Chancen, soziale Chancen, sozialer Schutz, ökologischer Schutz, rechtlicher und faktischer Schutz gegen Kriminalität sowie Informationsmöglichkeiten)“ (Hauser 2012: 125).

Neben Konzepten, die finanzielle und nicht finanzielle Aspekte zusammenführen, werden die Begrifflichkeiten der Armutstheorien auch auf andere Bereiche angewendet, wie im nachfolgenden am Begriff der Bildungsarmut verdeutlicht.

3.2 Bildungsarmut

Zum Verständnis von Bildungsarmut ist eine Erläuterung der Merkmale notwendig, die im soziologischen Kontext Bildung definieren. Bildungserfolg bzw. Bildungsarmut wird maßgeblich über zwei Definitionen festgestellt, zum einen über die erreichten Bildungszertifikate, also durch Prüfung definierte Bildungsabschlüsse. Definieren lässt sich Bildungsarmut auch über Kompetenzen, d.h. die vorhandenen Fähigkeiten. Diese sind nicht durch einen Abschluss definiert, stehen aber im Zusammenhang mit den Bildungsabschlüssen.

„Seit PISA lässt sich Bildungsarmut auch über Kompetenzen messen. PISA berichtet über das Verteilungsspektrum von Schülerleistungen in Leseverständnis, Mathematik, Naturwissenschaften und fächerübergreifenden Kompetenzen, so dass Armuts- und Reichtumsindizes für die Leistungen selbst entwickelt werden können“ (Allmendinger & Leibfried 2003: 14).

Wie bei der Definition von Armut wird auch im Kontext von Bildungsarmut zwischen absoluter und relativer Bildungsarmut unterschieden. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist der Kontext der Armut, also eine Unterscheidung zwischen internationaler und nationaler Bildungsarmut. Absolute Bildungsarmut im Bezug auf Abschlüsse wäre im nationalen Kontext das Fehlen eines Bildungsabschlusses.

„Da in der Bundesrepublik nicht die Dauer des Schulbesuchs, sondern der erfolgreiche Abschluss (Zertifikat) belohnt wird, ist ein Fehlen des Hauptschul- bzw. beruflichen Bildungsabschlusses ein hartes, klares Merkmal für Unterversorgung mit schulischer Bildung“ (Allmendinger & Leibfried 2003: 13).

Relative Armut wäre, parallel zur Definition von Armut, nicht das Fehlen eines Abschlusses, sondern ein niedriges Abschlussniveau unter dem Durchschnitt der Bevölkerung. „So wären etwa alle im unteren Quintil oder Quartil der Bildungsverteilung bildungsarm“ (Allmendinger & Leibfried 2003: 13). In Deutschland wäre relative Bildungsarmut dementsprechend anzusiedeln bei einem Hauptschulabschluss, welcher neben dem Abgang aus dem Bildungssystem ohne Zertifikat, der Abschluss wäre, der im unteren Quintil vorhanden ist.

Mit Blick auf die deutschen Schulabschlüsse bedeutet dies „dass dieses Quartil im Schuljahr 2005/2006 nicht nur alle Schulabgänger ohne Schulabschluss (rund 6 % der Schulabgänger), also die „absolut“ Bildungsarmen, sondern auch den größten Teil der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss (19,5 % der Schulabgänger) umfasst“ (Berger et al. 2010: 39).

In den 60er Jahren lag der Anteil derjenigen, die die Schule mit dem Hauptschulabschluss verlassen haben noch bei mehr als 50 Prozent und um die 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler verließen die Schule ohne Abschluss. Die Daten zeigen somit eine deutliche Veränderung im Hinblick auf den Anteil der einzelnen Abschlüsse in der Gesellschaft.

„Im Unterschied zu den 1960er Jahren können also gegenwärtig auch Personen, die einen Hauptschulabschluss erreicht haben, als relativ bildungsarm gelten“ (Berger et al. 2010: 40).

Da auf internationaler Ebene die Situation im Bildungssystem eine andere ist, würde dort der Vergleichspunkt nicht der fehlende Abschluss sein, sondern Analphabetismus. Internationale Bildungsarmut meinte demnach Personen, „denen als Analphabeten in allen modernen Gesellschaften die Fähigkeit zum Mindestanschluss fehlt. Bei uns handelt es sich um 0,5 bis 1,9 Millionen Menschen“ (Allmendinger & Leibfried 2003: 14). Für einen internationalen Vergleich ist es entscheidend, die Länder zu definieren, die verglichen werden, da die Zahlen zu Analphabetismus starke Unterschiede aufweisen.

Bildungsarmut mit Bezug auf Kompetenzen wird wissenschaftlich im Kontext der PISA-Studie an dem Erreichen eines bestimmten Niveaus festgemacht. Die absolute Bildungsarmut wäre demnach gegeben, wenn die niedrigste Stufe des PISA Tests nicht erreicht werden würde. Allmendinger und Leibfried bezeichnen die erste Stufe im Anklang an die PISA-STUDIE als „funktionalen Analphabetismus“ (Allmendinger & Leibfried 2003: 14), bei diesem wäre die Lesefähigkeit theoretisch gegeben, eine praktische Anwendbarkeit allerdings nur in einem sehr geringem Maße.

Die relative Bildungsarmut läge demgegenüber bei denjenigen vor, die im Kompetenztest zu den untersten 10 Prozent gehören. Warum Allmendinger und Leibfried bei Kompetenzen einen Maßstab von 10 und nicht 20 bzw. 25 Prozent ansetzen wie bei den Abschlüssen, wird nicht erläutert. In Deutschland wären die relativen Bildungsarmen allerdings auch die absolut Bildungsarmen, da beide Gruppen unterhalb der ersten Kompetenzstufe liegen, in anderen getesteten Staaten wären diese in der ersten Kompetenzstufe.

Auf internationaler Ebene, zumindest im Kontext der OECD-Staaten, also Staaten mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen, erreicht Deutschland hohe Armutswerte.

„Bei uns geht im OECD-Vergleich ausgeprägte Bildungsarmut mit eher durchschnittlichem Bildungsreichtum einher“ (Allmendinger & Leibfried 2003: 15).

Ein Vergleich mit den meisten anderen Ländern ist dagegen schwerlich möglich, da es an Studien mangelt, die die Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Ländern unter relativ einheitlichen Bedingungen getestet haben.

Allmendinger und Leibfried weisen auch darauf hin, dass es international möglich ist, absolute Bildungsarmut im Bereich der Kompetenzen abzuschaffen, Deutschland davon aber noch weit entfernt sei.

„Absolut gemessene Bildungsarmut ist vermeidbar, wie der PISA-Erfolg von 14 Ländern zeigt. Ferner können so auch Gruppen, die zertifizierungsarm, aber kompetenzreich sind, stärker ins Bildungssystem integriert werden“ (Allmendinger & Leibfried 2003: 17).

3.3 Auswirkungen von Bildungsarmut auf dem Arbeitsmarkt

Im Anschluss an die Ausführung der Definition von Bildungsarmut und der verschiedenen Methoden, mit denen diese gemessen werden kann, folgt eine Auseinandersetzung mit den Folgen von Bildungsarmut für den Arbeitsmarkt. Bildungsarmut, sowohl in Form von Kompetenzen als auch in Form von Zertifikaten, beeinflusst die Arbeits-marktperspektiven der betroffenen Personen. Gisecke, Ebner und Oberschachtsieck haben eine Untersuchung zur Frage durchgeführt, welche Auswirkungen Bildungsarmut für den Arbeitsmarkt hat.

Ihre Untersuchung betrachtet dabei sowohl Exklusion als auch Marginalisierung der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt.

„Die von uns untersuchten Arbeitsmarktrisiken umfassen dabei sowohl Risiken der Marginalisierung am Arbeitsmarkt (geringfügige Beschäftigung) als auch Exklusionsrisiken (Erwerbslosigkeit bzw. Arbeitsmarktinaktivität, d. h. vollständiger Rückzug vom Arbeitsmarkt)“ (Gisecke et al. 2010: 421).

Durch die Betrachtung zweier Aspekte wird nicht nur die Exklusion betrachtet, sondern auch die Art der Arbeit, der bildungsarme Personen nachgehen.

Sie stellen dabei Bildungsarmut als Zertifikatsarmut in den Mittelpunkt, da die Auswirkungen von Kompetenzarmut auf den Bildungsweg schwieriger messbar sind. Bildungszertifikate sind in Deutschland in einem hohen Maße standardisiert und daher besser messbar.

„Wir gehen davon aus, dass Bildungszertifikate aufgrund des hochgradig stratifizierten Schulsystems und der standardisierten sowie differenzierten beruflichen Ausbildung beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt von besonderer Relevanz sind“ (Gisecke et al. 2010: 424).

Die Frage, welche Relevanz Zertifikate für den Arbeitsmarkt haben, steht im Zentrum ihrer Untersuchung.

Grundsätzlich muss mit Blick auf Zertifikate unterschieden werden zwischen einem Schul- und einem Berufsabschluss. Die abgeschlossene berufliche Ausbildung geht in Deutschland häufig mit einer Ausbildung in einem Betrieb einher. Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist das Geschlecht, welches in Deutschland immer noch einen signifikanten Wert auf dem Arbeitsmarkt darstellt.

Die Statistiken lassen den Unterschied zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt erkennen. So waren 2004 58,6 Prozent der Frauen in Voll- oder Teilzeitarbeit beschäftigt, ein Wert, der erheblich geringer ist als jener bei Männern, der bei 82,2 Prozent lag. Bei steigendem Abschluss nähern sich diese Zahlen allerdings an, so waren unter Frauen mit Hochschulreife und Fach- oder Berufsschulabschluss 78,1 Prozent voll- oder teilzeit erwerbstätig, unter Männer waren es etwa 10 Prozent mehr. In den Gruppen, die als bildungsarm gelten, also jenen Männern und Frauen, die nur über Hauptschulabschluss verfügen oder ohne Abschluss sind, war der Unterschied deutlich größer.

Am stärksten von einer Arbeitsmarktexklusion sind demnach jene Personen betroffenen, die weder über einen Berufs- noch über einen Bildungsabschluss verfügen.

„Mit Blick auf den Einfluss der schulischen und beruflichen Bildung auf das Risiko der Nichterwerbstätigkeit, lässt sich feststellen, dass Personen ohne Berufsabschluss überproportional von Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sind, wobei ein zusätzlich fehlender Schulabschluss das eindeutig höchste Risiko nach sich zieht“ (Gisecke et al. 2010: 424).

Das Fehlen jeglicher Bildungszertifikate hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Betroffenen, so waren 2004 „nur“ 40 Prozent der Männer in dieser Gruppe nicht erwerbstätig, während es unter den Frauen 70 Prozent waren. Auch der Anteil der erwerbslos Gemeldeten, also Menschen, die eine Arbeit suchen und keine finden, unterscheidet sich. Während fast 52 Prozent der Männer ohne Schul- oder Ausbildungsabschluss über eine Voll- oder Teilzeitarbeit verfügten, waren 27 Prozent erwerbslos, somit sind ungefähr halb so viele Männer ohne Abschluss erwerbslos wie erwerbstätig. Bei den Frauen hingegen waren nur 15,6 Prozent erwerbstätig, der Anteil der Erwerbslosen mit 11,4 Prozent auch deutlich niedriger, dennoch entspricht dies im Verhältnis zur Anzahl der Erwerbspersonen einem Anteil von fast 75 Prozent.

Wie oben erläutert werden Menschen ohne Schul- oder mit Hauptschulabschluss in Deutschland zur Gruppe der Bildungsarmen gezählt. Diese Gruppe ist es auch, welche am stärksten von Arbeitsmarktexklusion betroffen ist:

„Dabei ist das Risiko der Arbeitsmarktexklusion für Personen mit oder ohne Hauptschulabschluss deutlich erhöht. So hatten 2004 z. B. Hauptschüler und Hauptschülerinnen, die über keinen Berufsabschluss verfügten, im Vergleich zu Personen mit einem Realschul- und Berufsabschluss das vier- bis fünffache Risiko, erwerbslos (statt vollzeit- bzw. teilzeiterwerbstätig) zu sein“ (Gisecke et al. 2010: 433).

Ein weiteres Relevanzkriterium auf dem Arbeitsmarkt ist neben dem schulischen Abschluss der berufliche Abschluss. Eine abgeschlossene berufliche Ausbildung erhöht die Chancen, eine Voll- oder Teilzeitstelle zu erhalten, deutlich. Im Hinblick auf Menschen mit Hauptschulabschluss kann dies dazu führen, dass sie mit einer beruflichen Ausbildung ähnliche oder sogar bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als Personen mit Realschulabschluss ohne Berufsausbildung (Gisecke et al. 2010: 434).

Menschen ohne Bildungs- oder mit Hauptschulabschluss sind somit in besonderer Weise von Arbeitsmarktexklusion betroffen. Bildungsarmut hat also massive Folgen für die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Diejenigen ohne jegliche Form von Abschluss stehen noch schlechter dar, als Menschen mit Hauptschulabschluss, was Unterschiede innerhalb der Gruppe der bildungsarmen Personen offenbart.

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Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Wie kopftuchtragende Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden
Autor
Jahr
2020
Seiten
71
Katalognummer
V584010
ISBN (eBook)
9783964872531
ISBN (Buch)
9783964872548
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Islam, Rassismus, kopftuch, muslime, diskriminierung, Arbeitsmarkt, Gleichberechtigung, Gleichstellung, Erwerbstätigkeit, Integration, Chancengleichheit
Arbeit zitieren
Jules El-Khatib (Autor:in), 2020, Wie kopftuchtragende Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/584010

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