Nach Jens Fliege ist ein typisches Merkmal von Popmusik,„dass sie ihren Warencharakter betont zur Schau stellt. Der Konflikt zwischen Kunst und Kommerz (...) ist der Popmusik immanent und bestimmt ihr Wesen in einem grundsätzlichen Sinne.“ Der Konflikt zwischen Kunst und Kommerz ist auch ein Konflikt von Selbst- und Fremdbestimmung des Künstlers. Die Furcht, der Kommerz könne die Kunst formal und inhaltlich (fremd)bestimmen, hat vor allem bei Musikern, die so genannte Independent Musik machen, Verweigerungsstrategien geboren. Dabei ist das Wort „Independent“ doppeldeutig. Es bezeichnet zum einen die „unabhängige“ Vertriebsform, zum anderen die „unabhängige“ Musik.. Beide Elemente bleiben verzahnt - als sich Independent in den 90ern mehr und mehr Richtung in Musik verschob, wurden die Konflikte um Kunst und Kommerz nicht mehr durch den Streit um den richtigen Vertrieb, sondern in der Musik ausgetragen. Vor allem Bands der Hamburger Independent Szene thematisierten in ihrer Musik und ihrem Auftreten das ambivalente Verhältnis von Kunst und Kommerz, konnten sie doch auf eine florierende Independent (Vertriebs-) Kultur in den 80ern zurückblicken. Die Hamburger Pop-BandTocotronicverweigerte sich besondern originell und charmant, denn sie spielten mit der Verweigerung - und das auf verschiedenen Ebenen. Sie spielten amerikanische Musik mit deutschen Texten, trugen 80er Jahre Klamotten in unkonventioneller Kombination, und hatten mit ihren Polaroid-Fotoaufnahmen eine ungewöhnliche Fotoästhetik. Oft konterkarieren ihre einfachen musikalischen Arrangements die Texte, welche wiederum durch unkonventionelle Formulierungen auffallen. Am Beispiel vonTocotronicwerde ich das Verhältnis einer Independent Band zu Kunst und Kommerz aus zwei Perspektiven betrachten: aus der Sicht des Musikstandorts Hamburg (I) und durch eine Diskussion vonTocotronicsDebutalbulm„Digital ist besser.“Dabei konzentriere ich mich in den Kontextualisierungen in I auf zwei Kontroversen: den Vetriebsbegriff „Hamburger Schule“ (I.1) und das Spannungsverhältnis von Musik und Vertrieb in der Hamburger Independent-Szene in den 80er Jahren (I.2) - beide hängen miteinander zusammen. Dieses Spannungsverhältnis wird inTocotronicsSpiel mit der Verweigerung - ihren Dekontextualisierungen - auf dem DebutalbumDigital ist besservom Vertrieb in das Erscheinungsbild der Band (Name, Kleidung, Fotos, Musik, Texte) umgelenkt (II). [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Tocotronic und der Musikstandort Hamburg
- I.1 „Hamburger Schule“ als Vertriebsbegriff
- I.2 Von Zickzack zu LADO – Die Hamburger Independent-Szene zwischen Vertriebsform und Musikrichtung
- II. Tocotronics Album „Digital ist besser“
- II.1 Name, Kleidung, Fotos
- II.2 Die Musik
- II.3 Die Texte
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kommerz am Beispiel der Hamburger Band Tocotronic und deren Debütalbum „Digital ist besser“. Die Zielsetzung besteht darin, die Strategien der Band im Umgang mit diesem Konflikt zu analysieren und die Ambivalenz ihrer Verweigerungshaltung zu beleuchten. Dabei wird der Einfluss des Musikstandorts Hamburg und der „Hamburger Schule“ berücksichtigt.
- Das ambivalente Verhältnis von Kunst und Kommerz in der Independent-Musik
- Die „Hamburger Schule“ als Vertriebsbegriff und ihre Bedeutung für Tocotronic
- Tocotronics Strategien der Dekontextualisierung und des Spiels mit der Verweigerung
- Die Kritik an der Kommerzialisierung der Kunst als Formulierungsproblem
- Die Bedeutung von Musik, Texten und visuellem Auftritt für die Botschaft der Band
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik des Konflikts zwischen Kunst und Kommerz in der Popmusik ein und stellt die zentrale These auf, dass Tocotronic diesen Konflikt auf originelle Weise thematisiert und mit Verweigerungsstrategien spielt. Der Fokus liegt auf der Analyse von Tocotronics Debütalbum „Digital ist besser“ im Kontext des Hamburger Musikstandorts und der „Hamburger Schule“. Die Arbeit verspricht eine Betrachtung aus zwei Perspektiven: dem Musikstandort Hamburg und dem Album selbst, wobei die Ambivalenz der Botschaften der Band hervorgehoben wird.
I. Tocotronic und der Musikstandort Hamburg: Dieses Kapitel beleuchtet den Einfluss des Hamburger Musikstandorts auf Tocotronics Karriere. Es beschreibt die Entdeckung der Band in der Hamburger Szene und den Weg zum Label L'Age D'Or über den Kontakt zu Jochen Distelmeyer (Blumfeld). Der Kontext der „Hamburger Schule“ wird eingeführt, die Bedeutung von deutschen Texten und Punk-Einflüssen wird diskutiert. Das Kapitel etabliert Tocotronic als Teil einer größeren Szene, jedoch mit eigenständigem Stil und kritischer Distanz zu den etablierten Begriffen und Kategorisierungen.
II. Tocotronics Album „Digital ist besser“: Dieses Kapitel analysiert Tocotronics Debütalbum „Digital ist besser“ in seinen verschiedenen Aspekten: Name, Kleidung, Fotos, Musik und Texte. Es wird die Ambivalenz der Band im Umgang mit dem Konflikt zwischen Kunst und Kommerz herausgestellt. Tocotronics Strategien der Dekontextualisierung, der unkonventionellen Kombinationen und der ironischen Selbstreflexion werden untersucht. Die zweideutigen Botschaften und der Erfolg der Verweigerungsstrategie werden als zentrale Themen betrachtet. Die Kritik wird als Formulierungsproblem beschrieben, wobei Form, Adressat und Empfänger hinterfragt werden.
Schlüsselwörter
Tocotronic, „Digital ist besser“, Hamburger Schule, Independent-Musik, Kunst und Kommerz, Dekontextualisierung, Verweigerung, Formulierungsproblem, deutsche Popmusik, Ambivalenz, Kritik.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Tocotronic und "Digital ist besser"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kommerz am Beispiel der Hamburger Band Tocotronic und deren Debütalbum "Digital ist besser". Der Fokus liegt auf den Strategien der Band im Umgang mit diesem Konflikt und der Ambivalenz ihrer Verweigerungshaltung.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt das ambivalente Verhältnis von Kunst und Kommerz in der Independent-Musik, die "Hamburger Schule" als Vertriebsbegriff und ihre Bedeutung für Tocotronic, Tocotronics Strategien der Dekontextualisierung und des Spiels mit der Verweigerung, die Kritik an der Kommerzialisierung der Kunst als Formulierungsproblem und die Bedeutung von Musik, Texten und visuellem Auftritt für die Botschaft der Band.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel über Tocotronic und den Musikstandort Hamburg, ein Kapitel über das Album "Digital ist besser" und einen Schluss. Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die zentrale These vor. Kapitel I beleuchtet den Einfluss des Hamburger Musikstandorts und der "Hamburger Schule". Kapitel II analysiert das Album "Digital ist besser" in seinen verschiedenen Aspekten (Name, Kleidung, Fotos, Musik, Texte).
Was ist die zentrale These der Arbeit?
Die zentrale These ist, dass Tocotronic den Konflikt zwischen Kunst und Kommerz auf originelle Weise thematisiert und mit Verweigerungsstrategien spielt. Die Ambivalenz der Botschaften der Band steht im Mittelpunkt der Analyse.
Welche Rolle spielt die "Hamburger Schule"?
Die "Hamburger Schule" wird als Vertriebsbegriff betrachtet und ihr Einfluss auf Tocotronic und die Hamburger Independent-Szene wird untersucht. Die Arbeit beleuchtet die Bedeutung deutscher Texte und Punk-Einflüsse in diesem Kontext.
Wie wird das Album "Digital ist besser" analysiert?
Das Album wird umfassend analysiert, inklusive Name, Kleidung, Fotos, Musik und Texten. Die Analyse konzentriert sich auf die Ambivalenz der Band im Umgang mit dem Konflikt zwischen Kunst und Kommerz und deren Strategien der Dekontextualisierung und ironischen Selbstreflexion.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Tocotronic, "Digital ist besser", Hamburger Schule, Independent-Musik, Kunst und Kommerz, Dekontextualisierung, Verweigerung, Formulierungsproblem, deutsche Popmusik, Ambivalenz, Kritik.
Welche Perspektive wird eingenommen?
Die Arbeit betrachtet Tocotronic aus zwei Perspektiven: dem Hamburger Musikstandort und dem Album "Digital ist besser" selbst. Die Ambivalenz der Botschaften der Band wird dabei hervorgehoben.
- Citation du texte
- Michael Kunth (Auteur), 2003, Kritik als Formulierungsproblem - Zum Spannungsverhältnis von Kunst und Kommerz anhand von Tocotronics Debutalbum 'Digital ist besser' (1995), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58440