Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Mobbing in der Schule
2.1 Der Begriff ,,Mobbing‘‘ vs. ,,Bullying‘‘
2.2 Ab wann spricht man von Mobbing?
3 Die Rollenverteilung
3.1 Die Unterscheidung zwischen Opfer und Täter
3.2 Mobbing als Gruppenphänomen/weitere Rollen
4 Ursachen und Folgen
3.1 Mögliche Ursachen im Fokus der Täterseite
3.2 Mögliche Folgen im Fokus der Täterseite
5 Studie zur Täterperspektive
5.1 Diskussion und weitere Persönlichkeitsmerkmale des Täters
6 Schlussbetrachtung
7 Literaturverzeichni
8. Anhang
UNIVERSITÄT POTSDAM
Philosophische Fakultät
Institut für Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde
Seminar: Einführung in die Psychologie
Modul: Einführung in LER II: Fachdidaktik, Psychologie und Soziologie
Leistungspunktezahl: 3 LP
Sommersemester 2018
Wortanzahl: 5139
Mobbing in der Schule - Welche Persönlichkeitsmerkmale stehen im Zusammenhang mit dem Verhalten des Täters?
1 Einleitung
Fast jeder sechste 15-Jährige wird in Deutschland regelmäßig Opfer von teils massiven körperlichen und/oder seelischen Misshandlungen durch Mitschüler. Die 2017 veröffentlichte PISA-Studie zeigt, dass diese Schüler dabei sogar mehrmals im Monat von Mobbing betroffen sind (Vgl. OECD, 2017). Die Schule wird in solchen Fällen von Kindern und Jugendlichen weniger als Lernort, sondern mehr als ein Ort der Qual wahrgenommen. Durch die alltäglichen Vorfälle entwickelte sich Mobbing als Teil des Schulalltags und bildet seit einigen Jahrzehnten den Ausgangspunkt vieler öffentlicher Debatten.
Die Themenfindung entwickelte sich vor allem aufgrund meiner persönlichen Beobachtung, dass Mobbing kein fiktives Alltagsphänomen ist, sondern in der eigenen Schulzeit mehrfach unter Mitschülern vorkam. Durch die Perspektive einer Außenstehenden, die weder selbst gemobbt wurde, noch Mobbing verursacht hat, habe ich allerdings festgestellt, dass es sich gerade im Raum der Schule um ein deutlich unterschätztes Thema handelt, bei dem oft weggesehen wird. Kam das Thema jedoch zur Sprache, ging es häufiger um die Mobbing-Opfer und mit ihnen zusammenhängend um die körperlichen und/oder seelischen Schmerzen, die verursacht wurden und an denen die Bestrafung der Mobbing-Täter gemessen wurde. Zudem ist mir aufgefallen, dass über die Schuljahre hinweg bestimmte Charakteristika mit Mobbing-Opfern in Verbindung gestellt wurden. Dabei habe ich wahrgenommen, dass besonders die Schüler von Mobbing betroffen waren, die sich in ihren Verhaltensweisen oder in ihrer optischen Erscheinung von den restlichen Mitschülern differenzierten. Diese Auffälligkeiten wurden meines Erachtens jedoch häufig mit dem eigentlichen Ursprung des Mobbings verwechselt. Denn Mobbing entsteht meiner Meinung nach nicht unbedingt durch bestimmte Merkmale des Mobbing-Opfers, sondern vor allem durch die des MobbingTäters. Daher möchte ich mich in meiner Hausarbeit auf diejenigen Menschen konzentrieren, die Anderen derartige körperliche und/oder seelische Schmerzen hinzufügen. Gegenstand der Hausarbeit soll sein, herauszustellen, inwiefern Persönlichkeitsmerkmale im Zusammenhang mit dem Täterverhalten stehen. Dabei beziehe ich sowohl typische Verhaltensweisen, aber auch das Geschlecht, familiäre Erziehungsstile bzw. familiäre Umstände sowie Migrationshintergründe ein, die ebenfalls Einfluss auf Persönlichkeitsstrukturen haben können.
Im ersten Teil der Hausarbeit werde ich zunächst den Begriff ,,Mobbing’’ genauer definieren und mit dem begriffsverwandten Wort ,,Bullying’’ vergleichen. Anschließend soll die Frage geklärt werden, ab wann man tatsächlich einen Mobbingfall identifizieren kann und wo demnach die Grenzen zwischen ,,Spielereien‘‘ und einem ,,echten‘‘ Mobbing-Verhalten von Kindern und Jugendlichen gezogen werden können. Danach soll die Rollenverteilung in Mobbing-Situationen genauer untersucht werden, indem zuerst die Rolle des Opfers und die des Täters gegenübergestellt wird und danach weitere bedeutsame Rollen betrachtet werden. Im vierten Kapitel sollen dann Ursachen und Folgen für Mobbing geklärt werden. Dafür werden sowohl die Ursachen und Folgen des Opfers beschrieben, der Fokus soll allerdings in beiden Punkten auf der Täterseite liegen. Folgend werden Befunde der HBSC-Studie (2015) zu Tätermerkmalen dargestellt, welche im nächsten Schritt diskutiert werden. Zudem sollen weitere Persönlichkeitsmerkmale beschrieben und die Ergebnisse dieser Hausarbeit im Fazit zusammengefasst werden.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.
2 Mobbing in der Schule
2.1 Der Begriff ,,Mobbing‘‘ vs. ,,Bullying‘‘
Das Wort ,,Mobbing‘‘ entstammt etymologisch dem Altenglischen und lässt sich vom Substantiv ,,Mob‘‘ (Meute, Horde oder kriminelle Bande) bzw. vom Verb ,,to mob‘‘ (angreifen, anpöbeln, schikanieren) ableiten.
Der Gebrauch des Wortes als Fachbegriff lässt sich auf das Buch ,,Das sogenannte Böse‘‘ (1963) des Zoologen Konrad Lorenz rückschließen (Vgl. Wachs, Hess, Scheithauer & Schubarth, 2016). Lorenz beschrieb in diesem Buch eine Form von Gruppenaggression unter Tieren, bei der sich unterlegene Tiere eines Rudels zusammenrotteten, um einen überlegenen und bedrohlichen Feind abzuwehren (z.B. eine Gruppe von Gänsen gegen einen einzelnen Fuchs). 1972 griff dann der Schularzt PeterPaul Heinemann den Begriff ,,Mobbing‘‘ auf, um eine von ihm beobachtete Form von Schülergewalt zu beschreiben, bei der sich eine Gruppe von Schülern zusammenschließt, um immer wieder dieselben Mitschüler zu belästigen. Diese Definition geriet einige Jahre später allerdings in Kritik, da der Begriff ,,Mobbing‘‘ nach Heinemann zu eng mit Gruppengewalt assoziiert und somit die Rolle des Einzelnen durch eine Überbetonung der Gruppe leicht übersehen werden könnte. Dazu kam die Kritik, dass das MobbingOpfer als eine Person betrachtet werden könnte, der es nicht gelinge, sich in das Gruppengefüge einzuordnen, oder auch als eine Person, die zu sehr von der Gruppennorm abweiche.
In der Alltagswelt der Schule finden häufig Situationen statt, in denen einzelne Personen handeln können, die andere Personen schikanieren. Der Psychologe Dan Olweus sprach sich aus diesem Grund dafür aus, anstelle von ,,Mobbing‘‘ den Begriff ,,Bullying‘‘ zu verwenden, der sich mit ,,Tyrann‘‘ oder ,,Rabauke‘‘ ins Deutsche übersetzen lässt. Obwohl viele Wissenschaftler dem Einwand Olweus zustimmten, verbreitete sich in den 1980er und 1990er Jahren der Begriff Mobbing in vielen weiteren europäischen Ländern, wie auch in Deutschland. In der Wissenschaft wird heute überwiegend der Begriff ,,Bullying‘‘ verwendet, wohingegen im alltäglichen Sprachgebrauch der Begriff ,,Mobbing‘‘ deutlich dominiert (Vgl. Wachs et al. 2016). Beide Begriffe werden daher meist synonym verwendet, da sich die Merkmale, mit denen man diese Begriffe beschreibt, deutlich überschneiden. Die Kontroverse, ob es sich bei Bullying um Angriffe von Einzelpersonen (Bully = brutaler Kerl) und bei Mobbing um Gruppenangriffe (Mob = Pöbel, Gruppe) handele, erscheint daher eher sekundär (Vgl. Schubarth, 2010).
In dieser Hausarbeit wird im Weiteren ausschließlich der Begriff ,,Mobbing‘‘ verwendet, um einen einheitlichen Verlauf bezüglich der Begriffsverwendung zu ermöglichen.
2.2 Ab wann spricht man von Mobbing?
Wo Gewalt beginnt, ist ein viel diskutiertes Thema, bei dem die Meinungen oft auseinandergehen. Für manche Menschen ist eine Hänselei schon Mobbing, für andere beginnt das Mobbing jedoch erst bei sichtbaren Verletzungen. Interessanterweise unterscheidet sich dieses Gewaltverständnis vor allem bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen. Kinder und Jugendliche haben dabei teilweise ein sehr enges Verständnis von Gewalt, dass oft nur Formen physischer Gewalt einschließt. Dagegen werden psychische und verbale Gewalt eher als normale Umgangsformen oder als ,,Spaßkampf‘‘ angesehen. Bei Untersuchungen wurde festgestellt, dass es sich bei diesen Kindern und Jugendlichen meist um Jungen handelt. Besonders Mädchen sollen gegenüber Gewalt sensibler eingestellt sein, ebenso wie Gymnasiasten im Vergleich zu Nichtgymnasiasten (Vgl. Schubarth, 2010).
Nach Olweus wird Mobbing wie folgt definiert: ,,Ein Schüler ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler ausgesetzt ist.‘‘ (Schubarth, 2010, S.17). Demnach kann festgestellt werden, dass es sich bei Mobbing um eine spezifische Gewalt- bzw. Aggressionsform handelt.
Nach Schubarth (2010) kann erst dann von Mobbing gesprochen werden, wenn drei Merkmale erfüllt werden. Erstens, das Merkmal der zielgerichteten Schädigungshandlung, die verbal (z.B. Drohen, Beleidigungen), körperlich (z.B. Schlagen, Treten) oder nonverbal (z.B. Gestik, Ignorieren) vollzogen wird. Zweitens, die Häufigkeit und Dauer dieser Schädigungshandlung, die sich wiederholt und über eine längere Zeit andauern muss. Das dritte Merkmal ist das Ungleichgewicht der Kräfte, sodass das Opfer nicht mehr alleine in der Lage ist, aus der Mobbingsituation herauszukommen. Wichtig ist, dass klare Abgrenzungen zwischen Mobbing und anderen Verhaltensformen geschaffen werden. Verhaltensweisen wie beispielsweise Tobspiele (z.B. Kräftemessen in spielerischer Art) oder Necken (freundschaftlich gemeinte Interaktionen) sollten dabei deutlich differenziert werden. Manche dieser Verhaltensphänomene mögen für Außenstehende zwar ebenfalls als Mobbing erscheinen, können aber im Unterschied zu Mobbing Ausdruck normaler altersangemessener Interaktionsmuster und damit sogar für Kinder und Jugendliche entwicklungsförderlich sein (Vgl. Wachs et al., 2016).
3 Die Rollenverteilung
3.1 Die Unterscheidung zwischen Opfer und Täter
,,Mobbing führt zu einem starken Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten. Dieses Ungleichgewicht kann die Anzahl der Personen oder aber ihre Machtbefugnisse betreffen‘‘ (Kolodej, 2018, S.1). Zur Beschreibung der Beteiligten, zwischen denen ein solch starkes Ungleichgewicht herrscht, hat es sich in der Fachliteratur etabliert, zwischen den Opfern bzw. den Betroffenen (Victims) und den Tätern (Bullies) zu unterscheiden. Darüber hinaus scheint es auf Basis empirischer Befunde sinnvoll, die Gruppe der Opfer zusätzlich zu differenzieren. Olweus (1996) unterscheidet diesbezüglich zwischen passiven oder wehrlosen Opfern und provozierenden Opfern (Vgl. Scheithauer, Hayer & Petermann, 2003). Der passive Opfertyp ist körperlich meist schwächer als der Durchschnitt, ängstlich, unsicher, sensibler und kommt oft aus einer überbehütenden Familienstruktur. Provozierende Opfer sind dagegen auffälliger als der Durchschnitt und bieten dadurch eine Angriffsfläche für potenzielle Täter. Sie sind oft ängstlich und aggressiv, leicht reizbar und wollen sich häufig in den Vordergrund spielen. Symptome wie Hyperaktivität oder Aufmerksamkeitsprobleme können diesen Typus ebenfalls kennzeichnen. Trotz der sehr auffälligen Charaktereigenschaften des passiven und des provozierenden Opfertypen ist es wichtig herauszustellen, dass im Prinzip jedes Kind bzw. jeder Jugendliche Mobbing-Opfer werden kann und somit keiner ,,immun‘‘ gegen Mobbing ist. (Vgl. Jannan 2015). Es gibt zudem Fälle, in denen Kinder sowohl andere Kinder mobben, dabei aber auch selbst gemobbt werden. Dadurch wird zusätzlich der Mischtyp des ,, Bully/Victims ‘‘ unterschieden, um die Schüler, die von Mobbing betroffen als auch Selbst tätig sind, einer Rolle zuschreiben zu können (Vgl. Scheithauer et al., 2003).
In der Fachliteratur wird immer wieder der Begriff des ,,Täters‘‘ kritisiert, da dieser genau genommen eher unpassend sei, da sich nicht nur das Opfer, sondern auch der Täter durch ein mangelndes Selbstwertgefühl kennzeichnen kann (Vgl. Jannan 2015). Es lässt sich trotz allem auch eine typische Täterpersönlichkeit ableiten, auf die jedoch erst in Kapitel 5 genauer eingegangen werden soll.
3.2 Mobbing als Gruppenphänomen/weitere Rollen
Die Mobbingforschung hat sich lange Zeit auf die Analyse von Tätern und Opfern konzentriert. Seit einiger Zeit liegen jedoch auch Studien vor, die sich explizit der Tatsache widmen, dass Mobbing oftmals einen Gruppenprozess widerspiegelt. Das bedeutet, das sich in diesem komplexen sozialen Prozess neben dem Täter und Opfer weitere soziale Rollen definieren lassen (Vgl. Fais & Walkowiak, 2015). Diese Rollen weisen spezifische Funktionen auf, die auf Mobbing entweder unterstützend oder verhindernd wirken. Die Psychologen Herbert Scheithauer, Tobias Hayer und Franz Petermann (2003) beschreiben, wie solche Rollenzugehörigkeiten der an Mobbing beteiligten Kinder und Jugendliche aussehen können (Abbildung 1).
Neben den Tätern (Bullies) und Opfern (Victims) gibt es die Assistenten, die das MobbingOpfer beispielsweise festhalten und somit die Tat des Anführers unterstützen. Von den Assistenten werden zudem die Verstärker unterschieden, die eine Mobbing-Tat beispielsweise anfeuern oder den Täter ermutigen weiter zu machen. Auf der anderen Seite stehen dann noch die Verteidiger, die den Opfern, zumindest in manchen Situationen, zur Seite stehen. Die restlichen Kinder, die sich von der Mobbing-Situation fernhalten, werden als Outsider beschrieben. Täter (Bullies), Assistenten und Verstärker bilden untereinander soziale Netzwerke. Ebenso wie Opfer (Victims) und Verteidiger, was für eine sich gegenseitig verstärkende Sozialisationswirkung spricht (Vgl. Scheithauer et al., 2003).
Neben der Identifikation einzelner Rollen wurden in der Mobbing-Forschung auch unterschiedliche Rollenmerkmale untersucht. Hierbei zeigte sich, dass Verstärker und Assistenten häufiger männlich sind, wohingegen Verteidiger und Außenstehende häufiger weiblich sind. Die verschiedenen Rollen unterscheiden sich außerdem in Hinblick auf ihre Popularität. In vielen Fällen gehören Opfer zu den unpopulärsten Schülern einer Klasse. Täter, Assistenten und Verstärker müssen nicht zwingend populär sein, im Vergleich zu den Opfern genießen sie jedoch meistens ein höheres Ansehen. Allein die Verteidiger weisen in den meisten Fällen eine hohe Popularität auf. Sie sind häufig davon überzeugt, über genügend Handlungskompetenzen zu verfügen, um Mobbing wirksam unterbinden zu können. Die Rollenverteilung innerhalb einer Schulklasse hat einen direkten Einfluss auf die Auftretenshäufigkeit von Mobbing, denn je mehr Assistenten und Verstärker innerhalb einer Schulklasse auftreten, desto häufiger tritt Mobbing auf. Mobbing tritt allerdings seltener auf, wenn in einer Schulklasse mehrere Schüler als Verteidiger identifiziert werden können (Vgl. Wachs et al., 2016).
4 Ursachen und Folgen
3.1 Mögliche Ursachen im Fokus der Täterseite
Es lässt sich nicht monokausal einordnen, wieso einige Schüler Mobbing ausüben und andere nicht, oder wieso einige Opfer von Mobbing werden, andere hingegen nicht. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Motive oder risikoerhöhende Faktoren, die einen geeigneten Erklärungsrahmen für das Auftreten von Mobbing in der Schule liefern (Vgl. Wachs et al. 2016). Es ist wichtig festzustellen, dass niemand gegen Mobbing geschützt ist. Eine Viktimisierung (Opferwerdung) kann jedoch durch folgende Faktoren gefördert werden: körperliche Auffälligkeiten (z.B. kleiner als der Durchschnitt, sichtbare Behinderungen), unattraktives Erscheinungsbild (Übergewicht, abstehende Ohren), introvertiertes Sozialverhalten, keine oder eine niedrige soziale Position in der Gruppe (Neulinge in der Klasse). Es handelt sich um Faktoren, die Mobbing keinesfalls rechtfertigen, die jedoch nachweislich häufig im Zusammenhang mit der Wahl eines Mobbing-Opfers stehen. Bei den beschriebenen Faktoren handelt es sich vor allem um Auffälligkeiten. So werden Kinder, die z.B. zuletzt in den Klassenverband hineinkamen oder durch eine körperliche Auffälligkeit in den Mittelpunkt rücken, wahrscheinlicher Opfer von Mobbing (Vgl. Fais & Walkowiak, 2015). Zudem erlebten Mobbing-Opfer häufig einen restriktiven oder überbehütenden Erziehungsstil, also elterliche Vernachlässigung oder ein Übermaß an elterlicher Unterstützung, was in beiden Fällen zu einem defizitären Ausbau sozialer Kompetenzen führen kann (Vgl. Wachs et al., 2016). Da eine Mobbing-Situation allerdings in erster Linie durch den Täter entsteht, ist es besonders wichtig, die risikoerhöhenden Faktoren für ein solch gewalttätiges Verhalten genauer zu untersuchen. Im Laufe der 1990er und 2000er Jahre wurden vermehrt theoriegeleitete Studien mit empirisch anspruchsvollem Forschungsdesign durchgeführt, die sowohl schulische als auch außerschulische Entstehungsbedingungen für Gewalt untersuchten. Diese Studien haben belegt, dass vor allem außerschulische Bedingungen großen Einfluss auf das Ausmaß von Schülergewalt haben. Eine zentrale Bedeutung dieser außerschulischen Bedingungen wurde in der familiären Sozialisation nachgewiesen. Ein restriktiver Erziehungsstil der Eltern gilt als besonderer Risikofaktor (Vgl. Schubarth, 2010). Kommt zu einem restriktiven, autoritären oder bestrafenden Erziehungsstil eine fehlende Anteilnahme am Leben des Kindes hinzu, kann ein Kind dazu tendieren, die erlernte Unterdrückung an ein anderes Kind weiterzugeben. Das Kind muss dabei nicht zwingend selbst Gewalt erleben, auch die Beobachtung von Gewalt zwischen Familienmitgliedern (z.B. den Eltern) kann die Gewaltbereitschaft bei Kindern erhöhen (Vgl. Jannan, 2015). Täter haben also häufig eine familiäre Sozialisation erfahren, in der Aggression als effizientes Mittel der Dominanz und Durchsetzung von Zielen erlebt wird (Vgl. Fais & Walkowiak, 2015). Allerdings kann die Ursache für Mobbing auch durch einen Mangel an Grenzziehung, auch genannt ein ,,übertolerantes‘‘ Verhalten der Eltern entstehen (Vgl. Jannan, 2015).
Für die genaue Entstehung des aggressiven Täterverhaltens zeigt der psycho-analytisch orientierte Ansatz große Erklärungskraft. Kinder und Jugendliche, die ihre Gefühle von Wut und Enttäuschung möglicherweise nicht gegen ihre Eltern richten können, agieren diese häufig in der Öffentlichkeit (z.B. in der Schule) aus. Können diese Kinder dazu nicht den Anforderungen der Schule gerecht werden, geraten sie in eine besondere Stresssituation. Sie haben kaum Möglichkeiten, durch die Schule Anerkennung und Selbstbestätigung zu erfahren. Sie wenden Mobbing an, um somit auf andere Weise die nötige Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erfahren (Vgl. Schubarth, 2010). Mit dem immer früher erfolgenden Eintritt in das Jugend- und Erwachsenenalter relativiert sich allerdings die sozialisatorische Rolle der Eltern, denn die Kinder und Jugendlichen beginnen mit dem entwicklungsgemäß normalen und gesunden Ablösungsprozess vom Elternhaus. Das bedeutet, dass neben der Familie jetzt die Gleichaltrigengruppe, die sogenannte Peergroup, zu einer mächtigen Sozialisationsinstanz werden kann. Typisch für das beginnende Jugendalter um die Pubertät herum ist beispielsweise der Bedarf an Abenteuer und Grenzüberschreitung. Bedürfnisse, die innerhalb des Mobbings ausgelebt werden können. Mobbing-Täter können sich Verhaltensmuster anderer Peers annehmen, aber auch gemeinsam mit ihrer Peergroup Aktionen ausüben, etwa eine Mobbing-Attacke gegen andere Mitschüler, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken (Vgl. Hurrelmann, Bründel, 2007). Weitere Ursachen können der Statuserhalt oder die Statuserhöhung innerhalb einer Gruppe, empfundene Provokation des Täters durch das Opfer oder auch das Gefühl von Langeweile, Spaß oder Machtgefühl sein. Auch diskriminierende Einstellungen und Ideologien (z.B. in Bezug auf Migration, Behinderung, Geschlecht) können durch das Elternhaus oder Peergroups erlernt werden und somit Auslöser für Mobbing in der Schule sein (Vgl. Wach et al., 2016).
Gewalttätige Medien bewirken erwiesenermaßen vermindertes Mitleid mit dem Mobbing-Opfer, sind aber als Auslöser nicht eindeutig zu benennen.
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