Begehren und Sexualität bei Michel Foucault und Herbert Marcuse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Sexualität und Begehren bei Michel Foucault
2.1. Sexualität als Ansatzpunkt für die Untersuchung von Macht und Wissen
2.2. Anreizung statt Unterdrückung
2.3. Macht und Lust
2.4. Scientia sexualis gegen ars erotica
2.5. In der Repressionshypothese gefangen?

3. Sexualität bei Herbert Marcuse
3.1. Unterworfenes Lustprinzip in „Triebstruktur und Gesellschaft“
3.2. Unfreie Bedürfnisse und unfreie Befriedigung
3.3. „Der eindimensionale Mensch“: Sexualität bleibt systemkonform

4. Gemeinsamkeiten zwischen Foucault und Marcuse
4.1. Frankfurter Schule und Poststrukturalismus
4.2 Totalitäre Machtformen
4.3 Verblendungszusammenhang
4.4. Deformierte Sexualität
4.5. Repression
4.6. Positive Formen der Macht
4.7. Auswege und Gegenentwürfe

5. Schlusswort

6. Bibliographie

Im Rahmen des Seminars „Theorien des Begehrens“, habe ich gemeinsam mit Manuela Lehmann ein einführendes Referat zu Michel Foucault gehalten und Auszüge aus „Der Wille zum Wissen“[1] zur Diskussion gestellt.

Bereits in der Vorbereitung, fielen mir Ähnlichkeiten zu den Annahmen von Herbert Marcuse in Der eindimensionale Mensch“[2] auf. Diesen soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit umfassender nachgegangen werden.

Foucault, der Sexualität im Zusammenhang mit seiner Theorie der positiven Macht und dem Subjekt sieht, versteht Begehren als gemacht, geformt und verändert.

Auch Marcuse geht in seiner Theorie der Entsublimierung von einem beeinflussten Begehren in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft aus.

In Bezug auf Foucault werde ich mich im Folgenden größtenteils auf „Der Wille zum Wissen“, den ersten Band aus der Reihe „Sexualität und Wahrheit“ stützen.

Bei Herbert Marcuse beziehe ich mich hauptsächlich auf „Der eindimensionale Mensch“ und „Triebstruktur und Gesellschaft“[3] .

Der Untersuchung sei ein Zitat Foucaults vorangestellt. In Bezug auf den Umstand, dass er die Kritische Theorie im überwiegenden Zeitraum seines Schaffens nicht gekannt hat, meint er 1983:

"Wenn ich die Frankfurter Schule rechtzeitig gekannt hätte, wäre mir viel Arbeit erspart geblieben. Manchen Unsinn hätte ich nicht gesagt und viele Umwege nicht gemacht als ich versuchte, mich nicht beirren zu lassen, während doch die Frankfurter Schule die Wege geöffnet hätte."[4]

2. Sexualität und Begehren bei Michel Foucault

Michel Foucault (1926-1984) betrachtet Sexualität in seiner Philosophie im Zusammenhang mit Macht. In seinem genealogischen Abriss der Sexualität in den drei Bänden „Sexualität und Wahrheit“, untersucht er die Generierung von Wissen. Foucault fragt, wie sich Macht in Wissen einschreibt und dieses die Subjekte bestimmt. Um diese Beziehung geht es besonders in „Der Wille zum Wissen“. In den anderen beiden Bänden „Der Gebrauch der Lüste“[5] und „Die Sorge um sich“[6], steht die Beziehung zu sich selbst als „Subjekt des Begehrens“[7] im Vordergrund.

Macht wird im ersten Band als etwas Positives gedacht, das viel gefährlicher als die unterdrückende Macht ist, da sie versteckt „agiert“. Der Terminus „agieren“ könnte zu dem Fehlschluss verleiten, Macht sei etwas Personales, wenn auch anonym. Stattdessen versteht Foucault diese eher als innere Struktur von Technik und Institution.

In den drei zentralen Punkten oder „Achsen“[8] seiner Philosophie: Subjekt-Macht-Wissen, steht Macht, in Anlehnung an Foucaults geistigen Vater Nietzsche, im Mittelpunkt.

Foucault wendet sich in „Der Wille zum Wissen“ gegen die Repressionshypothese, die Anfang des 17. Jahrhunderts aufgekommen ist und seither die Diskurse bestimmen bestimmt.

Der Hypothese nach, sei die Sexualität unterdrückt und müsse als latentes Geheimnis permanent befreit werden, indem man über sie redet. Foucault fragt, warum mit solcher Leidenschaft von Unterdrückung die Rede ist. Ihm nach ist die Repressionshypothese Bestandteil der Ordnung und perpetuiert diese. Während des Redens über Sexualität, die eng mit der Konstituierung als Subjekt verknüpft ist, befindet sich der Sprecher stets im Glauben, er würde sich von eben jener befreien. Sexualität wird auf diese Weise als Macht gedacht, die jedem innewohnt. Bei ihrer diskursiven Befreiung schwingt nach Foucault stets „ein Hauch von Revolte“[9] als Lustgewinn des Sprechers mit.

Wenn von Befreiung die Rede ist, obwohl in Wahrheit das bestehende System perpetuiert wird, lässt das an zwei zentrale Punkte der Kritischen Theorie denken. Zum einen bestehen Parallelen zur Unmöglichkeit eines Widerstandes, da selbst Revolution als Ware verkauft werden kann[10] und zum anderen zur Annahme eines

Verblendungszusammenhangs, eines „falschen Bewusstseins“[11]. Unter Punkt 4 soll darauf noch ausführlicher eingegangen werden.

Die Repressionshypothese oder die Vorstellung, dass Macht ausschließlich als Verbot, Zwang oder Hemmung gesehen werden kann, ist nach Foucault nicht falsch, sondern unvollständig[12]. Die anderen Mechanismen der Macht sind für ihn jedoch viel gefährlicher, weil sie unbemerkt wirken.

Ob Sexualität durch die Jahrhunderte zugunsten einer heterosexuellen Norm als „ökonomisch nützliche und politisch konservative“[13] gelenkt und verändert wurde, kann Foucault nicht beantworten. In diesem Zusammenhang beobachtet er eine Verstreuung von Sexualität oder spricht von der gegenwärtigen Epoche als „Wegbereiterin sexueller Heterogenitäten“[14]. Wenn Foucault die Sexualität oder vielmehr den Umgang mit ihr untersucht, dann bleibt er bei der Betrachtung auf der Metaebene und gibt keine eindeutige Definition von Begehren. Wichtig ist bei ihm allein der Umstand, dass das Begehren als generiert und nicht nur als unterdrückt gedacht werden muss, wie es durch die Repressionshypothese angenommen wird.

Nach Michel Foucault ist der Mensch seit drei Jahrhunderten dazu angehalten, immer mehr von seiner Sexualität preiszugeben. Der Sexualitätsdiskurs wird stetig höher bewertet und wirkt selbst auf das Begehren zurück. Foucault führt an dieser Stelle die Begrifflichkeiten „Verschiebung“, „Verstärkung“, „Rückwirkung“ und „Modifizierung"[15] an. Wenn es keine Sexualität außerhalb des Diskurses gibt, sondern diese erst im Diskurs generiert, aber dabei als diesem äußerlich, also vordiskursiv erscheint, dann gibt es keine Sexualität außerhalb von Macht.

Die kollektive Vorstellung von Sexualität gehört nach Foucault zum Sexualitätsdispositiv. Sex ist auf diese Weise eine künstliche Einheit von biologischen Funktionen, Verhaltensweisen, Empfindungen und Lüsten, die als natürliche dargestellt wird[16].

2.1. Sexualität als Ansatzpunkt für die Untersuchung von Macht und Wissen

Foucault nimmt an, dass wahrscheinlich über nichts häufiger geredet wird als über die eigene Sexualität[17]. Sie ist bei ihm keine Triebkraft, sondern „Durchgangspunkt von Machtbeziehungen“[18] und zentraler Einsatzort zwischen Individuum und Staat[19].

Das Dispositiv der Sexualität ist auf diese Weise das zentrale Medium der Durchsetzung von Bio-Macht[20]. Im Gegensatz zur vergangenen Herrschaftsform der Todesmacht, die negativ agiert, greift erstere produktiv in die soziale Ordnung ein. Sie generiert, erhält und verwaltet Leben, statt es zu nehmen[21].

2.2. Anreizung statt Unterdrückung

Nach Foucault hat die christliche Pastoralmacht den Geheimnisstatus der Sexualität vorbereitet[22]. An diesem Punkt setzt er den Beginn einer abendländischen „Hermeneutik des Begehrens“ und die „Anreizung zu Diskursen“ an.

Ab dem 17. Jahrhundert begibt sich das Subjekt durch die Geständnis- und Beichtpraktik auf die Suche nach der inneren Begehrensmacht. Diese Suche nach Wahrheit ist beim modernen Menschen zum Wesenszug geworden. An dieser Stelle wird auch deutlich, auf welche Weise künftig Identität und Sexualität zusammenhängen werden. Die eigene Sexualität wird durchleuchtet und „auch die kleinsten Begehren und Lüste ans Licht gezerrt“[23]. In den beiden Folgebänden von „Sexualität und Wahrheit“, arbeitet Michel Foucault den Unterschied zwischen dem Verhältnis des Subjektes zu sich selbst in der Zeit der griechischen Antike und des Christentums heraus. In der Antike muss sich das Selbst erst durch das Tun und die entsprechenden Einstellungen zu einem solchen konstituieren. Im Gegensatz dazu, geht man im Christentum von einem „fertigen“ Selbst aus, dass durchleuchtet und analysiert werden muss. Hinrich Fink-Eitel nennt diese beiden Techniken „Askese“ versus „Selbstentzifferung“[24].

Nach Foucault verwandelt sich der überwiegend einheitliche moralische Diskurs im

18. Jahrhundert in einen gestreuten, rationalen. Aus technischen, ökonomischen und politischen Gründen, vergrößert sich der Anreiz über Sexualität zu sprechen.

Die Diskurse nehmen die Struktur eines Netzes an und die Institutionen verschränken sich mit diesen. Statt eines Verbots, ist vielmehr die Frage entscheidend, wer, wann und wie sprechen darf[25].

2.3. Macht und Lust

Bis zum 18. Jahrhundert steht nach Foucault die Sexualität um die Formation Ehe im Mittelpunkt. Während des Übergangs zum 19. Jahrhundert, hat sich das Interesse mehr in Richtung Sexualität von Irren, Kranken und Kriminellen verschoben[26]. Die Justiz übergibt die Fälle der Medizin, die ihrerseits Normen aufstellt. Sie beginnt die Verwaltung und Kartierung des Trieblebens. Die Instrumente einer „Hermeneutik des Begehrens“ werden definiert. Macht dringt nach Foucault mithilfe von vier Strategien in den Leib ein[27]:

1. Durchdringung des Körpers

Am Beispiel der kindlichen Sexualität und ihrer Kontrolle zeigt Foucault, dass nicht wirklich mit dem Verschwinden des kindlichen Begehrens gerechnet wird, sondern dass der kindliche Körper als „Zielscheibe“ erhalten bleibt. Zahlreiche Institutionen von Eltern bis Pädagogen umstellen das Kind.

2. Die Einschließung von Sexualität in die Körper

Sexualität ist nicht mehr nur das, was jemand „tut“, sondern dient als Mittel zur Spezifikation von Individuen. Jemand ist homo-, bi- oder heterosexuell. Alle Handlungen sind letztendlich von der jeweiligen Sexualität geprägt und lassen sich auf sie zurückführen.

3. Lust-Macht-Spirale

Dem Begehren und der Sexualität nachzuforschen, schreibt Foucault selbst eine gewisse Lust zu. Macht zieht somit ihre Lust und Macht aus dem Befragen nach der Lust.

Auf diese Weise erfolgt eine gegenseitige Potenzierung. Indem Macht an die Körper

herantritt, macht sie erst auf bestimmte Zentren aufmerksam und intensiviert damit Lust.

[...]


[1] Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit. Band 1. Suhrkamp, Frankfurt

Main 2001. Das Buch erschien zum ersten Mal im Jahr 1983.

[2] Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen

Industriegesellschaft. Luchterhand, Darmstadt 1989.

[3] Marcuse, Herbert: Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud.

Suhrkamp, Frankfurt Main 1971.

[4] Zitiert nach Müller, Elfriede: „Krimis in Deutschland und Frankreich –
Spiegel der Gesellschaft?" Roman noir: Geschichte und Verbrechen. http://www.alligatorpapiere.de/spexial2romannoirmueller.html (Stand: 31.10.2007).

[5] Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit. Band 2. Suhrkamp, Frankfurt

Main 1993.

[6] Foucault, Michel: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit. Band 3. Suhrkamp, Frankfurt Main

1993

Sowohl „Die Sorge um sich“ als „Der Gebrauch der Lüste“ erschienen im Jahr 1984.

[7] Foucault: Der Gebrauch der Lüste, S. 11.

[8] Fink-Eitel, Hinrich: Michel Foucault zur Einführung. Junius, Hamburg 1997, S. 14.

[9] Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 16.

[10] Siehe hierzu: Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: Die Dialektik der Aufklärung. Philosophische

Fragmente. Fischer, Frankfurt Main 1969 und

Marcuse: Der eindimensionale Mensch.

[11] Marcuse: Der eindimensionale Mensch.

[12] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 22f.

[13] Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 51.

[14] Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 51.

[15] Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 34.

[16] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 184.

[17] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 46.

[18] Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 125.

[19] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 39.

[20] Vgl. Fink-Eitel, S. 87.

[21] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 163ff.

[22] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 49.

[23] Fink-Eitel, S. 82.

[24] Fink-Eitel, S. 111.

[25] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 43.

[26] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 53.

[27] Vgl. Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 57-63.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Begehren und Sexualität bei Michel Foucault und Herbert Marcuse
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Theorien des Begehrens
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V58489
ISBN (eBook)
9783638526616
ISBN (Buch)
9783638666022
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Begehren, Sexualität, Michel, Foucault, Herbert, Marcuse, Theorien, Begehrens
Arbeit zitieren
Elisa Hempel (Autor:in), 2004, Begehren und Sexualität bei Michel Foucault und Herbert Marcuse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58489

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