Die Beratungsleistung der Ökonomen zu Problemen der deutschen Einheit zu Beginn der 90er Jahre


Tesis, 2006

103 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsübersicht

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1. Die generelle Beziehung von Politikern und Politikberatern
1.1. Ziele und Restriktionen von Politikern
1.2. Ziele und Restriktionen von Politikberatern
1.3. Fazit

2. Die deutsch-deutsche Währungsunion
2.1. Das Tempo der Währungsunion
2.1.1. Stufenweise Einführung
2.1.2. Stichtagsregelung
2.1.3. Kritische Würdigung der Beratungsleistung
2.2. Die Höhe des Wechselkurses
2.2.1. Wechselkurs 2:1
2.2.1.1. Bestandsgrößen
2.2.1.2. Stromgrößen
2.2.2. Wechselkurs 1:1
2.2.2.1. Bestandsgrößen
2.2.2.2. Stromgrößen
2.2.3. Kritische Würdigung der Beratungsleistung
2.3. Fazit

3. Die Arbeitsmarktpolitik
3.1. Grundsätzliche Ausgestaltung der Lohnpolitik
3.1.1. Differenzierung der Lohnentwicklung
3.1.2. Kritische Bewertung der Beratungsleistung
3.1.3. Implikationen der Tarifpolitik
3.2. Interventionistische Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik
3.2.1. Kapitalsubventionen
3.2.2. Offene Lohnsubventionen
3.2.3. ABS-Gesellschaft
3.2.4. Kritische Würdigung der Beratungsleistung
3.3. Fazit

4. Die sozialen Sicherungssysteme
4.1. Alterssicherung
4.1.1.ökonomische Bewertung
4.1.2. Kritische Würdigung der Beratungsleistung
4.2. Gesundheit
4.2.1.ökonomische Bewertung
4.2.2. Kritische Würdigung der Beratungsleistung
4.3. Fazit

5. Die Finanzierung der Einheit und Privatisierung des Produktivvermögens
5.1. Die Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung
5.1.1.ökonomische Bewertung
5.1.2. Kritische Würdigung der Beratungsleistung
5.2. Privatisierung und Treuhandanstalt
5.2.1.ökonomische Bewertung
5.2.2. Kritische Würdigung der Beratungsleistung
5.3. Fazit

6. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Kurz- und langfristige Anpassung des Lohnniveaus

Abbildung 2: Die Blockade der Anpassung an das Westniveau

Einleitung

Die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland ist noch immer alles andere als rosig. Auch wenn die Grundstimmung der deutschen Wirtschaft - gemessen am Ifo-Geschäftsklimaindex - im Februar 2006 den höchsten Stand seit Oktober 1991 erreichte,1 so bleibt die Konjunktur in Deutschland doch labil.2 Dies ist nicht zuletzt auf die immer drängender werdenden Reformen der Sozialversicherungssysteme sowie die wachsenden Defizite deröffentlichen Haushalte zurückzuführen.

Aus wirtschaftspolitischer Sicht gilt hierfür als zentrales Problem die Arbeitslosigkeit, da die- se zum einen die Einnahmenseite der sozialen Sicherungssysteme determiniert, darüber hinaus aber auch für Mehrausgaben (Zuschuss des Bundes an Sozialversicherungen) sowie Mindereinnahmen (Steuern) verantwortlich ist. Lag diese im Januar 2006 mit 10,2% in den alten Bundesländern bereits im zweistelligen Bereich, so war sie mit 19,2% in den neuen Ländern sogar fast doppelt so hoch.3 Ergo scheint es, als ob Wirtschaftspolitiker nicht in der Lage wären, nachhaltiges Wachstum zu initiieren und Beschäftigungsentwicklung fördernde Entscheidungen zu treffen.

Als eine der Ursachen für die wirtschaftlich schwierige Lage seit Mitte der 90’er Jahre müs- sen sicherlich nicht bewältigte Probleme im Rahmen der Wiedervereinigung gelten.4 Poli- tisch war diese zweifelsohne ein großer Erfolg, wohingegen der wirtschaftliche Aufholpro- zess des Ostens vielschichtige und weitläufige Probleme aufwarf. Zwar bewältigte man in kürzester Zeit die Umstellung einer zentralen Kommandowirtschaft auf ein System der sozia- len Marktwirtschaft, doch das Niveau der Transferleistungen gibt Aufschluss über die nach wie vor schwierige Lage der Wirtschaft im Osten. Demzufolge lagen die Transferzahlungen von West nach Ost auch 13 Jahre nach der Wiedervereinigung bei über 30% des ostdeut- schen Bruttoinlandprodukts, welches ca. 4% des Westdeutschen entsprach. Daraus folgt, dass sich ohne diese Zahlungen, das Einkommensniveau im Osten in jetziger Höhe nicht halten ließe.5

Jedoch, und dies steht zumindest heute außer Frage, ist es relativ unglaubwürdig anzuneh- men, eine in 40 Jahren Sozialismus zerrüttete Volkswirtschaft innerhalb einiger Jahre an das Niveau einer über Jahrzehnte prosperierenden Wirtschaft heranführen zu können. Dieser Glaube, der gerade Ende 89/90 vor allem in den Köpfen vieler Politiker präsent war,6 basierte im Wesentlichen auf einer Fehleinschätzung der Problemlage.

Allerdings, und das steht heute ebenso fest, hatten auch „echte“ Fehler - vor welchenöko- nomen die Politik eigentlich hätten warnen und mit geeigneten Konzepten gegensteuern sol- len - ihre negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung (vgl. bspw. Arbeits- marktpolitik, soziale Sicherungssysteme). Durch diese wurde dieökonomische Wiederverei- nigung der beiden deutschen Staaten empfindlich gestört und sie belasten Deutschland noch heute schwer.7

Im Zuge dieser Arbeit gilt es demnach, die Problemfindungskompetenz derökonomen in verschiedenen Politikbereichen zu untersuchen. Dadurch soll erkannt werden, inwieweit Themen, welche sich aus heutiger Sicht als problematisch herauskristallisiert haben, zu Beginn der 90’er Jahre von Seiten der Politikberatung identifiziert, angesprochen und kritisiert wurden und damit eine Entscheidungsgrundlage für die Politik darstellen konnten. Aufgrund dessen wird einem kurzen Überblick hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation der DDR im Jahr 1989 folgend, die grundsätzliche Problematik zwischen Politikern und ihrenökonomischen Beratern dargestellt sowie versucht, Gründe für das häufige Scheitern des Zusammenspiels beider Gruppen zu benennen.8

Im Weiteren werden die Expertenmeinungen zu der am umstrittensten diskutierten Frage im Zuge der Wiedervereinigung - der Währungsunion - behandelt sowie die politische Reali- sierbarkeit eines aus dieser Diskussion resultierenden Politikvorschlags - sofern vorhanden - überprüft. Diesem folgend wird die Problematik der Arbeitsmarktpolitik dezidiert dargestellt und auch in diesem Bereich Ursachen für das missglückte Zusammenspiel zwischen Politikern und ihren Beratern hervorgehoben.

In Kapitel 4 werden die Fragen hinsichtlich einer Übertragung der sozialen Sicherungssys- teme aufgegriffen, wobei hier zu erklären gilt, warum diese - im Vergleich zu anderen The- men - weit weniger stark im Blickfeld der politikberatendenökonomen lagen. Darüber hinaus werden weitere wichtige Politikfelder im Einigungsprozess (Finanzierung der Einheit + Privatisierung) angesprochen und überprüft. Auch hier ist es das Ziel, eine „ökono- mische Meinung“ herauszuarbeiten und diese zu bewerten. Im letzten Abschnitt der Arbeit gilt es, ein Fazit der Beratungsleistung derökonomen zu Problemen der deutschen Einheit zu Beginn der 90’er Jahre zu ziehen. Im Zuge dessen soll Klarheit darüber entstehen, ob insgesamt eher Beratungsresistenz auf Seiten der Politiker oder Beratungsinsuffizienz auf Seiten der Politikberater für das oftmals beschworene „wirtschaftliche Debakel“ der deutschdeutschen Wirtschaftsintegration verantwortlich war.

Die Ausgangslage im Jahr 89/90

Das Problem im wirtschaftlichen System der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war insbesondere die starre Zentralverwaltungswirtschaft, die keinen Raum für private Initiative und Investitionen lies. Eine staatliche Mengenplanung kombiniert mit einem Mengensystem war die Produktionsvorgabe, wobei privates Eigentum als Produktionsmittel grundsätzlich abgeschafft worden war.

Auch das ostdeutsche Kreditsystem war in keiner Weise darauf ausgelegt, private Ersparnis- se in effizienten Investitionen anzulegen. Märkte für Risikokapital und Obligationen existier- ten gar nicht.

Darüber hinaus stand die Gestaltung des Staatshaushaltes einer effizienten Verwendung von Ressourcen entgegen, da durch das System des Betriebsausgleichs eine Kompensation der Verluste der Betriebe durchöffentliche Mittel gewährleistet wurde, so dass zwischen den inländischen Unternehmen kein Wettbewerb herrschte. Auch gegenüber ausländischen Un- ternehmen wurde ein Wettbewerb durch staatliche Reglementierung unterbunden und der Außenhandel mit Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)9 durch staatli- che Anordnungen gewährleistet.

Weiterhin fehlte es in der DDR an freien Märkten, so dass Preisrelationen nicht den Knapp- heitsverhältnissen entsprachen. Vielmehr wurden Preise durch den Versuch, wirtschafts- und sozialpolitische Ziele parallel zu verfolgen, zusätzlich verzerrt. Damit lieferten diese weder über individuelle Wünsche oder reale Kostenverhältnisse Auskunft, noch waren sie als Len- kungssignale für die Verwendung von Ressourcen zu gebrauchen. Ergo konnten sie auch keine Signale zur Umschichtung knapper Mittel oder Investitionen geben. Als ebenso prekär war die Lohnstruktur der DDR zu betrachten, da hier höhere Leistung nicht entsprechend mit höherem Einkommen entlohnt wurde und somit die Anreizstrukturen nicht den wirtschaftli- chen Erfordernissen entsprachen.

Außerdem unterblieben durch das zentrale Planungs- und Verwaltungssystem erforderliche Reinvestitionen, wodurch langsam aber stetig der volkswirtschaftliche Kapitalstock aufge- zehrt wurde, wobei dies für das Produktivkapital sowie für die komplementäre Infrastruktur zutraf. Letztendlich führte dies zu einem enormen Modernisierungsbedarf sowie gravieren- den Umweltproblemen.10

Daraus resultierend zeigte die DDR einerseits eine Arbeitsproduktivität, die 1989 um mehr als die Hälfte unter der der Bundesrepublik lag, andererseits Versorgungsengpässe sowie eine unbefriedigende Qualität der Güter.11 Der über die Jahre entstandene Rückstand der Lebensqualität vergrößerte sich durch die Mängel im zentralistischen Lenkungssystem stän- dig und schaffte damit ein erhebliches Arbitrage-Potential zwischen Ost und West. Somit stach aufgrund deröffnung der innerdeutschen Grenze die latente Wirtschaftskrise des planwirtschaftlich-sozialistischen Systems plötzlich hervor, aufgrund dessen der wissen- schaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) zu Recht der Ansicht war, dass korrigierende Eingriffe allein nicht ausreichten und demzufolge grundlegende Reformen nötig seien. Diese sollten einen Wandel der Wirtschaftsordnungen von einem System zentral geleiteter Wirtschaft in ein dezentrales unterstützen, wobei der Beirat den daraus resultie- renden hohen Entscheidungsdruck für die Bundesrepublik sowie die DDR erkannte, wohl aber zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, was dies für Konsequenzen nach sich ziehen würde.12

1. Die generelle Beziehung von Politikern und Politikberatern

Die bisweilen noch weit verbreitete theoretische Vorstellung, dass die wissenschaftliche Politikberatung den Politikern Informationen über mögliche Problemlösungen liefert und diese daraus gemeinwohlförderliche Lösungen umsetzen, muss wohl anhand der neueren Literatur zum Thema Politikberatung verworfen werden.13

Vielmehr mag oftmals der Satz gelten: „Die Politiker schieben immer mehr Probleme auf Sachverständige und Expertenräte ab - doch auf ihren Rat geben sie selten etwas.“14 Damit kommt das Dilemma zum Ausdruck, in welcher sich die Beratungskonzeption der traditionellen Theorie der Wirtschaftspolitik befindet, denn laut dieser sollte wissenschaftliche Politikberatung einen Beitrag zu rationaler Wirtschaftspolitik leisten.15

Jedoch ist oftmals zu beobachten, dass Politiker sich schon vorher für bestimmte Konzepte bzw. Lösungen entscheiden und diese nur noch von ihren Beratern wissenschaftlich unter- mauern lassen.16 Damit wird denökonomen an sich nur noch die wissenschaftliche Legiti- mation angetragen, jedoch jeglicher Einfluss auf Politikgestaltung verwehrt, infolgedessen auch die traditionelle Theorie der Wirtschaftspolitik ihrem Anspruch nicht gerecht werden kann.17

Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität der wissenschaftlichen Politikberatung lässt sich dabei grundsätzlich auf die verschiedenen Ziele angesichts unterschiedlich ausgeprägter Restriktionen von Politikern auf der einen sowieökonomen in ihrer Funktion als Politikberater auf der anderen Seite zurückführen.

1.1. Ziele und Restriktionen von Politikern

Über die Ziele und Restriktionen der Politiker und damit der Analyse politischer Entschei- dungsprozesse wurde im Rahmen der Public-Choice-Theorie ausführlich geforscht und ge- schrieben.18 In dieser werden Interaktionen beschrieben, die als Grundlage marktlichen Han- delns im politischen Prozess angesehen werden können. Entscheidend ist hierbei die An- nahme eines „Homo oeconomicus“ im politischen Willensbildungs- und Willensdurchset- zungsprozess. Infolgedessen ist auch die noch in der traditionellen Wirtschaftstheorie vertre- tene Ansicht von Politikern und deren Beratern als „perfekte Agenten“ der Bürger hinfällig. Vielmehr werden politische Entscheidungsträger und wissenschaftliche Politikberater als eigeninteressierte, rational handelnde Individuen dargestellt, da es nicht plausibel wäre an- zunehmen, Individuen sei, nur weil im politischen Bereich tätig, kein rationales Handeln zu unterstellen.19 Insofern ist es notwendig, marktliche und politische Prozesse analytisch gleichwertig zu behandeln, um somit eine Vergleichbarkeit zwischen diesen herstellen zu können.

Allerdings lässt sich trotz der großen Menge an Untersuchungen in diesem Bereich kein einheitliches Bild über exakte Anreizstrukturen im Sinne einer umfassenden Untersuchung sozialer Interaktion aus der Literatur ziehen. Sinnvoll erscheint jedoch, Politikern die Stimmenmaximierung an sich nicht als einzig gültiges Entscheidungskriterium zu unterstellen, sondern vielmehr die Maximierung persönlicher Ziele unter der Restriktion einer ausreichenden Wählerstimmenanzahl. Dies basiert auf der Annahme, dass ein Maximum an Wählerstimmen allein keinen Nutzen stiftet, das Amt des Politikers jedoch - welches hieraus resultiert - eine Vielzahl von Nutzenströmen generieren kann. Infolgedessen ist wirtschaftspolitische Beratung für rationale Politiker auch nur insoweit interessant, als wie diese politischen Mehrwert liefert, das heißt, Interessenpositionen sichert bzw. stärkt.20

Dies wird besonders mit Blick auf pekuniäre Ziele deutlich. Sind vergleichbare Positionen in der Wirtschaft oft mit deutlich höheren Einkünften verbunden, so wird deutlich, dass das Amt des Politikers andere, quasi pekuniär-substituierende Nutzenströme mit sich bringen muss. Diese können bspw. Prestige, die Ausübung von Macht oder politische Gestaltungsmöglich- keit sein. Dadurch sehen Politiker die Chance, infolge politischer Grundsatzentscheidungen die Tragweite der eigenen Person zu erweitern und dadurch im besten Falle gar historische Bedeutung zu erlangen. Die soziale Wohlfahrt der Bevölkerung zu maximieren liegt dem- nach, von einigen wenigen Altruisten abgesehen, nicht in der Nutzenmaximierungsfunktion von politischen Entscheidungsträgern. Folglich wird dem Politiker innerhalb eines diskretio- nären Spielraums, in welchem er nicht mit Abwahl sanktioniert wird, die Möglichkeit gege- ben, seinen eigenen Nutzen zu maximieren, sprich seine eigenen Interessen zu verfolgen. Jedoch sind Wählerstimmen nicht die einzige Restriktion, welcher Politiker unterliegen. Dies begründet sich durch die Informationskosten auf Seiten der Wähler sowie der Politiker. Oft- mals ist es daher unter der Voraussetzung rational-ignoranten Verhaltens einfacher für Poli- tiker, auf die Meinung von Interessengruppen zu hören, welche ihre Ansichten als die der Allgemeinheit verkaufen, als umständliche und langfristige Such- und Informationskosten in Kauf zu nehmen, um damit den „wahren Willen“ des Volkes zu ergründen.21 Damit schaffen es Interessengruppen geschickt, durch die nicht in Anspruch genommene Möglichkeit der Wähler ihren Willen zu äußern und die ebenso nicht in Anspruch genommene Möglichkeit der Politiker, sich über die „Wünsche“ der Wähler zu informieren, Politikern ihre Begehren als die der Wähler zu verkaufen. Im Zweifelsfalle gilt hierzu die Regel, dass je kürzer der Zeitho- rizont des Politikers ist, er desto stärker auf Sonderinteressen eingeht. Dies basiert allein auf der Tatsache, dass es in relativ kurzer Zeit - im Gegensatz zur langen Frist - ungleich schwieriger ist, die Sonderinteressen als „Nicht-Allgemeininteresse“ zu entlarven.

Die Inanspruchnahme der Politiker durch Interessengruppen trat dabei insbesondere im Zuge der deutschen Wiedervereinigung häufig auf, da gerade hier eine geringe Widerstandsfähigkeit vieler Politiker gegenüber Sonder- bzw. Partikularinteressen vorlag. Dieser Vorwurf wird von der Annahme unterlegt, dass gerade zu jener Zeit ein außergewöhnlicher Handlungs- und Erfolgsdruck vorlag, der Visionäre erforderte und Politikern mit „Buchhaltermentalität“ geringe Chancen auf Erfolg einräumte.22

1.2. Ziele und Restriktionen von Politikberatern

Zu den Zielen und Restriktionen von Politikberatern ist hingegen weit weniger geforscht wor- den. Jedoch scheint auch hier aus der Logik heraus richtig, denökonomen eine Maximie- rung persönlicher Ziele zu unterstellen, ohne dabei auf fundierte wissenschaftliche Erkennt- nisse zurückgreifen zu können. Diese Ziele können bspw. eine direkte oder indirekte Ein- kommensmehrung durch die Beratertätigkeit sowie eine Vermehrung wissenschaftlicher Re- putation durch Mitgliedschaften in angesehenen Beratungsgremien umfassen und oft sogar darüber hinausgehen.23 Jedoch sind nicht politische Entscheidungen wie bei Volksvertretern, sondern eher mehr oder weniger bedeutsame wissenschaftliche Erkenntnisse hierbei emi- nent wichtig. Oberstes Ziel ist daher, sich weit reichende Selbstverwirklichung durch eine über den Tag hinaus reichende Geltung zu verschaffen. Dies ist jedoch nur durch eine ge- wisse „intellektuelle Ästhetik“ und daraus resultierend einer Neigung zum Theoretisieren möglich, welche jedoch im Zweifelsfalle die Verwertbarkeit der wissenschaftlichen Arbeit in den Hintergrund treten lässt. Damit bleibenökonomen oftmals hinter dem Ziel einer „unmit- telbaren praktischen Problemlösungskapazität“ zurück.24

1.3. Fazit

Die Erkenntnis, dassökonomenökonomisch denken und Politiker politisch, mag auf den ersten Blick trivial sein, führt jedoch bei Nichtberücksichtigung nachfolgend zu einem Prob- lem. So wünschen sich beide Gruppen, dass die jeweils andere nach ihren Präferenzen denkt und handelt und es somit zur Wissensangleichung kommt, jedoch geschieht dies nicht. Der Grund hierfür ist, dass Politiker in Machtspielen mit der Präferenz der Wiederwahl arbei- ten,ökonomen hingegen rationale Spiele bevorzugen und infolgedessen mit ihren Konzep- ten Interdependenzen, Kosten-/Nutzendifferenzen und Allokationszusammenhänge interpre- tieren.25

Damit wird deutlich, dass Ziele und Restriktionen von Politikern und ihren Beratern oftmals weit auseinander liegen. Dies wird zudem durch das Argument gestützt, dass wohl nichts für eine wissenschaftliche Karriere schädlicher sei als der Ruf, sich vom Tagesgeschehen oder etwa von Sonderinteressen leiten zu lassen, wobei gerade dieses Charakteristikum für Politi- ker unabdingbar ist. Ergo sind eher genau solche Beiträge einer wissenschaftlichen Karriere förderlich, die einzig und allein in der Wissenschaftsszene vermerkt werden, infolgedessen es gerade für junge Nachwuchswissenschaftler kaum möglich ist, sich auf dem Gebiet der Politikberatung zu profilieren. In logischer Konsequenz könnten es sich daher nur renom- mierteökonomen leisten - deren wissenschaftliche Position bereits gesichert ist -, in diesen Bereichen tätig zu werden. Aber auch für diese ergibt sich ein Wettbewerbsnachteil, da sie ihre individuellen Ressourcen auf den Einsatz in der Tagespolitik verlagern, wobei sich ihre Kollegen ganz und gar auf die Profilierung in den entsprechenden wissenschaftlichen Zirkeln konzentrieren können.26

Dadurch wird nochmals unterstrichen, dass sowohl Politiker als auch Politikberater entsprechend ihrer individuellen Präferenzen agieren, was sich erst in deren Schnittstelle als problematisch herausstellt, da Politikberatung zwar die Politiker entlastet, jedoch die Experten enttäuscht, da diese glauben, dass die Politik auf ihr Wissen warten würde.27 Allerdings, und das gilt es unter anderem in dieser Arbeit zu untersuchen, muss, damit es zur Beratungsresistenz kommen kann, auch eine entsprechende Beratungsleistung von Seiten der Berater vorliegen. Dies war jedoch, ohne der Arbeit vorweg greifen zu wollen, an vielen Stellen im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess nicht der Fall.

2. Die deutsch-deutsche Währungsunion

Mit der vorzeitigen Wiedervereinigung Deutschlands durch das Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 wurden Fakten geschaffen, die das politische Ziel verfolgten, Ostdeutsche zu wirtschaftlichen Anstrengungen in der DDR zu motivieren. Im Mittelpunkt stand damit, ein Signal an die Bevölkerung zu senden, dass sich ein Umzug in den Westen unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr lohne, um somit den Strom der Übersiedler gen Westen zu bremsen.28

Gedrängt durch die politischen Ereignisse, wie der Forderung der ostdeutschen Bevölkerung »D-Mark jetzt!« und der Regierung Modrow nach Finanzhilfe, bot am 6. Februar 1990 das Bundeskabinett der DDR-Regierung an, die deutsch-deutsche Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 durchzuführen.29 Dies geschah maßgeblich aufgrund der Prämisse der Bundesregierung, dass man, wenn man schon Hilfe anböte, dies nur unter einheitlicher Währung und politischer Einheit täte. Demzufolge wurde die Entscheidung für eine schnelle Wirtschafts- und Währungsunion ganz klar von dem Gedanken getragen, damit unumgängliche Fakten für eine Wiedervereinigung zu schaffen.30

Ökonomisch verfolgte die Währungsumstellung im Wesentlichen drei Gründe. Erstens sollte durch die Umstellung der Löhne die Wettbewerbsfähigkeit der Ostwirtschaft sichergestellt, zweitens der richtige Grad an Liquidität im Vereinigungsgebiet geschaffen und drittens die Ostbevölkerung durch die Umstellung der Geldforderungen mit einer angemessenen Erstausstattung im wieder zu vereinigenden Deutschland versehen werden. Da alle diese Ziele nur durch einen einzigen Wechselkurs erreicht werden sollten, wurde eine kontroverse Debatte über dessen Ausgestaltung geführt.31

Auf der einen Seite standen die Vertreter einer Stichtagsregelung, nach welcher die Währungsunion an einem bestimmten Tag realisiert werden sollte. Demgegenüber gab es die Befürworter einer allmählichen Angleichung des ostdeutschen Währungssystems an das Westdeutsche, unter Nutzung einer mehrstufigen Strategie.32

2.1. Das Tempo der Währungsunion

Wie einige politikberatende Institutionen, so stellte sich auch die deutsche Bundesbank im Frühjahr 1990 gegen eine in ihren Augen überstürzte Währungsunion. Aus diesem Grund sprach sich der damalige Bundesbankpräsident Pöhl direkt nach der Ankündigung durch die Bundesregierung zusammen mit seinem Amtskollegen Kaminsky (DDR-Zentralbankchef) mit den Worten, „wir beide glauben, es wäre verfrüht, einen so weit reichenden Schritt schon jetzt ins Auge zu fassen“ explizit gegen eine vollständige Implementierung der D-Mark in der Deutschen Demokratischen Republik aus. Vielmehr, so die Ansicht, müsse die DDR-Mark zunächst einmal konvertibilisiert werden, was sicherlich noch eine Weile dauere.33

2.1.1. Stufenweise Einführung

Dieökonomen, welche sich gegen eine frühe Währungsunion aussprachen, taten dies im Wesentlichen mit Hinweis auf das realwirtschaftliche Problem sowie den Geldüberhang der DDR, allerdings mit unterschiedlichen Argumentationen. Grundsätzlich präferierte dabei die eine Seite (z.B. SVR, DIW) eine feste Wechselkursbindung, wohingegen die andere Seite (z.B. IfW) eine flexible Wechselkursbindung bevorzugte.34

An erster Stelle stand dabei für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftli- chen Entwicklung (SVR) der Abbau des Geldüberhangs, infolgedessen dieser höchste Priori- tät vor allen weiteren Überlegungen hinsichtlich einer Währungsunion habe. Ferner führte der SVR eine in weiten Teilen mit dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), vertreten durch dessen Präsidenten Horst Siebert sowie Holger Schmieding, übereinstim- mende Problemanalyse durch, befürwortete letztendlich jedoch eine von diesen differenzier- te Handlungsempfehlung.

So sprach sich der SVR gegen eine Stichtagsregelung aus, da er der Meinung war, mit Hilfe eines Stufenverfahrens politische und gesellschaftliche Lernprozesse grundsätzlich besser steuern zu können.35 Wichtiger aber war noch, dass nach Ansicht des SVR ohne die Herstellung einer funktionstüchtigen Geld- und Kreditwirtschaft jegliche Reformbemühungen a priori zum Scheitern verurteilt seien.

Aus diesem Grund trat der SVR in einem ersten Schritt für die Schaffung einer unabhängi- gen Notenbank zur Generierung robuster Währungsverhältnisse ein, eine Ansicht, die auch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geteilt wurde. Im Weitern wurde von diesen der Aufbau eines zweistufigen Bankensystems mit den korrespondierenden Geld- märkten empfohlen. Dieses sollte, so das Kalkül, eine Konvertibilität der Währung bei ein- heitlichen Wechselkursen etablieren. Eine solche Vorgehensweise rechtfertigten sowohl SVR als auch DIW mit der Befürchtung, dass der in großem Maße vorhandene Geldüber- hang in der DDR mit dem Stichtag der Währungsumstellung in einem Inflationsschub münde, welcher sich letztendlich in einer Lohn-Preis-Spirale entlade. Dementsprechend sollte die Priorität auf einen Abbau des Geldüberhangs in der DDR gelegt werden, um dadurch die Grundlage einer Währungsunion mit der Bundesrepublik zu schaffen.

Als Konzept hierfür wurde von SVR und DIW eine Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, Boden und Wohnungseigentum an die Bevölkerung vorgeschlagen. Diese sollten in Verbindung mit attraktiv verzinsten Staatsanleihen, aus der Abwicklung von Devisenfonds stillgelegten Markbeträgen sowie einer einmaligen nominalen Anpassung der Einkommen - durch die Steigerung des Preisniveaus hätte dies einen realen Wertverlust der Geldbestände bedeutet - einen Abbau des Geldüberhangs bewirken.36

Horst Siebert als Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) und Holger Schmieding führten für ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Währungsunion per Stichtagsvariante im Wesentlichen drei Gründe an:

Erstens gäbe es keinen verlässlichen Anhaltspunkt für den echten Kurswert von DDR- und D-Mark, aufgrund dessen Schmieding einen Deflations- oder Inflationsdruck befürchtete, je nachdem ob der Kurs zu hoch oder zu niedrig angesetzt werde. Zweitens vermittle die Wäh- rungsunion nur scheinbar eine größere Kalkulationssicherheit. Die tatsächlichen Anpas- sungsreaktionen müssten in diesem Falle jedoch Löhne und Preise tragen, was andernfalls ein flexibler Wechselkurs hätte abfangen könne. Dies führe letztendlich dazu, dass die DDR über einen langen Zeitraum hinweg erheblich höhere Inflationsraten tragen müsse, als die frühere Bundesrepublik. Drittens würde die DDR durch eine schnelle Währungsunion mit der BRD eine wichtige Variable in ihrem Aufholprozess verlieren. Dies, so die Folgerung, führe dazu, dass der Wechselkurs nicht mehr als Puffer im Rahmen der Wettbewerbsfähigkeit ein- gesetzt werden könne und infolgedessen strukturelle Krisen zu erwarten seien.37

Damit lag der große Unterschied der Lösungskonzeption des SVR/ DIW und jener des IfW in der Fixierung der Wechselkurse.

Präferierte der IfW (und andere) einen flexiblen Wechselkurs,38 welcher mit Hilfe der Bun- desbank und des Devisenmarktes installiert werden sollte, so verwarf der SVR diese Option relativ schnell, um keinen Raum für Kursschwankungen und damit Unsicherheit zu lassen.39 Folglich hielt es der SVR für zweckmäßiger, „von einem festen Wechselkurs auszugehen und diesen als Fixpunkt zu verwenden, an dem sich Änderungen der Mark-Preise, die Löhne eingeschlossen, orientieren können.“40 Ein solches Vorgehen wurde ferner auch vom DIW unterstützt, wobei zu einer bestimmten Höhe des Wechselkursniveaus vom SVR keine An- gabe gemacht wurde, wohingegen sich das DIW für eine Wechselkursfixierung zwischen 1:1 und 5:1 (DDR-Mark : D-Mark) aussprach.41

2.1.2. Stichtagsregelung

Auf der anderen Seite gab es jedoch auch zahlreicheökonomen bzw. Institutionen - z.B. Wilhelm Hankel42, das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Hans Willgerodt, der wissenschaftliche Beirat beim BMWi sowie H.C. Sherman vom Ifo-Institut -, welche eine Stichtagsvariante präferierten.

Dieser Kreis anökonomen war sich - wie auch die Politik - grundsätzlich darüber einig, dass eine sofortige Einführung der D-Mark im Osten dringend notwendig sei, um ein starkes Zeichen zu setzen, welches den Abwanderungsstrom in die BRD bremsen könne.43 Darüber hinaus, so die Meinung einigerökonomen, könne dadurch ein „innerer Druck“ auf die Reformbemühungen der DDR ausgeübt werden.44 Eine stufenweise Einführung der D-Mark, welche die Anhänger der „Krönungstheorie“ befürworteten,45 lehnte man schon deswegen ab, da für deren Durchführung und Vollendung zahlreiche gesetzgeberische Schritte benötigt würden, welche allerdings mehr Zeit erforderten, als man habe.46

In ihrer spezifischen Begründung jedoch, auch hinsichtlich vermeintlicher negativer Auswir- kungen einer Stufenvariante, unterschieden sich die einzelnenökonomen durchaus deutlich.

So gab Wilhelm Hankel zu bedenken: „Die Menschen wollen endlich richtiges Geld in den Fingern haben, um sich etwas kaufen zu können. Sie wollen keine Warenbezugsscheine, denn nichts anderes ist Geld in der DDR.“47 Darüber hinaus, so argumentierte Hankel, könne man die Folgen eines Überganges in Raten bereits sehen. Erstens werde dies dadurch deut- lich, dass schon vor der eigentlichen Währungsunion die Ost-Betriebe ihren Heimvorteil ver- lören und damit DDR-Produkte im Gebiet des ehemaligen Rates für gegenseitige Wirt- schaftshilfe sowie in der Dritten Welt „verramscht“ würden. Zweitens kämen in einem solchen Stufenprozess keine Investitionen aus dem Ausland zustande, da entsprechende Bestim- mungen - bspw. zu den Unternehmensfreiheiten - noch fehlten. Auch Eigentums- und Be- leihungsfragen seien noch offen, wodurch die Investoren in den Startlöchern säßen, sich jedoch noch bedeckt hielten. Drittens führe ein solcher Parallelstandard über kurz oder lang zur Annahmeverweigerung der DDR-Mark. Dies komme einer Abwertung gleich, welche eine Flucht in Sachwerte nach sich ziehen und folglich einen Ausverkauf der DDR von innen be- deuten würde.

Aufgrund dessen, so die Befürchtung Hankels, würden die Kosten einer deutsch-deutschen Wirtschaftsintegration in Stufen gegenüber denen einer Stichtagsregelung erhöht, weshalb die Währungsneuordnung wie auch schon 1948 an den Anfang der Reformen gehöre.48

Von Seiten des IW bestand die Befürchtung, dass erstens - wenn man sich nicht für die Stichtagsvariante entscheide - lang andauernde Debatten über Reformen speziell auf Inte- ressengruppen extrem anziehend wirkten. Diese würden folglich zwangsläufig versuchen, ihre Interessen durchzusetzen und damit den Erfolg der Reformen gefährden. Zweitens, so das IW, sei die Selbstfinanzierungskraft des Prozesses bei schnellen Erfolgen wahrschein- lich größer, infolgedessen die Bezuschussung der Einheit durch die Bundesrepublik geringer gehalten werden könne. Als dritten Grund für eine Stichtagsvariante sah man wenig positive Erfahrungen des Auslandes mit einem Stufenverfahren (vgl. Sowjetunion, Länder der Dritten Welt).49

Allerdings, so warnte auch das IW und griff damit die Bedenken der Stichtagsgegner auf, dürften die DDR-Bürger in ihrem Konsumrausch nicht ihre Sparkonten plündern und dadurch einen zu großen Nachfrageimpuls veranlassen, da dadurch die Preisstabilität aufs äußerste gefährdet wäre.

Der wissenschaftliche Beirat beim BMWi ging in seiner Begründung für eine Stichtagsvarian- te weniger auf die Implikationen ein, die eine schrittweise Einführung der D-Mark nach sich ziehen könnte. Vielmehr betrachtete er eine umgehende Währungsunion als zentralen Be- standteil eines Maßnahmenpaketes, welches geschnürt werden müsse, um den Wandel der Planwirtschaft der DDR hin zu einer Marktwirtschaft zu unterstützen. Dabei, so führte er aus, sei die sofortige Währungsunion zwar ein unverzichtbares Modul im Wandlungsprozess, würde jedoch nicht genügen, um die schwerwiegenden Probleme im realwirtschaftlichen Be- reich zu beseitigen. Demnach müssten noch vor Einführung der Währungsunion oder spä- testens mit dieser ordnungspolitische Vorkehrungen getroffen werden, welche die Transfor- mation erfolgreich gestalteten. Diese müssten insbesondere die schnelle und friktionslose Vereinigung der beiden Wirtschafsgebiete in Ost und West gewährleisten sowie eine wirt- schaftliche Dynamik in der DDR entfachen.50

Hans Willgerodt, seinerzeit Professor der Universität zu Köln, trat für eine Stichtagsregelung ein, da er in erster Linie die dagegen geäußerten Argumente der Stichtagsgegner für unangebracht hielt.51

Das Argument der Konkurrenzunfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft mit Einführung der DM entkräftete Willgerodt durch die Annahme, dass, wenn Einkommensansprüche und Lohnzahlungen im gleichen Rahmen wie die Produktivität stiegen, die ostdeutsche Wirtschaft ähnlich exportieren könne, wie andere Länder ihres Entwicklungsstandes. Demnach fehle es nicht an Absatzmöglichkeiten, sondern eher mangle es an Produktion.

Des Weiteren sah Willgerodt das Argument der stark anschwellenden Konsumausgaben als nicht ausreichend begründet. Da diese von der emittierten Geldmenge abhingen, so Willge- rodt, müssten die Kopfquoten so gering wie möglich bemessen werden, um den Transakti- onskassenbedarf flexibel anpassen zu können. Darüber hinaus müsse der weitaus größere Teil des Geldes durch Kreditvergabe entstehen, wofür ein zweistufiges Bankensystem und damit die Einführung von Geschäftsbanken eine unabdingbare Vorraussetzung sei.52

Weiterhin, so argumentierte er, müsse die Währungsunion jedoch wesentlich mehr bedeuten, als eine bloße währungspolitische Aufgabe. In erster Linie müsse sie einen entschlossenen Wechsel hin zu einem marktwirtschaftlichen System anzeigen, welches eine Freigabe der meisten Preise sowie eine Abschaffung des Außenhandelsmonopols beinhalte. Aufgrund dessen könne letztendlich auch der Abwanderungsstrom aus der DDR gestoppt sowie der Kapitalzufluss von Wechselkurs- und Konvertibilitätsrisiken befreit und damit Kapitalbildung und Investitionen vereinfacht werden.53

H.C. Sherman vom Ifo-Institut begründete seine Präferenz für eine Stichtagsvariante mit der besseren Aussicht auf Erfolg, die ein radikaler Umbruch der Währung haben werde - im Gegensatz zu einem langsamen Wandel.

Dies basiere auf dem induzierten Abwanderungsdrang aufgrund der westdeutschen Lebens- verhältnisse und der nur noch in geringem Maße vorhandenen Geduld der Ostbürger mit ihrem maroden Wirtschaftssystem. Daher könnten auch, so die Meinung Shermans, die Risi- ken aufgrund des erhöhten realwirtschaftlichen Anpassungsdrucks und damit dem Risiko erhöhter Arbeitslosigkeit in Kauf genommen werden. Darüber hinaus dürfte durch die Wäh- rungsunion ein Impuls für schnellere Reformen ausgehen, was aufgrund des zerfallenden Systems auch dringend notwendig sei. Letztlich sei aber auch die Tatsache, dass die „wei- che“ Ost-Mark durch die „harte“ D-Mark ersetzt werde, insbesondere für ausländische Inves- toren ein wichtiger Anreiz.54

Ein unkontrolliertes Vordringen der D-Mark müsse allerdings in jedem Falle verhindert werden, da dies viele soziale Ungerechtigkeiten mit sich bringen würde. Auch eine Freigabe der Preise, so das Ifo-Institut weiter, sei aufgrund der großen Produktivitätsrückstände wohl nur stufenweise möglich, wobei sich ebenso die Realeinkommen noch für einige Zeit auf einem Niveau unterhalb des Westdeutschen halten müssten.55

2.1.3. Kritische Würdigung der Beratungsleistung

Während sich die Politik fast ausnahmslos für eine schnelle Währungsunion aussprach, so hatten doch bedeutsame Teile derökonomen starke Vorbehalte diesbezüglich. So argumen- tierten SVR, IfW und DIW gegen eine schnelle Währungsunion, maßgeblich begründet zum einen durch den hohen Geldüberhang in der DDR, zum anderen mit dem Hinweis auf das realwirtschaftliche Problem. Auch mit einer frühen Währungsunion, so ihre mehrfache War- nung, werde sich dieses Problem und damit die Übersiedlerproblematik nicht lösen lassen, das Risiko einer ausgelösten Inflation aufgrund des Geldüberhanges jedoch verstärkt.56

Das Lager derökonomen eine schnelle Währungsunion befürwortend war jedoch nicht minder prominent besetzt und wurde beispielsweise durch das IW, den Beirat beim BMWi oder das Ifo-Institut vertreten. Sie stützten ihre Argumentation im Wesentlichen auf die positiven Implikationen einer frühen Währungsreform hinsichtlich der Reformbemühungen der DDR, aufgrund dessen von ihnen auch eine Senkung der Übersiedlerzahl prognostiziert wurde. Im Übrigen, so ihre Begründung, würde jeder andere Weg zu viel Zeit in Anspruch nehmen und die Menschen zusätzlich demoralisieren.

Gegenüber den Verfechtern einer stufenweisen Einführung gilt anzumerken, dass es auch außerhalb einer Währungsunion schwierig geworden wäre, den vielmals befürchteten Nach- fragesog entsprechend zu verhindern. Funktioniert hätte dies wohl nur mit flexiblen Wechsel- kursen bzw. einem entsprechend hohen festen Wechselkurs, welcher jedoch aufgrund der Verwerfungen der DDR-Wirtschaft ein Glaubwürdigkeitsproblem gehabt hätte. Apolte und Kirschbaum subsumierten weiter, dass eigentlich nur ein System mit flexiblen Wechselkur- sen als Alternative zur Währungsunion hätte fungieren können, da ein festes Wechselkurs- system nur mit glaubwürdigem Wechselkursversprechen seine Vorteile gegenüber einem System mit flexiblen Wechselkursen hätte ausspielen können. Dann jedoch, hätte dieses System nicht die behaupteten Vorteile gegenüber der Währungsunion zur Geltung bringen können - bspw. eine Pufferfunktion zur Dämpfung des Wettbewerbsdrucks von Seiten der Bundesrepublik, oder die Abschottung der westdeutschen Inflationsrate vom ostdeutschen Geldüberhang.57

Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass im Prinzip alle hier diskutierten Konzeptionen, die sich mit einer stufenweisen Einführung der Währungsunion und damit mit Doppel- / Parallelstandards beschäftigten, schon in ihrer Entwicklungsphase in gewisser Weise obsolet waren. Nach Ankündigung der Währungsunion per Stichtag wären diese Alternativen politisch - zumindest in dieser Form - kaum noch durchsetzbar gewesen.

Dies lag vor allem daran, dass - wie bereits erwähnt - der Währungsunion neben ihrer Ankerfunktion vor allen Dingen eine hohe psychologische und politische Bedeutung zukam. Sie war daher in weiten Teilen eine vertrauensbildende Maßnahme und damit symbolhafter Ausdruck der nahenden Wiedervereinigung, eine Funktion, welche eine Doppel- bzw. Parallelwährung nicht hätte in diesem Maße erfüllen können.

Kombiniert mit der Wirtschaftsunion verringerte sie zusätzlich die Gefahr, dass die DDR auf ihrem Weg in ein marktwirtschaftliches System bei Schwierigkeiten hätte den Reformprozess wieder verlassen können - ganz im Gegensatz zu einem stufenweisen Integrationsprozess. Damit wurde in erster Linie das Vertrauen der DDR-Bürger aufökonomische Reformen und einen unabänderlichen Reformprozess gestärkt, mit welchem sich die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensqualität bzw. einer Angleichung dieser auf das westliche Niveau verband.58

In der Retrospektive bleibt außerdem festzuhalten, dass gerade das Argument des Geld- überhanges und der daraus resultierenden Inflation, das Hauptargument der Stichtagsgeg- ner, sich im Großen und Ganzen als weniger signifikant herausstellte.59 Das realwirtschaftliche Problem hingegen erwies sich als stichhaltig und schwerwiegend, wobei diesbezüglich eine von den Stichtagsgegnern befürwortete einfache Wechselkursbin- dung zumindest für den Westen sicherlich von Vorteil gewesen wäre. Ein solches Vorgehen hätte bewirkt, dass die Lasten der Produktivitätsschwäche der ostdeutschen Wirtschaft sowie die Kosten der Restrukturierung und Modernisierung in erster Linie - zumindest kurz- bis mittelfristig - durch die Menschen im Osten geschultert hätten werden müssen. Die west- deutschen Finanzlasten hätten dadurch zeitlich gestreckt, Stabilitätsrisiken und Abgabener- höhung im Rahmen der Wiedervereinigung vermieden werden können; Überlegungen, die bspw. die Basis der Argumentation des SVR bildeten.60

Allerdings wären dafür im Folgenden sehr niedrige Reallöhne im Osten erforderlich gewesen, die möglicherweise sogar mit Hilfe einer Abwertung - aufgrund zu stark gestiegener Geldlöhne - hätten erreicht werden müssen. Eine solche Vorstellung war jedoch aufgrund der offenen deutsch-deutschen Binnenwanderung sehr realitätsfern und keinesfalls solidarisch, denn eine baldige Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West war in einer solchen Strategie nicht vorgesehen.61

Insgesamt ist deshalb bezüglich der Frage des Tempos der Währungsunion festzuhalten, dass hier keine Beratungsresistenz auf Seiten der Politiker vorlag, da die Stichtagsvariante zu diesem Zeitpunkt - unter den diskutierten - das einzige realistisch umsetzbare Konzept darstellte. Die Entwürfe der Stichtagsgegner warfen hingegen Beratungsinsuffizienzen auf. Deutlich wird dies nicht zuletzt an den Befürwortern einer festen Wechselkursbindung, die keinerlei bzw. einen „allumfassenden“ (1:1 bis 5:1) Orientierungspunkt zu deren Höhe bieten konnten.

Weiterhin konstatierten auch Priewe und Hickel Beratungsinsuffizienzen, indem sie dem SVR vorwarfen, im Zusammenhang mit seinem denkwürdigen Brief an Bundeskanzler Kohl62

- in welchem der SVR deutlich auf die aus seiner Sicht negativen Implikationen einer so ra- schen Währungsunion auf Produktion und Beschäftigung aufmerksam machte -, auf die Vor- lage eines konkreten Stufenplanes verzichtet zu haben. Dieser wurde zwar in „verschlüssel- ter“ Form im Jahresgutachten 90/91 nachgeliefert,63 damit allerdings erst nach Einführung der Währungsunion.64

2.2. Die Höhe des Wechselkurses

Die Bundesbank zeigte sich, wie schon über die kurzfristig angesetzte Währungsunion an sich, auch über den von der Bundesregierung geplanten Wechselkurs von 1:1 nicht sonderlich erfreut. Während für sie maximal ein Wechselkurs von 2:1 tragbar erschien, so musste sie nun mit der Bundesregierung nach deren Bekanntgabe der Währungsunion über den tatsächlichen Wechselkurs verhandeln, wagte es doch der damalige Bundesbankpräsident Pöhl nicht, dem Bundeskabinett die Gefolgschaft zu verweigern. Letztendlich wurde ein Kompromiss erzielt, welcher folgende Regelung vorsah:

Die Umtauschmenge an Bestandsgröße des Einzelnen zum Kurs von 1:1 orientierte sich an deren jeweiligen Alter. Dies waren für alle unter 15-jährigen 2000 Mark, für alle im Alter zwischen 15 und 60 4000 Mark und alle älter als 60 Jahre 6000 Mark. Geldvermögen, welches diese Grenze überschritt, wurde hingegen nur mit einem Kurs von 2:1 und spekulativ erworbenes Vermögen gar nur mit einem Kurs von 3:1 umgetauscht. Darüber hinaus wurden Unternehmensschulden sowie Hauskredite in Höhe von insgesamt 368 Mrd. Ostmark mit einem Kurs von 2:1 konvertiert - Löhne, Gehälter, Renten, Pensionen, Stipendien und bestimmte Sozialleistungen (alle Stromgrößen) zum Kurs von 1:1.65

Dass die deutsche Bundesbank auch über diesen Kompromiss nicht glücklich war, sondern lieber einen Kurs von 2:1 für alle Bestands- und Stromgrößen gesehen hätte, bewies Bun- desbankpräsident Pöhl, indem der die Währungsunion hinsichtlich Zeitpunkt und Höhe als „Katastrophe“ bezeichnete.

Dies ist darauf zurückzuführen, dass aus Sicht der Bundesbank die Befürchtung bestand, eine zu hohe Umtauschrelation könne sich in großen Vermögensgewinnen der Ostdeutschen niederschlagen. Diese wiederum könnten sich in einem Nachfrageschub entladen, was folglich eine inflationäre Entwicklung anheizen würde.66

Was die in der Politikberatung tätigenökonomen angeht, so waren sie auch in diesem Punkt geteilter Meinung. Demnach gab es einige wenige, die die von der Bundesbank vorgetragenen Bedenken teilten, bzw. davon ausgingen, dass vor allem die DDR-Wirtschaft ein solches Tauschverhältnis nicht durchhalten könne. Andererseits setzten sich viele für einen Kurs von 1:1 ein, da sie dies zum einen als „gerecht“ empfanden, viel wichtiger aber, sie die Bedenken von Bundesbank oder IfW so nicht teilten.

2.2.1. Wechselkurs 2:1

2.2.1.1. Bestandsgrößen

Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft war eine der wenigenökonomischen Institutionen, welche sich mehrheitlich für einen Wechselkurs der Bestands- größen von 2:1 (mit Ausnahme der 1:1 umgestellten Spardepositen) aussprach.67 Die Vorteile einer Umstellung der Bestandsgrößen zu diesem Kurs sah der Beirat beim BMWi hauptsächlich in der „zwar pauschalen, doch einfach zu verwirklichenden und wohl auch wirksamen Entschuldung der Betriebe und des Wohnungswesens und ein rasches Sichdurchsetzen normaler Markt-, insbesondere Zinskonditionen für Schuldner und Gläubi- ger.“68 Außerdem könnten die Besitzer der Geldvermögen bei einem solchen Satz frei über ihr Vermögen verfügen, worin der Beirat jedoch auch das Risiko sah, dass dadurch ein zu großer Teil des Sparguthabens nachfragewirksam in den Konsum fließen könne.69 Demzu- folge, so gab der Beirat zu bedenken, sei es auch ordnungspolitisch nachteilig, wenn das Sparguthaben nicht für einen Realvermögenstransfer aus Staats- in private Hand genutzt werde.70

2.2.1.2. Stromgrößen

Hinsichtlich der Stromgrößen, und damit in erster Linie für die Löhne, empfahlen Horst Siebert und Holger Schmieding vom IfW einen Wechselkurs von 2:1, da sie bei einem zu günstigen Umtauschkurs die Gefahr von strukturellen Krisen befürchteten.

Die DDR, so das IfW, könne nach einer Umstellung von 1:1 nicht mehr wettbewerbsfähig auf nationalen und internationalen Märkten agieren, da die Weltmarktpreise quasi vorgegeben, die Belastungen auf der Kostenseite jedoch deutlich zu hoch seien. Damit würden viele Be- triebe vor eine Zerreißprobe gestellt, da sie solche Lohnzahlungen nicht aus eigener Kraft finanzieren könnten.71

Darüber hinaus argumentierten Schmieding und Siebert, dass selbst die inöffentlichen Diskussionen häufig angenommene Produktivität von rund 50% des Westniveaus noch als zu hoch angesetzt sei, die tatsächliche nur ca. ein Drittel betrage.72 Argumentativ unterlegt wurde diese Behauptung mit Verweis auf die Produktqualität, die Handelsstruktur unter Beachtung des Wegfalls der RGW-Länder sowie die bisher nicht berücksichtigten Umweltbelastungen aufgrund der rückständigen Produktionsmethoden.73

Zwar könne das Umtauschverhältnis leicht über einem Kurs von 2:1 liegen, aber nur um so- viel, wie im Gegenzug Subventionen von Gütern des täglichen Bedarfs zurückgefahren wür- den. Andernfalls werde es flächendeckend zu einer aus überhöhten Löhnen resultierenden strukturellen Arbeitslosigkeit kommen. Im Übrigen sei das Ausgangsniveau von 2:1 auch für die dringend benötigte Lohndifferenzierung unumgänglich, da andernfalls eine Nominallohn- kürzung nur schwierig durchzusetzen sei. Allerdings, so machten Siebert und Schmieding deutlich, seien die Löhne, umgestellt im Kurs von 2:1+X als Minimum zu verstehen, da es recht schnell - aufgrund der vermuteten positiven Produktivitätsentwicklung - in vielen Bran- chen zu steigenden Löhnen kommen werde.74

2.2.2. Wechselkurs 1:1

2.2.2.1. Bestandsgrößen

Wilhelm Hankel forderte für die Ersparnisse einen Kurs von mindestens 1:1 - ggf. sogar ei- nen im Sinne der DDR-Bürger noch besseren. Er begründete dies mit der Annahme, dass das Realvermögen in der DDR wahrscheinlich um 20-30-mal höher sei, als dass von der Umstellung betroffene Sparvermögen in Höhe von 180 Mrd. DDR-Mark. Demzufolge befür- wortete er in einem ersten Schritt die Reprivatisierung des volkseigenen Vermögens und dessen Einbringung in Treuhandgesellschaften, welche wiederum Anteilsscheine emittieren könnten, die ein erhebliches Kurspotential hätten. Infolgedessen würde sich das Sparvermö- gen erheblich verringern, da sicherlich viele ihr Geldvermögen in diesen Wertpapieren anle- gen würden.75

Auch Lutz Hoffmann vom DIW bezeichnete einen Umtauschkurs von 2:1 für Spareinlagen als unnötig, da dieser nur auf der Annahme beruhe, dass die Ostdeutschen in Folge der Währungsunion ihr Geld sofort und ausschließlich verkonsumieren würden. Gründe, die jedoch hiergegen sprächen, so Hoffmann, seien zum einen die generelle wirtschaftliche Unsicherheit sowie zum zweiten die Möglichkeit, zukünftig in „vernünftig“ verzinsten Anlageformen zu sparen. Somit würde ein Wechselkurs im Verhältnis 2:1 lediglich hinsichtlich der Unternehmensaltschulden Sinn machen.76

Weiterhin setzte Wilhelm Hankel sich, wie auch das DIW etwas später (dadurch die Aussage Hoffmanns korrigierend) hinsichtlich der Altschulden von DDR-Betrieben für deren vollstän- dige Streichung ein: „Wer die Schulden der DDR 1:1 oder 1:2 umstellt, wie es die Bundes- bank jetzt vorschlägt, gräbt der DDR-Wirtschaft das Grab. Hier gilt 1:0.“77 Ansonsten, und darin waren sich Hankel als auch das DIW einig, seien nur die allerwenigsten Betriebe im Osten fähig, eine solche Schuldenlast und die darauf fälligen Zinsen zu tragen, worauf hin die DDR-Wirtschaft in sich zusammenbrechen würde. Die Ausgleichsforderungen hierfür hätte im Zweifelsfalle die Bundesbank zu übernehmen. Dies, so Hankel, seien nur 16 bis 18 Mrd. DM jährlich, also wesentlich weniger als die Summe, die im Falle eines Zusammen- bruchs der Ostwirtschaft an Arbeitslosengeld gezahlt werden müsse78 und nach Argumenta- tion des DIW auch weitaus weniger, als für eine mögliche Konkursabsicherung von Betrieben und Banken aufgewandt werden müsse.79

Auch Jürgen Kromphardt80 sowie das IW kamen zu dem Schluss, dass ein Währungsschnitt hinsichtlich der Sparguthaben unnötig sei und daher ein Umtauschkurs von 1:1 für diese tragbar wäre. Jeder schlechtere Kurs sei aus ihrer Sicht unfair und eine unzumutbare Belas- tung für die Menschen in der DDR, die dieses Vermögen durch harte Arbeit und Sparsamkeit angehäuft hätten. Um dennoch einer etwaigen Inflation durch den „Run“ auf West-Produkte zu begegnen, wurde sowohl von Kromphardt als auch vom IW eine niedrige Freigrenze vor- geschlagen, oberhalb welcher das Vermögen nur für den Kauf von Investitionsgütern bestimmt sein dürfe. Damit werde das Ziel verfolgt, Guthaben längerfristig etwa in Form von Staatsanleihen, Unternehmensanleihen oder Wohneigentum zu binden. Dies sei auchökonomisch äußerst sinnvoll, da auf diese Weise private Investitionen gefördert würden und so Produktivkapital in den Wiederaufbau der ostdeutschen Wirtschaft fließen könne. Nach Ablauf einer gewissen Übergangsfrist, auch darüber war man sich einig, könnten die Sparguthaben dann zur freien Verwendung aktiviert werden.81

So lag der Unterschied zum Modell von Hankel maßgeblich darin, dass dieser nicht wie Kromphardt oder das IW auf rechtliche Bestimmungen zur Verwendung des Sparguthabens, sondern stattdessen auf die Kursphantasien potentieller Anleger setzte.

Diese Argumentationslinie wurde weitestgehend auch von Horst Siebert unterstützt. Allerdings war er wie auch B. Thanner und W. Leibfritz vom Ifo-Institut der Ansicht, dass die Sperrung der Sparkonten allein nicht ausreichend sei, da zu erwarten wäre, dass Kredite im Gegenwert des auf den damaligen Zeitpunkt diskontierten Sparguthabens aufgenommen werden würden, um angestaute Konsumwünsche zu befriedigen.

Nach Meinung Thanners und Leibfritzs sei es daher dringend notwendig, die Beschränkun- gen zum Erwerb von Wohneigentum aufzuheben sowie die Möglichkeit zum Sparen in fest- verzinslichen DM-Anlagen zu schaffen, um somit das Inflationsrisiko zu mindern.82 Siebert hingegen sprach sich für eine nur teilweise Umstellung der DDR-Geldanlagen in D- Mark aus, wobei das nicht umgestellte DDR-Vermögen auch nach einer Währungsreform weiterhin gesetzliches Zahlungsmittel bleiben sollte, jedoch nur für den Erwerb von Immobi- lien und Firmenanteilen. Eine solche Variante hätte den Vorteil, so Siebert, dass diese DDR- Guthaben nicht denselben geldähnlichen Charakter wie die gesperrten Konten hätten. Davon ausgehend könne sich ein Markt entwickeln, auf welchem DDR-Vermögen zum günstigen Immobilien- bzw. Anteilskauf gegen D-Markt gehandelt werden würde.83

2.2.2.2. Stromgrößen

Hinsichtlich der Stromgrößen wurde von Seiten derökonomen - welche einen Wechselkurs von 1:1 präferierten - eine relativ einheitliche Argumentation vertreten. So waren sich bspw. Erhard Kantzenbach, damaliger Präsident des Instituts für Wirtschafts- forschung in Hamburg (HWWA), das IW, der wissenschaftliche Beirat beim BMWi, Lutz Hoffmann oder auch Jürgen Kromphardt darüber einig, dass jeder schlechtere Wechselkurs als 1:1 den Übersiedlerstrom in den Westen deutlich anheize und infolgedessen die Kosten für die Bundesrepublik deutlich höher lägen. Zwar war man sich im Klaren darüber, dass dies starke Implikationen für die DDR-Wirtschaft hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit haben werde, bevorzugte aber dieses Übel aufgrund der unbegrenzten „Wanderungsfreiheit“ von Ost nach West.

Dabei erhoffte sich Kantzenbach, dass durch einen so „großzügigen“ Umtauschkurs die Leis- tungsbereitschaft der ostdeutschen Arbeitnehmer erheblich steigen werde, was in Kombina- tion mit einer Beseitigung der Versorgungsengpässe sowie der Möglichkeit zur Entlassung überflüssiger Arbeitskräfte zu einer erheblichen Steigerung der Produktivität führen würde - schon lange vor einer Modernisierung der Produktionsanlagen. Dadurch, so seine Einschät- zung, sei im Folgenden auch Spielraum für selektive Erhöhungen der Löhne gegeben.84

Darüber hinaus zeigten Schätzungen des wissenschaftlichen Beirats beim BMWi, dass die Brutto- und Nettolöhne auch bei einem Kurs von 2:1 näher am Kurs von 1:1 als an ihrem Ausgangskurs liegen würden. Dies beruhe im Wesentlichen darauf, dass sich die Löhne im Rahmen von Aufschlägen für Lohnstrukturanpassungen, dem Wegfall von Subventionen im Zuge einer Preisreform sowie höheren Sozialversicherungsabgaben stark erhöhen würden.85 Demgegenüber habe man bei einem Kurs von 1:1, darüber war man sich mit Kantzenbach einig, den psychologischen Effekt auf seiner Seite, da so nicht der Eindruck entstünde, man halbiere die Löhne. Ein Lohngefälle von 2:1 aufgrund der Produktivität von ca. 50% (bei ei- nem Umtauschkurs von 1:1), so Kantzenbach würden die Menschen im Osten sicherlich hin- nehmen. Ein Lohngefälle von 4:1 (bei einem Wechselkurs von 2:1) jedoch, würde wohl kaum zu einem höheren Engagement im Osten des Landes führen, sondern eher verheerende psychologische Folgen nach sich ziehen.86 Der durchschnittliche DDR-Lohn von 1200 Mark würde dann nämlich auf 600 D-Mark umgestellt, was jedoch deutlich unter dem Sozialhilfe- satz im Westen läge.87

Im Übrigen waren zumindest das IW und auch der wissenschaftliche Beirat beim BMWi sich im Klaren darüber, dass gerade bei einem Kurs von 2:1 die Gewerkschaften versuchen würden, massive Lohnforderungen durchzusetzen, was sich im Folgenden entsprechend schlecht auf das Investitionsklima auswirke. Zusätzlich ging das IW davon aus, dass ein Wechselkurs von 1:1 es den Arbeitnehmern in der DDR leichter mache, in den folgenden Jahren auf Lohnsteigerungen zu verzichten.88

[...]


1 Siehe Anlage 1.

2 Vgl. SVR (2005), Ziff. 120.

3 Siehe Anlage 2.

4 Vgl. SVR (2002), Ziff. 597f.

5 Vgl. Ragnitz (2003), S. 2.

6 Vgl. Kohls „blühende Landschaften“.

7 Vgl. Sinn (2002).

8 Dies ist ein nicht zuletzt aufgrund der in den letzten Jahren stark zugenommenen Verbreitung von Experten-Kommissionen, -Ausschüssen und -Gremien auch heute äußerst relevantes Thema.

9 Der RGW war als wirtschaftlicher Zusammenschluss kommunistischer Staaten als Pendant zur Europäischen Gemeinschaft zu betrachten.

10 Vgl. hierzu auch SVR (1990a), Ziff. 294.

11 Die Schätzung des Bruttosozialprodukts pro Kopf der ostdeutschen Wirtschaft gegenüber der Westdeutschen schwankt je nach Annahmen in der Literatur zwischen 30-80%. Das DIW kam je- doch 1991 zu einer Schätzung von 48%, was mit den Angaben der Bundesregierung zur Lage der Nation von 1987 übereinstimmt (Vgl. Priewe/ Hickel (1991), S. 61).

12 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi (1989), S. 1484.

13 Vgl. Apolte/ Kirschbaum (2005), S. 50.

14 Student/ Wichmann (1994), S. 20.

15 Zur ausführlicheren Diskussion dieser Theorie vgl. Cassel (2001), S. 7ff.

16 Vgl. hierzu auch Student/ Wichmann (1994) S. 23, Kümmel (2002) S. 9.

17 Vgl. Cassel (2001), S. 26.

18 Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Anthony Downs, Mancur Olsen, James M. Buchanan und Gordon Tullock sowie William A. Niskanen.

19 Vgl. Cassel (2001), S. 27f.

20 Vgl. Priddat (2004), S. 72.

21 Dies wurde schon von Downs selbst kritisiert; vgl. hierzu auch Apolte/ Wilke (1998), S. 776f.

22 Vgl. Apolte/ Kirschbaum (2005), S. 50f.

23 Vgl. hierzu auch Student/ Wichmann (1994), S. 21.

24 Vgl. Apolte/ Kirschbaum (2005), S. 51.

25 Vgl. Priddat (2004), S. 72.

26 Vgl. Apolte/ Kirschbaum (2005), S. 52.

27 Vgl. Kümmel (2002), S. 10.

28 Vgl. Kantzenbach (1990), S. 166.

29 Die Regierung Modrow verlangte im Vorfeld auf einen Besuch in Bonn von der Bundesrepublik 15 Mrd. DM Finanzhilfe.

30 Vgl. Priewe/ Hickel (1991), S. 82.

31 Vgl. Sinn/ Sinn (1993), S. 64.

32 Vgl. Apolte/ Kirschbaum (2005), S. 54.

33 Vgl. o.V. (1990).

34 Man beachte, dass die Publikation des Kronberger Kreises hinsichtlich Fragen einer Währungsre- form vom Januar 1990 datiert. Zu diesem Zeitpunkt war das nahende Angebot der Bundesregie- rung an die DDR zur Durchführung einer Währungsunion mit dem Hintergedanken der Wiederver- einigung nicht bekannt, so dass keine Vergleichbarkeit zu den anderen Konzepten besteht. Der Kronberger Kreis ging hier vielmehr von einem separaten Weiterbestehen beider Länder aus, so dass er sich eher mit Fragen der Souveränität hinsichtlich einer Geldpolitik auseinandersetzte, als dass er auf Problemstellungen einer etwaigen Wechselkursbindung einging. Allerdings sprach er sich explizit gegen eine baldige Währungsunion aus (Vgl. Engels et al. (1990a), S. 32ff.).

35 Vgl. SVR (1990a), Ziff. 297.

36 Vgl. SVR (1990b), Ziff. 32ff. Vgl. DIW (1990a).

37 Vgl. Winkler (1990), S. 287.

38 Paulsen und Vaubel wollten die D-Mark als Parallelwährung nur mit Hilfe des Devisenmarktes e- tablieren (Vgl. Hoffmann (2000), S. 155).

39 Vgl. ebenda, S. 155.

40 SVR (1990b), Ziff. 39.

41 Vgl. DIW (1990b), S. 69.

42 Wilhelm Hankel war 1990 ehemaliger Abteilungsleiter Geld und Kredit im Wirtschaftsministerium unter Karl Schiller sowie Honorarprofessor für Währungs- und Entwicklungspolitik der Universitäten Frankfurt und Dresden - auch bekannt als das Enfant terrible der deutschen Kreditwirtschaft.

43 Vgl. Willgerodt (1990), S. 95ff.

44 Vgl. Hankel (1990a). Vgl. Kromphardt (1990a), S. 129ff.

45 Die gemeinsame Währung sollte laut Krönungstheorie am Ende der Reformen stehen (vgl. SVR, DIW, IfW, Bundesbank).

46 Vgl. IW (1990a).

47 Hankel (1990b).

48 Vgl. Hankel (1990a).

49 Vgl. IW (1990b).

50 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi (1990a), S. 1493f.

51 Die hier zitierte Untersuchung wurde im Auftrag des Bundeskanzleramtes erstellt.

52 Dass es im Osten der Einführung eines zweistufigen Bankensystems bedurfte, war demnach unter denökonomen unumstritten. Allerdings unterschied man sich deutlich hinsichtlich der Art und Wei- se, wie dieses eingeführt werden sollte.

53 Vgl. Willgerodt (1990), S. 95ff.

54 Vgl. Sherman (1990), S. R2.

55 Vgl. Winkler (1990), S. 287.

56 Vgl. Filc (1990), S. 134.

57 Vgl. Apolte/ Kirschbaum (2005), S. 58.

58 Vgl. Pohl/ Thiemer (1990), S. 83.

59 Vgl. dazu Kapitel 2.2.3.

60 Vgl. Priewe/ Hickel (1991), S. 193f.

61 Vgl. Engels et al. (1990b), S. 14f.

62 Siehe Anlage 3.

63 Vgl. SVR (1990a), Ziff. 297.

64 Vgl. Priewe/ Hickel (1991), S. 194.

65 Damit betrug der durchschnittliche Umtauschkurs nach Angaben der Bundesbank 1,8:1 (Vgl. Deut- sche Bundesbank (1990a), S. 17, 26).

66 Vgl. Sinn/ Sinn (1993), S. 63f.

67 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi (1990a), S. 1504.

68 Ebenda, S. 1497.

69 Dies ist im Gegensatz zu der ansonsten oft propagierten Forderung zu sehen, Teile des Spargut- habens zeitweise „einzufrieren“, um so den bestehenden Geldüberhang schrittweise abzubauen (Vgl. Kapitel 2.2.2.1.).

70 Hier ließe sich auch der Kronberger Kreis einordnen, präferierte er doch einen Wechselkurs nahe 2:1 (Vgl. Engels et al. (1990a), S. 51ff.). Aufgrund des Datums der Veröffentlichung war ihm die Entscheidung für eine Währungsunion allerdings noch nicht bekannt, insoweit auch hier ein Ver- gleich mit den vorgestellten Konzepten nicht sinnvoll erscheint.

71 Vgl. Schmieding (1990a).

72 Dies steht im Widerspruch zu Berechnungen des DIW (Vgl. Fußnote 11).

73 Vgl. Siebert (1990a).

74 Vgl. Schmieding (1990b), S. 15f.

75 Vgl. Hankel (1990b).

76 Vgl. Hoffmann (1990).

77 Hankel (1990b) (Ausschließlich für dieses Zitat gilt: D-Mark : DDR-Mark).

78 Vgl. Hankel (1990b).

79 Vgl. DIW (1990c), S. 349.

80 Jürgen Kromphardt ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der TU-Berlin und war ab 1999 Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung.

81 Vgl. Kromphardt (1990a), S. 131. Vgl. IW (1990b).

82 Vgl. Thanner/ Leibfritz (1990), S. 10.

83 Vgl. Siebert (1990b).

84 Vgl. Kantzenbach (1990).

85 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi (1990a), S. 1501f.

86 Vgl. Kantzenbach (1990).

87 Vgl. Hoffmann (1990).

88 Vgl. IW (1990b).

Final del extracto de 103 páginas

Detalles

Título
Die Beratungsleistung der Ökonomen zu Problemen der deutschen Einheit zu Beginn der 90er Jahre
Universidad
University of Bayreuth
Calificación
1,3
Autor
Año
2006
Páginas
103
No. de catálogo
V58572
ISBN (Ebook)
9783638527286
ISBN (Libro)
9783638694018
Tamaño de fichero
1529 KB
Idioma
Alemán
Notas
Im Zuge dieser Arbeit gilt es, die Problemfindungskompetenz der Ökonomen in verschiedenen Politikbereichen zu untersuchen. Dadurch soll erkannt werden, inwieweit Themen, welche sich aus heutiger Sicht als problematisch herauskristallisiert haben, zu Beginn der 90er Jahre von Seiten der Politikberatung identifiziert, angesprochen und kritisiert wurden und damit eine Entscheidungsgrundlage für die Politik darstellen konnten.
Palabras clave
Beratungsleistung, Problemen, Einheit, Beginn, Jahre
Citar trabajo
Dominikus Pohl (Autor), 2006, Die Beratungsleistung der Ökonomen zu Problemen der deutschen Einheit zu Beginn der 90er Jahre, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58572

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