Goethe und das Weimarer Hoftheater


Exposé (Elaboration), 2003

22 Pages, Note: 1,7


Extrait


26 Jahre währte Goethes Direktorat des Weimarer Hoftheaters. Gespielt wurde an 4136 Abenden, wie jemand sorgfältig nachgerechnet hatte, und zwar 2797 Sprechstücke – von der Tragödie über das Schauspiel bis zur Posse –, dazu 1084 Opern, Singspiele, Operetten, 255 Ballette. Erst nach mehreren erfolglosen Abschiedsgesuchen erhält Goethe 1817 auf seinen Protest gegen die Aufführung eines Schauspiels, in dem ein Hund die Hauptrolle einnahm, seinen Abschied. Auf Betreiben der ehemaligen Schauspielerin Karoline Jagemann[1], nunmehrige Maitresse des Weimarer Herzogs Carl August, hatte der kaiserlich-königliche Wiener Schauspieler Karsten auf der Weimarer Hofbühne das Gastspiel mit seinem dressierten Hundes geben dürfen, der in „Der Hund des Aubry des Mont Didier oder Der Wald bei Bondy“ bei der Weimarer Gesellschaft offenbar besser ankam als die Goethesche Kunstanschauung.[2]

1791, mitten in der Arbeit an naturwissenschaftlichen Aufgabenstellungen – Goethe arbeitete damals an „prismatischen Erscheinungen“ und war dabei, „das erste Stück ›Optischer Beiträge‹ herauszugeben“ –, kam ihm das Angebot Herzog Carl Augusts, das Weimarer Hoftheater zu übernahmen, recht gelegen. „[M]it Vergnügen“, wie Goethe später berichtet, übernahm er „die Leitung des Hoftheaters“, damit – durch die ausdauernde Beschäftigung mit Wissenschaftlichen Stoffen – die „dichterische und ästhetische Seite nicht allzu kurz käme“[3].

Die Jahre zuvor (1777 bis 1786) arbeitete Goethe am Wilhelm Meister[4] Roman, dessen Held vom Ehrgeiz auf die Bühne getrieben wird, ein „treffliche [r] Schauspieler“ zu werden und der „Schöpfer eines künftigen Nationaltheaters, nach dem er so vielfältig hatte seufzen hören“[5]. Der Roman sollte ursprünglich den Titel Wilhelm Meisters theatralische Sendung tragen, doch die Arbeit kam ins Stocken, der Stoff bereitete Goethe einige Schwierigkeiten. In einem Gespräch mit Eckermann bekennt Goethe, dass gerade in den Jahren, da er Weimarer Theaterdirektor wurde, „die eigentliche Zeit [seines] Theater-Interesses schon vorüber“[6] war – was ihn auch daran hinderte, sein Romanprojekt in der geplanten Form fertig zu stellen.[7]

Am 5. April 1791 verabschiedete sich wie angekündigt Bellomo – Goethes entlassener Vorgänger – mit Kotzebues Kind der Liebe von der Bühne, am 7. Mai 1791 wurde mit Ifflands Jägern das neugegründete Weimarer Hoftheater eröffnet. Auf einem Zettel notiere Goethe kurz nach der Übernahme: „Übernahme des Weimarischen Theaters. Völlige Unbekanntschaft mit dem bisherigen deutschen Theater. Erst Schlendrian. Das Gegenwärtige und Mögliche zuerst. Nach und nach das Wünschenswerte, bis zum beinahe Unmöglichen unternommen.“[8]

Durch den Abzug Bellomos musste sich Goethe einen guten Teil seiner Mitarbeiter neu rekrutieren, doch das war nicht allzu schwer, wie er selbst berichtet, „weil man die Theater von ganz Deutschland zur Auswahl vor sich sah. Breslau und Hannover, Prag und Berlin sendeten uns tüchtige Mitglieder, die sich in kurzer Zeit ineinander einspielten und einsprachen und gleich von Anfang an viele Zufriedenheit gewährten ...“[9]

Die Oberdirektion des Hoftheaters übernahm Goethe und Hofkammerrat Kirms, der eine für die Administration, der Dichter für das Kunstfach zuständig. Seit Mai 1791 waren ihnen der Kapellmeister Johann Friedrich Kranz und als Dramaturg und Bühnendichter Christian August Vulpius zugeordnet. Als Regisseur fungiert eher schlecht als recht Franz Joseph Fischer; ihm folgte 1793 J. Heinrich Vohs, der 1797 durch die Institution der „Wöchner“ – sich wöchentlich abwechselnden Regisseuren – Genast, Bekker, Schall, abgelöst wurde.

In der ersten Zeit änderte sich zunächst kaum etwas: auf dem Spielplan standen viele Übernahmen aus Bellomos Zeit: aus dem stehenden Repertoire übernahm Goethe 84 Stücke, wobei er, überzeugt, dass ein Theater ein breites Publikum anziehen und unterhalten sollte, weder das „Familiengemälde“ noch „Zimmer-Dramatik“[10] verschmähte – also Darstellungen des bürgerlichen Alltags mit jenem Personal, dem das Publikum sich gleich wusste, – sprich jene „Pfarrer, Kommerzienräte, Fähnriche, Sekretärs oder Husarenmajors“ über die Friedrich Schiller und Goethe später noch spotten werden. Aus dem reichen Angebot – vor allem Stücke August Wilhelm Ifflands – (Iffland war nach Kotzebue der erfolgreichste Theaterautor der Goethezeit)[11], August von Kotzebues – (hält mit über zweihundert Theaterstücken den Rekord seiner Zeit; fast ausnahmslos gehören sie zum Genre des „Familienrührstücks“), – wählte er das, „was an der Tagesordnung war“ (zusammen mit Kotzebue stellte Iffland mindestens ein Drittel des Repertoires für das Theater der Goethezeit). Goethe begann dann Mozart durchzusetzen, propagierte Lessing und Shakespeare.

Goethe war im Verlauf seiner Theaterleitung bestrebt, die Stellung und die Bindung des Schauspielers an das Theater zu verändern. Dabei schaffte er nicht nur die Rollenfächer ab und zwang jeden Schauspieler vertraglich, auch kleine, ja bisweilen sogar lediglich Statistenrollen zu übernehmen; er bekämpfte auch ohne Nachsicht das Virtuosentum einzelner „großer“ Schauspieler und förderte dafür konsequent das Ensemblespiel – ein Handgriff, das das Weimarer Theater in einen scharfen Gegensatz zur herrschenden Tendenz brachte, die sich im 19. Jahrhundert noch verstärkte.[12] Bei der Durchsetzung seiner Anordnungen war Goethe keinesfalls zimperlich: kein Weimarscher Schauspieler durfte damals gastieren, damit er nicht weggekapert würde; Hofkammerrat Kirms wandte außerdem einen Kunstgriff an: die Mitglieder durch bereitwillige Gehaltsvorschüsse in Schulden zu verwickeln, um sie dadurch an das Hoftheater zu binden.[13] Als die 18jährige Schauspielerin Wilhelmine Maas ohne Goethes Erlaubnis in Berlin gastierte, verdonnerte er sie nach ihrer Rückkehr zu einer Woche Hausarrest, stellte ihr eine Schildwache vor die Tür und ließ sie dafür auch noch zahlen.[14]

Zwar waren nicht alle mit der Einführung des strengen Ensemblespiels einverstanden, was zu Weggängen und Rauswürfen führte, es gab natürlich auch Zustimmung – z.B. von Pius Alexander Wolff, einem langjährigen Schauspieler in Weimar und Zögling Goethes:

[...] die Werkstatt des Schauspielers ist die Bühne. Alles was er für sich zuhause in seiner Kunst unternimmt, sind nur individuelle Studien; denn da er nie für sich allein steht, sondern nur als Glied zu einem Ganzen wirkt, so kann er die Darstellung seiner Rolle und den Vortrag derselben auch nur im Verein mit seinen Mitspielern einüben und ausarbeiten. Er wird von seinen Gegenspielern bestimmt, und kann die Wirkung des Spiels nur im Zusammenhang mit ihnen berechnen. Und nur auf diese Weise wird ein Ensemble gebildet.“[15]

Entscheidender jedoch waren die produktionsästhetischen Veränderungen, die Goethe im Weimar im Verlauf der Jahre 1791 bis 1817 durchführte. „Zur Zeit, als Goethe das Theater übernahm, war auf den deutschen Bühnen eine Richtung, ein Art schauspielerischer Darstellung die herrschende: der Naturalismus, der weniger auf bewussten Kunstprinzipien beruhte“, als aus einer Gedankenlosigkeit, die durch das damalige Repertoire begünstigt wurde; dieses war geprägt durch „bürgerliche Einfachheit einerseits und kraftgenialische Rohheit andererseits“ schrieb Julius Wahle 1892.[16]

Auf der Experimentierbühne Weimars ließ sich Goethe von Grundsätzen leiten, die von der Naturnachahmung und der empfindsamen Einfühlung wegführen sollten. Wenn das Theater Kunst sein soll – so die Prämisse Goethes (und Schillers), muss es aufhören die vorgegebene Wirklichkeit von Natur und Gesellschaft nachzuahmen und sich dagegen zum „Symbol des Wirklichen“ ausbilden.

In einem von Goethe 1797 verfassten fiktivem Gespräch Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke geraten nach einer Opernaufführung ein Zuschauer und ein Anwalt in ein Streitgespräch. Die Meinungsverschiedenheit hat das Bühnenbild zum Anlass, das ein amphitheatralisches Gebäude vorstellte, in dessen Logen viele Personen gemalt waren (sprich symbolisch vorgestellt werden). Das Streitgespräch entwickelt sich zu einer Auseinandersetzung über den Stellenwert der Illusion auf der Bühne. Der über die gemalt vorgestellten Personen entrüste Zuschauer, erwartet – dem Illusionismus verhaftet –, dass ihm auf der Bühne alles wahr und wirklich gemacht werden solle. Der Anwalt versucht den Zuschauer dagegen zu überzeugen, dass Kunstwerken die Natürlichkeit abgeht, dass Kunstwerke keine Naturwerke sind, dass sie anderen Gesetzen unterliegen, als den der Natur. Das Gespräch kulminiert in der Feststellung, dass das „Kunstwahre und das Naturwahre völlig verschieden sei, und daß der Künstler keineswegs danach streben solle noch dürfe, daß sein Werk [...] als ein Naturwerk erscheine“

[...]


[1] Die Goethe selber für das Weimarer Hoftheater angeworben hat. S. Brief Goethes an Schiller vom 29. Januar 1797.

[2] Zitiert nach: Reinhart Meyer: Theaterpraxis. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Zwischen Revolution und Restauration 1815-1848. Bd. 5. Hrsg. v. G. Sautermeister und U. Schmid. S. 370.

[3] J.W. v. Goethe. Tag- und Jahreshefte. 1792. In: ders. Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 10., S. 436f.

[4] Zwischen 1777 und 1786 arbeitete Goethe an der Fragment gebliebenen Fassung Wilhelm Meisters theatralische Sendung; der Roman wurde umgearbeitet und als Wilhelm Meisters Lehrjahre 1795/95 in vier Bänden veröffentlicht.

[5] J. W. v. Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 7. , S. 35.

[6] Goethe in einem Gespräch mit Eckermann vom 27. Juli 1826.

[7] Vgl. Dieter Borchmeyer, 328f.

[8] In: Goethes Weimar. Das Lexikon der Personen und Schauplätze. Von Effi Biedrzynski. Zürich: Artemis und Winkler Verlag 1994, S. 443.

[9] J.W. v. Goethe. Tag- und Jahreshefte. 1791. In: ders. Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 10. S. 437.

[10] - sprich der Beschränkung auf die Darstellung häuslicher Verhältnisse entspricht als ständiger Handlungsort ein bürgerliches Zimmer (Metzler Autoren-Lexikon, 401).

[11] Vgl. Metzler Autoren-Lexikon: Iffland, S. 400-401; Kotzebue, 499;

[12] Zitiert nach: E. Fischer-Lichte. Kleine Geschichte des deutschen Theaters. S. 151f.

[13] Zitiert nach: Eduard Devrient. Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Bd. 1. Anmerkung ** auf Seite 615.

[14] Zitiert nach: E. Fischer-Lichte. Kleine Geschichte des deutschen Theaters. Anm. 147, S. 456. Natürlich hat sich Goethe mit solchen drakonischen Disziplinierungsmethoden nicht nur Freunde gemacht: Boshafte Zungen wie der aus Weimar entlassene Schauspieler Karl Wilhelm Reinhold behaupteten daher auch gern, dass eine solche Behandlung nur mittelmäßige „verbildete Seminar-Schauspieler“ gefallen lassen würden. (In dem anonym erschienen Pamthlet Saat von Göthe gesäet dem Tage der Graben zu reifen. Ein Handbuch für Ästhetiker und junge Schauspieler, Weimar 1808). Zit. nach Hans Knudsen 1949, S. 119. Auch: E. Fischer-Lichte. Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Anm. 149, S. 456.

[15] Pius Alexander Wolff. Im Dezember-Heft 1827 von Holtei, Monatliche Beiträge zur Geschichte der dramatischen Kunst und Literatur. (auch in: Willi Flemming 1949, S. 109.). Zitiert nach: E. Fischer-Lichte: Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Anm. 150.

[16] Zitiert nach Borchmeyer, S. 378.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Goethe und das Weimarer Hoftheater
Université
Humboldt-University of Berlin
Cours
Seminar für Kulturelle Kommunikation : Aufklärung - Lessing und Diderot
Note
1,7
Auteur
Année
2003
Pages
22
N° de catalogue
V58651
ISBN (ebook)
9783638527866
ISBN (Livre)
9783656760719
Taille d'un fichier
520 KB
Langue
allemand
Mots clés
Goethe, Weimarer, Hoftheater, Seminar, Kulturelle, Kommunikation, Aufklärung, Lessing, Diderot
Citation du texte
Jaroslaw Piwowarski (Auteur), 2003, Goethe und das Weimarer Hoftheater, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58651

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