Vom Paradigmenwechsel zum Pragmatismus in Krisenzeiten - sozialliberale Familienpolitik von 1969 bis 1982


Dossier / Travail, 2006

23 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Thematische Einführung

2. Historischer und politischer Hintergrund

3. Familienpolitik der sozialliberalen Koalition 1969 – 1982
3.1. Ausgangslagen
3.1.1. Sozialdemokratie und Familienpolitik
3.1.2. Familienpolitische Positionen der FDP
3.2. Sozialliberale Familienpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit
3.2.1. Neudefinition und Ausweitung des Familienbegriffs
3.2.2. Familienförderung als sozialer Ausgleich
3.2.3. Fokussierung auf Kinder- und Frauenrechte
3.2.4. Beratung statt Reglementierung
3.2.5. Emanzipation der Frau als familienpolitisches Ziel

4. Sozialliberale Familienpolitik – Versuch einer Bilanz

5. Quellen

1. Thematische Einführung

Es lag Wechselstimmung in der Luft im Wahljahr 1969. Die SPD stand für außen- wie innenpolitische Veränderungen und traf damit den Nerv der Zeit. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik gelang es den Sozialdemokraten, mit ihrem Spitzenkandidaten Willy Brandt einen Bundeskanzler zu stellen. Juniorpartner wurde die FDP, eine Partei, der ebenfalls nach einem Wechsel zumute war – die Liberalen hatten die Zeichen der Zeit erkannt.

Familienpolitik war kein beherrschendes Wahlkampfthema, weder bei der SPD, noch bei der FDP. Wenn dieser Themenbereich überhaupt angesprochen wurde, dann im Zusammenhang mit der Ankündigung, das Familienministerium abschaffen zu wollen.

Als dann aber Wahlen und Koalitionsverhandlungen ihren Abschluss gefunden hatten und es ans Regieren gehen sollte, war keine Rede mehr von einer Abschaffung des Ministeriums, vielmehr wurden mehrere Ressorts zusammengelegt. Aber es sollte mehr verändert werden als nur die Strukturen, es fand ein kompletter Paradigmenwechsel statt.

Wesentliche Umorientierungen sollte es geben, begrifflicher wie praktischer Natur. Ein frischer Wind sollte wehen, der frühere Kanzleramtsminister Horst Ehmke sprach im Nach-hinein von einer „Inflation der Reformen“[1]in allen Bereichen. War die Familienpolitik von den Sozialdemokraten bisher eher stiefmütterlich behandelt worden, versprach man sich nun von ihr die Durchsetzung hehrer Ziele wie den Ausgleich sozialer Ungerechtigkeit und die Emanzipation der Frau.

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der sozialliberalen Familienpolitik, mit deren Vorgeschichte, ihren Zielen und den von 1969 bis 1982 unter den vier sozialdemokratischen Familienministerinnen Käthe Strobel, Katharina Focke, Antje Huber und Anke Fuchs getroffenen Maßnahmen. Zunächst soll der politische und zeitpolitische Hintergrund näher beleuchtet werden, der die Reformen und Änderungen auch im Bereich der Familienpolitik prägte. Weiter werden die grundlegenden familienpolitischen Positionen der damals an der Regierung beteiligten Parteien untersucht, ehe die wesentlichen Veränderungen in der Familienpolitik herausgearbeitet werden. Schließlich soll anhand der Entwicklungen dieser Zeit bilanziert werden, in welchem Umfang die Koalition aus SPD und FDP ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden konnte, und was dauerhaft geblieben ist von der neuen Familienpolitik der sozialliberalen Koalition der Jahre 1969 bis 1982.

2. Historischer und politischer Hintergrund

Kaum eine Jahreszahl der bundesrepublikanischen Geschichte ist so symbolträchtig wie 1968, eine Zahl, die vor allem zum Synonym für Studentenproteste wurde, für eine Opposition die sich vom Parlament auf die Straße verlagert hatte. Den Studenten ging es unter anderem um den Krieg in Vietnam, den sie ablehnten, ebenso wie die Notstandsgesetze, die im Juni 1968 die alliierten Vorbehaltsrechte des Deutschlandvertrags ablösen und die Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte im Verteidigungsfall sicherstellen sollten.

In dieser Zeit schien vielen Wählern ein Wechsel erforderlich, von der vermeintlich trägen Großkoalition zu einer Regierung unter Führung der SPD, die ihren Reformwillen wie eine Fahne vor sich hertrug. Die Bundestagswahlen vom 28. September 1969 und die darauf folgende Bildung der SPD/FDP-Koalition bedeuteten einen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.[2]Das politische, soziale und geistige Umfeld, in dem Willy Brandt das Amt des Regierungschefs übernahm, ließ den Wechsel „nicht nur als routine-mäßigen institutionellen Vorgang, sondern als Auftakt einer weitreichenden Erneuerung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“[3]erscheinen. Optimistisch entwarf Brandt die Vision eines Neubeginns auf allen Gebieten. Frei von den Zwängen des politischen Tagesgeschäfts sollte relativ langfristig und rational an die Verwirklichung der ehrgeizigen Vorhaben herangegangen werden.[4]Dem Zeitgeist entsprechend, tauften die Ressorts praktisch alle Vorhaben in „Reformen“ um, die sich bald zu Hunderten addierten.

Finanziell stand die Bundesrepublik zum Zeitpunkt des Regierungswechsels 1969, keine drei Jahre nach der Rezession 1966/67, nicht schlecht da. Obwohl in diesem Jahr 1,8 Milliarden DM Schulden getilgt wurden, hatte die Große Koalition noch einen Haushaltsüberschuss von 1,5 Milliarden DM vorzuweisen. Das Bruttosozialprodukt stieg seit zwei Jahren um durchschnittlich fast acht Prozent und die Arbeitslosenzahl hatte sich von 600 000 im Jahr 1969 auf 243 000 vermindert – bei 720 000 offenen Stellen. Somit herrschte ein Arbeits-kräftemangel, dem nur durch das Anwerben weiterer Gastarbeiter beizukommen war. Dank dieser beachtlichen wirtschafts- und finanzpolitischen Bilanz der Großen Koalition konnte die sozialliberale Reformpolitik 1969 auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage beginnen.[5]

Außenpolitisch standen die Zeichen auf Entspannung, vor allem bei der Ostpolitik wurden neue Wege beschritten. Es galt, das Verhältnis zum Osten zu entideologisieren und auf eine pragmatische Grundlage zu stellen, getreu dem von Egon Bahr formulierten Motto „Wandel durch Annäherung“[6]. Im August 1970 wurde der Moskauer Vertrag mit der Sowjetunion unterzeichnet, der einen allgemeinen Gewaltverzicht und die Anerkennung der bestehenden Grenzen in Europa beinhaltete. Nur wenige Monate später folgte die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages, dessen Kern die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze bildete. Willy Brandts „Kniefall von Warschau“ vor dem Denkmal für die Gefallenen des Warschauer Ghettos symbolisierte – mehr als jeder Vertrag und alle Worte – den politisch-moralischen Versuch einer Vergangenheitsbewältigung und eines Neuanfangs. Den letzten Akt der neuen Ostpolitik bildete 1972 der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR“.

Im Verlauf der siebziger Jahre veränderten sich die politischen Rahmenbedingungen entscheidend hin zu einer Wirtschaftskrise globalen Ausmaßes und zunehmenden politischen Spannungen. Die ökonomischen Probleme erreichten 1972 ihren dramatischen Höhepunkt. Es kam zu einem Rückgang des Wachstums und zu zunehmender Arbeitslosigkeit bei weiter steigenden Preisen. Die bis dahin schärfste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik bahnte sich an, weiter geschürt auch durch die Folgen der Ölkrise 1973.[7]Von der glänzenden wirtschaftlichen Lage, die bei Machtübernahme der sozialliberalen Koalition 1969 geherrscht hatte, war bald nichts mehr zu spüren. Länder und Gemeinden hatten über ihre Verhältnisse gelebt, die Gewerkschaften waren nicht länger bereit, sich den gesamtwirtschaftlichen Er-fordernissen unterzuordnen und setzten hohe Einkommenszuwächse durch.[8]

Helmut Schmidt löste Willy Brandt 1974 als Regierungschef ab, der am Ende über die Affäre um den Spion Günther Guillaume gestolpert war. Der Kontrast von Helmut Schmidt zu seinem Vorgänger hätte nicht größer sein können – Schmidt war eine starke Führungspersön-lichkeit und ein Aktenarbeiter, den große wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenzen auszeichneten. Die Leitworte der Regierung Schmidt lauteten „Kontinuität und Konzen-tration“. Es galt fortan, gegen die Arbeitslosigkeit anzukämpfen und bestehende Arbeitsplätze zu sichern. Für kostspielige Reformen war nun kein Geld mehr da. Helmut Schmidt wurde zum Krisenmanager an allen Fronten, ob international auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1978 oder im Kampf gegen Extremismus und Terror im eigenen Land. Der organisierte Terroris-mus der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) erschütterte in den siebziger Jahren die Bundesrepublik und erreichte seinen Höhepunkt im „deutschen Herbst“ 1977.

In die Regierungszeit der sozialliberalen Koalition fiel auch das Erwachen der neuen sozialen Bewegungen, etwa der „neuen Frauenbewegung“, die sich mit Kampagne gegen den „Abtrei-bungsparagraphen 218“ 1971 einem breiteren Publikum öffnete. Mit der Friedensbewegung, die im Sommer 1980 entstand und ihren ersten Höhepunkt in einer Großdemonstration in Bonn am 10. Oktober 1981 erreichte, an der annähernd 300 000 Menschen teilnahmen, ge-wannen die neuen sozialen Bewegungen eine qualitativ andere Dimension. Eines der nachhal-tigsten Ergebnisse der neuen sozialen Bewegungen war in den siebziger Jahren die Entwick-lung der „Grünen“, die sich am 13. Januar 1980 in Karlsruhe als Bundespartei konstituierten.[9]

Als Helmut Schmidt bald nur noch wenig Rückhalt in der SPD besaß und sich die Koalitionspartner zudem in einigen Grundfragen entzweit hatten, rückte das Ende der sozialliberalen Koalition immer näher. Am 1. Oktober 1982 kam es durch ein konstruktives Misstrauensvotum zum Regierungswechsel, Oppositionsführer Helmut Kohl wurde neuer Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.

3. Familienpolitik der sozialliberalen Koalition 1969 – 1982

3.1. Ausgangslagen

3.1.1. Sozialdemokratie und Familienpolitik

Bevor es 1969 zur sozialliberalen Koalition kam, war die SPD der institutionalisierten Familienpolitik wie bereits angedeutet mit Skepsis, manchmal auch mit Spott begegnet. Im Wahlkampf 1969 hatte man gar die Abschaffung des Familienressorts angekündigt. Stattdessen kam es nur zu einer Umorganisation der Ressorts und zur Bildung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit. Die erste sozialdemokratische Familienministerin Käthe Strobel erklärte, dass man sich bisher vor allem an der weltanschau-lichen Ausrichtung der Familienpolitik gestört habe.

Das neue familienpolitische Konzept der SPD ging von anderen Vorzeichen aus als das der Union, die Sozialdemokraten entwickelten die bis heute für sie gültige Definition „Familie ist, wo Kinder sind“[10]. Bereits im Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1959, das besser bekannt wurde unter dem Namen „Godesberger Pro-gramm“, ist weniger von der Familie die Rede als von der gleichberechtigten Frau. Die Gleichberechtigung müsse „rechtlich, sozial und wirtschaftlich“[11]verwirklicht werden, der Frau müssten die gleichen Möglichkeiten für Erziehung und Ausbildung, für Berufswahl, Berufsausübung und Entlohnung geboten werden wie dem Mann. Dabei solle die Gleichberechtigung die Beachtung der „psychologischen und biologischen Eigenarten der Frau“[12]nicht aufheben. Hausfrauenarbeit müsse als Berufsarbeit anerkannt werden, Hausfrauen und Mütter bedürften besonderer Hilfe. Bei aller Gleichstellung im Berufsleben dürften allerdings „Mütter von vorschulpflichtigen und schulpflichtigen Kindern nicht genö-tigt sein, aus wirtschaftlichen Gründen einem Erwerb nachzugehen“[13].

Staat und Gesellschaft hätten die Familie zu schützen, zu fördern und zu stärken. In der materiellen Sicherung der Familie liege die Anerkennung ihrer ideellen Werte. Auch von einem Familien-Lastenausgleich im Steuersystem, von Mutterschaftshilfe und von Kindergeld als wirksamen Schutzmaßnahmen der Familie ist die Rede.[14]

[...]


[1]Görtemaker, Manfred: Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. München 2002, S. 223.

[2]Vgl. ebd., S. 189.

[3]Ebd., S. 213.

[4]Vgl. ebd., S. 221 f.

[5]Vgl. ebd., S. 182.

[6]Ebd., S. 187 – 189.

[7]Vgl. ebd., S. 251.

[8]Vgl. ebd., S. 256 f.

[9]Vgl. ebd., S. 281 – 287.

[10]Gerlach, Irene: Familienpolitik. Wiesbaden 2004, S. 133.

[11]Hergt, Siegfried: Parteiprogramme. SPD – CDU – CSU – FDP – DKP – NPD. Eine Dokumentation der Grundsatzprogramme und aktueller politischer Ziele. Opladen 1974, S. 80.

[12]Ebd.

[13]Ebd.

[14]Vgl. ebd.

Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Vom Paradigmenwechsel zum Pragmatismus in Krisenzeiten - sozialliberale Familienpolitik von 1969 bis 1982
Université
Catholic University Eichstätt-Ingolstadt
Cours
Hauptseminar
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
23
N° de catalogue
V58668
ISBN (ebook)
9783638528016
ISBN (Livre)
9783638825511
Taille d'un fichier
522 KB
Langue
allemand
Mots clés
Paradigmenwechsel, Pragmatismus, Krisenzeiten, Familienpolitik, Hauptseminar
Citation du texte
Stefan Fößel (Auteur), 2006, Vom Paradigmenwechsel zum Pragmatismus in Krisenzeiten - sozialliberale Familienpolitik von 1969 bis 1982, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58668

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