Souveränität und sogenannte humanitäre Intervention zum Schutz von Minderheiten


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2002

22 Pages, Note: Seminarschein


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Der Begriff der humanitären Intervention
1. Definition
a. Umstrittene Punkte
b. Definition
2. Verhältnis zwischen Gewalt- und Interventionsverbot

III. Die humanitäre Intervention mit Genehmigung des UNO-Sicherheitsrates
1. Voraussetzungen
2. Beispiele

IV. Die humanitäre Intervention ohne Genehmigung des UNO-Sicherheitsrates
1. Voraussetzungen
2. Praktische Bedeutung
3. Verstoss gegen das Gewaltverbot?
4. Mögliche Rechtfertigungsgründe
a. Rechtfertigungsgrund der kollektiven Verteidigung gemäss Art. 51 UNO-Charta und der Nothilfe
b. Rechtfertigungsgrund des Notstandes
c. Zulässigkeit von Repressalien
5. Zusammenfassung der Argumente gegen die Zulässigkeit der humanitären Intervention
6. Schlussfolgerung
7. Legitimität jenseits der Legalität?
8. Mögliche Lösungswege
a. Änderung des Beschlussverfahrens des UNO-Sicherheitsrats
b. Stärkung der UNO-Generalversammlung
c. Auslagerung der Entscheidungskompetenz
d. Kodifizierung der Voraussetzungen der humanitären Intervention
e. Minimierung des Missbrauchsrisikos als Mindestlösung
f. Bewertung der Vorschläge
9. Die Zukunft der humanitären Intervention
a. humanitäre Intervention als Mittel des Minderheitenschutzes
b. Ende der staatlichen Souveränität zugunsten des Menschenrechtsschutzes?

V. Zusammenfassung

LITERATURVERZEICHNIS

Bleckmann Albert, Völkerrecht, Baden-Baden 2001.

Busse Christian, Völkerrechtliche Fragen zur Rechtmässigkeit des Kosovo-Krieges, ZRP 1999, S.416-420.

Doehring Karl, Völkerrecht, Heidelberg 1999.

Habermas Jürgen, Bestialität und Humanität. Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral, in: Merkel Reinhard (Hrsg.), Der Kosovo Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt a.M. 2000, S. 51-66.

Hailbronner Kay, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Vitzthum Wolfgang (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage, Berlin 2001, S. 161-267.

Höffe Otfried., Humanitäre Intervention? Rechtsethische Überlegungen, in: Merkel Reinhard (Hrsg.), Der Kosovo Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt a. M. 2000, S. 167-187.

Ipsen Knut, Der Kosovo-Einsatz – Illegal? Gerechtfertigt? Entschuldbar?, in: Merkel Reinhard (Hrsg.), Der Kosovo Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt a. M. 2000, S. 160-167.

Ipsen Knut, Völkerrecht, 4. Auflage, München 1999.

Kälin Walter, Humanitäre Intervention: Legitimation durch Verfahren? Zehn Thesen zur Kosovo-Krise, SZIER 10 (2000), S. 159-176.

Kimminich Otto/Hobe Stephan, Einführung in das Völkerrecht, 7. Auflage, Tübingen 2000.

Klein Eckart, Die internationalen und supranationalen Organisationen, in: Vitzthum Wolfgang, Völkerrecht, 2. Auflage, Berlin 2001, S. 267-379.

Pradetto August, Die Nato, humanitäre Intervention und das Völkerrecht, Das Parlament (Beilage) 11 (1999), S. 26-41.

Preuss Ulrich K., Der Kosovo-Krieg, das Völkerrecht und die Moral, in: Merkel Reinhard (Hrsg.), Der Kosovo Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt a. M. 2000, S. 115-138.

Schilling Theodor, Zur Rechtfertigung der einseitigen gewaltsamen humanitären Intervention als Repressalie oder als Nothilfe, AVR 35 (1997), S. 430-458.

Westerdiek Claudia, Humanitäre Intervention und Massnahmen zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland, AVR 21 (1983), S. 383-401.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. EINLEITUNG

Im Vorfeld des Kosovo-Krieges, den die NATO gegen die Restbestände der Bundesrepublik Jugoslawien zum Schutz der albanischen Minderheit führte, ist eine breite Diskussion darüber entbrannt, inwieweit es völkerrechtlich zulässig sein kann, wenn eine Staatengruppe in humanitärer Absicht in einem anderen Staat militärisch interveniert. Die Völkerrechtslehre bleibt in dieser Frage gespalten. Entscheidend ist in der Problematik der humanitären Inter-vention letztlich aber vor allem die Frage, ob ethisch-moralische Erwägungen ein Handeln an den und, wie in dieser Arbeit zu zeigen sein wird, jenseits der Grenzen des rechtlich Zulässi-gen zu rechtfertigen vermögen. Immer bedenken sollte man dabei, dass durch die Anerken-nung des Instituts der humanitären Intervention nichts weniger als „die Unabhängigkeit des Nationalstaates zur Disposition gestellt“ wird[1].

Im ersten Teil der Arbeit soll der Begriff der humanitären Intervention definiert werden. Im zweiten Teil wird der Fall der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen genehmigten Inter-vention kurz behandelt. Drittens soll vertieft auf den im Kosovo-Krieg aktuell gewordenen Fall einer humanitären Aktion ohne eine solche Genehmigung und ihre mögliche Rechtferti-gung eingegangen werden. Viertens werden verschiedene Vorschläge zur Absicherung und Einschränkung des Instituts der humanitären Intervention kritisch erläutert und die Frage nach dem Bedeutungsverlust der staatlichen Souveränität zugunsten des Menschenrechtsschutzes gestellt.

II. DER BEGRIFF DER HUMANITÄREN INTERVENTION

1. DEFINITION

a. Umstrittene Punkte

Nur die Konturen einer Definition sind unbestritten: Eine humanitäre Intervention ist das Eingreifen mindestens eines Staates in einem anderen Staat unter Missachtung des Interven-tionsverbots gemäss Art. 2 Abs. 7 UNO-Charta zum Schutz einer Menschengruppe vor Men-schenrechtsverletzungen. Unklar bleibt vorerst der Personenkreis, zu dessen Gunsten die humanitäre Intervention erfolgen darf, und die verwendeten Mittel.

In erster Linie will ein Staat seine eigenen Staatsangehörigen, die sich im Ausland befinden, vor Menschenrechtsverletzungen schützen. Dazu steht das Institut des diplomatischen Schut-zes zur Verfügung, das nicht unter den Begriff der humanitären Intervention fällt.[2] Ebenfalls nicht zur humanitären Intervention zu zählen, ist der nach bestrittener Auffassung zulässige gewaltsame Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland im Sinne einer Selbstverteidigungs-handlung vor einer Bedrohung an Leib und Leben[3].

Alle humanitären Hilfsaktionen, die nicht unter der Anwendung von Waffengewalt durchge-führt werden, fallen nicht unter den Begriff der humanitären Intervention. Das Eingreifen auf Einladung einer Regierung ist eine Hilfeleistung, keine Intervention.[4]

Aus all dem ergibt sich folgende Definition.

b. Definition

„Unter humanitärer Intervention ist die Anwendung von Waffengewalt zum Schutz der Bevölkerung eines fremden Staates vor Menschenrechtsverletzungen zu verstehen.“[5] Die betroffene „Bevölkerung“ wird in den meisten Fällen aus Angehörigen einer Minderheit in dem Staat bestehen.[6]

2. VERHÄLTNIS ZWISCHEN GEWALT- UND INTERVENTIONSVERBOT

Die humanitäre Intervention berührt die Problemfelder des Gewaltverbots gemäss Art. 2 Abs. 4 UNO-Charta und des Interventionsverbots gemäss Art 2 Abs. 7 UNO-Charta. Der Begriff „humanitäre Intervention“ verleitet dazu, die Verletzung des Interventionsverbots ins Zentrum der Problematik zu stellen. Begünstigt wird diese Ansicht durch die angelegentliche Berufung vieler autoritär regierter Staaten auf die absolute staatliche Souveränität, die sie als den vor allen anderen Prinzipien Vorrang geniessenden Grundsatz des Völkerrechts verstan-den wissen wollen. Wichtig ist daher der Hinweis, dass das Gewaltverbot gegenüber dem allgemeinen Interventionsverbot die speziellere Rechtsnorm darstellt.[7] Die Prüfung der Zu-lässigkeit einer humanitären Intervention hat demnach primär beim Gewaltverbot anzusetzen.

III. DIE HUMANITÄRE INTERVENTION MIT GENEHMIGUNG DES UNO-SICHERHEITSRATES

1. VORAUSSETZUNGEN

Die Charta der Vereinten Nationen kennt zwei Situationen, in denen ein Staat Gewalt anwen-den darf. Erstens im Fall eines bewaffneten Angriffs zur Selbstverteidigung (Art. 51 UNO-Charta), solange der UNO-Sicherheitsrat „die zur Wahrung des Weltfriedens nötigen Mass-nahmen“[8] nicht ergriffen hat. Zweitens kann der Sicherheitsrat, falls er feststellt, dass „eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt“ (Art. 39 UNO-Charta), mit Streitkräften „die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Massnahmen durchführen“ oder von Mitgliedern der Vereinten Nationen durchführen lassen.

Die Feststellung einer Bedrohung oder eines Friedensbruches sowie das Anordnen von mili-tärischen Massnahmen bedarf wie jeder Beschluss des Sicherheitsrates einer zustimmenden Mehrheit von mindestens neun der fünfzehn Mitglieder, einschliesslich der Zustimmung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Grossbritannien, Frank-reich).[9]

2. BEISPIELE

Ein Beispiel für die Anwendung von Art. 39 UNO-Charta ist die Autorisation der alliierten Streitkräfte unter der Führung der USA zur Befreiung von Kuwait von der irakischen Besatzung;[10] ein anderes der Beschluss über den Einsatz von UNO-Truppen im Kriegsgebiet von Somalia.[11] Der Sicherheitsrat kann eine Friedensbedrohung auch dann annehmen, wenn
es nicht unmittelbar um Auseinandersetzungen zwischen Staaten geht, sondern in erster Linie Menschenrechte bedroht sind.[12] Ein Beispiel dafür ist der Schutz der kurdischen Flüchtlinge im Nordirak nach dem Zweiten Golfkrieg.[13] Die Flüchtlingsströme stellten laut dem Sicherheitsrat eine Bedrohung des Friedens dar. Obwohl diese Schlussfolgerung konstruiert erscheint, hat sich die Staatengemeinschaft soweit ersichtlich mit der erweiterten Auslegung der UNO-Charta abgefunden, wonach auch Menschenrechtsverletzungen in den Schutzbe-reich von Art. 39 UNO-Charta fallen können.[14]

IV. DIE HUMANITÄRE INTERVENTION OHNE GENEHMIGUNG DES UNO-SICHERHEITSRATES

1. VORAUSSETZUNGEN

Der Fall einer Intervention ohne Genehmigung des Sicherheitsrates ist in der UNO-Charta nicht erwähnt. Es fehlt dementsprechend auch jede verbindliche Festlegung, wann eine Intervention als humanitär zu bezeichnen ist. Gemäss der Definition ist sie dies nur, wenn sie zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen erfolgt. Diese Verletzungen müssen in grosser Zahl erfolgen, von elementarster Natur sein und eine Bedrohung für Leib und Leben darstellen. Eine Intervention kann sodann nur als humanitär bezeichnet werden, wenn sie sich in ihren Mitteln, ihrer Dauer und ihrer Intensität strikt dem Gebot der Verhältnismässigkeit unterwirft und wenn sie als das mildeste geeignete Mittel erscheint, um den angestrebten Menschenrechtsschutz zu gewährleisten.[15] Dass in einem sich über Wochen erstreckenden Krieg mit vielen Einsätzen womöglich nicht jede einzelne Bombe einer strengen Verhältnismässigkeitsprüfung standhält oder dass eine solche Prüfung ex post oft nicht möglich ist, leuchtet ein. Militäreinsätze von „chirurgischer Präzision“ entsprechen eher Wunschdenken als der Realität; ob eine militärische Aktion im einzelnen verhältnismässig ist, bleibt eine unklare Auslegungsfrage.

2. PRAKTISCHE BEDEUTUNG

Die humanitäre Intervention ohne Genehmigung des Sicherheitsrates erlangte vor allem Bedeutung im Kosovo-Krieg im Jahr 1999. Angesichts der breiten Diskussion, die seither über nicht einfache ethische und (völker)rechtliche Fragestellungen in einer breiten Öffent-lichkeit geführt wird, und der Bedeutung des Kosovo-Krieges für die Entwicklung des Menschenrechts- und Minderheitenschutzes, ist es angebracht, die Ereignisse in einem groben Raster hier in Erinnerung zu rufen.

Ende 1997 erfuhr die Welt von schlimmen Greueltaten auf dem Gebiet der serbischen Provinz Kosovo. Trotz diplomatischer Bemühungen konnte der Gewalt von serbischen Sicherheits-kräften und jugoslawischer Armee an der albanischstämmigen Zivilbevölkerung auch im darauffolgenden Jahr kein Einhalt geboten werden. Der UNO-Sicherheitsrat sah zwar die Aussichtslosigkeit, in absehbarer Zeit zu einer befriedigenden Verhandlungslösung zu kommen, konnte sich aber nicht zum entscheidenden Schritt entschliessen, die euphemisie-rend „ethnische Säuberungen“ genannten Vertreibungs- und Mordaktionen an den Kosovo-Albanern als Bedrohung oder Bruch des Frieden gemäss Art. 39 UNO-Charta zu deklarieren und damit eine Intervention zu ermöglichen.[16] Die Gründe dafür waren rein politische: Vor allem Russland wehrte sich in erster Linie aus innen- und machtpolitischen Beweggründen gegen eine Militäraktion im Kosovo und machte deutlich, dass es eine entsprechende Reso-lution mit seinem Veto verhindern würde.

[...]


[1] Habermas, S. 57.

[2] Kimminich/Hobe, S. 303.

[3] Ipsen, Völkerrecht, §59 RN 26; näheres zur Intervention zum Schutz eigener Staatsangehöriger: ebd. RN 33ff.

[4] Hailbronner, RN 223.

[5] Ipsen, Völkerrecht, §59 RN 26.

[6] Siehe die nachfolgenden Beispiele, in erster Linie die „ethnischen Säuberungen“ im Kosovo.

[7] So entschieden Westerdiek, S. 386, auch mit dem Hinweis, dass sich das Interventionsverbot gemäss Art. 2 Abs. 7 UNO-Charta an die Organe der Vereinten Nationen, nicht an die Staaten selbst richte. Vgl. auch Kimminich/Hobe S. 303.

[8] Art. 51 Abs. 1 UNO-Charta.

[9] Vgl. Art. 23 UNO-Charta (Zusammensetzung des Sicherheitsrates) und Art 27 UNO-Charta (Abstimmung).

[10] Resolution Nr. 661 vom 6.8.1990.

[11] Resolution Nr. 794 vom 3.12.1992.

[12] Doehring, RN 1010.

[13] Resolution Nr. 688 vom 5.4.1991. Die Relevanz dieser Resolution besteht ungeachtet der Tatsache, dass sich das Eingreifen der USA und Grossbritanniens zum Schutz kurdischer Flüchtlinge nicht auf sie stützte.

[14] Vgl. Doehring, RN 1010.

[15] Die Kriterien sind mit den in vielen nationalen Rechten gestellten Anforderungen an eine Notstandshandlung weitgehend identisch.

[16] Die vom damaligen deutschen Aussenminister Kinkel als „Sprungbrett-Resolution“ bezeichnete Resolution Nr. 1199 vom 23.9.1998, worin in der Verschlechterung der Lage im Kosovo eine „Gefahr für Frieden und Sicherheit in dieser Region“ festgestellt wurde, war keine genügende rechtliche Grundlage im Sinne von Art. 39 UNO-Charta.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Souveränität und sogenannte humanitäre Intervention zum Schutz von Minderheiten
Université
University of Basel  (Juristisches Institut)
Note
Seminarschein
Auteur
Année
2002
Pages
22
N° de catalogue
V5869
ISBN (ebook)
9783638136013
Taille d'un fichier
557 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kosovo-Krieg; Nato; UNO; Menschenrechte
Citation du texte
Conradin Cramer (Auteur), 2002, Souveränität und sogenannte humanitäre Intervention zum Schutz von Minderheiten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5869

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