Der Singlebegriff im Wandel der Zeit. Zwischen persönlicher Unabhängigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung


Dossier / Travail de Séminaire, 2010

24 Pages, Note: 2,0

N. H. (Auteur)


Extrait


1. Einleitung

2. Die Untersuchung der Begrifflichkeiten
2.1 Alte Jungfern und Hagestolz
2.2 Wer kann als Single definiert werden?

3. Die Rolle der Familie
3.1 Die Familie als soziales Netzwerk
3.2 Familie im historischen Rückblick

4. Individualisierung der Gesellschaft?
4.1 Was bedeutet Individualisierung?

5. Fazit

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Das Phänomen der Singles stellt ein Thema dar, welches heutzutage in Deutschland besonders zu beobachten ist. Gerade durch die hohen Zahlen von Alleinlebenden und Einpersonenhaushalten, den niedrigen Geburtenraten gelangt das Phänomen in den Fokus der Öffentlichkeit und führt zu zahlreichen Debatten. Gleichzeitig hat sich die Lebensform zu einem wichtigen wie auch interessanten Untersuchungsfeld in der Wissenschaft entwickelt. Das Thema stellt sich dabei als recht komplex dar, da es eine Vielzahl von Begriffsbestimmungen gibt, die eine präzise Definition des Terminus ‚Singles‘ scheinbar unmöglich machen. Hinzu kommt die Verwendung verschiedener Begrifflichkeiten, die entweder als Synonym oder nur mit unwesentlichen Unterscheidungen hinsichtlich ihrer Bedeutung verwendet werden. Beispielhaft sollen hier die Begriffe Ehelose, Ledige sowie Männer und Frauen, die in Einpersonenhaushalten leben, angeführt werden.

Dem gegenüber war die Familienstruktur im Mittelalter und der frühen Neuzeit oft dadurch gekennzeichnet, dass drei bis vier Generationen zusammen lebten. Hinzu kamen meist noch Mägde und Knechte, um die zahlreichen Aufgaben zu erledigen. Im industriellen Zeitalter begann sich die Familiengröße bereits zu reduzieren, da eine Trennung von Arbeit und Privatleben erfolgte. Die Familie gibt es natürlich heute auch noch, jedoch rückte eine andere Lebensform immer mehr in den Vordergrund. Die Rede ist von den ‚Singles‘.

Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vollzog sich in Deutschland ein Wandel in der Gesellschaft, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wurde. Industrialisierung, Wohlstand sowie zwei Weltkriege, welche die politische Staatsmacht ablösten und durch demokratischen Pluralismus ersetzten. Das Ergebnis beider Kriege bestand im Verlust von Millionen von Familienmitgliedern, wobei es sich vorwiegend um Männer handelte. Dies hatte zur Folge, dass die Familienstruktur temporär beeinflusst und verändert wurde. Millionen Frauen wurden zu Witwen und damit auch zu Alleinlebenden oder Alleinerziehenden in der Gesellschaft.

Die Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch Individualisierung und Emanzipation. Gerade die Individualisierung, die sich vorwiegend auf der Grundlage der industriellen Revolution entwickelte, verursachte einen sukzessiven Wandel in der Gesellschaft. Veränderungen fanden beispielsweise im Bereich Familie, Kultur, Lebensform und Arbeitswelt statt. Auf Grund von Untersuchungen zu den Fragen, welche Lebensbereiche sich durch die individuellen Einflüsse weiterentwickelten haben, sowie über den eigentlichen Beginn der Individualisierung, entstand eine kontroverse Debatte zwischen zahlreichen Wissenschaftlern.1 Dabei stützen sich viele Forscher zum Ende des 20. Jahrhunderts auf die ‚Individualisierungsthese‘ von Beck.

Überall wird die Form des Alleinlebens und deren Bezeichnung ‚Single‘ verwendet, sei es im Fernsehen, im Internet, im Radio oder in der Literatur. Dabei entsteht immer mehr der Eindruck, dass sich heutzutage eine ‚Singlegesellschaft‘ gebildet hat, in der die Menschen ihre sogenannten Freiheiten und Unabhängigkeiten ausleben können. Doch werfen sich zu diesem Themengebiet folgende Fragen auf: Wer ist überhaupt eine ‚Single‘ und wo genau finden sich vor dem historischen Hintergrund der traditionellen Familie die Ursachen hierfür? Dazu stellt sich die Frage, seit wann es diese Lebensform überhaupt gibt? Ist im ‚Single‘ ein Phänomen unserer postmodernen Zeit zu sehen und welche Rolle spielen Individualisierung und Emanzipation dabei?

In der folgenden Seminararbeit sollen diese Fragen, anhand einer Darstellung des Phänomens der ‚Singles‘ und der Familie in der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, näher erläutert und beantwortet werden.

2. Die Untersuchung der Begrifflichkeiten

Die Untersuchung dieser Fragestellungen macht es nötig, methodisch aufbauend vorzugehen, gewissermaßen Stein auf Stein zu setzen. Zunächst sind deshalb grundlegende Informationen erforderlich, weshalb wir uns zuerst der eigentlichen Begriffsbestimmung zuwenden und dabei eine Zuordnung von bestimmten Eigenschaften und Kriterien vornehmen. Der Autor will dadurch eine Abgrenzung der Termini ‚Ledige und Singles‘ aufzeigen und darstellen, welche Komponenten berücksichtigt werden müssen und welche Differenzierungen sich daraus ergeben. Dabei wird durch einen komprimierten, historischen Rückblick die Entwicklung des Begriffes ‚Ledig‘ dargelegt und versucht einen Einblick in die Lebenswelt der so genannten ‚alten Jungfern und Hagestolze‘ von der Frühen Neuzeit bis etwa 1960 zu geben. Dabei soll auch die gesellschaftliche Akzeptanz dieser ‚Lebensform‘2 untersucht werden. Im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung der ‚neuen‘ Lebensweise ‚Single‘ bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts.

2.1 Alte Jungfern und Hagestolz

Eine Analyse der Ledigen in der frühen Neuzeit bedarf zu Beginn einen ‚Blick‘ auf Gefahren, mit denen sich die Bevölkerung in der damaligen Epoche auseinanderzusetzen hatte. Dadurch sollen die Probleme verdeutlicht und darauf aufbauend die Schutzeinrichtungen erläutert werden. Daran anschließend werden Ledige genauer untersucht, also wie sie begrifflich terminiert wurden und was sie charakterisierte.

Das Leben der Bevölkerung in der Frühmoderne war gekennzeichnet durch Kriege, Seuchen und Missernten. Vor allem in ländlichen Gebieten waren die Menschen äußeren Gefahren ausgesetzt und konnten nur auf Schutz in den Siedlungen hoffen. Auf Grund der zahlreichen Gefahren und den mangelnden Schutzvorrichtungen, schlossen sich die Menschen eng zusammen. Daraus entstanden eine Vielzahl sogenannter ‚Schutzgemeinschaften‘, wie Kloster- oder Zunftgemeinschaften, mit dem Ziel zu überleben. Den wichtigsten Zufluchtsort stellte aber die Hausgemeinschaft und die Familie dar.3

Des Weiteren gab es nur vereinzelt Einrichtungen, vorwiegend im städtischen Bereich, die sich um Pflegebedürftige, Invaliden und Ältere kümmerten. Wer sollte also diese Menschen unterstützen, ihnen Unterkunft und Essen gewähren? Finanzielle Unterstützung gab es nicht, daher übernahm die Familie diese Aufgaben. Dabei erfüllte sie nicht nur Schutz- und Pflegefunktion, sondern erledigte auch Sozialisationsaufgaben, ergo die Erziehung und Schulbildung der Kinder. Folglich lässt sich sagen: „Die Familie ersetzte [Schule], Krankenhaus und Altersheim, sie fing Witwen und Waisen auf, sie leistete Hilfe und Vorsorge. Sie bildete das Zentrum des Lebens.“4

Die Vielzahl an Aufgaben verdeutlicht, dass ein Mehrpersonenhaushalt notwendig war, um diese bewältigen zu können. Zur Erledigung der Arbeiten sowie für die Sicherstellung der Versorgung, war daher eine Arbeitsteilung von Nöten. Ein Leben als Ledige/ -r scheint daher aus existenziellen Gründen beinah unmöglich gewesen zu sein. Wie sollte man als Alleinlebende/ -r die zahlreichen Aufgaben erledigen können, wenn dafür, wie eben beschrieben, mehrere Personen notwendig waren? Demzufolge scheint die Aussage logisch, dass die Lebensform ‚ledig‘ in der frühen Neuzeit ‚fast‘ ausschließlich ungewollt war, sprich ein Leben als Witwe/Witwer.5 Verfolgt man die Möglichkeit des Alleinlebens weiter, so bekräftigen die Ansichten der Kirche sowie der Gesellschaft zur Ehe, dessen Schwierigkeit. Denn einzig die Lebensgemeinschaft Ehe galt als legitim und war anerkannt. Allein der eheliche Verbund von Mann und Frau erlaubte moralisch betrachtet Sexualität und die Zeugung von Kindern. Dagegen wurden uneheliche Geborene und ihre Mütter öffentlich denunziert. Darüber hinaus war die Ehe ein Privileg, weil nur der heiraten durfte, wer finanziell unabhängig war. Das Ehepaar wurde folglich als vollwertiges Mitglied anerkannt, weil der eheliche Bund Ansehen in der Gesellschaft hatte. Dadurch konnte der Ehemann ein öffentlichen Amtes bekleiden, während einem Ledigen dies nicht erlaubt war.6

An diesem Punkt stellt sich deshalb die Frage, ob es, außerhalb der Witwenschaft, überhaupt die Lebensform ‚alleinlebend‘ gab? Wenn es sie gab, wie wurden sie von der Gesellschaft beurteilt? Hießen Ledige damals auch ‚Singles‘? Es gab Alleinstehende. Jedoch stößt der Historiker nur selten auf Quellen von Ledigen in der Frühmoderne. Diese Aussage wird am Beispiel der Bevölkerung Frankreichs mit Zahlen noch bekräftigt. Diese weisen einen geringen Anteil Lediger bei der Generation von 1660 auf, wobei 7 Prozent auf Frauen und 3,9 Prozent auf Männern entfallen.7

Die Frage, ob Ledige in der frühen Neuzeit ‚Singles‘ hießen, kann eindeutig mit Nein beantwortet werden, da der Begriff ‚Single‘ erst seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts besteht, worauf im später Verlauf näher eingegangen wird. Eine Untersuchung der Termini zeigt aber, dass vor allem zwei Begriffe von Alleinlebenden in der Gesellschaft umgangssprachlich angewandt wurden. Die ledige Frau erhielt die Bezeichnung ‚alte Jungfer‘, wobei Jungfer die Abkürzung von Jungfrau ist. Im Mittelalter galt der Ausdruck zunächst ausschließlich als Standesbezeichnung. Ab der frühen Neuzeit, wurde unter dem Gesichtspunkt der sexuellen Unberührtheit, eine Verbindung zu alleinlebenden Frauen hergestellt.8 Der Zusatz ‚alte‘ Jungfer diente nun einerseits als Anspielung auf das hohe Alter, auf die damit einhergehenden körperlichen Veränderungen und Unfruchtbarkeit. Anderseits stand er für Hohn und Spott gegenüber den Frauen, die nicht verheiratet waren und keine Kinder besaßen. Man könnte beinah behaupten, sie galten aus Sicht der Verheirateten als abkömmlich und nutzlos für die Familie und damit auch für die Gesellschaft. Weitere Schimpfwörter für ledige Frauen im fortgeschrittenem Alter waren beispielsweise ‚alte Schachtel, Betschwester und Backobst‘.9 Durch diese Beschimpfungen entstand das Vorurteil von ‚gewollt‘ ledigen Frauen, die nie heiraten und so als alte Jungfer sterben würden.

Wichtig dabei ist die Unterscheidung von zwei Arten lediger Frauen, denn es gab „diejenigen, die aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Umstände ‚schuldlos‘ dazu geworden waren, und solche, die sich dem von Zeitgenossen […] übernommenen Vorwurf der ‚Überweiblichkeit’ aussetzen mußten ‚die ins Männliche umschlug‘.“10 Der zweite Typus, die sich freiwillig für das Ledig-Dasein entschieden hatten, wurde von der Gesellschaft nicht akzeptiert, weil es gegen die Bestimmung der Frau war. Das gesellschaftliche ‚Idealbild‘ der Frau sah vor, dass sie heiratete, Kinder gebar und sich um Familie und Haushalt kümmerte. Dementsprechend konnte die alte Jungfer nie vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden. Des Weiteren verband man mit ledigen Frauen Eigenschaften wie unweiblich, prüde, verbittert und lieblos. Diese Merkmale zeichneten, bis weit in das 19. Jahrhundert, die alte Jungfer aus.11

Zu erwähnen ist noch der Gesichtspunkt, dass sich neben den ‚Frauentypen‘ Gattin und alte Jungfer, die Berufsfrau sukzessiv entwickelte. Die selbstständige arbeitende Frau, die nicht mehr finanziell auf ihren Mann angewiesen sein wollte, ging aus der Frauenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts hervor. Diese Emanzipationsbewegung forderte mehr Bildungschancen, Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben und mehr Rechte für die Frauen. Interessant hierbei ist der drohende Machtverlust der Baumgarten, Katrin: Hagestolz und Alte Jungfer – Entwicklung, Instrumentalisierung und Fortleben von Klischees und Stereotypen über Unverheiratetgebliebene, Münster 1997, S. 8 f. Vgl.: Ebenda, S. 9.

Männer, weil diese bis dahin ausschließlich ein Recht auf Bildung besaßen. Im Zuge der Frauenbewegung entstand die Bezeichnung ‚Blaustrümpfe‘. Die Beschimpfung sollte verdeutlichen, dass die Frauen der Bewegung als unweiblich galten, sowie ihre Pflichten gegenüber dem Mann und der Familie vernachlässigten. „Grundsätzlich galten (…) im 19. Jahrhundert Ehe und Beruf als für eine Frau nicht vereinbar, ebensowenig Attraktivität und Bildung (…).“12

Der zweite Terminus bezieht sich auf die ledigen Männer, die als ‚Hagestolze‘ bezeichnet wurden, also dem Pendant zur alten Jungfer. Während die Bezeichnung im 14. Jahrhundert noch für einen Stand im Berufsleben galt, benutzte man ihn ab dem 16. Jahrhundert als Begriff für alleinlebende Männer im fortgeschrittenen Alter. Die Bezeichnung wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein verwendet und verlor danach an Bedeutung. Weitere negativ behaftete Ausdrücke waren zum Beispiel ‚alter Sack, Platteisen oder Stautzenfresser‘.13

Ein Vergleich zwischen ledigen Frauen und Männern in Bezug auf ihre Lebensumstände in der Frühmoderne zeigt, dass der Mann einen Beruf ausüben und studieren konnte und folglich finanziell unabhängig war. Die Frau war dagegen auf die Versorgung des Ehemanns angewiesen. Ein weiterer Aspekt ist die sogenannte ‚aktive Rolle‘ des Mannes, der sich seine Ehefrau auswählte. Während die Frau nur einen ‚passiven Part‘ einnahm und sich der Entscheidung von Mann und Familie fügen musste. Hier „konnte dem Junggesellen als ‚aktivem Träger der Ehelosigkeit‘ ein direkter persönlicher Vorwurf gemacht werden.“14 In Bezug darauf wurde auch eine Verbindung zu der stetig wachsenden Zahl lediger Frauen gesehen, die wegen den heiratsunwilligen Männer anstieg. Die Lebenseinstellung der ledigen Männer erhielt ebenfalls keine Akzeptanz in der Gesellschaft. Die gewollte Ehelosigkeit sah man einerseits als ‚Bedrohung der Familie‘ an, anderseits galten Hagestolze nicht als vollwertige Männer. Erwähnenswert ist an dieser Stelle der Aspekt, dass es verheiratete Männer gab,die auf die Lebensführung von Alleinlebenden neidisch waren. Während die Verheirateten die Versorgung der Familie sicherstellen mussten, lebten Hagestolze ihr Leben ohne Verpflichtungen. Weiterhin konnten ledige Männer noch im hohen Alter heiraten und Familie gründen, sei es nur aus Gründen der Pflege.15

Abschließend lässt sich die Aussage treffen, dass Frauen in der Frühmoderne bis hinein in das Industriezeitalter mit ihrem Engagement nach mehr Gleichberechtigung, Bildung sowie der Unabhängigkeit vom Mann, Bewegung in die Geschlechterrollen gebracht haben. „Wenn nun Männer sich nicht mehr als stark und führungsfähig zeigten, erschien als logische Folge, daß Frauen von solchen Männern nicht mehr abhängig sein wollten.16

2.1 Wer kann als Single definiert werden?

In den siebziger Jahren kam der Begriff des ‚Singles‘ aus Amerika nach Europa. Der Begriff stand für die Lebensform des Alleinlebens in Verbindung mit einer unkonventionellen Lebensweise. Vor allem junge Menschen galten als Singles, die anstatt einer Familiengründung den beruflichen Erfolg, ein ungebundenes Leben mit viel Freizeit, verschiedenen Sexualpartnern und keinerlei familiärer Verantwortung vorzogen.

Mittlerweile ist aus dem Modewort ein selbstverständlicher Begriff geworden, der im alltäglichen Sprachgebrauch benutzt wird. Es werden regelmäßig Statistiken über Singles veröffentlicht, renommierte Tageszeitungen bringen Artikel zu dem Thema heraus und die Anzahl an Literatur dazu wächst stetig. Vor allem im Internet und Fernsehbereich wird der Konsument mit dieser Lebensform sprichwörtlich geradezu ‚überschüttet‘. Produkte wie Single-Essen, Single-Wohnungen oder Single-Reisen verdeutlichen die enorme Konjunktur des Begriffes.17

In der Wissenschaft wird der Begriff Single kontrovers diskutiert. Hierbei nehmen die verschiedenen Kriterien, die letztendlich einen Single ausmachen, eine entscheidende Rolle ein. Schon an der ‚Grundform‘ des Singledaseins, plakativ formuliert, gibt es differenzierte Ansätze. So beschreibt Stephan Baas „Singles als Personen, die auf‚ die Führung einer exklusiven und dauerhaften Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt verzichten‘.“18 Anders definiert der Soziologe Stefan Hradil den Single. Er bezeichnet ihn als einen Alleinlebenden, der sukzessiv zum Synonym für den Einpersonenhaushalt geworden ist.19

Es wird vor allem in der Öffentlichkeit davon ausgegangen, dass Jeder weiß, was ein Single ist und auf die Übersetzung des Wortes verwiesen. In der deutschen Sprache bedeutet es ‚allein, einzeln‘ und wird meist mit ‚allein-lebend‘ gleichgesetzt. Aber reicht diese Beschreibung aus, um eine Frau oder einen Mann dieser Lebensform zuzuschreiben? Der Autor ist bereits an dieser Stellte bestrebt zu hinterfragen, ob denn ein Alleinlebender gleich ein Single sein muss. Welche Bezeichnung sollten dementsprechend Lebensgemeinschaften tragen, die sich als Paar bezeichnen, aber einen getrennten Haushalt führen? Spielt das Alter eine Rolle, oder sind wir Personen im Alter von 15, 35 und 70 Jahren gleichzustellen? Die endgültige Beantwortung der Fragen ist zu diesem Zeitpunkt nicht primäres Ziel, vordergründig soll ein Denkanstoß beim Leser entstehen.20

Heike Lipinski betrachtet den Begriff Single in ihrem Werk aus sozialwissenschaftlicher Sicht. Sie untersucht zwei unterschiedliche Kriterien. Zum Einen das der Partnerlosigkeit, wobei Wohnsituation und Anzahl der Kinder keinen Einfluss nehmen. Zum Anderen benutzt sie das Merkmal der Altersgrenze und beschreibt also eine Person, die in einem gewissen Alter ist, „‘in dem man normalerweise in Partnerschaft lebt‘“21, dies aber nicht tut. Eine genaue Altersgrenze legt sie dabei jedoch nicht fest.

Hradil wiederum unterscheidet den Begriff von Singles im engeren und weiteren Sinne. Beide Begriffsdefinitionen beruhen auf der Feststellung des Alleinlebens. Der weite Singlebegriff umfasst die Merkmale des Alters und der Einpersonenhaushalte, d. h. alleinlebende Männer und Frauen zwischen dem 25 und 55 Lebensjahr. Die Faktoren wie Freiwilligkeit der Lebensform, Kinder und ökonomische Selbstständigkeit sind hierbei nicht von Bedeutung. „Dieser weite Begriff des ‚Single‘ zielt […] im wesentlichen auf eine Lebensform und abstrahiert von den meisten Kennzeichen der Lebensweise.“22 Zu erwähnen sei an dieser Stelle, dass es sich bei Lebensweisen um innere Einstellungen oder Verhaltensweisen nach Außen hin handelt, die im alltäglichen Leben zum Vorschein kommen.

Der Singlebegriff im engeren Sinne enthält ebenfalls die Definitionskriterien des Einpersonenhaushalts und des Alters, sowie die Merkmale der Freiwilligkeit und der längerfristigen Partnerlosigkeit. Hiermit ist gemeint, dass eine Person freiwillig keine Beziehung eingeht und diese Partnerlosigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg auch nicht ändern will.23

Abschließend wird eine Typologie zum Thema von Shostak hinzugezogen, bei der die Kriterien Dauerhaftigkeit und Freiwilligkeit von besonderer Bedeutung sind. „Entlang dieser Aspekte hat er [Shostak, Anmerkung d. Verfassers] Singles in insgesamt vier Gruppen eingeteilt: die ambivalenten (zeitweilig, freiwillig), die hoffenden (zeitweilig, unfreiwillig), die überzeugten (dauerhaft, unfreiwillig) und schließlich die resignierenden (dauerhaft, unfreiwillig) Singles.“24 Vollständigkeitshalber darf man den Standpunkt der Öffentlichkeit nicht außer Acht lassen. Es entsteht hierbei der Eindruck, dass sich zwei Seiten mit differenzierten Ansichten zum Single gebildet haben. Hradil beschreibt dies mit „der Lebenssituation von Singles (als einsam, unglücklich, egoistisch oder aber als autonom, kontaktfreudig, leistungsfähig etc.)…“25 und der Quintessenz für die Gesellschaft. Positive Folgen des Singledaseins können mehr Selbstverwirklichung, individuelle Unabhängigkeit und Flexibilität sein sowie die Auflösung von alten Denkmustern in Bezug auf die Familie, bei dem die Heirat ein soziales ‚Muss‘ darstellt. Im Gegensatz dazu stehen die negativen Folgen, diese führen zu einer Vereinsamung, egoistischem Verhalten und einer Veränderung in der Sozialpolitik.26 Der Psychologe Hans-Werner Wahl geht sogar noch einen Schritt weiter in dem er behauptet, dass der Single mitverantwortlich für den „Zerfall der Familie“27 ist und deshalb für den Bruch gesellschaftlich-familiärer Traditionen. Zu erwähnen sei aber auch, dass es verschiedene Ressorts der Gesellschaft gibt, wie den Wirtschaftszweig, der Gewinne mit der Lebensform Single und dem dazu gehörigen öffentlichen Meinungsbild erwirtschaftet. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Produkten, die extra für die Lebensform Single konzipiert wurden. So hat beispielsweise die Bauindustrie die Zeichen der Zeit erkannt28, so dass vor allem in den Städten eine Vielzahl an neuen Wohnungen für Einpersonenhaushalte errichtet wird.

Bereits seit dem Anfang der Bildungsexpansion in den 60er Jahren verdeutlichte sich der Trend hin zum Einpersonenhaushalt. Für das Jahr 1960 war ein Anteil von ungefähr 20 Prozent dieser Haushaltsform zu verzeichnen, also lebte ca. jeder fünfte Bundesbürger in einem Einpersonenhaushalt. Fünfzehn Jahre später ist der Anteil schon um sieben Prozent gestiegen. Seit Mitte der 80er Jahre gehört ein Drittel der Bevölkerung dieser Haushaltsform an, die sich bis 2008 auf insgesamt 39 Prozent steigerte.29 Vergleicht man den Anteil der Personen die allein leben, anstatt die Anzahl der Einpersonenhaushalte, wird die Tendenz zum Alleinwohnen bestätigt. Lag der prozentuelle Anteil im Jahr 1950 bei 6,5 von ungefähr 50 Millionen Wohnenden in Privathaushalten, so steigerte sich dieser auf 15,5 Prozent bis 1990 und nochmals um zwei Prozentpunkte bis 2004.30 Hinzu kommt die Verkleinerung der Haushaltsgröße von 2,99 auf 2,24 Personen je Haushalt, gemessen am Zeitraum zwischen 1950 bis 1989.31 Laut Prognosen soll ein Wachstum von insgesamt 41% an Einpersonenhaushalten bis zum Jahr 2025 eintreten.

Nach Meinung von Hradil sind die Gründe für den Anstieg von Einpersonenhaushalten auf folgende Aspekte zurückzuführen: „längerer Verbleib im Bildungssystem, Aufschub der Familiengründung, steigende Attraktivität des Alleinleibens und die Möglichkeit dazu,sowie gestiegene Scheidungsraten, Mobilitätszwänge des Arbeitsmarktes etc.“32

3. Die Rolle der Familie

Der Autor geht in diesem Kapitel näher auf die Familie ein, dabei wird aufgezeigt, wie sie sich im historischen Kontext verändert hat. Die Untersuchung ist deshalb so wichtig, um nicht nur die Entwicklungsprozesse der Ledigen, sondern auch der Familie analysieren zu können. Von Bedeutung sind hierbei der Begriff, der strukturelle Umbruch sowie die Funktionen. Darüber hinaus soll die Familie als ‚soziales Netzwerk‘ näher beleuchtet werden und versuchen, die Frage zu beantworten, ob dieses soziale Geflecht für Ledige von Nöten ist.

[...]


1 Einen guten Überblick bietet: Kron, Thoma u. a. (Hg.): Individualisierung, Bielefeld 2009.

2 Anm.: „‘Mit Lebensformen‘ sind die relativ stabilen Beziehungsgefüge gemeint, die Menschen mit den Mitmenschen verbinden, mit denen sie unmittelbar zusammenleben. Lebensformen sind beispielsweise ‚normale‘ Familien, Alleinerziehende, Paare, Alleinlebende.“ Hradil, Stefan: Die „Single-Gesellschaft, München 1995, S. 5.

3 Vgl.: Borscheid, Peter: Von Jungfern, Hagestolzen und Singles.

4 Die historische Entwicklung des Alleinlebens, in: Gräbe, Sylvia: Lebensform Einpersonenhaushalt – Herausforderung an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, Frankfurt/Main 1994, S.25. Ebenda, S. 25.

5 Vgl.: Hradil: Die „Single-Gesellschaft, S. 12 f.

6 Vgl.: Borscheid: Von Jungfern, Hagestolzen und Singles, S. 26 f.

7 Vgl.: Ebenda, S. 29 f.

8 Vgl.: Ebenda, S. 29 f.

9 Vgl.: Ebenda, S. 29 f.

10 Kuhn, Bärbel: Familienstand: Ledig – Ehelose Frauen und Männer im Bürgertum (1850-1914), Köln 2002, S.27 f.

11 Vgl.: Ebenda, S. 28 f.

12 Ebenda, S. 26.

13 Vgl.: Baumgarten: Hagestolz und Alte Jungfer, S. 5 f.

14 Kuhn: Familienstand, S. 170.

15 Vgl.: Ebenda, S. 169-172.

16 Ebenda, S. 190.

17 Vgl.: Lipinski, Heike: Single – Leben zwischen Frust und Freiheit, Gütersloh 2001, S. 13 f.

18 Baas, Stephan u.a. (Hg.):Singles im mittleren und höheren Erwachsenalter – Sozialwissenschaftliche und psychologische Befunde, Stuttgart 2008, S. 18.

19 Vgl.: Hradil: Die „Single-Gesellschaft, S. 4.

20 Vgl.: Lipinski: Single, S. 14 f.

21 Ebenda, S. 15.

22 Hradil: Die „Single-Gesellschaft, S. 7.

23 Vgl.:Ebenda, S. 9.

24 Baas, Stephan:Singles im mittleren und höheren Erwachsenalter, S. 18.

25, Hradil: Die „Single-Gesellschaft S. 3.

26 Vgl.: Ebenda, S. 3 f .

27 Baas, Stephan:Singles im mittleren und höheren Erwachsenalter, S. 11.

28 Ahrenberg, Jan: Zahl der Singlehaushalte nimmt zu. Auf: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2007/1006/politik/0077/index.html (24.04.2010).

29 Statistisches Bundesamt Deutschland: Haushalte nach Haushaltsgrößen. Auf: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statist iken/Zeitreihen/LangeReihen/Bevoelkerung/Content100/lrbev05ga,templateId=rend erPrint.psml (25.04.2010).

30 Vgl.: Baas, Stephan:Singles im mittleren und höheren Erwachsenalter, S. 30.

31 Vgl.: Pohl, Katharina: Singles im Alltag. Sozio-demographische Aspekte der Lebenssituation Alleinstehender, in: Grözinger, Gerd: Das Single - Gesellschaftliche Folgen eines Trends, Hemsbach 1994, S. 43.

32 Ebenda, S. 20.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Der Singlebegriff im Wandel der Zeit. Zwischen persönlicher Unabhängigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung
Université
Martin Luther University  (Geschichte)
Note
2,0
Auteur
Année
2010
Pages
24
N° de catalogue
V589429
ISBN (ebook)
9783346193636
ISBN (Livre)
9783346193643
Langue
allemand
Mots clés
Wandel der Zeit, Singles, Familie, Frühe Neuzeit, Individualisierung, soziales Netzwerk, Jungfern und Hagestolz, Familie im historischen Rückblick
Citation du texte
N. H. (Auteur), 2010, Der Singlebegriff im Wandel der Zeit. Zwischen persönlicher Unabhängigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/589429

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