Wenn vom Wandel der Familie gesprochen wird, dann muss angenommen werden, dass sich in ihrer Struktur und Zusammensetzung etwas verändert hat. Waren die familiären Beziehungen vor 300 Jahren noch anders als heute? Unterscheiden sich die Beziehungen der Ehepartner zueinander und zu ihren Kindern (vor 300 Jahren) zur heutigen Vorstellung von einer Familie? Was hat sich in den letzten 3 Jahrhunderten im Familienleben verändert? Kann heute überhaupt noch von Familie gesprochen werden? Es gibt viele Thesen, die vom »Zerfall der Familie« sprechen. Friedrich Engels zum Beispiel macht den industriellen Kapitalismus für den Zerfall der Arbeiterfamilie verantwortlich. Eine andere These besagt, dass durch die wohlfahrtsstaatliche Absicherung, einem Wertewandel und durch die veränderte Rolle der Frau, die Ehe und Familie an Bedeutung verloren hat und andere Lebensformen mit der Ehe in Konkurrenz getreten sind (vgl. Rosmarie Nave-Herz, 1998: 286f.). Kann man wirklich von einem »Zerfall der Familie« sprechen, sind solche und andere Verfallsdiagnosen bzw. Verfallstheorien gerechtfertigt? Wie wird zu heutigen Zeiten der Begriff Familie definiert? Aus biologischer Sicht bedeutet Familie eine systematische Kategorie, in der Näher miteinander verwandte Gattungen zusammengefasst werden. Die Soziologen beschreiben die Familie als eine soziale Gruppe, die in der heutigen industriellen Gesellschaft in der Regel aus den Eltern und ihren unselbständigen Kindern besteht. Oft wird auch die Verwandtschaft als Familie bezeichnet (vgl. DER BROCKHAUS, 2000: 437). Das Lexikon zur Soziologie beschreibt die Familie folgendermaßen: „Familie bezeichnet in der Soziologie (wie im Alltag) unterschiedliche Aspekte und Konstellationen einer sozialen Lebensform, die mindestens Kinder und Eltern (bzw. ein Elternteil) umfaßt (also auf Verwandtschaft beruht) und einen dauerhaften und im Innern durch Solidarität und persönliche Verbundenheit (...) charakterisierten Zusammenhang aufweist“ (Lexikon zur Soziologie, 1995: 197). Wurde die Familie im 18. Jahrhundert noch anders verstanden? [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die bäuerliche Familie
2.1 Die Heirat
2.2 Das Eheleben
2.3 Kinder und ihre Erziehung
3. Die Familie im »alten« Handwerk
3.1 Die Heirat bei den Handwerkern
3.2 Das Eheleben
3.3 Die Situation der Kinder
4. Die Familie in der Hausindustrie
4.1 Heirat
4.2 Das Eheleben
4.3 Die Kinder der Heimarbeiter
5. Die Familie im Bürgertum
5.1 Allgemeiner Überblick
5.1.1 Auflösung der traditionellen Hauswirtschaft
5.1.2 Das neue Leitbild der bürgerlichen Familie
5.1.3 Die Entstehung der Kindheit
5.2 Die bürgerliche Familie am Ende des 18. Jahrhunderts
5.2.1 Die Liebesheirat
5.2.2 Das Eheleben
5.2.3 Die Kinder
5.3 Das Bürgertum in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
5.3.1 Das Heiratsverhalten
5.3.2 Die Ehebeziehungen
5.3.3 Die Situation der Kinder
6. Die Arbeiterfamilie
6.1 Motive der Eheschließung
6.2 Die Arbeiterfamilie und ihr Eheleben
6.3 Die Situation der Kinder
7. Der »Mythos« der Großfamilie
8. Die »moderne« Familie im 20./21. Jahrhundert
8.1 Der Übergang von der traditionellen zur modernen Familie
8.2 Familientypen nach Kohli und Burkart
8.2.1 Das Arbeiter-Familien-Milieu
8.2.2 Das Milieu der »technischen Vernunft «
8.2.3 Das Milieu der individualisierten Akademiker
8.2.4 Das alternative Milieu: Zwischen Tradition und Postmoderne
10. Resümee
10.1 Wandel der familiären Lebensformen
10.2 Kann man vom »Zerfall der Familie« sprechen?
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wenn vom Wandel der Familie gesprochen wird, dann muss angenommen werden, dass sich in ihrer Struktur und Zusammensetzung etwas verändert hat. Waren die familiären Beziehungen vor 300 Jahren noch anders als heute? Unterscheiden sich die Beziehungen der Ehepartner zueinander und zu ihren Kindern (vor 300 Jahren) zur heutigen Vorstellung von einer Familie? Was hat sich in den letzten 3 Jahrhunderten im Familienleben verändert? Kann heute überhaupt noch von Familie gesprochen werden?
Es gibt viele Thesen, die vom »Zerfall der Familie« sprechen. Friedrich Engels zum Beispiel macht den industriellen Kapitalismus für den Zerfall der Arbeiterfamilie verantwortlich. Eine andere These besagt, dass durch die wohlfahrtsstaatliche Absicherung, einem Wertewandel und durch die veränderte Rolle der Frau, die Ehe und Familie an Bedeutung verloren hat und andere Lebensformen mit der Ehe in Konkurrenz getreten sind (vgl. Rosmarie Nave-Herz, 1998: 286f.). Kann man wirklich von einem »Zerfall der Familie« sprechen, sind solche und andere Verfallsdiagnosen bzw. Verfallstheorien gerechtfertigt?
Wie wird zu heutigen Zeiten der Begriff Familie definiert? Aus biologischer Sicht bedeutet Familie eine systematische Kategorie, in der Näher miteinander verwandte Gattungen zusammengefasst werden. Die Soziologen beschreiben die Familie als eine soziale Gruppe, die in der heutigen industriellen Gesellschaft in der Regel aus den Eltern und ihren unselbständigen Kindern besteht. Oft wird auch die Verwandtschaft als Familie bezeichnet (vgl. DER BROCKHAUS, 2000: 437). Das Lexikon zur Soziologie beschreibt die Familie folgendermaßen: „ Familie bezeichnet in der Soziologie (wie im Alltag) unterschiedliche Aspekte und Konstellationen einer sozialen Lebensform, die mindestens Kinder und Eltern (bzw. ein Elternteil) umfaßt (also auf Verwandtschaft beruht) und einen dauerhaften und im Innern durch Solidarität und persönliche Verbundenheit (...) charakterisierten Zusammenhang aufweist“ (Lexikon zur Soziologie, 1995: 197). Wurde die Familie im 18. Jahrhundert noch anders verstanden?
Im Folgenden werde ich einzelne Familienformen beschreiben und analysieren, beginnend bei der bäuerlichen Familie bis hin zur modernen Familie. Meine Untersuchungsschwerpunkte lege ich auf Partnerwahl, Kindererziehung, Heiratsalter und Heiratsgründe, Beziehungen zwischen den Ehepartnern und zu den Kindern. Zum Schluss werde ich versuchen zu klären, ob man von einem »Zerfall der Familie« sprechen kann oder nicht.
2. Die bäuerliche Familie
Wie auch die Handwerker und Hausindustriellen lebten die Bauern in einer Familienform des »ganzen Hauses«. Ganzes Haus ist die „Bezeichnung für die vorwiegend für die Landbevölkerung geltende vorbürgerliche Form des Zusammenlebens,...“ (vgl. Lexikon zur Soziologie, 1995: 268). Oft wird dabei auch der Begriff der Großfamilie verwendet. Man lebte unter der Herrschaft des Hausvaters mit dem Gesinde in einer Hausgemeinschaft zusammen. „Das ganze Haus stellt eine Einheit von Produktion und Konsumtion dar...“ (vgl. Lexikon zur Soziologie, 1995: 268).
Die Größe und Zusammensetzung des bäuerlichen Haushaltes ist bestimmt durch die ökonomische Situation der Familie. Die ökonomische Kapazität und die Anzahl der auf dem Bauernhof lebenden Personen müssen im Gleichgewicht sein. Es müssen ausreichend Arbeitskräfte vorhanden sein und nur so viele Konsumenten, die auch ernährt werden können (vgl. Heidi Rosenbaum, 1996: 60).
Wie lebte die bäuerliche Familie Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen?
2.1 Die Heirat
Das Zusammenleben in einer Ehe war für die Bauern in gewisser Weise eine unabdingbare Lebensnotwendigkeit. Der Bauer brauchte für die täglich anfallenden Arbeiten im Haus und auf dem Felde eine Frau. Man brauchte Kinder, die einem später entlasteten und einen Erben, der später den Hof übernahm. Darüber hinaus war die Ehe die einzige Möglichkeit ein sozial gebilligtes Sexualleben zu führen. Eine Dorfgemeinschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert bot für ledige Personen (außerhalb der Dienstbotenstellung) kaum eine Existenzmöglichkeit. Die Heirat in der bäuerlichen Gesellschaft wurde als selbstverständlich angesehen (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 69f.).
Das Heiratsalter war von ökonomischen und sozialen Zwängen bestimmt. Da die Heiratserlaubnis von den Eltern an den Nachweis einer ausreichend landwirtschaftlichen Stelle gebunden war, wurde das Heiratsalter nach oben gedrückt. Durch die steigende Lebenserwartung wurde die Hofübergabe bzw. der Erbfall nach hinten hinausgeschoben. Wülker errechnete ein durchschnittliches Heiratsalter bei den Frauen von ca. 25 Jahren und bei den Männern von ca. 30 Jahren. In Realteilungsgebieten mussten die Eltern erst das Vermögen ansammeln bevor sie jedem Kind seinen Erbteil geben konnten. Dieser Erbteil musste so groß sein, dass die Kinder mit ihrem potentiellen Ehepartner und dessen Vermögen eine Existenz gründen konnten, ohne dass sie Schulden machen und die Eltern selbst noch leben konnten. In Anerbengebieten (ein Kind erbt den Hof, die anderen Kinder werden ausgezahlt) war das Heiratsalter abhängig von der Hofübergabe bzw. dem Erbfall. Konnte man sich beispielsweise mit den Eltern nicht einigen oder der Hof war zu klein um zwei Familien zu ernähren, dann musste bis zum Tode des Vaters gewartet werden (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 70f.). Die Übergabe des Besitzes an die Kinder bedeutete oft für die Alten Aufgabe der Autonomie und Existenzverlust auf Raten. Für die Kinder bedeutete die Hofübergabe Unabhängigkeit und Selbständigkeit (vgl. A. Ilien, U. Jeggle, 1981: 20).
Bei der Partnerwahl waren die ökonomischen Gesichtspunkte ausschlaggebend. Emotionale Aspekte, wie Liebe und Zuneigung spielten bei der Partnersuche keine Rolle. Es wurde nur auf die wirtschaftliche Situation des zukünftigen Partners geachtet und was er in die Ehe einbrachte. Der Bauer suchte sich eine Frau, die arbeiten konnte und gesund war. Man strebte immer dazu Besitz und Vermögen zu erwerben. Die Partnerwahl orientierte sich auch danach, dass die Acker- und Wiesenstücke nah beieinander lagen. Des Weiteren wurde die Verwandtschaftsheirat bevorzugt, wodurch das Land der beiden Partner in der »Familie« blieb. Man hielt an einer standesgemäßen Heirat fest, demnach wurde nur in der gleichen sozialen Schicht geheiratet (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 72f.). Infolgedessen, dass ein Dorf nur wenig Einwohner zählte, war der Bekanntschaftsgrad untereinander sehr hoch. Man wusste ganz genau was eine Familie besaß und konnte danach seine Partnerwahl orientieren bzw. die Eltern bestimmten danach, welchen Partner ihr Kind heiraten sollte (vgl. M. Segalen, 1990: 86).
2.2 Das Eheleben
Die kleinste lebensfähige Einheit in einem Dorf war die Familie, nicht der Einzelne. Der Mann und die Frau gehörten zusammen. Durch die Eigentumsstruktur und Form der Arbeitsteilung war die Familie unauflöslich (vgl. A. Ilien, U. Jeggle, 1981: 16). Die Beziehung zwischen den Ehegatten war durch die gemeinsame Arbeit auf dem Hof geprägt. Die ökonomischen Leistungen der einzelnen Partner beeinflusste sowohl die persönlichen Beziehungen untereinander, als auch den Status innerhalb der Hausgemeinschaft (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 79).
Die Arbeitsteilung hing von der Art des Bauernhofes (z.B. Viehwirtschaft) ab. Generell kümmerte sich die Frau um die Arbeiten, die um und im Haus anfielen. Sie erledigte die Gartenarbeit und übernahm die Milchwirtschaft und die Kleinviehhaltung. Sie stellte die Kleidung für die Familie her und ging bei der Ernte mit auf das Feld. Der Arbeitsschwerpunkt des Mannes lag bei der Feldarbeit. Beide Ehepartner betrieben vorwiegend landwirtschaftliche Produktion und die Hausarbeit spielte eine untergeordnete Rolle. Bauer und Bäuerin erledigten den größten Teil der Viehwirtschaft und Feldarbeit zusammen. Nur die Arbeitszeit der Bäuerin war unbegrenzt, nach der Feldarbeit kümmerte sie sich um den Haushalt (Küchenarbeit, Nähen, usw.)(vgl. H. Rosenbaum, 1996: 80). „Eine Frau war nützlich, solange sie schaffen konnte, wurde sie krank oder gebrechlich wurde sie schädlich,...“ (vgl. A. Ilien, U. Jeggle, 1981: 22).
Die Bauersfrau spielte eine untergeordnete Rolle in der Ehe. Es bestanden Rituale, die den Vorrang der Männer gestatteten. Beispielsweise mussten die Frauen den Mann am Tisch bedienen und die Kinder mussten am Tisch stehen. Der Hausvater bekam nur das Beste und die größte Portion beim Essen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die gemeinsame Mahlzeit durch. Die Höherbewertung des Mannes in der Familie hatte eine lange Tradition. Die Frau war dem Mann untergeordnet und im Notfall hatte der Mann den Besitz- und Eigentumstitel am Grund und Boden inne. Das Land, welches die Frauen mit in die Ehe brachten stand unter der Verfügungsgewalt des Mannes. Außerhäusliche Erfahrungen und Kontakte waren für die Ehefrau nur sehr selten möglich. Vorwiegend waren Wirtshaus- und Marktbesuche für die Männer bestimmt. Der Hausvater vertrat die anderen Hausgenossen nach außen hin und war für ihr Tun und Handeln verantwortlich. Nur er allein war politisch-rechtlich handlungsfähig. Das körperliche Züchtigungsrecht der Kinder hatte nur der Vater. Die Position der Frau im Eheleben verbesserte sich nur, wenn sie einen Mann heiratete, der einen niedrigeren sozialen Status besaß als sie. In diesem Falle nahm dann der Mann den Namen der Frau an (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 82ff.).
Zeugung und Fortpflanzung konnten die Kinder bei den Tieren beobachten. Und durch die engen Wohnverhältnisse hatten oft schon kleine Kinder Einblick in das menschliche Sexualleben. Sex war etwas Natürliches und selbstverständlich in der bäuerlichen Familie, war aber nur selten mit Zärtlichkeit verbunden. Das Sexualleben zielte nur auf die direkte, rasche und unmittelbare Befriedigung der genitalen Lust des Mannes. Die Befriedigung von psychischen Bedürfnissen (z.B. Zuneigung) war zweitrangig. „Die häufig belegte, geringe »Verfeinerung« des bäuerlichen Sexuallebens durch zärtliche Beziehungen ist sowohl Ergebnis der von persönlicher Zuneigung häufig unbeeinflussten Partnerwahl als auch der unmittelbaren Lebensbedingungen gewesen“ (H. Rosenbaum, 1996: 87). Shorter charakterisierte das bäuerliche Sexualleben durch fehlendes Vorspiel, schnelle Ejakulation und Gleichgültigkeit für den Orgasmus des Partners. Die Frau wurde beim Sex kaum befriedigt und der Sex war nur unmittelbar auf die Befriedigung des Mannes gerichtet (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 86f.).
Zusammenfassend kann man sagen, dass die bäuerliche Familie in erster Linie eine Arbeitsteilung zwischen zwei erwachsenen Menschen war. Ansprüche und Bedürfnisse der Ehepartner (vor allem der Frau) wurden zurückgestellt. Die wesentlichen Aufgaben einer bäuerlichen Familie waren, den Besitz zu erhalten bzw. zu vermehren und die weitere Existenz durch Erben zu sichern (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 86f.).
2.3 Kinder und ihre Erziehung
Die Aufgabe der Ehe war es die eigenen Erben heranzuziehen. „Bei einem Bauern war jedes Kind auch Erbe, und deshalb sah er seinen Besitz bei allzu vielen Geburten schrumpfen“ (A. Ilien, U. Jeggle, 1981: 24). Knaben waren bei den Bauern bevorzugt, da sie als Stammhalter des Besitzes angesehen waren. Kinder waren potentielle Erben, Träger des Namens der Familie, Arbeitskraft und Altersversorgung. Wenn man keine Kinder besaß bedeutete dies, dass der Besitz im Todesfalle in »fremde Hände« gelangt (vgl. A. Ilien, U. Jeggle, 1981: 24f.).
Viele Schwangerschaften beanspruchten die Frauen. Sie genossen kaum Schonung während und nach der Schwangerschaft (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 86).
Es bestand eine sehr hohe Säuglings- und Kindersterblichkeitsrate (über 30 Prozent), oft weil die Mütter ihre Kinder nicht stillen konnten und ihnen nur eine unzureichende und unhygienische Ersatznahrung gaben. Anderen Berichten zufolge, wurden die Kinder sehr lange gestillt (bis zu 2 Jahre), um die Empfängnisfähigkeit der Frau zu reduzieren. Ein weiterer Faktor, der die Kinderzahl im 18. und 19. Jahrhundert in Grenzen hielt, war das hohe Heiratsalter der Eltern und damit verbunden eine relativ kurze eheliche Fruchtbarkeitsperiode. Durch die schwere landwirtschaftlichen Tätigkeiten der Frau kam es oft zu Fehlgeburten und verminderter Empfängnisfähigkeit (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 64). „In einer Analyse der Pfarre Colyton von 1538 bis 1837 fand Anthony Wrigley Belege dafür, daß die Geburten und Eheschließungen auf dem Lande auf wandelnde wirtschaftliche Bedingungen reagierten“ (T.K. Hareven, 1999: 51).
Die Zahl der überlebenden Kinder war oft nicht identisch mit der, der im Haus lebenden. Es hing von der ökonomischen Situation ab, wie viel Kinder nach Erreichen der vollen Arbeitsfähigkeit im Haus verbleiben konnten bzw. in den Gesindedienst gehen mussten (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 64).
Den Kindern wurde nur wenig Aufmerksamkeit und Zuneigung geschenkt. Sie waren den Eltern gleichgültig und es bestand ein regelrechtes Desinteresse. Kinder wurden als ein unvermeidbares und häufig unerwünschtes Nebenprodukt sexueller Beziehungen angesehen. Für die Eltern waren sie billige Arbeitskräfte und potentielle Erben, um später den Hof weiterzuführen. Befehl und Gehorsam regelten die Eltern-Kind-Beziehung und wenn Gehorsam fehlte, dann wurde mit Prügel nachgeholfen. Körperliche Strafen waren üblich, dagegen waren Liebkosungen und Beweise der Zuneigung dem Bauern fremd (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 91/98).
Die Eltern erteilten ihren Kindern keine gezielte Bildung oder Ausbildung ihrer kindlichen Fähigkeiten. Sie erzogen sie nur zum Arbeiten. Die Übergänge zwischen Spiel und Arbeit waren für die Kleinkinder fließend. Kinder wuchsen allmählich in die Tätigkeiten und Pflichten des Bauern hinein und übernahmen Rollen, die sie sich von den Erwachsenen abschauten. Sie spürten, dass bei Übernahme von Pflichten und Aufgaben ihre Wertschätzung durch die Erwachsenen verbessert wurde. Oft wurden aber auch die Kinder mit der Arbeit überlastet. Mit ca. 12 Jahren mussten dann die Kinder das Elternhaus verlassen und in den Gesindedienst gehen, die als Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wurden. Durch das frühe Verlassen des Elternhauses erlangten die Kinder einen hohen Grad an Selbständigkeit. Individuelle Begabungen und Fähigkeiten wurden im Elternhaus nicht beachtet und konnten sich kaum entwickeln. Die ländliche Schulbildung war auf einem sehr niedrigen Stand. Durch die Ernte im Sommer konnten die Kinder kaum in die Schule gehen und qualifizierte Lehrer waren kaum vorhanden (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 93ff.).
Zusammenfassend kann man über die Eltern-Kind-Beziehung sagen, dass die Kinder Arbeitskräfte waren und eine Unterstützung im Alter. Die Wertschätzung der Familienmitglieder richtete sich nach der Wichtigkeit der Arbeit auf dem Hof. Die Kinder wurden versorgt aber ansonsten sich selbst überlassen.
3. Die Familie im »alten« Handwerk
Hier stellt sich die Frage, was eine handwerkliche Familie im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts charakterisierte.
Im Handwerk fallen wie in bäuerlichen Familien Produktion und Familienleben weitgehend zusammen. Die Bedingungen der Produktion gestalten unmittelbar und entscheidend den Familientypus. Aus Studien in verschiedenen deutschen Städten im ausgehenden 18. Jahrhundert kam hervor, dass durchschnittlich der Haushalt aus vier Personen bestand. Es bestand ein überdurchschnittlich hoher Anteil von gewerblichen Arbeitskräften und Dienstpersonal in den Handwerkerhaushalten. Ohne Dienstpersonal gerechnet wurde ein Durchschnitt von 3,57 Personen pro Haushalt ermittelt. Die handwerkliche Familie war eine um Gesellen, Lehrlingen oder Dienstpersonal erweiterte »Kernfamilie«. Dagegen wurden Altenteile und andere Verwandte nur selten aufgenommen. Verwandte, Eltern und andere Alleinstehende gehörten nicht typischerweise zum Handwerkerhaushalt. Wenn aber Verwandte zur Versorgung aufgenommen wurden, dann zeugte dies Wohlstand des »Hauses«. Ob gewerbliche Arbeitskräfte aufgenommen wurden, hing von der ökonomischen Situation und Auftragslage ab (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 121/136f./143f.). „Die Abhängigkeit der Personenzahl von der Auftragslage und das frühe Ausscheiden der Söhne aus dem Haushalt führten dazu, daß der personelle Bestand des Handwerkerhaushaltes wesentlich instabiler war als der des bäuerlichen Haushalts, wo durch die Größe des Hofes die Zahl der notwendigen Arbeitskräfte (relativ) feststand“ (H. Rosenbaum, 1996: 143).
3.1 Die Heirat bei den Handwerkern
Bei den Handwerkern bestand ein regelrechter Heiratszwang. In der Zunftordnung war die Heirat teils bindend vorgeschrieben und teils auch als selbstverständlich unterstellt. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts gehörten Meisterrecht, Bürgerrecht, Ehemann- und Hausbesitzerstatus zusammen. „So heißt es in einer Münchner Schusterordnung von 1443: »Das Handwerk und der Rat sind übereingekommen, daß kein Schustermeister das Handwerk hier erwirbt oder arbeitet, er sei dann Bürger hier zu München und hat einen Rauch (d.i. eigenes Haus - H.R.) und eine Werkstatt und ein Eheweib oder er sei Witwer«“ (H. Rosenbaum, 1996: 146). Es war vorgeschrieben, dass man verheiratet sein musste, bevor man den Meistertitel erlangen konnte. Für Frauen bestand ein Zwang der Wiederverehelichung im Todesfall ihres Ehepartners. Die Zunft gestatte einer Witwe nur für ca. ein Jahr den Betrieb alleine oder mit Gesellen weiterzuführen. Spätestens nach dem einen Jahr musste die Frau wieder einen Mann vom Fach heiraten, ansonsten wurde ihr der Betrieb geschlossen (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 146ff.).
Zur Partnerwahl kann man sagen, dass: „Die Zahl der prinzipiell als Handwerkerehefrauen in Frage kommenden Mädchen war dadurch eingegrenzt, daß die Zünfte durchgängig bei den Frauen ebenso wie bei den Handwerkern selbst den Nachweis »ehrlicher« Geburt und eines untadeligen Lebenswandels verlangten.“ (H. Rosenbaum, 1996: 149). Dadurch, dass die Frau bei der Heirat in die Zunft mit aufgenommen wurde und die Zunft ihr gegenüber Verpflichtungen hatte, nahm sie sich das Vetorecht bei der Wahl der Ehefrau. Gesellen heirateten oft Meistertöchter oder Meisterwitwen, um selbst den Meistertitel zu erlangen und sich damit selbständig machen zu können. Wenn der Mann eine Meisterwitwe heiratete hatte dies für ihn finanzielle Vorteile, denn dann entfielen die Kosten für die Einrichtung einer neuen Werkstatt. Bei den Handwerkern bestand ein großer Prozentsatz an Ehen, wo die Frau älter war als der Mann, weil sie einen Gesellen geheiratet hat (1751-1780: 30,38 Prozent in Durlach). Aber auch Meistertöchter ohne Mitgift konnten so einen Mann finden, der sie heiratete und versorgte (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 149ff.).
Das durchschnittliche Heiratsalter bei den Handwerkern begann ungefähr bei 25 Jahren. Durch die zeitliche Koppelung von Meisterprüfung und Heirat konnten die Handwerker erst relativ spät heiraten, denn vorher mussten sie noch eine dreijährige Lehre absolvieren und ein Jahr auf Wanderschaft gehen. Darüber hinaus war der Erwerb des mit der Meisterschaft gekoppelte Bürgerrecht an ein bestimmtes Mindestalter gebunden (vgl. H. Rosenbaum, 1996: 148).
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