Die Problematik der Ideologisierung in der kunsthistorischen Wissenschaft am Beispiel von Albrecht Dürers "Ritter, Tod und Teufel"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Einführung

Der Kupferstich von Albrecht Dürer aus dem Jahre 1513 kann wohl als eines seiner bekanntesten Werke bezeichnet werden. Das Werk, das zum „Meisterstich“ proklamiert wurde, beschaftigte die kunsthistorische Forschung schon früh und in der vielfaltigsten Weise.

Die Tatsache, dass das Pferd im Stich nach den Regeln der Proportionslehre konstruiert wurde und, dass Leonardos Skizzen von eben dieser Lehre sowie von seinem Sforza-Denkmal als Vorbilder dienten, ebenso wie die italienischen Reiterdenkmaler des 15. Jahrhunderts, war schon den Kunsthistorikern des vorangegangenen Jahrhunderts bekannt. Die Suche nach dem „wahren Charakter“ des Bildes und dem „wahren Wesen“ des Künstlers - des „Künstlergenies“ - beschaftigte diese jedoch so intensiv, dass der Blick für die Bedeutung dessen, was wirklich über den Kupferstich ausgesagt werden kann, hinter den zahlreichen oft sehr subjektiven Ausdeutun- gen der einzelnen Symbole und Details zurückblieb. Vor allem die Identitat des Reiters stand meistens im Vordergrund und trieb ungeahnte Blüten, was bereits Heinrich Theissing bemerkte. Der Mann auf dem Pferd wurde zum christlichen Ritter, zum idealisierten Symbol des Rittertums sowie zum genauen Gegenteil stilisiert. Auch ideologisch wurde der Stich vereinnahmt; von nati- onalsozialistischer Seite ebenso wie in der Nachkriegszeit aus einer marxistisch-sozialistischen Weltsicht heraus motiviert. So, dass Hans Schwerte bemüht war die verschiedenen Deutungen zu dem Stich im Kontexts ihres zeitlichen Ursprungs zu verstehen und die Formulierung von Matthias Mende treffend erscheint: „Jede Zeit macht sich Dürer dienstbar.“1

Das Beispiel vom Streit über die letztlich gültige Deutung des Werks, welches im Zuge seiner Rezeptionsgeschichte vielen Missverstandnissen und Ideologisierungen ausgesetzt war und die durch undifferenzierte Übernahme zum Teil bis heute fortdauern und einen neutralen Blick auf das Werk versperren, kann als Beweis für die Gefahr von Rezeptionsschleifen in der Wissen­schaft gesehen werden. So gerat die möglichst objektive Untersuchung zum hermeneutischen Zirkel, bei dem sich die Interpretationen im Kreis drehen. Zugleich ist diese Tatsache jedoch auch ein Beweis für die Komplexitat und Vielschichtigkeit der Graphik und Dürers Werk im Allgemei- nen. Der einzige Schluss - und dies sei seiner Betrachtung in der vorliegenden Arbeit vorange- stellt - der sich heute ziehen lasst, ist der, dass das Bild nicht (mehr) vollends ausgedeutet werden kann.

Um auf der vergeblichen Suche nach der „richtigen Deutung“ des Bildes nicht in den Strudel der Interpretationen zu geraten und sich bei der Auslegung nicht im Zirkelkreis zu drehen, stellt diese Arbeit eine Absage an die Deutungsversuche des Stiches im Sinne einer erschöpfenden Ausdeutung aller in ihm verwendeten Symbole und Details dar. Vielmehr soll die Darstellungs- weise der Hauptgruppe, also des Reiters und seines Pferdes - und als Hauptgruppe kann das im Zentrum des Bildes unverdeckt und in voller Geschlossenheit abgebildete Paar, sicher bezeich- net werden - in Bezug auf die hierfür angewendete Technik und auf die Vorbilder, die Dürer dafür zur Hilfe nahm, untersucht werden. Das, was Dargestellt ist und wie es dargestellt ist, soll also wieder in den Vordergrund der Betrachtung gerückt werden, anstelle von Vermutungen über die vermeintliche Aussage und Bedeutung hinter dieser Darstellung. Hier soll jedoch nicht nur eine Nachzeichnung von Dürers künstlerischem Vorgehen erfolgen. Die Ergebnisse dieser Untersu- chung ermöglichen durchaus auch einen Rückschluss auf Dürers Verstandnis von der Aufgabe der bildenden Kunst und dem Künstler selbst und auf sein Selbstverstandnis als „deutscher Künstler“, der sich seinen italienischen Kollegen als ebenbürtig sieht. Natürlich kann auch diese Haltung des Künstlers nicht schlussendlich mithilfe des hier untersuchten Kupferstiches belegt werden. Doch, wenn die Graphik in Bezug auf ihre Technik betrachtet wird, lasst sie sich auch als Möglichkeit Dürers verstehen, eben jenes technische Können darin zu beweisen. Im Bemühen alternative Ansatze für die Untersuchung des Reiters von 1513 zu finden, sei der Stich in diesem Sinne in der hier vorliegenden Arbeit betrachtet.

Bis heute wird die Tatsache, dass es sich bei dem Reiter, den Dürer selbst als Reuter be- zeichnete, um einen Ritter handeln würde, als selbstverstandlich übernommen. So gilt die Be- zeichnung des Stiches Ritter, Tod und Teufel als sein gangiger Titel, wie er in Museen, Katalogen und wissenschaftlichen Abhandlungen gleichermaBen angeführt wird. Dabei birgt selbst dieser Titel, der seinen Ursprung dem Verzeichnis Hüsgens verdankt, bereits mehrere Deutungen. Zum einen beinhaltet er die Behauptung, der Reiter sei ein Ritter - er könnte z.B. auch ein berittener Söldner sein - zum anderen weist er den drei Figuren, dem Reiter, dem Tod und dem Teufel den gleichen Stellenwert im Bild zu. Obwohl, wie bereits erwahnt, im Zentrum des Bildes und somit im Zentrum der Aufmerksamkeit des Betrachters allein der Reiter mit seinem Pferd steht.

Auch, wenn die neuere Forschung zu Dürer bemüht scheint, die Rezeptionsgeschichte des Werkes in den eigenen Abhandlungen nachzuzeichnen, findet sich selten eine kritische Ausei- nandersetzung mit dieser. Auch Mende, der in seiner Einleitung auf das Problem hinweist und die Rückkehr zum unvoreingenommenen Blick fordert, verfallt im Laufe seiner Abhandlung selbst wieder den alten Argumenten. Damit erscheint der 2016 erschienene Beitrag von Pierre Vaisse zu eben diesem Thema eine lange bestehende Lücke zu füllen. Ausgehend von seiner kritischen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Deutungshypothesen und Interpretationsversuchen, die sich im Laufe von über einem Jahrhundert angesammelt haben und immer wieder neu auf- gegriffen und von allen Seiten beleuchtet worden sind, stets im Bemühen die eigene Thes damit zu stützen, entstand die Schwerpunktsetzung der vorliegenden Arbeit. Nachdem Vaisse die viel- faltige Rezeption der Graphik aufdeckt, stützt auch er sich auf die Darstellung des Pferdes, bzw. des Pferd-Reiter-Paares als Ausgangspunkt für eine von der Technik und der Entstehungsge- schichte des Bildes ausgehende Betrachtung.

In Bezug auf diesen Betrachtungsansatz soll in der vorliegenden Arbeit zunachst eine Be- trachtung des Pferdes als konstruierte Figur erfolgen. Die Darstellung des Pferdes im Stich soll dann auf Dürers Vorbilder hin untersucht werden. Hier ist vor allem Leonardo mit seinen Propor- tionsstudien, aber auch seinen Skizzen zum Denkmal für Francesco Sforza und seinen Kopien des Regisole in Pavia von Bedeutung. Das Pferd-Reiter-Paar soll dann in seiner Eigenschaft als Verbildlichung des italienischen Reiterstandbildes betrachtet werden. Inwiefern all diese Vorbilder Eingang in den Stich gefunden haben und auf welche Art Dürer diese Vorbilder mit seinen eige­nen Studien und Skizzen zusammenführte soll dabei im Vordergrund stehen.

Eine Erweiterung soll die Betrachtung des Kupferstichs dann darin finden, dass er im Kontext des der antiken Kunsttheorie entspringenden Paragone-Diputs verstanden werden soll, der durch die Beschaftigung mit antiken Schriften und Theorien im 15. und 16. Jahrhunderts wiederaufge- nommen wurde. Der Begriff Paragone birgt dabei den Wettstreit zwischen den Gattungen der Künste ebenso wie zwischen den Medien der bildenden Künste und lasst sich auch auf die Kon- kurrenz der Künstler untereinander beziehen. Auf alle drei Aspekte hin soll auch der Reiter von 1513 untersucht werden. Dabei soll die Konkurrenz im Stich durch den Vergleich in der Nachah- mung charakterisiert werden und sowohl in Bezug auf Künstler (Leonardo), Medien (die Reiter- statuen) sowie in ihrer nationalen Dimension (Deutschland - Italien) gedeutet werden.

Hierfür bedient sich die Arbeit sowohl der alteren Forschung als Grundlage, wie der neueren als Erweiterung. Vor allem Heinrich Wölfflin, Heinrich Theissing und Erwin Panofsky werden als Teile der alteren Forschung hinzugezogen, da besonders sie die Bedeutung des Pferd-Reiter- Paares als Proportionsstudie herausstellen und auf Leonardo, Donatello und Verrocchio als Vor- bilder verweisen. Die neuere Forschung wird von Jeffrey Chipps Smith und Pia Cuneo ebenso vertreten wie von Matthias Mende, Patricia Emison und Thomas Schauerte. Da es sich auch um eine Tierdarstellung Dürers handelt, werden Forschungsarbeiten über Dürers Tierstudien gleich- falls in die Untersuchung mit einbezogen. Zu deren Vertreter zahlen Fritz Koreny und Collin Eisler. Als zwei Positionen, auf die sich viele der grundlegenden Untersuchungen zum Stich berufen, werden auch Gustav Pauli in Bezug auf die Proportionsstudie und Harald von Roques de Mau- mont zum Thema der antiken Reiterstandbilder zitiert. Für die Darstellung des Paragone-Diskur- ses stützt sich diese Arbeit auf die Herausgeberschrift von Ekkehard Mai und Kurt Wettengl, so- wie auf eine Abhandlung von Andreas Schnitzler und von Renate Prochno zu diesem Thema. Auf der Grundlage dieser Forschungsarbeiten soll die hier vorliegende Untersuchung erfolgen und den Stich in Bezug auf die Darstellung des Pferdes (und des Reiters) sowie in Bezug auf den Paragone-Diskurs betrachtet werden.

2 Ritter oder Reuter? Ein Reiter

Schon früh verstand Dürer, sich bei der Wahl seiner Motive und der Form seiner Arbeiten am 2 Markt, also an bestimmten Zielgruppen und potenziellen Abnehmern zu orientieren. Das Mitden- ken der wirtschaftlichen Dimension seiner Werke, zeigt sich auch in Dürers Interesse an der Druckgraphik. Für Schauerte ist Dürers Hauptanliegen sogar der Druck und nicht die Malerei; eine These, die Schauerte in dessen Reisezielen und seiner frühen Tatigkeit als Illustrator besta- tigt sieht.2 3 Die Behauptung von Chipps Smith, Dürer habe seinen ökonomischen Erfolg vor allem den Drucken zu verdanken, stützt diese Vermutung ebenfalls.4 Der Umstand, dass Albrecht Dürer seinen gedruckten Werken den Erfolg verdankt, nicht nur der „zweite Apelles“ zu sein, sondern jenen zu übertreffen, lasst sein druckgraphisches Werk umso bedeutender erscheinen.5

Ein „(...) von jeher beliebtes und gut bezahltes Motiv (...)“6 für diese Drucke stellte das Pferd, naher der Reiter auf seinem Pferd dar. Besonders in der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts erfuhr die Reiterdarstellung nach antikem Vorbild neues Interesse.7 Der Reiter, im Sinne eines Reiterportaits wurde zu einer wichtigen Darstellungsform, auch nördlich der Alpen.8

Den Reiter auf seinem Pferd sehen wir auch in Dürers Kupferstich von 1513, der zumeist unter dem Titel „Ritter, Tod und Teufel“ vorgestellt wird.9 In der Entstehungszeit des Stichs erfolgt eine regelrechte Heroisierung des Reiters.10 „Seit römischer Zeit geht die Vorstellung des Menschen zu Pferd Hand in Hand mit jener des Adligen, der sich ebenso wie sein Reittier edler Herkunft zu rühmen weiB."11, konstatiert Eisler. Und mag es sich in Dürers Kupferstich bei dem Dargestellten um einen Ritter handeln oder nicht; feststeht, dass sich seine Darstellung in den Typus von Rei- terportraits und vor allem Reiterdenkmalern einreiht, die sich im Zuge des „(...) Heldenkult(s) der Frührenaissance (...)“12 entwickelten. Bevor auf das Motiv des Reiters in Anlehnung an die italie- nischen Reiterstandbilder des 15. und 16. Jahrhunderts eingegangen werden soll, sei zunachst jedoch auf das Pferd als Motiv in seinem Werk eingegangen.13

2.1 Das Pferd als Proportionsstudie

Dürers Faszination für das Pferd14, bzw. für dessen ideale Darstellung ist an der Vielzahl von Studien zu erkennen, die er dem Tier widmete. So ist das Pferd das einzige Tier, dass er ver- suchte unter Berücksichtigung geometrischer und arithmetischer Beziehungen darzustellen. Ein Versuch, der ihn früh und zeitlebens beschaftigte.15 Dafür spricht ein genauer Blick auf einige seiner Pferdestudien ebenso, wie die Tatsache, dass die Proportionen des Pferdes ihm ein eig- nes Kapitel in seinem Lehrbuch über die Malerei wert waren.

Dem überlieferten Plan zufolge, wollte Dürer sich im vierten Kapitel mit dem Pferd beschafti- gen.16 AuBer dem Kapitel über den menschlichen Körper konnte kein Kapitel vollendet werden - Vaisse geht jedoch davon aus, dass das Kapitel schon weit ausgearbeitet sein musste; er ver- mutet im Rossbüchlein Sebald Behams (1528), dessen Erscheinung von der Stadt Nürnberg un- tersagt wurde, eine mögliche Kopie von Dürers Schriftstücken zu diesem Thema.17 In einer Quelle findet sich sogar die Behauptung Dürer habe der Proportionslehre des Pferdes ein eigenes Buch widmen wollen.18 19 Wie weit Dürer seine Kenntnisse über die ideale Darstellung des Pferdes zu seinen Lebzeiten bereits niedergeschrieben haben mag und ob diese Niederschrift für ein eigen- standiges Werk - ein eigenes oder das seines Schülers - gereicht hatte, ist jedoch für die vorlie- gende Argumentation zweitrangig. Festzuhalten ist, dass das Pferd das einzige Tier ist, von dem nachweislich bekannt ist, dass Dürer es nicht nur mittels Naturstudien darzustellen versuchte, sondern es mithilfe seiner Kenntnisse über die Proportionslehre zu konstruieren versuchte.

Als früheste erhaltene Studie dieser Art gilt das Pferd von 1503 (Abb. 4). Die Zeichnung, die einen trabenden Hengst zeigt, wurde mit mattgrauer Tinte modelliert und mit schwarzer Tinte überzeichnet; der Hintergrund ist vollstandig schwarz gefarbt.20 Letzteres kann als Hinweis für eine Proportionsstudie gesehen werden - diese Technik ermöglicht ein beidseitiges Bearbeiten der Umrisslinien und wurde von Dürer haufig bei diesen Studien angewandt.21 Nach Eisler wurde das Pferd mithilfe eines Gitters aus sechzehn Quadraten konstruiert.22 Damit würde die Zeich- nung zu einer Reihe von Proportionsstudien zahlen, die Dürer zu Beginn des 16. Jahrhunderts fertigte; dazu gehören die Adam und Eva Abbildungen von 1504, 1506 und 1507. Dass ihn in dieser Zeit nicht nur die Konstruktion des menschlichen Körpers, sondern eben auch die des Pferdekörpers besonders beschaftigt hat, zeigt die Vielzahl an Studien. Dazu gehören eine Sil- berstiftstudie von ca. 1500, das Aquarell des Reiters im Harnisch von 1498 (Abb. 2) und das GroRe und Kleine Pferd von 1505.23 Erwahnt sei hier die Abbildung eines Falkners zu Pferde, die vermutlich zwischen 1503 und 1505 entstanden ist.24 Auch, wenn die Zeichnung auf den ersten Blick wie eine „(...) spontane Freihandzeichnung (...)“ aussehen mag, handelt es sich in Wirklich- keit um ein nach mathematischen Prinzipien konstruiertes Bild, welches nach Eislers Argumen­tation den Proportionsstudien Leonardo da Vincis (Abb. 7) entlehnt ist.25

Schon in seiner Lehrzeit lernte Dürer sich Techniken durch das Kopieren von Vorlagen anzu- eignen und diese durch das Hinzufügen und Verandern weiterzuentwickeln.26 Für diese Vorlagen dienten ihm nicht nur heimische, sondern auch die italienischen Kollegen. So kopierte er auch Kupferstiche und Bronzen Leonardos, sowie dessen Proportionsstudien.27 Auf diese Weise könnte er sich das Wissen über die Konstruktion des Pferdes angeeignet haben.

So konstruierte Dürer auch das Kleine Pferd von 1505. Was Pauli lediglich mit folgenden Wor- ten umschreiben konnte: „Hier erscheint das Naturstudium als modifiziert durch eine Normalform (...)“28, vermochte Eisler naher zu definieren. Das Pferd kann ebenfalls in Quadrate unterteilt wer­den, die Lange seines Körpers ergibt sich aus dem Verhaltnis zur Lange seines Kopfes und für 29 einige Rundungen des Pferdes muss Dürer einen Zirkel verwendet haben. Diese Beobachtun- gen weisen das Pferd deutlich als eine Konstruktion aus. In gleicher Weise habe Dürer um 1505 drei weitere Pferdestudien konstruiert, meint Cuneo.29 30

Der Ehrgeiz um die ideale Darstellung des Pferdes, der in der Vielzahl seiner Studien und Abbildungen deutlich wird und die künstlerische Ausarbeitung seines theoretischen Interesses an der Konstruktion desselbigen31 32, scheinen im Stich von 1513 zu kulminieren. Eisler sowie Mende sehen in „Ritter, Tod und Teufel“ ein Musterblatt für das geplante Kapitel im Lehrbuch der Male- rei. Fest steht - darin ist sich die aktuelle Forschung einig - dass es sich bei Dürers Reiter und seinem Pferd um eine konstruierte Darstellung handelt.33

Das stetige Bemühen Dürers um die Entwicklung der Figur im Raum und die Ausbildung ihrer plastischen Qualitat,34 zeigt sich auch in diesem Kupferstich. Die Hell-Dunkel-Kontraste und die klaren Umrisse von Pferd und Reiter lassen beide als geschlossene Einheit wirken und grenzen sie von ihrer Umgebung und den anderen Figuren im Stich klar ab.35 Auch die Profilansicht des Paares und die Tatsache, dass die Formen der beiden nicht von anderen Konturen überdeckt werden, verstarken ihre Wirkung im Raum.36 Die übrigen Figuren der Graphik haben hingegen viel zu wenig Raum, um sich plastisch voll ausbilden zu können. So hat beispielsweise „(...) das Pferd des Todes zu wenig Platz, es sei denn, man stellt es sich zusammengefaltet wie ein Akkor- deon vor“.37

Diese Beobachtungen führten Wölfflin und Friedlander gar zu der These, dass es sich bei dem Kupferstich vorrangig um eine Proportionsstudie handle, wie es auch für Adam und Eva von 1504 gelte.38 Panofsky teilt die Szene ebenfalls in die „(...) streng gestaltete RoB- und Reitergruppe (...)“39 und deren Umgebung, jedoch ohne einer von beiden eine gröBere Bedeutung zu unterstel- len. Auch Vaisse sieht in dem Stich vor allem eine Möglichkeit für Dürer sein Können in Bezug auf die ideale Konstruktion des Pferdes zu beweisen. Er weist darauf hin, dass die Kenntnis von Perspektive und Proportion für Dürer und seine Zeitgenossen den „echten“ Künstler auszeichne- ten, was die Darstellung der eigenen Kenntnis dieser Methoden für den Künstler immanent machte.40

Wahrend Wölfflin in der Darstellung des christlichen Ritters (diesen meint er im Stich zu er­kennen) einen Vorwand sieht, da eine reine Abbildung des Tieres zu banal gewesen ware,41 sieht Friedlander in dieser Darstellung eine symbolische Erweiterung der eigentlichen Formstudie.42

[...]


1 Mende 2001, S. 169.

2 Mende 2001, S. 167.

3 Nach Schauerte versuchte Dürer sich als Illustrator zu etablieren. Seine Reise an den Oberrhein diente dem Ausbau eines Netzwerks von Buchhandlern, Verlegern und Humanisten als potenzielle Auftraggeber und Abnehmer von Dru- cken, auch Einzelblattern. Vgl. Schauerte 2012, S. 48-50.

4 Chipps Smith 2012, S. 228.

5 Naheres hierzu in Kapitel 2.

6 Eisler 1996, S. 235.

7 Diss. 2006, S. 56.

8 Emison 2005, S. 511-522. [entfernt]

9 Emison 2005, S. 511-522.

10 Eisler 1996, S. 237.

11 Theissing 1978, S. 52.

12 Dies bezieht sich auf sein graphisches Werk; in seinen Gemalden kommt das Motiv nach Pauli nicht vor.

13 Vgl. Pauli 1914, S. 105.

14 „Horses fascinated Dürer.“, Chipps Smith 2012, S. 239.

15 Vaisse 2016, S. 63.

16 Eisler 1996, S. 253.

17 Vaisse 2016, S. 64.

18 Chipps Smith erwahnt das Vorwort in den Vier Büchern über die menschliche Proportion von Camerarius (1532). Vgl.

19 Chipps Smith 2012, S. 239.

20 Chipps Smith 2012, S. 239; Eisler 1996, S. 250; Vaisse 2016, S. 63-64.

21 Pauli 1914, S. 105.

22 Pauli 1914, S. 105.

23 Eisler 1996, S. 252.

24 Vgl. hierzu Eisler 1996, S. 246 und Pauli 1914, S. 108.

25 Eisler 1996, S. 250.

26 Eisler 1996, S. 250.

27 Schauerte verweist hier auf die Kopien, die der junge Dürer von Martin Schongauers Graphiken anfertigte. Vgl. Schau- erte 2012, S. 41-45.

28 Eisler 1996, S. 234 und 250.

29 Pauli 1914, S. 108.

30 Eisler 1996, S. 252.

31 Cuneo 2010, S. 120.

32 Vaisse 2016, S. 64.

33 Vgl. Eisler 1996, S. 253 und Mende 2001, S. 172.

34 Vaisse 2016, S. 64.

35 Schauerte bezeichnet diese Bemühungen als das „Wesentliche“ für Dürer. Vgl. Schauerte 2012, S. 24.

36 Theissing 1978, S. 119 und 122 und Cuneo 2010, S. 120.

37 Vaisse 2016, S. 69 und Panofsky 1977, S.205.

38 Vaisse 2016, S. 71.

39 Wölfflin sieht in der idealen Darstellung des Reiters und vor allem des Pferdes das Hauptanliegen des Stichs, wahrend Friedlander den Druck als Ergebnis von Dürers Bemühungen nach der Errechnung der idealen MaBe des Pferdes bezeichnet. Vgl. Wölfflin 1963, S. 212 und Friedlander 1921, S. 144.

40 Panofsky 1977, S. 206.

41 Vaisse 2016, S. 65-66 und 68.

42 Wölfflin 1963, S. 212.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Problematik der Ideologisierung in der kunsthistorischen Wissenschaft am Beispiel von Albrecht Dürers "Ritter, Tod und Teufel"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Kunsthistorisches Institut)
Veranstaltung
Seminar Renaissance nördlich der Alpen
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V590989
ISBN (eBook)
9783346231352
ISBN (Buch)
9783346231369
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Albrecht Dürer Kupferstich Meisterstich Renaissance
Arbeit zitieren
Charlotte Steinhauer (Autor:in), 2017, Die Problematik der Ideologisierung in der kunsthistorischen Wissenschaft am Beispiel von Albrecht Dürers "Ritter, Tod und Teufel", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/590989

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Problematik der Ideologisierung in der kunsthistorischen Wissenschaft am Beispiel von Albrecht Dürers "Ritter, Tod und Teufel"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden