Einwirkungen der Kapitalsverkehrsfreiheit auf das Recht der direkten Steuern


Magisterarbeit, 2005

53 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Europäisches Steuerrecht
2.1 Legitimation für ein europäisches Steuerrecht
2.2 Kompetenzverteilung auf europäischer Ebene
2.3 Einwirkung des Europarechts auf das nationale Steuerrecht
2.4 Definition des Begriffs „Steuern“ auf europarechtlicher Ebene

3. Grundfreiheiten und Steuerrecht
3.1 Vorrang supranationalen Rechts
3.2 Die vier Grundfreiheiten
3.3 Das allgemeine Diskriminierungsverbot
3.4 Einwirkungen auf das Recht der direkten Steuern
3.5 Die Prüfung nach einem Verstoß
3.6 Die Auswirkungen eines Verstoßes
3.7 Rechtfertigungsgründe bei einem Verstoß

4. Direkte Steuern und Kapitalverkehrsfreiheit – Allgemeiner Teil –
4.1 Die Entwicklung der Kapitalverkehrsfreiheit
4.2 Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit
4.3 Verhältnis der Kapitalverkehrsfreiheit zu den anderen Grundfreiheiten
4.3.1 Verhältnis zur Warenverkehrsfreiheit
4.3.2 Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit
4.3.3 Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit
4.3.3.1 Auslegung des Art. 43 Abs. 2 EG
4.3.3.2 Auslegung des Art. 58 Abs. 2 EG
4.3.3.3 Überschneidung der Schutzbereiche
4.3.3.4 Abgrenzung der Schutzbereiche durch den EuGH

5. Direkte Steuern und Kapitalverkehrsfreiheit – Besonderer Teil –
5.1 Gesellschafter – Fremdfinanzierung - § 8a KStG
5.1.1 Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.1.2 Keine Rechtfertigung des Eingriffs
5.1.3 Investitionen aus Drittstaaten
5.1.4 Neureglegung durch den Gesetzgeber
5.1.4.1 Eingriff der Neuregelung in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.1.4.2 Rechtfertigung
5.1.4.3 Schlussfolgerung
5.2 Dividendenbesteuerung - § 8b Abs. 5 KStG
5.2.1 Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.2.2 Rechtfertigung des Eingriffs
5.2.3 Neuregelung durch den Gesetzgeber
5.2.3.1 Eingriff der Neuregelung in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.2.3.2 Rechtfertigung des Eingriffs
5.3 Anrechnungsverfahren - § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG
5.3.1 Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.3.2 Rechtfertigung des Eingriffs
5.3.3 Auswirkungen des Verfahrens „ Manninen “ auf deutsche Anteilseigner
5.4 Wegzugsbesteuerung - § 6 AStG
5.4.1 Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.4.2 Rechtfertigung des Eingriffs
5.5 Hinzurechnungsbesteuerung - §§ 7-14 AStG
5.5.1 Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.5.2 Rechtfertigung des Eingriffs
5.6 Verlustausgleich über die Grenze - § 2a EStG
5.6.1 Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit
5.6.2 Rechtfertigung des Eingriffs

6. Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einführung

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EG-Vertrag) zielt auf die Verwirklichung eines einheitlichen Wirtschaftsraums, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleitungen und Kapital gewährleistet ist.[1] Die Errichtung dieses einheitlichen Wirtschaftsraums bedingt auch die Vereinbarung gewisser Regeln über das Zusammenspiel der Steuerrechtsordnungen der Mitgliedsstaaten und damit einen gewissen Grad an Harmonisierung.[2]

Die Harmonisierung des europäischen Steuerrechts durch den Gesetzgeber war in der Vergangenheit lediglich bei den indirekten Steuern mittels Richtlinien erfolgreich.[3] Die Harmonisierung der direkten Steuern ist demgegenüber bisher nur ansatzweise erfolgt. Dem fehlenden Willen zur politischen Einigung über das europäische Steuerrecht und damit zu einer umfassenden Harmonisierung durch den Gesetzgeber stehen die Harmonisierungsbestrebungen des EuGH gegenüber. Der EuGH hat mit seinen Urteilen zu den direkten Steuern in den vergangenen Jahren verdeutlicht, dass er die entscheidenden Impulse für eine Harmonisierung des europäischen Steuerrechts setzt. Ausgehend von den Diskriminierungsverboten der Grundfreiheiten des EG-Vertrages entwickelt der EuGH in seinen Urteilen klare Grundsätze, an denen sich das nationale Steuerrecht messen lassen muss, wobei die in den weiteren Ausführungen zu bearbeitenden Einwirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit auf das Recht der direkten Steuern in der Rechtsprechung des EuGH bisher nur eine untergeordnete Rolle spielten.

Zum einen lag das daran, dass die Kapitalverkehrsfreiheit anders als die anderen Grundfreiheiten bis zu dem Vertrag von Maastricht[4] nicht vollständig liberalisiert war. Art. 67 EWGV sah lediglich eine schrittweise Aufhebung der Beschränkungen auf der Grundlage der hierfür verabschiedeten Kapitalverkehrs-Richtlinie 88/361/EWG[5] vor. Zum anderen hatte der EuGH dem Art. 56 EG erst in der Rechtssache „ Bordessa[6] unmittelbare Wirkung zuerkannt. Außerdem bestehen nach wie vor Unsicherheiten in Bezug auf den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit in Abgrenzung insbesondere zu der Niederlassungsfreiheit.[7] Schließlich enthält die Kapitalverkehrsfreiheit als einzige Grundfreiheit eine durch den Vertrag von Maastricht neu eingeführte ausdrücklich zulässige Beschränkung im Bereich der direkten Steuern (vgl. Art. 58 Abs. 1a EG).[8]

Bevor nun in Kapitel 4 im Einzelnen auf das Verhältnis der direkten Steuern zu der Kapitalverkehrsfreiheit eingegangen wird, soll in den Kapiteln 2 „Europäisches Steuerrecht“ und 3 „Grundfreiheiten und Steuerrecht“ zunächst ein kurzer Einblick in das Verhältnis „direkte Steuern“ und „Europa“ gegeben werden.

2. Europäisches Steuerrecht

2.1 Legitimation für ein europäisches Steuerrecht

Basis des europäischen Steuerrechts ist der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.03.1957, zuletzt reformiert durch den am 07.02.1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union[9] und den Vertrag von Amsterdam vom 02.10.1997[10].

2.2 Kompetenzverteilung auf europäischer Ebene

Der EG-Vertrag legt die Aufgaben der Organe der Europäischen Union[11] fest. Es gilt das Subsidiaritätsprinzip[12] sowie das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung[13]. Die Gemeinschaft kann dabei nur diejenigen Maßnahmen ergreifen, die ihr ausdrücklich durch den Vertrag zugewiesen sind. Der Gemeinschaft fehlt somit die Kompetenz-Kompetenz.

Durch die Vorgaben des EG-Vertrages soll zwar eine Angleichung des Steuerrechts innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erreicht werden[14], aber ohne, dass die Europäische Gemeinschaft durch eine eigene Steuergesetzgebungskompetenz auf das nationale Steuerrecht Einfluss nehmen kann[15], da es hierfür an der – nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung – erforderlichen vertraglichen Ermächtigung fehlt.

2.3 Einwirkung des Europarechts auf das nationale Steuerrecht

Die Einwirkung des Europarechts auf das nationale Steuerrecht erfolgt in erster Linie durch Richtlinien, zunehmend jedoch durch die Rechtsprechung des EuGH[16] sowie die richtlinienkonforme Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts[17].

Regelnden Einfluss hat das Europarecht auf das nationale Steuerrecht, z.B. in Art. 23 – 25 EG. Danach hat der nationale Steuergesetzgeber dem Verbot von Ein- und Ausfuhrzöllen und Abgaben gleicher Wirkung zu genügen. Daneben finden sich in Art. 90 - 92 EG steuerliche Regelungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Steuerrechtsordnung der Mitgliedsstaaten haben. Diese Vorschriften untersagen es den Mitgliedsstaaten, im freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft steuerliche Schranken zu errichten, die die inländische Produktion bzw. den inländischen Markt schützen und den ausländischen Wettbewerber benachteiligen. Art. 293 2. Spiegelstrich EG sieht die Möglichkeit vor, durch Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten die Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen. Hiervon ist bisher angesichts eines Netzes von DBA kein Gebrauch gemacht worden. Für die Harmonisierung der indirekten Steuern enthält Art. 93 EG eine spezielle Rechtsgrundlage, während für die direkten Steuern die Rechtsangleichung auf Art. 94, 95 EG zu stützen ist. Eine durchgreifende Harmonisierung ist im Bereich der direkten Steuern aber bislang – abgesehen von drei Richtlinien – nicht erfolgt. Zu nennen sind

-Ÿ die „Amtshilferichtlinie“[18], nach der sich die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten gegenseitig alle Auskünfte erteilen, die für die korrekte Veranlagung von Einkommen- und Kapitalsteuern geeignet sein können,
- die „Fusionsrichtlinie“[19], die zum Zweck hat eine steuerneutrale grenzüberschreitende Verschmelzung und Spaltung von Kapitalgesellschaften wie auch eine grenzüberschreitende Einbringung von Betrieben und Anteilen an Kapitalgesellschaften ohne Aufdeckung der stillen Reserven möglich zu machen,
Ÿ- die „Mutter-Tochter-Richtlinie“[20], die die steuerliche Mehrbelastung von Dividendenausschüttungen einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat beseitigen soll.

Vollständigkeitshalber sind auch noch die sog. „Schiedsverfahren-Konvention“[21], einen völkerrechtlichen Vertrag unter den Mitgliedsstaaten nach Art. 293 EG, sowie auf die Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen den Mitgliedsstaaten zu nennen.

2.4 Definition des Begriffs Steuern auf europarechtlicher Ebene

Eine Definition der Steuern selbst wird im EG nicht gegeben. Der EuGH entwickelte hierzu eine Definition auf der Grundlage objektiver Merkmale autonom nach Gemeinschaftsrecht[22]. Man wird dabei von einer Definition nach dem international üblichen Sprachgebrauch ausgehen dürfen, die im Ergebnis auf die Legaldefinition in § 3 Abs. 1 AO hinausläuft.

3. Grundfreiheiten und Steuerrecht

3.1 Vorrang supranationalen Rechts

Die Regelungen des EG-Vertrages – und damit insbesondere die in dem Vertrag verbrieften Rechte der Gemeinschaftsbürger (Grundfreiheiten sowie Diskriminierungsverbot) – setzt der EuGH als unmittelbar anwendbares Recht durch, das zu Gunsten des Gemeinschaftsbürgers gilt.[23] Denn den im EG-Vertrag niedergelegten, aber auch den auf dem EG-Vertrag basierenden ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen (Primärrecht) sowie den von den EU-Organen geschaffenen Verordnungen und Richtlinien (Sekundärrecht) kommen als supranationalem Recht Vorrang vor nationalen Rechtsnormen zu.[24]

3.2 Die vier Grundfreiheiten

Der Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft beruht auf den vier Grundfreiheiten,

Ÿ- dem freien Warenverkehr (Art. 23 ff. EG);
Ÿ- der Freizügigkeit der Personen, die sich gliedert in
Ÿ- das allgemeine Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht
-(Art. 18 EG),
Ÿ- die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 EG) sowie
Ÿ- die Niederlassungsfreiheit (Art. 43,48 EG),
Ÿ- der Freiheit der Dienstleistungen (Art. 49 EG) sowie
Ÿ- der Freiheit des Kapital und Zahlungsverkehrs (Art. 56 EG).

3.3 Das allgemeine Diskriminierungsverbot

Das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 12 EG, das Ungleichbehandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit ohne sachlichen Grund untersagt, tritt hinter den Grundfreiheiten zurück. Dennoch ist es zur Auslegung der speziellen Diskriminierungsverbote heranzuziehen.[25]

3.4 Einwirkungen auf das Recht der direkten Steuern

Der EG-Vertrag hat das Harmonisierungsgebot seines Art. 93 EG nicht auf die direkten Steuern erstreckt. Für den Bereich der direkten Steuern enthält der EG-Vertrag somit weder einen direkten Auftrag zu deren Harmonisierung, noch eine Gesetzgebungskompetenz.[26] Nach ständiger Rechtsprechung sind damit die Mitgliedsstaaten zuständig. Die einzelnen Mitgliedsstaaten müssen ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Grundfreiheiten ausüben und deshalb jede Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit unterlassen.[27] Gemeinsame gedankliche Grundlage der Grundfreiheiten ist dabei das sog. „Binnenmarkt-Prinzip“, die Sicherstellung der Bildung und das Funktionieren des Binnenmarktes durch die Beseitigung von zwischen den Mitgliedsstaaten bestehenden Freiverkehrshindernissen, um einen Raum ohne Binnengrenzen zu verwirklichen (vgl. Art. 3 Abs. 1c, Art. 14 Abs. 2 EG).[28] Ein Eingriff in den sachlichen Schutzbereich der Grundfreiheiten liegt entsprechend vor, wenn es zu einer Erschwerung der sachgemäßen Ressourcenallokation innerhalb des Gebiets der EU kommt, indem ökonomische Betätigungen mit grenzüberschreitendem Charakter behindert werden.[29] Sollte ein Sachverhalt in den Schutzbereich verschiedener Grundfreiheiten fallen, so gewähren diese gegebenenfalls einen kumulativen Schutz, da die einzelnen Grundfreiheiten jeweils eine andere inhaltliche Dimension schützen (sog. Parallelität der Grundfreiheiten).[30] Die nationalen Steuernormen dürfen in diesem Zusammenhang keine offene oder versteckte Diskriminierung bewirken. Darüber hinaus lassen sich aus den Grundfreiheiten Beschränkungs- und Behinderungsverbote ableiten, wonach zwar keine Benachteiligung zu einem inländischen Steuerpflichtigen feststellbar ist, jedoch die Ausdehnung einer Tätigkeit in einen anderen Mitgliedsstaat weniger attraktiv gestaltet ist.[31] Ein Verstoß ist in diesem Zusammenhang aber natürlich noch nicht in steuerrechtlichen Unterschieden der nationalen Rechtsordnungen oder dem Vorhandensein einer Steuer in einem Mitgliedsstaat, die in einem anderen Mitgliedsstaat nicht erhoben wird, zu sehen.[32]

3.5 Die Prüfung nach einem Verstoß

Die Prüfung des EuGH über einen etwaigen Verstoß gegen Grundfreiheiten erstreckt sich dabei über drei Prüfungsschritte[33]:

1. Im ersten Schritt fragt das Gericht, ob eine nationale Regelung Unionsbürger anderer Mitgliedsstaaten stärker belastet als die im eigenen Staatsgebiet ansässigen Personen
2. Das Gericht prüft im zweiten Schritt, ob der „formale“ Verstoß gegen den EG-Vertrag gerechtfertigt sein kann
3. Im dritten Schritt wird untersucht, ob die umstrittene Regelung geeignet und erforderlich ist, um das verfolgte legitime Ziel zu erreichen.

3.6 Die Auswirkungen eines Verstoßes

Auf Grund der unmittelbaren Anwendbarkeit der Grundfreiheiten und dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts sind nationale Vorschriften folglich nicht (mehr) anzuwenden, wenn sie gegen die Grundfreiheiten verstoßen.[34] Verstößt eine nationale Vorschrift gegen unmittelbar anwendbares Europarecht, steht die Nichtanwendbarkeit der entsprechenden Vorschriften ohne weiteren zeitlichen Aufschub fest.[35]

3.7 Rechtfertigungsgründe bei einem Verstoß

Im Rahmen seiner Rechtsprechung auf dem Gebiet der direkten Steuern hat sich der EuGH mit einer Vielzahl von Rechtfertigungsgründen auseinander setzen müssen. Einen wesentlichen Teil der vorgebrachten Rechtfertigungsgründe hat der EuGH allerdings bereits in seiner ersten Grundsatzentscheidung zu den direkten Steuern, der Rechtssache „ avoir fiscal “ verworfen.[36] Im Laufe der Jahre ist es dem EuGH darüber hinaus gelungen, die Tatbestandsmerkmale anerkannter Rechtfertigungsgründe deutlich herauszuarbeiten. Auch die Rechtfertigungsgründe im Bereich des Steuerrechts beruhen auf dem ungeschriebenen Grundsatz, wonach so genannte „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ Eingriffe in die Grundfreiheiten gestatten können.[37]

Keine „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ stellen folgende Argumente dar:

Ÿ- die Sicherung des Steueraufkommens eines Mitgliedsstaats,[38]
Ÿ andere wirtschaftliche Gründe[39], wie die Absicht, einen Anreiz für private Investitionen in einem Mitgliedsstaat zu schaffen[40],
Ÿ- die mangelnde Harmonisierung des Steuerrechts,[41]
Ÿ- die Erzielung steuerlicher Vorteile[42], dieses allgemeine Kompensationsverbot gilt allerdings nicht, soweit das Kohärenzargument greift,
Ÿ- der Steuervorbehalt bei der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 58 EG) da dieser lediglich auf die vom EuGH akzeptierten Rechtfertigungsgründe verweist, also rein deklaratorisch ist,[43]
Ÿ- der (angebliche) Zweck, Wettbewerbsgleichheit herzustellen[44] ; schließlich wird gerade durch die Einhaltung der Vorschriften des Vertrages über die Grundfreiheiten die Befolgung der Wettbewerbsregeln sichergestellt[45],
Ÿ- DBA-Vorschriften[46], es ist allerdings zu beachten, dass die Aufteilung des Besteuerungssubstrats zwischen den Vertragsparteien eines DBA keine Beschränkung von Grundfreiheiten beinhaltet.[47] Nur bei der Ausübung der durch DBA aufgeteilten Steuerhoheit dürfen sich die Mitgliedsstaaten nicht über die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften hinwegsetzen.[48]
Die vom EuGH in seiner Rechtsprechung zum direkten Steuerrecht bisher als solche akzeptierten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses sind:
Ÿ- die Missbrauchsbekämpfung, wobei zu beachten ist, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Gefahr einer Steuerumgehung bereits dann ausscheidet, wenn ein anderer Mitgliedsstaat diesen Sachverhalt besteuert.[49] Damit bezieht sich der EuGH auf den Grundsatz, dass die Mitgliedsstaaten untereinander ihre Rechtssätze als gleichwertig anzuerkennen haben. Der Schutz gegen Steuerflucht dient deshalb nicht mehr als Rechtfertigung. Dem Bestreben nationaler Finanzverwaltungen, mögliche Missbrauchsfälle schon aus Gründen der Vereinfachung in Form von Vermutungen zu regeln, ist der EuGH entgegengetreten. Steuerliche Vorschriften, die den nationalen Gerichten eine „Einzelfallprüfung anhand der Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts“[50] nicht erlauben, sind nicht zu rechtfertigen. Der Steuermissbrauch rechtfertigt einen Eingriff in die Grundfreiheiten nur gegenüber „rein künstlichen Konstruktionen“[51], die darauf ausgerichtet sind, nationales Steuerrecht zu umgehen
Ÿ- die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle,
Ÿ- die Kohärenz einer steuerlichen Regelung, der in der Praxis die größte Bedeutung zukommt. Unter Kohärenz wird ein Zustand verstanden, in dem mehrere Vorschriften aus systematischen Gründen aufeinander bezogen sind und gemeinsam eine angemessene systemgerechte Regelung darstellen.[52] Der EuGH hat in jüngerer Zeit deutliche Anhaltspunkte festgelegt, welcher Art dieser gegenseitige Bezug sein muss, um Eingriffe in Grundfreiheiten zu rechtfertigen: Voraussetzung ist eine strenge Wechselbeziehung zwischen einer Steuerbelastung und einer Steuererleichterung, und zwar für ein und denselben Steuerpflichtigen.[53]

[...]


[1] Vgl. Art. 2, 14 Abs. 2 EG.

[2] Bleckmann, S. 717, 719; Dauses, Abschnitt J, Rn. 4.

[3] Insbesondere bei der Umsatzsteuer.

[4] Vertrag von Maastricht vom 07.02.1992, BGBl. II 1992, 1253.

[5] Richtlinie 88/361 des Rates vom 24.06.1988 zur Durchführung von Art. 67 des EWGV, ABl. 1988 Nr. L 178/5.

[6] EuGH vom 23.02.1995, Rs. 358/93 und 416/93, EuGHE 1995, S. 361, Rn. 33, Bordessa; EuGH vom 14.12.1995, Rs. 163/94, 165/94 und 250/94, EuGHE 1995, S. 4821, Rn. 41, Sanz de Lera.

[7] Freitag, EWS 1997, 186 ff.; vgl. auch Mössner/Kellersmann, DStZ 1999, 508 f.

[8] Dautzenberg, RIW 1998, 537 ff.; Mössner/Kellersmann, DStZ 1999, 509 f.

[9] Zustimmungsgesetz vom 28.12.1992, BGBl II 1992, 1251.

[10] BGBl. II 1998, 387, geändert durch Art. 2 Nizza-Vertrag vom 26.02.2001, Abl. EG Nr. L 80/1.

[11] in erster Linie des Rates, der Kommission und des Gerichtshofs.

[12] vgl. Art. 5 II, III EG.

[13] vgl. Art. 5 I EG.

[14] Kellersmann/Treisch, S. 69.

[15] Tipke/Lang, § 2 Rn. 47, 48; Birk, Rn. 182.

[16] So wird der EuGH als „Motor der Integration“ bezeichnet, vgl. Wagner, DStZ 2004, 185 ff.; Sedemund, DStZ 2003, 407.

[17] Schaumburg, Rn. 3.48.

[18] Richtlinie Nr. 77/799/EWG des Rates vom 19.12.1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten im Bereich der direkten Steuern, ABl. EG Nr. L 336 vom 27.12.1977, S. 15 ff.

[19] Richtlinie Nr. 90/434/EWG des Rates vom 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedsstaaten betreffend; ABl. EG Nr. L 225 vom 20.8.1990, S. 1 ff.

[20] Richtlinie Nr. 90/435/EWG des Rates vom 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedsstaaten, ABl. EG Nr. L 225 vom 20.08.1990, S. 6 ff.

[21] Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (90/436/EWG), BStBl. I 1993, S. 819 ff.; Zustimmungsgesetz vom 26.08.1993 BStBl. I 1993, S. 818.

[22] EuGH vom 13.02.1996, Rs. 197/94 und 252/94, EuGHE 1996, S. 505, Rn. 39, Bautiaa.

[23] EuGH vom 15.07.1964, Rs. 6/64, EuGHE 1964, S. 1251, Costa/ E.N.E.L.

[24] Zur unmittelbaren Wirkung des EG-Vertrags in Deutschland als Mitgliedsstaat: BVerfG vom 18.10.1967, BVerfGE 22, 296; BVerfG vom 09.06.1971, BVerfGE 31, 173 f.; Zum Vorrang des EG-Vertrags vor nationalem Recht: EuGH vom 15.07.1964, Rs. 6/64, EuGHE 1964, S. 1251, Costa/E.N.E.L; EuGH vom 07.07.1976, Rs. 118/75, EuGHE 1976, S. 1185, Rn. 16, Watson/Belmann; EuGH vom 09.03.1978, Rs. 106/77, EuGHE 1978, S. 629, Simmenthal; EuGH vom 07.02.1991, Rs. 184/89, EuGHE 1991, S. 297, Rn. 19, Nimz/ Hansestadt Hamburg.

[25] Geiger, Art. 12, Rn. 1.

[26] Vgl. Punkt 2.2.

[27] Dauses, Abschnitt J, Rn. 16; EuGH vom 27.06.1996, Rs. 10/94, EuGHE 1996, S. 3113, Asscher; EuGH vom 29.04.1999, Rs. 311/97, EuGHE 1999, S. 2664, Royal Bank of Scotland; EuGH vom 13.04.2000, Rs. 251/98, EuGHE 2000, S. 2805, Baars.

[28] Cordewener, DStR 2004, S. 6.

[29] Cordewener, DStR 2004, S. 7.

[30] Schön, S. 749 f. und 753 f.; Cordewener, S. 328; EuGH vom 13.04.2000, Rs. 251/98, EuGHE 2000, S. 2805, Rn. 14, Baars;

[31] EuGH vom 15.05.1997, Rs. 250/95, EuGHE 1997, S. 2492, Rn. 25, Futura Part. und Singer; Callies/Ruffert, Art 43 EGV, Rn. 39.

[32] EuGH vom 14.07.1994, Rs. 379/92, EuGHE 1994, S. 3453, Rn. 34, Peralta; Cordewener, S. 843 ff.

[33] EuGH vom 15.05.1997, Rs. 250/95, EuGHE 1997, S. 2492, Rn. 25, Futura Part. und Singer; zur Methodik siehe im Übrigen Frotscher, S. 38 f.

[34] EuGH vom 27.03.1980, Rs. 66/79, EuGHE 1980, S. 1237, Rn. 8 f., Salumi.

[35] Es ist anzumerken, dass der Spruch eines deutschen Gerichts, dass deutsches Recht unter Missachtung der Vorlagepflicht gem. Art. 234 Abs. 3 EG angewandt hat Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein kann. Der Beschwerdeführer kann unter Umständen die Verletzung seiner Grundrechte bzw. des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Art. 1 Satz 2 GG) geltend machen.

[36] EuGH vom 28.01.1986, Rs. 270/83, EuGHE 1986, S. 285, avoir fiscal.

[37] Grabitz/Hilf, Art. 48 EG, Rn. 38 ff.

[38] EuGH vom 28.01.1986, Rs. 270/83, EuGHE 1986, S. 285, Rn. 25, avoir fiscal,; EuGH vom 16.07.1998, Rs. 264/96, EuGHE 1998, S. 4711, Rn. 28, ICI; EuGH vom 21.09.1999, Rs. 307/97, EuGHE 1999, S. 6181, Rn. 51, Saint-Gobain X AB und Y; EuGH vom 06.06.2000, Rs. 35/98, EuGHE 2000, S. 4071, Rn. 59, Verkooijen; EuGH vom 08.03.2001, Rs. 397 u. 410/98, EuGHE 2001, S. 1727, Rn. 59, Metallges. u. Hoechst; EuGH vom 03.10.2002, Rs. 136/00, EuGHE 2002, S. 8147, Rn. 56, Danner; EuGH vom 21.11.2002, Rs. 436/00, EuGHE 2002, S. 10829, Rn. 50, X und Y; EuGH vom 12.12.2002, Rs. 324/00, EuGHE 2002, S. 11779, Rn. 36, Lankhorst-Hohorst; EuGH vom 12.12.2002, Rs. 385/00, EuGHE 2002, S. 11819, Rn. 103, de Groot; EuGH vom 26.06.2003, Rs. 422/01, EuGHE 2003, S. 6817, Rn. 53, Ramstedt; EuGH vom 18.09.2003, Rs. 168/01, EuGHE 2003, S. 9409, Rn. 42, Bosal.

[39] EuGH vom 14.11.1995, Rs. 484/93, EuGHE 1995, S. 3971, Rn. 15, Svensson u. Gustavsson; EuGH vom 06.06.2000, Rs. 35/98, EuGHE 2000, S. 4071, Rn. 48, Verkooijen.

[40] EuGH vom 06.06.2000, Rs. 35/98, EuGHE 2000, S. 4071, Rn. 47, Verkooijen.

[41] EuGH vom 28.01.1986, Rs. 270/83, EuGHE 1986, S. 285, Rn. 24, avoir fiscal.

[42] EuGH vom 28.01.1986, Rs. 270/83, EuGHE 1986, S. 285, Rn. 21, avoir fiscal; EuGH vom 21.09.1999, Rs. 307/97, EuGHE 1999, S. 6181, Rn. 54, Saint-Gobain; EuGH vom 26.10.1999, Rs. 294/97, EuGHE 1999, S. 7447, Rn. 44, Eurowings; EuGH vom 06.06.2000, Rs. 35/98, EuGHE 2000, S. 4071, Rn. 61, Verkooijen; EuGH vom 12.12.2002, Rs. 385/00, EuGHE 2002, S. 11819, Rn. 97, de Groot.

[43] EuGH vom 06.06.2000, Rs. 35/98, EuGHE 2000, S. 4071, Rn. 43, 44, Verkooijen; EuGH vom 21.11.2002, Rs. 436/00, EuGHE 2002, S. 10829, Rn. 72, 73, X und Y.

[44] EuGH vom 26.06.2003, Rs. 422/01, EuGHE 2003, S. 6817, Rn. 58, Ramstedt.

[45] Schlussanträge vom 03.04.2003, Rs. 422/01, EuGHE 2003, S. 6817, Rn. 51, Ramstedt.

[46] EuGH vom 28.01.1986, Rs. 270/83, EuGHE 1986, S. 285, Rn. 26, avoir fiscal.

[47] EuGH vom 12.05.1998, Rs. 336/96, EuGHE 1998, S. 2793, Rn. 24, Gilly; EuGH vom 12.12.2002, Rs. 385/00, EuGHE 2002, S. 11819, Rn. 93, de Groot.

[48] EuGH vom 21.09.1999, Rs. 307/97, EuGHE 1999, S. 6181, Rn. 58, Saint-Gobain.

[49] EuGH vom 16.07.1998, Rs. 264/96, EuGHE 1998, Rn. 26 S. 4711, ICI; EuGH vom 08.03.2001, Rs. 397 u. 410/98, EuGHE 2001, S. 1727, Rn. 57, Metallges. u. Hoechst.

[50] EuGH vom 21.11.2002, Rs. 436/00, EuGHE 2002, S. 10829, Rn. 43, X und Y.

[51] EuGH vom 16.07.1998, Rs. 264/96, EuGHE 1998, S. 4711, Rn. 26, ICI; EuGH vom 12.12.2002, Rs. 324/00, EuGHE 2002, S. 11779, Rn. 37 Lankhorst-Hohorst.

[52] Frotscher, S. 39, Rn. 23.

[53] EuGH vom 11.08.1995, Rs. 80/94, EuGHE 1995, S. 2493, Rn. 24, Wielockx; EuGH vom 26.10.1999, Rs. 294/97, EuGHE 1999, S. 7447, Rn. 41 f., Eurowings; EuGH vom 06.06.2000, Rs. 35/98, EuGHE 2000, S. 4071, Rz. 56 ff., Verkooijen; EuGH vom 13.04.2000, Rs. 251/98, EuGHE 2000, S. 2805, Rn. 40 Baars; EuGH vom 12.12.2002, Rs. 324/00, EuGHE 2002, S. 11779, Rz. 42, Lankhorst-Hohorst.

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Einwirkungen der Kapitalsverkehrsfreiheit auf das Recht der direkten Steuern
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Politik und Öffentliches Recht der Universität München)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
53
Katalognummer
V59130
ISBN (eBook)
9783638531481
ISBN (Buch)
9783638677547
Dateigröße
654 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einwirkungen, Kapitalsverkehrsfreiheit, Recht, Steuern
Arbeit zitieren
LL.M. Eur. Michael Winkler (Autor:in), 2005, Einwirkungen der Kapitalsverkehrsfreiheit auf das Recht der direkten Steuern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59130

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