Der Allgemeine Deutsche Sprachverein und seine Wirkung auf die Deutsche Sprache


Hausarbeit (Hauptseminar), 1995

22 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung
1. Thematik und Ziel der Arbeit
2. Literatur und Forschungsstand

II. Hauptteil
3. Der Puritasbegriff
4. Geschichte des Sprachpurismus, Fremdwortfrage vor Herrmann Riegel
5. Der ADSV, Ziele, Absicht, Entwicklung und Vorgehensweise
6. Vergleich des Gründungsmanifests des ADSV mit dem von J. H. Campe

III. Schluß
7. Beurteilung vor rhetorikspezifischem Hintergrund
8. Zusammenfassung und Schlußfolgerung

IV. Literaturverzeichnis

V. Anhang
Quelle A
Quelle B
Quelle C

I. Einleitung

1. Thematik und Ziel dieser Arbeit

Die Forderungen nach Sprachreinheit sind alt und die Versuche, „Abhilfe zu schaffen“ vielfältig. Der in dieser Arbeit zur Disposition stehende Versuch des 1885 gegründeten Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (im folgenden kurz ADSV), die deutsche Sprache „rein“ zu halten, steht in einer historischen Entwicklung, die im Folgenden kurz skizziert werden soll. Den jeweiligen Kräften im Dienste des Sprachpurismus war ein sehr unterschiedlicher Erfolg beschieden. Grundsätzlich ist weiterhin zu klären, worin sich Sprachpurismus manifestiert und welche gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen damit verbunden sind.

„Die Verabschiedung - wieder einmal - eines Gesetzes ‘zum Gebrauch der französischen Sprache’, vulgo Sprachreinheits-, Sprachreinhaltungs-, Fremdwortgesetz, konnte uns diesseits des Rheins nicht kaltlassen. Wieder einmal wurde auch hierzulande gefordert und die Gesellschaft für deutsche Sprache aufgefordert, sich stark zu machen.“[1]

Es ist nicht das erste Mal, daß in Deutschland, - wie eben auch jenseits des Rheins wieder durch die einflußreiche Académie Francaise - der Ruf nach Maßnahmen zur Sprachbeeinflussung laut geworden ist. In Frankreich hat Sprachpolitik eine lange Tradition (Gründungsdatum 1635), bis heute wird aktiv versucht, von staatlicher Seite unterstützt und gesetzgeberisch sanktioniert, das Sprachverhalten der Franzosen zu einer ‘Reinhaltung’ der Nationalsprache hin zu beeinflussen. Diese Einflußnahme auf Sprache, also auf Verständigungsschemata und Vokabular von Bürgern, ist aktive Sprachkritik, deren Forderungen, wie im Falle des ADSV auch, von höchster Stelle stattgegeben wurde.

Konkret geht diese Arbeit der Frage nach, welchen Einfluß und bleibende Auswirkung der ADSV auf die deutsche Sprache und deren Gebrauch hatte. Hierzu sollen die Bedingungen für seine Entstehung und die Ursachen für sein Zugrundegehen untersucht werden. Ziel dieser Arbeit ist es, unter Berücksichtigung rhetorischer Ideale und Kriterien das Phänomen ADSV sprachkritisch zu beurteilen und innerhalb der geschichtliche Entwicklung zu deuten.

2. Literatur und Forschungsstand

Vom Allgemeinen Deutschen Sprachverein sind reichlich Schriftzeugnisse vorhanden. Sowohl die Werke des Gründers Riegel und seines Mitstreiters Herrmann Dunger als auch sämtliche Ausgaben der Monatszeitschrift „Muttersprache“, verschiedene Wissenschaftliche Beihefte und Verdeutschungswörterbücher sind erhalten. Umso verwunderlicher ist die geringe Beschäftigung mit dem Thema in der Sprachforschung. Arbeiten über die Entwicklung der deutschen Sprache erwähnen den ADSV allenfalls in wenigen, kaum analytischen Sätzen, während zur Sprach- und Purismusauffassung bei Geistesgrößen wie Grimm, Jahn oder Goethe eigenständige Werke vorliegen.

Zur rhetorischen Betrachtung des Sprach- und Fremdwortpurismus als solches tritt vor allem das Werk „Reinheit der Sprache, des Herzens und des Leibes“ von Gerhard Härle in Erscheinung. Allerdings beschränkt sich die Untersuchung, wie auch in „Kulturpatriotismus und Sprachbewußtsein“ (Huber 1982), „Rhetorik und Hochsprache“ (Haas 1980) und „Sprachhelden und Sprachverderber“ (de Gruyter 1995), weitgehend auf die vor-nationalistische Zeit.

Sprachkritische Beiträge finden sich beispielsweise in Hans-Martin Gauger: „Sprach-Störungen“ oder Jürgen Schiewe: „Sprache und Öffentlichkeit“.

II. Hauptteil

3. Der Puritasbegriff

Aus der rhetorischen Tradition ist bekannt, daß „puritas“, oder auch „latinitas“ genannt, eine unablässige Bedingung für rhetorisch korrekten, d.h. tugendhaften Sprachgebrauchs darstellt. Cicero bringt es knapp auf den Punkt:

„Denn niemand hat ja einen Redner je dafür bewundert, daß er korrekt sprach; anderfalls lacht man ihn aus und glaubt nicht nur, er sei kein Redner, sondern auch kein Mensch.“[2]

Von Quintilian erfahren wir ebenfalls, woran sich Sprachrichtigkeit festmacht:

„...die grammatischen und etymologischen Gesetztmäßigkeiten (ratio), die Überlieferung (vetustas), der Sprachgebrauch anerkannter Autoren (auctoritas) und (...) der aktuelle Sprachgebrauch“[3]

Auch wenn Quintilian dem Redner oder Dichter im Dienste einer besonderen oder besonders nachhaltigen Wirkungsabsicht zwar ausdrücklich die Verletzung der Sprachrichtigkeit zugesteht (licentia), mahnt er dennoch, sich vor folgenden vier Vergehen zu hüten: vor dem Barbarismus (dem Gerbrauch von Fremdwörtern), dem Gebrauch von onomatopoetischen Neuschöpfungen, falschen grammatikalischen Formen beim Einzelwort, Aussprachefehlern und vor der Abweichung von der korrekten Syntax.

Die vehemente Berufung auf diese Tugend durch die Verfechter der Sprachreinheit, z.B. Dunger und Riegel, ist also aus rhetorischer Sicht durchaus zu unterstützen. Dennoch kann sie allein nicht der alleinige Meßstab sein, muß sie sich doch an dem messen, was in der antiken Rhetorik weiterhin erkannt wurde und darf nicht isoliert oder losgelöst von der Ganzheit rhetorischer Erkenntnis zur Sprachkritik herangezogen werden. Dabei steht Sprachrichtigkeit, zumal die „puritas“ in Bezug auf den Wortgebrauch, nicht an erster Stelle, sondern wird von der rhetorischen Kardinaltugend schlechthin, der Angemessenheit, an Wichtigkeit überboten.

Haas hält dazu in ihrer Untersuchung der Sprachverwendung in der antiken Rhetorik fest:

„Die Angemessenheit ist nach Quintilian den anderen Tugenden der verwendeten Sprache übergeordnet, so wichtig diese auch sind: Dem Range nach folgen dem aptum die Tugenden der Sprachrichtigkeit (puritas), der Deutlichkeit (perspicuitas) und des Redeschmucks (ornatus).“[4]

Sowohl die Angemessenheit an den Redegegenstand wie auch die Angemessenheit an die Umstände und das Publikum können es im Sinne der guten überzeugenden Rede je nach Kontext ratsam erscheinen lassen, auch die Regeln der Puritas außer Kraft zu setzen. Dies gilt umso mehr, als Puritas von den Sprachpuristen nicht allein im Quintilianschen Sinne als Sprachrichtigkeit gemäß der Latinitas gesehen wird, sondern mit einem Begriff in Verbindung gebracht wird, der näherer Betrachtung bedarf: dem Adjektiv „rein“. In Grimms Wörterbuch wird „rein“ definiert als

„frei von Fremdartigem, das entweder auf der oberfläche haftet oder dem stoffe beigemischt ist, die eigenart trübend“[5]

Demzufolge wird im Literaturexikon Sprachpurismus definiert als:

Begriff, der die Bestrebungen bezeichnet, eine Nationalsprache von fremden Einflüssen „rein“ zu erhalten, besonders von Fremdwörtern, fremden Wortformen und Sprechweisen“.[6]

Härle weist auf eine notwendige Differenzierung des Reinheitsbegriffes hin. Mit reiner Sprache bezeichne man eine Sprache die selbst Subjekt geworden sei, sozusagen Mitte ihrer selbst und letztlich auch Mitte dessen, der sich ihrer bedient,. Nicht die von Puristen gereinigte Sprache sei die Wahrhaft reine Sprache[7].

4. Geschichte des Sprach-Purismus, Fremdwortfrage vor Herrman Riegel.

Die ersten Zeugnisse nicht-deutscher Wörter im deutschen Sprachgebrauch finden sich bereits im Minnesang des Mittelalters. Die Benutzung des Lateinischen in den Wissenschaften und der Kirche hatte eine weitgehende Unmündigkeit des gemeinen Volkes zur Folge. Ägidius Tschudi stellt im 16 Jh. fest:

„Sie können nit ein linien ohne lateynische Wort schreyben, so sie toch der tütschen genug hettend, machend, das menger gemeiner Mann, so kein Latein kann, nit wissen mag was es bedüt, aber wie ers verstun soll.“[8]

Mittler zu den antiken Sprachen ist vor allem das Italienische, dessen Einfluss sich im ersten Fremdwörterbuch 1571 manifestiert.

Erst mit der Herausbildung einer deutschen Allgemeinsprache im Zuge der Reformation und der einhergehenden Aufwertung und Emanzipierung des Individuums beginnt auch der Streit um richtige und „reine“[9] Sprachverwendung.

Doch bis zur Schaffung eines Einheitsstaates und damit einer deutschen Nationalsprache vergehen noch knapp drei Jahrhunderte. Die Vormachtstellung französischer Kultur und französischen Geisteslebens im 17./18. Jh. hinterlassen starke Spuren auch im Sprachgebrauch der Nachbarn. Leibniz stellt im 17. Jh. fest:

„Anitzo schein es, daß bei uns über ärger worden, und hat des Mischmasch abscheuliche Überhand genommen, also dass der Prediger auf der Kanzel, der Sachverwalter auf der Kanzlei, der bürgersmann im Schreiben und Reden it erbärmlicher Französischen sein Teutsches verderbet.“[10]

Die Sprachgesellschaften des 17 Jh. machen sich anhand der Übersetzung klassischer lateinischer Werke in die deutsche Sprache vor allem durch die damit einhergehende Stoff- und Formvermittlung verdient. In der Mitte des 17. Jahrhunderts zählt die „Fruchtbringende Gesellschaft“ über 500 Mitglieder, was für damalige Verhältnisse sicherlich als bedeutend gelten muß. Diese Gesellschaften trugen „dazu bei, die deutsche Sprache zu einem geschmeidigen und präziseren Ausdrucksmittel in Vers und Prosa zu machen“[11]. Andere Sprachgesellschaften waren der Palmorden Weimar (1617) mit dem Kurfürsten von Brandenburg als prominentestem Mitglied, die Tannengesellschaft in Straßburg (1633) und die Deutschgesinnte Gesellschaft von 1643. Unter ihrem Einfluß setzte beispielsweise der Kurfürst von Brandenburg durch, daß die Berliner Bauordnung kein Fremdwort enthielt.

[...]


[1] Walther 1995, 50

[2] Cicero, 3,52

[3] Haas 1980, 22

[4] Haas 1980, 19

[5] Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 16, Sp. 681

[6] Literatur-Brockhaus 1995, Bd. 7, 342f

[7] Härle 1996, 63

[8] Tschudi, In: Dunger 1882

[9] gemäß der Ausführungen zu ‘rein’ in Kapitel 3

[10] Leibniz: In: Dunger 1882

[11] Literatur-Brockhaus, S. 351

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Allgemeine Deutsche Sprachverein und seine Wirkung auf die Deutsche Sprache
Hochschule
Fachhochschule Bingen  (Neuphilologie)
Veranstaltung
Rhetorische Sprachkritik
Note
1,5
Autor
Jahr
1995
Seiten
22
Katalognummer
V59377
ISBN (eBook)
9783638533355
ISBN (Buch)
9783638666688
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Allgemeine, Deutsche, Sprachverein, Wirkung, Deutsche, Sprache, Rhetorische, Sprachkritik
Arbeit zitieren
MA Sebastian Hoos (Autor:in), 1995, Der Allgemeine Deutsche Sprachverein und seine Wirkung auf die Deutsche Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59377

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