Mobbing als verbale Gewalt unter Schülerinnen und Schülern. Eine Herausforderung für die Präventionsarbeit an beruflichen Schulen


Term Paper (Advanced seminar), 2020

15 Pages, Grade: 1.3


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I. Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprache als Gewalt
2.1 Unterscheidung zwischen körperlicher und verbaler Gewalt
2.2 Sprache und ihre Handlungsmacht
2.3 Formen verbaler Gewalt

3. Mobbing als Ausgrenzungsprozess

4. Präventionsmaßnahmen gegen Mobbing an beruflichen Schulen

5. Einbindung des Themas Mobbing in den Deutschunterricht

6. Fazit

II. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Ich fürchtete mich vor dem Tag beim Aufstehen.

Ich fürchtete mich vor dem nächsten Tag schon am späten Abend.

Ich wünschte mir immer wieder, nicht mehr zu leben. Nicht mehr leben zu müssen.

Wünschte sehnlich, dass mein Leben nicht existierte: diese Hölle von »Leben«“

(Widmann, 2007, S. 1198, Hervorhebung im Original).

Für Widmann (2007) gehören diese Gedanken zwar der Vergangenheit an, aber für viele Kinder und Jugendliche sind sie in diesem Moment gegenwärtig und gehören zu ihrem Alltag. Sie sind das Resultat von Mobbing unter SchülerInnen, einer Form der Gewalt, deren Instrument zumeist die Sprache ist. SchülerInnen, die Opfer von Mobbing und damit das Ziel der systematischen Schikanen ihrer MitschülerInnen sind, werden durch Worte in ihrem Selbstwert verletzt und können psychische Störungen wie Depressionen entwickeln (vgl. Mehl, 2020, S. 116). Auch Schulabsentismus und der damit einhergehende schulische Leistungsabfall sowie ein sozialer Rückzug und Suizidgedanken/-handlungen sind nicht selten eine Konsequenz von Mobbing (vgl. ebd., S. 118f.). Umso erschreckender sind die Erkenntnisse der aktuellen PISA-Studie, die belegen, dass fast jeder zehnte 15-Jährige in Deutschland beklagt, im schulischen Umfeld regelmäßig Ziel von Spott und Lästereien zu sein (vgl. Schubarth, 2019, S. 2). Dies geschieht meist durch die Verbreitung von Unwahrheiten und Gerüchten sowie mit Schimpfwörtern (vgl. Mögling, Tillmann & Wisniewski, 2018, S. 16). Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene zählen zu den Opfern von Mobbing. In beruflichen Schulen etwa sind neben allgemeinen Schwierigkeiten im Unterricht, Problemen im Elternhaus und Drogenkonsum vermehrt aggressive Verhaltensauffälligkeiten in Form von Mobbing zu beobachten (vgl. ebd.). Dabei ist Mobbing insbesondere durch eine aggressive und gewalttätige Sprache gekennzeichnet. LehrerInnen beobachten vermehrt, dass „die verbale Gewalt […] schon morgens auf dem Weg zur Schule, im Bus oder auf dem Schulhof [anfängt] und […] sich durch den ganzen Tag [zieht]“ (Schlobinski & Tewes, 2007, S. 9). Doch wie kann Sprache Gewalt nicht nur androhen oder beschreiben, sondern sie auch unter SchülerInnen selbst ausüben, wenn doch keine sichtbaren Wunden hinterlassen werden? Wie sich das Phänomen Mobbing als verbale Gewalt äußert, ist daher Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Hausarbeit. Dabei soll auch ein näherer Blick auf den „Tatort Schule“ geworfen werden, indem Ansätze zur Prävention von Mobbing an beruflichen Schulen durchleuchtet werden. Konkret geht die vorliegende Hausarbeit daher auf folgende Forschungsfragen ein:

F1: Wie und warum kommt es im Kontext von Schule zu Mobbing als verbaler Gewalt?

F2: Wie und durch welche pädagogischen Mittel kann dem Phänomen Mobbing an beruflichen Schulen entgegengewirkt werden?

Hierfür wird in Kapitel zwei zunächst dargestellt, was unter verbaler Gewalt im Allgemeinen zu verstehen ist, wie sich die körperliche Gewalt von der verbalen Gewalt unterscheidet, welche Handlungsmacht Sprache innewohnt und welche Formen die verbale Gewalt konkret annehmen kann. Darauf aufbauend wird in Kapitel drei näher auf das Phänomen Mobbing eingegangen, indem der mit Mobbing einhergehende Ausgrenzungsprozess beleuchtet wird. Im weiteren Verlauf der Arbeit erfolgt in Kapitel vier eine Darstellung der aktuellen Präventionsmaßnahmen an beruflichen Schulen. Daran anschließend wird in Kapitel fünf eine Möglichkeit der Einbindung der Thematik in den Deutschunterricht aufgezeigt. Schließlich dient das Fazit dazu, die gewonnenen Erkenntnisse aus der vorliegenden Hausarbeit zu resümieren und einen Ausblick in die Zukunft zu geben.

2. Sprache als Gewalt

„Worte können nicht nur etwas tun, sondern auch etwas antun“

(Herrmann & Kuch, 2007, S. 7).

Sprache ermöglicht nicht nur die Beschreibung, Ankündigung oder Androhung von Gewalt, vielmehr können sprachliche Äußerungen selbst eine Form der Gewaltausübung sein. Und dies ist möglich, obwohl Sprache und Gewalt als polare Gegensätze betrachtet werden können, da Sprache auch zur Gewaltverhinderung eingesetzt werden kann (vgl. Krämer, 2007, S. 34). Der Ansatz Gewalt durch Sprache sieht Gewalt nicht intrinsisch mit der Sprache verbunden, sondern als eine Form des Handelns mit der Sprache. Demnach wird Gewalt in der Sprache dadurch vollzogen, dass wir mit Worten etwas tun (vgl. Herrmann & Kuch, 2007, S. 17). Was wir im Konkreten tun, kann auf metasprachlicher Ebene mit den Verben diskriminieren, kränken, beschimpfen, beleidigen, verfluchen, diskreditieren etc. beschrieben werden. Diese Verben suggerieren, dass Sprache neben einem Kommunikationsmittel der Verständigung und des Verstehens auch zu einem Instrument der Gewalt werden kann (vgl. Schlobinski & Tewes, 2007, S. 2). Da Worte als „das wesentliche Handwerkszeug der Seelenbehandlung“ (Freud, 1972, S. 289 zitiert nach Kopperschmidt, 1998, S. 13) gelten, ist Sprache mehr als nur eine Aneinanderreihung von Worten oder ein Mittel, um sachliche Aussagen über die Welt zu machen. Sie besitzt die Fähigkeit, Handlungen zu vollziehen und andere zu verletzen, zu demütigen und zu beleidigen. Dabei ist hervorzuheben, dass einer einzelnen Äußerung ihre verletzende Kraft zumeist nicht abzulesen ist. Vielmehr ist die Pragmatik einer Äußerung ausschlaggebend dafür, ob sie eine verletzende Kraft hat. So ist es von großer Bedeutung, wer was zu wem unter welchen Umständen wie sagt (vgl. Krämer, 2007, S. 35). Dabei wird die Wirkung verbaler Gewalt der Wirkung körperlicher Gewalt gleichgesetzt, denn Menschen, die Opfer von verbaler Gewalt sind, bewerten zugefügten körperlichen Schmerz ähnlich wie die Wirkung verletzender Worte (vgl. Kessler & Strohmeier, 2009, S. 62). Aber warum scheinen Worte die Fähigkeit zu haben, Menschen zu verletzen, wenn es doch „nur“ Worte sind? Auf diese Frage soll im weiteren Verlauf dieses Kapitels eingegangen werden, um daran anschließend aufzuzeigen, welche Formen die verbale Gewalt annehmen kann.

2.1 Unterscheidung zwischen körperlicher und verbaler Gewalt

In der schulbezogenen Gewaltforschung wird unter Gewalt die Anwendung von physischen und/oder psychischen Mittel verstanden, um einer Person oder einer Sache einen zielgerichteten Schaden zuzufügen und die eigenen Interessen durchzusetzen (vgl. Markert, 2017, S. 296). Der Gewaltbegriff geht dabei von den lateinischen Termini violentia und potestas aus. Dabei verdeutlichen beide Termini, wie die körperliche Gewalt von der verbalen zu unterscheiden ist. Wohingegen violentia als verletzende Gewalt durch die Kraft und Stärke definiert wird, wird potestas als verfügende Gewalt verstanden, welche sich an dem Vermögen und Können, etwas geschehen zu lassen, messen lässt und somit als eine Form der Gewalt als Macht zu verstehen ist. Bei der Betrachtung der Ausübung beider Gewaltformen lässt sich dieser Umstand besser verdeutlichen. Denn das Zufügen von körperlicher Gewalt erfordert ausschließlich violentia, aber Menschen, die verbale Gewalt ausüben, müssen stets über potestas verfügen, um violentia anzuwenden (vgl. Kuch & Herrmann, 2007, S. 196f.). Somit lassen sich bei der verbalen Gewalt insbesondere Bedeutungsüberschneidungen mit den Begriffen Macht und Herrschaft erkennen (vgl. Koch, 2010, S. 11). Die Verletzbarkeit durch Sprache sieht Krämer (2007, S. 36f.) im Zusammenhang von Personalität und Sprachlichkeit. Demnach verfügen Menschen neben einem physisch-leiblichen Körper auch über einen sozial-symbolischen Körper. Wenn verbale Gewalt vollzogen wird, geht damit eine Veränderung der physischen oder sozialen Position einer Person einher, welche die Identität im Sinne einer Positionierung im sozialen Raum bedroht und somit die Fähigkeit besitzt, eine Person an einen randständigen sozialen Ort zu verweisen. Dabei ist hervorzuheben, dass jede körperliche Gewalthandlung auch stets sprachliche oder symbolische Dimensionen beinhaltet. So besitzt bspw. eine Ohrfeige als körperliche Gewalthandlung auch stets einen hohen symbolischen Gehalt der Demütigung (vgl. Krämer, 2007, S. 33). Dabei ist körperliche Gewalt allerdings oft laut und unübersehbar, wohingegen die verbale Gewalt unsichtbar und demnach auch schwer zu erkennen ist (vgl. Herrmann & Kuch, 2007, S. 7).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Wirkung verbaler Gewalt zwar mit körperbezogenen Metaphern wie verletzen oder verwunden beschrieben wird und insofern die Beeinflussung des körperlichen Wohlbefindens greifbar wird, aber dennoch beide Gewaltformen voneinander zu trennen sind. Denn Sprache bezieht nicht erst aus der Verbindung mit der körperlichen Gewalt ihre Fähigkeit zu verwunden. Vielmehr verfügt sie über die Fähigkeit, soziale Bedeutung zu erzeugen, sodass sie selbst gewalthaft ist, insbesondere durch Sprechakte, die andere deformieren (vgl. Schlobinski & Tewes, 2007, S. 2f.). Warum wir aber mit bloßen Äußerungen soziale Tatsachen schaffen, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

2.2 Sprache und ihre Handlungsmacht

Dass Sprache über die Fähigkeit besitzt, soziale Bedeutung zu erzeugen, ist auf ihre Fähigkeit der performativen Kraft zurückzuführen. Nach John L. Austin (1979), dem Begründer der Sprechakttheorie, gibt es neben konstativen auch performative Äußerungen. Während konstative Äußerungen dazu dienen, Feststellungen zu machen oder etwas zu beschreiben, entziehen sich performative Äußerungen der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes einer Aussage (vgl. Cicek, Heinemann & Mecheril, o.J, S. 6). Um dies zu verdeutlichen, führt Austin (1979, S. 28f.) folgende Beispiele in seiner Vorlesung „How to do things with words“ an:

- „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen ‚Queen Elizabeth‘.“
- „Ich vermache meine Uhr meinem Bruder.“

Mit diesen Äußerungen wird kein Sachverhalt beschrieben und sie können weder als wahr oder falsch deklariert werden. Vielmehr vollziehen diese Äußerungen eine Handlung. Performative Äußerungen können sowohl gelingen als auch misslingen. Für die o.e. Äußerungen kann von einem Misslingen gesprochen werden, wenn der Sprechende nicht autorisiert ist, das Schiff zu taufen oder die Uhr zu vererben (vgl. Austin, 1979, S. 36). Aber auch eine unaufrichtig vorgetragene Äußerung kann missglücken, wenn bspw. ein Versprechen gegeben wird, ohne die Absicht zu haben, das Versprechen auch einzuhalten. Darüber hinaus werden die funktionalen Bestandteile der Sprechakte in den lokutionären, den illokutionären und in den perlokutionären Akt unterschieden. Die lokutionäre Ebene des Sprechaktes beinhaltet die sprachliche Seite der Äußerung und kann in einen phonetischen, einen phatischen und einen rhetischen Akt gegliedert werden. Auf der illokutionären Ebene des Sprechaktes wird die Art der Handlung festgelegt, mit der die Äußerung vollzogen wird. Das Zusammenwirken dieser beiden Akte enthält den Aspekt des perlokutionären Aktes. An dieser Stelle ergeben sich zwangsläufig Wirkungen auf die beteiligten Personen, welche auch unabhängig von der Intention der sprechenden Person sein können (vgl. Cicek, Heinemann & Mecheril, o.J., S. 7). Demnach ist Sprache offen für verschiedene Verwendungen, sodass wir nicht nur über die Welt sprechen, sondern auch in sie eingreifen und eine Beziehung zu den Angesprochenen aufnehmen und eingehen (vgl. Krämer, 2007, S. 32). Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Sprache in ihren Wirkungen auf die beteiligten Personen sowohl sehr positiv und wohltuend als auch sehr negativ und gewalttätig sein kann und sich in verschiedenen Formen verbaler Gewalt äußern kann.

2.3 Formen verbaler Gewalt

Verbale Gewalt tritt in verschiedenen Formen u.a. als Beschimpfung, Beleidigung, Herabsetzung, Diffamierung, Drohung, Bloßstellung und Fluch auf (vgl. Schlobinski & Tewes, 2007, S. 2f). In diesen Formen tritt sie auch beim Mobbing auf (vgl. Hermann & Kuch, 2007, S. 17). All diese Formen der Gewalthandlungen können einen anderen Menschen ausgrenzen und ihn diskriminieren (vgl. Schlobinski & Tewes, 2007, S. 3). Die soziale Diskriminierung äußert sich insofern, als dass „Mitglieder einer Mehrheitsgruppe beispielsweise versuchen, engen oder persönlichen Kontakt mit den Mitgliedern einer Minderheitsgruppe zu vermeiden, […] sich weigern, direkt mit ihnen zu kommunizieren oder – falls direkter Kontakt unvermeidbar ist – […] ihnen gleiches Ansehen und gleichberechtigte Teilhabe an Kommunikation vorenthalten“ (Graumann & Wintermantel, 2007, S. 142). Im Folgenden sollen die Sprechakte Diskriminieren und Beschimpfen näher beleuchtet werden.

Sprechakt Diskriminieren

Bei der sozialen Diskriminierung und den entsprechenden Sprechweisen lassen sich unterschiedliche Formen feststellen, die es ermöglichen, Menschen zu diskriminieren. So skizzieren Graumann und Wintermantel (2007, S. 143-159) die Formen sozialer Diskriminierung in der Sprache im Trennen, Distanzieren, Akzentuieren, Abwerten und Festschreiben von Mitgliedern der Outgroup durch die Mitglieder der Ingroup. Dabei versteht sich das Trennen als grundlegender Vorgang, bei dem die Ingroup und die Outgroup durch Unterscheidung sowie Kategorisierung oder Klassifizierung voneinander getrennt werden. Mittels unterschiedlicher Benennungen und semantischer Kategorisierung wie. „Wir / Sie“ und „Schwarzer Fahrer verursacht schweren Verkehrsunfall“ wird die Diskriminierung sprachlich realisiert. Bei der Distanzierung wird ein semantischer oder sozialer Abstand geschaffen, um eine sichtbare Ordnung herzustellen. Die Funktion des Diskriminierens als Akzentuieren besteht darin, Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zu betonen, um eine Akzentuierung der Unterschiede zwischen den betreffenden Kategorien herbeizuführen. Des Weiteren geht mit der sozialen Diskriminierung die Abwertung der Outgroup einher, so dass der Wert der Ingroup und der eigenen sozialen Identität gesteigert werden kann, indem abwertende Bezeichnungen wie „Neger“ oder „Itaker“ verwendet werden. Bei der Diskriminierung als Festschreibung werden einem Mitglied der Outgroup entweder typische Eigenschaften zugeschrieben oder sie werden einem Stereotyp zugeordnet, indem eine generische Kategorisierung mit Substantiven wie „Schwuchtel“ oder „Frau am Steuer“ erfolgt.

Sprechakt Beschimpfen

Während sich das Schimpfen als monologische Sprechhandlung nicht gegen einen speziellen Rezipienten richtet und lediglich zur Emotionsentladung des Senders dient, bekommt der Rezipient beim Beschimpfen bewusst ein negatives Wort zu hören, damit er beleidigt oder gekränkt wird (vgl. Kiener, 1983, S. 129ff.). Somit können die Begriffe Beschimpfen und Beleidigen gleichgesetzt werden. Die meisten Beleidigungen, bspw. Schimpfwörter, beziehen sich auf konventionalisierte Mittel, welche kultur- und sprachspezifisch sind. Im deutschen Sprachgebrauch werden Schimpfworte aus dem Fäkalbereich oder der niederen Tiere bevorzugt (vgl. König & Stathi, 2010, S. 53). Der Sprechakt Beschimpfen kann nur metasprachlich verstanden werden (vgl. Krämer, 2007, S. 35). Für gewöhnlich wird eine Sprechhandlung mit dem Wort verbalisiert und gleichzeitig vollstreckt, welches die Handlung explizit beschreibt. So kann eine intendierte Handlung des Sprechers bspw. mit dem Satz „Hiermit warne ich dich“ festgestellt werden, aber bei Beschimpfungen ist dies nicht möglich. Zwar kann man eine Person beleidigen, indem man etwas sagt, aber die Formel „Hiermit beleidige ich Sie“ kennen wir nicht. Austin (1979) zeigt in seiner Sprechakttheorie den perlokutionären Effekt und stellt fest, dass „beleidigen“ zwar ein Sprechhandlungsverb ist, aber keinen performativen Gebrauch zulässt. Der intendierte gewaltvolle Sprechakt, also die Beschimpfung, glückt nur, wenn der Adressat die Beschimpfung entsprechend als Beleidigung aufnimmt (vgl. Hundsnurscher, 1997, S. 372). Dafür muss der Sprecher Kenntnis über die Person haben, die er beleidigt, und wissen, womit er den größten Schmerz bereiten kann, um das Ziel der Beschimpfung zu erreichen. Das Ziel der Beschimpfung ist es, das Selbstwertgefühl des Adressaten zu beeinträchtigen (vgl. Hundsnurscher, 1997, S. 372). Nach Hundsnurscher (1997, S. 372f.) lassen sich folgende Bezugskategorien des Selbstwertgefühls zu folgenden Angriffspunkten skizzieren:

- „Körperliche Verfassung: du Krüppel, du Dickwanst“
- „Aussehen: du Vogelscheuche, du Froschmaul“
- „Charaktereigenschaften: du Feigling, du Schurke“
- „Verhaltensweisen: du Wichtigtuer, du Affe“
- „Handlungskompetenz du Nichtskönner, du Stümper“.

3. Mobbing als Ausgrenzungsprozess

„Ich aber war von nun an von all dem ausgeschlossen.

Ich war jetzt nur noch »der Doofe«, der nichts zu sagen hat, der nicht mitmachen und nicht mitreden darf. Ein Minderwertiger, dessen Gesellschaft entweder lächerlich oder eine Zumutung ist“

(Widmann, 2007, S. 1198, Hervorhebung im Original).

Die Schilderungen von Widmann (2007) zeigen den typischen Ausgrenzungsprozess einzelner SchülerInnen, die Opfer von Mobbing sind. Das Phänomen Mobbing zeichnet sich dadurch aus, dass einzelne SchülerInnen mittels negativer kommunikativer Handlungen über einen längeren Zeitraum hinweg innerhalb der Klasse durch mehrere SchülerInnen systematisch abgewertet werden (vgl. Herrmann & Kuch, 2007, S. 17). Insbesondere weisen Jugendliche und junge Erwachsene eine Kultur des gegenseitigen „Dissens“ (engl. disrespect) auf, welche sich in häufigen Beleidigungen äußert, sodass die gegenseitigen verbalen Herabsetzungen bereits eine riskante Ausgangsbedingung für das Auftreten von Mobbing darstellen (vgl. Mögling, Tillmann & Wisniewski, S. 144). Beleidigungen gehören damit zum Alltag der SchülerInnen. In der Schulpraxis gehen mit Beleidigungen auch andere Formen von Gewalthandlungen einher. So tritt bspw. die Beleidigung zusammen mit Hetze, Lästereien oder mit körperlichen Tätlichkeiten auf (vgl. Markert, 2007, S. 307). Die Beleidigungen führen nicht nur zu einer Differenzkonstruktion, indem bspw. Opfer als „Fettsack“ bezeichnet werden und damit der Angriffspunkt der körperlichen Verfassung fokussiert wird. Vielmehr geht mit der verbalen Gewalt auch eine thematische Abgrenzung einher. Innerhalb der Beschimpfungen werden Inhalte aufgerufen, die eng an die angesprochene Person gekoppelt und im Ausgrenzungsprozess in besonderer Weise hervorgehoben und als Defizit konstruiert werden. Dabei behandeln Verbalattacken unter SchülerInnen jene Themen, die eine hohe Orientierungsrelevanz für sie haben wie Entwicklung, Reife, Hygiene und Mode. Da im Ausgrenzungsprozess auch Inhalte verhandelt werden, lässt sich ein weiterer sozialer Effekt feststellen. Indem bspw. ein Opfer als „Schlampe“ beleidigt wird, wird ihr ein unsauberes Verhalten vorgeworfen. Damit entsteht für Jugendliche die Aufforderung, sich inhaltlich innerhalb des sozialen Raums der Schulklasse zu positionieren. Somit entsteht eine Zugehörigkeit über verbale Gewalt, da MitschülerInnen bspw. in Bezug auf Mode und Hygiene zur Mehrheit der Klasse gehören müssen Darüber hinaus entsteht aber auch das Risiko für die MitschülerInnen, isoliert und zugleich Ziel des gewalthaften Abgrenzungshandelns der anderen zu werden. Somit herrscht ein Handlungszwang sowohl für aktive als auch für passive TäterInnen, die durch das bloße Zuschauen eine aktive Rolle im Mobbingprozess einnehmen (vgl. Markert, 2007, S. 307ff.).

4. Präventionsmaßnahmen gegen Mobbing an beruflichen Schulen

„Mobbing hinterlässt nur selten sichtbare Wunden, aber nahezu immer blaue Flecken auf der Seele“

(Lehner & Vervoort, 2017, S. 57).

Diese Flecken bzw. Kränkungen können zu traumatischen Schullaufbahnen führen und die Ursache für schulischen Misserfolg sein. Im Bereich der beruflichen Schule zeigen jüngste Studien, dass sich in der Schulzeit der BerufsschülerInnen entscheidet, „ob sich ihr beruflicher Lebensentwurf verwirklichen lässt oder nicht“ (Brungs & Schumacher, 2013, S. 27). Die Berufsschule hat u.a. zum Ziel, „eine Berufsfähigkeit zu vermitteln, die Fachkompetenz mit allgemeinen Fähigkeiten humaner und sozialer Art verbindet“ (KMK, 1991, S. 2). Demnach hat die Berufsschule nicht nur den Bildungsauftrag, fachliche Kompetenzen zu vermitteln, sondern auch BerufsschülerInnen zu einem verantwortungsbewussten sozialen Miteinander zu befähigen. Insofern gewinnt der Einsatz von wirksamen Präventionsmaßnahmen gegen Mobbing auch an beruflichen Schulen an großer Relevanz. Diese Maßnahmen fallen in erster Linie in die Zuständigkeit der Lehrkräfte, wobei auch das betroffene Kollegium sowie BerufsschulsozialarbeiterInnen und BeratungslehrerInnen in den Mobbingprozess miteingebunden werden können (vgl. Mögling, Tillmann & Wisniewski, 2018, S. 16). Da es sich bei Mobbing um verbale Gewalt als Ausgrenzungsprozess handelt, richten sich die meisten Maßnahmen zur Prävention auch auf die Stärkung sozialer Kompetenzen und damit auf die Verbesserung der Kommunikation innerhalb der Klasse als sozialem Raum (vgl. Großmann, 2006, S. 18). So gibt es eine Vielzahl an Angeboten für den Klassenverband wie die Einführung der Methode des positiven Feedbacks. Das positive Feedback ermöglicht SchülerInnen einen Austausch über Verhaltensweisen, die sie aneinander schätzen. Durch ein friedliches und konstruktives Miteinander im Klassenverband wird ein positives Klassenklima hergestellt, welches auch die Grundvoraussetzung für wirksame Präventionsmaßnahmen darstellt (vgl. ebd.). Um eine Verbesserung des klassenbezogenen sozialen Lernklimas herzustellen, können gruppendynamische Übungen eingesetzt werden. So bieten bspw. individuelle Kurzvorträge von SchülerInnen die Möglichkeit, sich über ein von ihnen ausgewähltes Thema zu unterhalten und dabei einen „Stein ins Rollen“ für gemeinsame Gespräche zu bringen. Dadurch kommt es zum einen zur Auflockerung des Klassenverbandes und zum anderen wird das Interesse für bspw. gemeinsame Aktivitäten geweckt (vgl. Mögling, Tillmann & Wisniewski, 2018, S. 82). Insbesondere zur Thematik Cybermobbing können Lehrkräfte Unterrichtseinheiten gestalten, in denen sie Videomaterialien wie den Kurzfilm „Let’s fight it together“1 einbetten, um Jugendliche für die Thematik zu sensibilisieren. Dabei ist es Aufgabe der Jugendlichen, sich in die verschiedenen Positionen einzufühlen und die Wahrnehmung von Konfliktsituationen und Gewaltsituationen nachzuvollziehen und zu erklären. Auch gibt es entwickelte Programme, bspw. das Programm „Faustlos“, welches für die Sekundarstufe entwickelt wurde. Lehrkräften werden bei der Teilnahme an einer eintägigen Fortbildung Materialien wie Arbeitsblätter, Rollenspielkarten etc. zur Verfügung gestellt und sie werden geschult, wie die Materialien eingesetzt werden sollten. Die Materialien sind derart konzipiert, dass Jugendliche gezielt in den sozial-emotionalen Kompetenzen in den Bereichen Empathie und Umgang mit Ärger und Wut gestärkt werden. Zwar werden alle SchülerInnen einer Klasse einbezogen, dennoch werden insbesondere aggressive SchülerInnen in ihrer Empathiefähigkeit gestärkt (vgl. Mögling, Tillmann & Wisniewski, 2018, S. 63f.).

[...]


1 Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=hYrDbGzZVUQ.

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Details

Title
Mobbing als verbale Gewalt unter Schülerinnen und Schülern. Eine Herausforderung für die Präventionsarbeit an beruflichen Schulen
College
University of Kassel  (Germanistik)
Course
Sprachwissenschaft/Sprachdidaktik
Grade
1.3
Author
Year
2020
Pages
15
Catalog Number
V594942
ISBN (eBook)
9783346229632
ISBN (Book)
9783346229649
Language
German
Keywords
Mobbing, Deutschunterricht, berufliche Schule, Berufsschule, verbale Gewalt, Präventionsarbeit, Umgang mit verbaler Gewalt, Mobbing als verbale Gewalt, Mobbing im Deutschunterricht, Deutschdidaktik, Sprachdidaktik, Sprachwissenschaft, Germanistik, verbale Gewalt unter Schülern, Mobbing in Schulen, Thema Mobbing im Deutschunterricht, Präventionsarbeit Mobbing, präventive Maßnahmen Mobbing
Quote paper
Tuğba Durmaz (Author), 2020, Mobbing als verbale Gewalt unter Schülerinnen und Schülern. Eine Herausforderung für die Präventionsarbeit an beruflichen Schulen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/594942

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