Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Finanzierungsquellen im dualen Rundfunksystem
3. Bedeutungsverlust der klassischen Fernsehwerbung
3.1. Werbevermeidung der Rezipienten
3.2. Veranderte Fernsehnutzung
3.3. Netto-Werbeeinnahmen
4. Addressable TV
4.1. Wie funktioniert Addressable TV?
4.2. Werbeformen von Addressable TV
4.2.1. Spotunabhangige Werbung - Switch Ins
4.2.2. Spotbegleitende interaktive Werbung - Branded Red Button
4.3. Targeting
4.3.1. Geotargeting: TV-Spot mit Dialekt (Beispiel Yello)
4.3.2. Retargeting
4.3.2. Predictive Behavioural Targeting
5. Werbung auf Streamingdiensten
6. Fazit
7. Schluss
8. Literaturverzeichnis
9. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
„In einigen Jahren werden wir auf das Fernsehen zuruckblicken wie heute auf das Faxgerat." Mit diesen Worten sagte Reed Hastings, CEO des Streamingdienstes Netflix, bereits 2015 den Untergang des Fernsehens voraus (Reed Hastings zitiert nach: Heuzeroth 2015). Und auch in der restlichen Medienlandschaft wird oft gemunkelt, dass das klassische Fernsehen tot sei.
Mit der Etablierung von Video-on-Demand-Anbietern wie Netflix und Amazon Prime als Alternative zum herkommlichen linearen Fernsehen, hat sich das Mediennutzungsverhalten der Menschen innerhalb der letzten Jahre drastisch verandert. Wahrend non-lineare Inhalte, die jederzeit und uberall abrufbar sind, fur die Zuschauer an Bedeutung gewinnen, lockt das Programm im linearen Fernsehen immer weniger Menschen vor den Fernseher. Vor allem die jungeren Zuschauer wollen sich nicht mehr vorschreiben lassen, was sie wann und wo anschauen sollen.
Somit gerat auch die wichtigste Einnahmequelle der privaten Fernsehsender, die Fernsehwerbung, unter Druck. Das Geschaftsmodell vom klassischen Werbezeitenverkauf konnte erodieren, da die Reichweiten der linearen Programme, in denen taglich hunderte Werbespots verteilt sind, zuruckgehen. In den Randzeiten, zunehmend aber auch in der Prime-Time, verliert das Fernsehen seine Zuschauer an die Streamingportale. Es ist anzunehmen, dass dies in Zukunft massive Auswirkungen auf die Werbeeinnahmen der Sender haben wird und die Fernsehwerbung ihren hohen Stellenwert in der Werbebranche verlieren konnte (vgl. Klassen 2015).
Jungste Entwicklungen in der Werbezeitenvermarktung geben jedoch Hoffnung fur die totgeglaubte Fernsehwerbung. Addressable TV heiBt das Zauberwort: individualisierte Fernsehwerbung, sprich Werbung mit Adresse. Was bei Online-Werbung schon langst Gang und Gabe ist, halt nun auch auf den Smart-TVs Einzug: Mit Fernsehwerbung ganz gezielt bestimmte Zielgruppen ansprechen (vgl. SevenVentures 2018).
Die vorliegende Seminararbeit soll Einblicke in die neusten Entwicklungen von Addressable TV innerhalb der deutschen Fernsehlandschaft liefern und Aufschluss daruber geben, wie die Zukunft der Fernsehwerbung aussehen konnte.
Dafur sollen zunachst Erklarungen fur den Bedeutungsverlust der klassischen Fernsehwerbung gefunden werden. Dazu zahlen die zunehmende Werbevermeidung seitens der Rezipienten, die veranderte Fernsehnutzung der deutschen Bevolkerung und die Entwicklungen in den Netto-Werbeeinnahmen der Fernsehsender.
Als Losungsansatz fur die Krise der Fernsehwerbung wird im zweiten Teil der Arbeit Addressable TV vorgestellt. Wie funktioniert das, welche Werbeformen gibt es und wie erfolgt die zielgruppenspezifische Steuerung der Werbung? Hierbei wird am Beispiel einer TV-Werbekampagne fur das Unternehmen Yello das Geotargeting naher betrachtet.
SchlieBlich wird noch ein Blick auf den groBten Konkurrenten des linearen Fernsehens geworfen: Werden sich die Streamingdienste bald auch dem Werbemarkt offnen und was konnte dies wiederum fur die Fernsehwerbung bedeuten?
2. Finanzierungsquellen im dualen Rundfunksystem
In Deutschland wird die Finanzierung im dualen Rundfunksystem durch den Rundfunkstaatsvertrag geregelt. Darin werden fur die offentlich-rechtlichen Sender die Rundfunkgebuhren als Hauptfinanzierungsquelle festgelegt (vgl. Kloss 2007: 332f.).
Da die privaten Sender von den Gebuhren ausgeschlossen sind, werden ihnen in §43 weitere Werbemoglichkeiten eingeraumt:
Private Veranstalter konnen ihre Rundfunkprogramme durch Einnahmen aus Werbung und Teleshopping, durch sonstige Einnahmen, insbesondere durch Entgelte der Teilnehmer (Abonnements oder Einzelentgelte), sowie aus eigenen Mitteln finanzieren (Rundfunkstaatsvertrag §43 Finanzierung).
Folglich spielt der Werbezeitenverkauf bei den privaten Sendern eine groBe Rolle. Ein Sender muss sich nicht nur den Zuschauern gut prasentieren, sondern vor allem den Werbekunden gegenuber, um moglichst hohe Werbeeinnahmen zu erzielen (vgl. Karstens; Schutte 2010: 264f.).
Wie es derzeit um die Werbeeinnahmen der Fernsehsender steht wird in Kapitel 3.3. naher betrachtet.
3. Bedeutungsverlust der klassischen Fernsehwerbung
Die Fernsehwerbung erfreut sich unter den Werbetreibenden nach wie vor an groBer Beliebtheit. Im Jahr 2017 wurden laut Nielsen Media Research insgesamt ca. 4,74 Millionen Werbespots im deutschen Fernsehen ausgestrahlt (vgl. Statista 2019a), was einer Summe von 2,13 Millionen Sendeminuten Fernsehwerbung entspricht (vgl. Statista 2019b).
Laut IP Deutschland1 eignen sich klassische TV-Spots am besten fur die Einfuhrung neuer Produkte und Dienstleistungen und ist besonders wichtig fur den nachhaltigen Markenaufbau und die Vermittlung von Produktdetails. Der klassische Spot bietet dem Zuschauer Zeit und Raum emotional beteiligt zu sein, sich auf die erzahlte Geschichte einzulassen und Bilder wirken zu lassen (vgl. IP Deutschland GmbH 2019).
Fernsehwerbung ermoglicht es auBerdem vor allem ein breites Publikum anzusprechen und schnell hohe Reichweiten zu erzielen. Durch Werbeplatzierung in ausgewahlten Sendern oder Programmen zu bestimmten Tageszeiten wird zwar versucht, bestimmte Zielgruppen abzufangen, insgesamt ist die Fernsehwerbung jedoch nur eingeschrankt zielgruppenspezifisch steuerbar (vgl. Kloss 2007: 354).
3.1. Werbevermeidung der Rezipienten
Werbeblocke im Programm sind bei den Rezipienten recht unbeliebt. Werbung ist fur die Zuschauer eine nervige Unterbrechung und „das groBte Argernis im Fernsehen." (Friedrichsen 2004: 29).
Zudem ist es leicht, der Werbung durch Zapping (Umschalten), Verlassen des Raums, Nebenbeschaftigungen, „Second Screen"-Nutzung usw. auszuweichen. Der Grad der Werbevermeidung ist zwar schwer zu erfassen, dennoch ist anzunehmen, dass nur etwa ein Drittel des Publikums von den gesendeten Spots erreicht wird (vgl. Friedrichsen 2004: 26f.): „Jegliche Art von Zapping mindert den Erfolg der Fernsehwerbung und macht sie damit unattraktiver fur die Werbetreibenden." (Friedrichsen 2004: 29).
Die werbenden Unternehmen konnen also nicht sichergehen, dass ihre gesendeten Spots tatsachlich auch gesehen werden.
Als Gegenstrategie versuchen Werbetreibende und Sender, die Werbung starker in das Programm einzubinden. Somit sind zahlreiche Sonderwerbeformen wie Sponsoring, Splitscreen-Werbung, Cut Ins, Product Placement usw. entstanden (vgl. Kloss 2007: 340f.). Sie sollen die starren Strukturen der Blockwerbung aufheben und Werbung starker in den Programmfluss integrieren. Ziel dieser Sonderwerbeformen ist es, die Aufmerksamkeit und Erinnerung an Werbespots beim Rezipienten zu sichern (vgl. Gleich 2005: 33f).
Die Sonderwerbeformen sind mittlerweile Gang und Gebe und recht beliebt unter den Werbetreibenden. Ergebnisse verschiedener Studien2 zeigen, dass diese Art von Werbung von den Zuschauern tatsachlich positiver aufgenommen wird, weil man sie fur innovativ und weniger storend halt. Insgesamt lieB sich feststellen, dass eine enge Anbindung an das Programm das Werbevermeidungsverhalten der Zuschauer verringert (vgl. Gleich 2005: 33f).
3.2. Veranderte Fernsehnutzung
Den Statistiken zufolge ist die tagliche durchschnittliche Fernsehdauer der Deutschen nicht zuruckgegangen und liegt seit Jahren konstant uber 220 Minuten am Tag. 2017 lag die Fernsehnutzung aller Zuschauer bei 221 Minuten taglich (vgl. Gerhard; Zubayr 2018: 103).
Auffallend ist jedoch, dass das AusmaB des Fernsehkonsums stark vom Alter abhangig ist. In den letzten Jahren hat sich die „TV-Nutzungsschere“ zwischen Jung und Alt weiter verstarkt (siehe Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Entwicklung der durchschnittlichen Sehdauer pro Tag 1995-2017.
Bei den 14-29-Jahrigen lag die tagliche Fernsehdauer 2017 nur noch bei 105 Minuten am Tag, was 14 Minuten weniger ausmachte als noch im Jahr davor. Bei den Zuschauern uber 60 Jahren hingegen lag die tagliche Fernsehdauer 2017 sogar bei 331 Minuten. So schalteten 2017 86% der uber 60-Jahrigen taglich den Fernseher ein, bei den 14-29- Jahrigen hingegen sank die tagliche Fernsehnutzung im selben Zeitraum von 55% auf 44% (vgl. Gerhard; Zubayr 2018: 102f).
Die jungeren Zuschauer schauen demnach immer weniger linear fern. Diese Entwicklung lasst sich durch die Abwanderung zu den Streamingdiensten erklaren. In Deutschland haben sich inzwischen rund funf Millionen Nutzer bei Netflix angemeldet, doppelt so viele konnte Amazon Prime gewinnen und auch die Mediatheken von ARD und ZDF kommen auf jeweils mehr als zehn Millionen Nutzer pro Jahr (vgl. Hanfeld; Scheer 2017).
Somit lasst sich also festhalten: Die Zahl der taglichen Fernsehdauer in Deutschland bleibt zwar seit Jahren nahezu unverandert, wird aber von immer alteren Zuschauern erreicht. Die fur die Werbewirtschaft attraktivere Zielgruppe der 14-29- Jahrigen wird von der klassischen Fernsehwerbung daher immer seltener erreicht (vgl. Klassen 2015).
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1 Die IP Deutschland GmbH ist die Vermarktungsgesellschaft der RTL-Group.
2 Dabei handelt es sich meistens um Case-Studies und stammen von den TV-Werbevermarktern selbst, was nahelegt die Ergebnisse relativ zu betrachten.