Die Kriegsfibel ist Bertolt Brechts letztes lyrisches Werk und Kultbuch der
frühen Friedensbewegung. Dennoch blieb die wissenschaftliche Rezeption bis
heute erstaunlich zurückhaltend. So tituliert beispielsweise der Politologe und Germanist Theo Stammen die Fibel als „Stiefkind der Forschung“.1 Aufgrund
der bewussten Verbindung von künstlerischem Gehalt und politischer
Wirkungsabsicht wurde das 1955 erstmals publizierte Werk oft als
propagandistische Zweckliteratur verkannt. Mit meinen Ausführungen möchte
ich den Versuch unternehmen zu zeigen, dass Brecht mit seinen Text-Bild-
Kompositionen nicht nur ein herausragendes kompromissloses Werk gegen
den Krieg sowie seine vielfach politisch und ökonomisch bedingten Ursachen
gelungen ist, sondern auch ein ästhetisches Meisterwerk, welches es gekonnt
versteht, die Kunst zu lehren, Bilder zu lesen. Ganz so, wie es Brechts
langjährige dänische Mitstreiterin Ruth Berlau im Jahr Zehn der Befreiung vom
Hitler-Faschismus in ihrem Vorwort zur 1. im Ostberliner Eulenspiegel-Verlag
erschienenen Auflage erhoffte.2 Für diesen Zweck halte ich es für unabdingbar, sowohl die langjährige Entstehungsgeschichte der Kriegsfibel - die eigentlich Antikriegsfibel heißen müsste - als auch ihre endgütige künstlerische Gestaltung, in enger Verknüpfung mit dem gesellschafts-politischen Kontext jener Zeit zu betrachten. So erkennt der Literaturwissenschaftler und renommierte Publizist Welf Kienast den eigentlichen Gehalt der erst 10 Jahre nach ihrer 1. Fassung veröffentlichten Kriegsfibel als implizierte „zehn Jahre deutscher Geschichte samt Kapitulation, Staatengründung und 17. Juni“.3 Im weiteren Verlauf meiner Ausführungen möchte ich zeigen, wie sehr der erst 1955 abgeschlossene Entstehungsprozess die so oft zitierte Stunde Null, die Geburt zweier konträrer deutscher Staaten und ihre ersten Gehversuche reflektiert.
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1 Stammen, Theo: „Kriegsfibel“, Politische Emblematik und zeitgeschichtliche Aussage, Würzburg 1999.
2 Brecht, Bertolt: „Kriegsfibel“, hrsg. von Ruth Berlau, 4. Aufl., Berlin 1983 (1955)
3 vgl. Kienast, Welf: Kriegsfibelmodell. Autorschaft und „kollektiver Schöpfungsprozess“, 1. Aufl., 2001
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einführung
- 2. Hauptteil
- 2.1. Zum Begriff „Fibel“ und dessen Bedeutung für das Werk
- 2.2. Zur Entstehungsgeschichte der Kriegsfibel
- 2.3. Die graphische Darstellung und ihre immanente Wirkungsabsicht
- 2.4. Einflüsse und Anregungen Die „A-I-Z“ und ihre Bedeutung als Ideengeber
- 2.5. Die politische Bedeutung des Erscheinens der Kriegsfibel für Brecht 10 Jahre nach Kriegsende
- 3. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit Bertolt Brechts „Kriegsfibel“ und untersucht deren Entstehungsgeschichte, künstlerische Gestaltung und politische Bedeutung. Im Fokus steht die Frage, wie Brecht durch die Verbindung von Text und Bild ein kompromissloses Werk gegen den Krieg und seine Ursachen geschaffen hat, welches gleichzeitig ein ästhetisches Meisterwerk darstellt.
- Der Begriff der „Fibel“ als didaktisches und politisches Instrument
- Die Entstehungsgeschichte der „Kriegsfibel“ im Kontext des Zweiten Weltkriegs
- Die Rolle von Text-Bild-Kompositionen in Brechts Werk
- Die politische Bedeutung der „Kriegsfibel“ im Kontext der frühen Friedensbewegung
- Brechts ästhetische Gestaltung der „Kriegsfibel“ als „Kunst, Bilder zu lesen“
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einführung
Die Arbeit beleuchtet Brechts „Kriegsfibel“ als letztes lyrisches Werk und Kultbuch der frühen Friedensbewegung. Es wird gezeigt, wie die Verbindung von künstlerischem Gehalt und politischer Wirkungsabsicht oft zu einer Verkennung des Werkes als propagandistische Zweckliteratur führte. Der Fokus liegt auf der Darstellung von Brechts Text-Bild-Kompositionen als ästhetisches Meisterwerk, das die Kunst des Bildlesens vermittelt.
2. Hauptteil
2.1. Zum Begriff „Fibel“ und dessen Bedeutung für das Werk
Der Begriff der „Fibel“ wird als didaktisches Instrument zur Vermittlung von Sprache, Moral und Weltanschauung betrachtet. Brechts „Kriegsfibel“ wird als eine Art „Lernjournal“ verstanden, das den Rezipienten mit dem Zweiten Weltkrieg als historischem Feld konfrontiert und ihn zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Ursachen und Hintergründen des Krieges anregt.
2.2. Zur Entstehungsgeschichte der Kriegsfibel
Die Entstehung der „Kriegsfibel“ wird im Kontext des Zweiten Weltkriegs und kurz nach dessen Ende betrachtet. Es werden die Anfänge der Arbeit an der „Kriegsfibel“ sowie die Sammlung von Pressefotografien durch Brecht und seine Mitarbeiter thematisiert.
- Citation du texte
- Daniel Seiffert (Auteur), 2000, "Bert Brechts Kriegsfibel" oder "Wie und warum 69 Bilder das Sprechen lernten", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59570