Psychomotorische Entwicklungsförderung im Wasser als therapeutisches Angebot in der Frühförderung


Mémoire (de fin d'études), 2005

115 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen der Frühförderung
2.1 Begriffsklärung
2.2 Aufgaben und Ziele der Frühförderung
2.3 Fachliche Standards der Frühförderung
2.3.1 Ganzheitlichkeit
2.3.2 Familienorientierung
2.3.2.1 Die ökologisch-systemische Perspektive der Entwicklung nach Bronfenbrenner
2.3.3 Interdisziplinarität
2.3.4 Soziale Integration
2.3.5 Vernetzung
2.4 Die Berufsgruppen in der Frühförderung
2.5 Behinderungsbilder in der Frühförderung
2.5.1 Trisomie 21
2.5.2 Infantile Cerebralparese

3 Die Entwicklung vom Neugeborenen- bis zum Vorschulalter
3.1 Die Entwicklung der Wahrnehmung
3.2 Die motorische Entwicklung
3.3 Die kognitive Entwicklung nach Jean Piaget
3.3.1 Die sensomotorische Periode
3.3.2 Voroperatorisches anschauliches Denken
3.4 Die sozial-emotionale Entwicklung

4 Psychomotorische Entwicklungsförderung
4.1 Entstehung der Psychomotorik in Deutschland
4.2 Das Menschenbild der Psychomotorik
4.3 Ziele und Inhalte der Psychomotorik
4.4 Kompetenzerweiterung durch Psychomotorik
4.4.1 Ich-Kompetenz
4.4.2 Sach-Kompetenz
4.4.3 Sozial-Kompetenz
4.5 Die Bedeutung des Selbstkonzeptes für die Entwicklung
4.5.1 Begriffsklärung
4.5.2 Sich selbst erfüllende Prophezeiungen
4.5.3 Die Säulen des Selbstkonzepts
4.5.4 Das Konzept der Erlernten Hilflosigkeit nach Seligman
4.5.5 Abbau eines negativen Selbstkonzeptes
4.5.6 Die Bedeutung des Selbstkonzeptes für die psychomotorische Frühförderung behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder
4.6 Die Einheit von Wahrnehmung und Bewegung
4.7 Die Profilierung des Begriffes „Entwicklungsförderung“ für die Psychomotorik in der Frühförderung

5 Angebote der Förderung im Wasser
5.1 Aktive Wassertherapie nach Innenmoser
5.2 Die Halliwick-Methode nach McMillan
5.3 Die motorische Frühstimulation durch Säuglings- und Kleinkinderschwimmen
5.4 Psychomotorische Frühförderung im Wasser nach Cherek

6. Psychomotorische Entwicklungsförderung im Wasser
6.1 Die besonderen Eigenschaften des Mediums Wasser und ihre Auswirkung auf Körperreaktionen, Wahrnehmung und Bewegungsmöglichkeiten
6.1.1 Wassertemperatur
6.1.2 Wasserwiderstand
6.1.3 Wasserdruck
6.1.4 Auftrieb
6.1.5 Optische Reize
6.1.6 Akustische Reize
6.1.7 Olfaktorische Reize
6.2 Emotionale Erlebnisqualitäten im Wasser
6.2.1 Zum Begriff der Emotion
6.2.2 Positive und negative Emotionen im Wasser

7 Konzeptionelle Überlegungen
7.1 Äußerer Rahmen
7.2 Art und Dauer des Angebotes
7.3 Gruppengröße und –zusammensetzung
7.4 Personelle Standards
7.5 Finanzierung des Angebotes
7.6 Didaktisch-methodische Überlegungen
7.7 Altersbegrenzungen für die psychomotorische Entwicklungsförderung im Wasser in der Frühförderung

8. Inhaltliche Überlegungen zur psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser
8.1 Wassergewöhnung
8.2 Rituale bei der psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser
8.3 Taktile, vestibuläre und kinästhetische Stimulation durch Schwungübungen im Wasser
8.4 Gestaltung von Bewegungsanlässen anhand von Materialien
8.5 Soziale Erfahrungen im Wasser
8.5.1 Eltern-Kind-Interaktion im Wasser
8.5.2 Soziale Erfahrungen im Kontakt mit anderen Kindern
8.6 Der Einsatz von Schwimmhilfen
8.7 Die Rolle des Psychomotorikers

9 Veränderungen bei Kindern in der psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser

10 Grenzen der psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser für Kinder mit Behinderung

11 Integration der psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser in die Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder

12. Zusammenfassung und Ausblick

Anhang 1: Bewegungslieder

Anhang 2: Exemplarischer Verlaufsplan zu einer Förderstunde im Wasser mit Eltern anhand einer Bewegungslandschaft

Anhang 3: Exemplarischer Verlaufsplan zu einer Förderstunde im Wasser ohne Eltern

Literaturverzeichnis

Internetquellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

ABB. 1: DIE SYSTEMTHEORIE NACH BRONFENBRENNER

(EIGENE ZUSAMMENSTELLUNG)......

ABB. 2: DER AYSMMETRISCH-TONISCHE NACKENREFLEX

ABB. 3: DIAGRAMM DER WAHRNEHMUNGEN (ZINKE-WOLTER 2001, 65)

ABB. 4: DIE NEUE VORSTELLUNG DER LOKOMOTION (LARGO 1999, 131)

ABB. 5: TABELLE: GEGENÜBERSTELLUNG DER ERLEBNISQUALITÄTEN IM WASSER

ABB. 6: BILD 1 (KOHL IN: AHRENDT 2001b; 55)

ABB. 7: BILD 2 (KOHL IN: AHRENDT 2002, 147)

ABB. 8: BILD 2 (KOHL IN: AHRENDT 2002, 158)

ABB. 9: BILD 4 EIN KIND MIT KRAULQUAPPEN (INTERNETQUELLE 4)

1 Einleitung

Mit dieser Diplomarbeit wird ein Konzept zur psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser vorgelegt, das zur Prävention und Rehabilitation in die Angebotstruktur der Frühförderung integriert werden kann. Es soll gezeigt werden, welche Chancen der Entwicklungsförderung ein solches Angebot für nahezu alle Formen und Ausprägungen von Behinderung sowie für jede Altersstufe bietet und weshalb die psychomotorische Entwicklungsförderung im Wasser verstärkt als ergänzende Maßnahme in der Frühförderung eingesetzt werden sollte.

Zur Einordnung der psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser in den Kontext von Frühförderung werden die Ausführungen in Kapitel 2 mit einer Beschreibung der Institution Frühförderung und der von ihr betreuten Personengruppe begonnen. In Kapitel 3 soll anschließend eine knappe Darstellung der „Meilensteine“ kindlicher Entwicklung und eventueller behinderungsspezifischer Besonderheiten die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Entwicklungsförderung verdeutlichen. Dem folgt in Kapitel 4 eine Einführung in die Psychomotorik, die zum Verständnis des auf die Förderung im Wasser bezogenen Teils als notwendig erachtet wird. Nach einer in Kapitel 5 gegebenen kurzen Übersicht über bereits bestehende Ansätze zur Förderung von Menschen im Wasser in kritischer Auseinandersetzung mit ihrer Eignung für die Klientel der Frühförderung, wird in Kapitel 7, angelehnt an die Prinzipien der Psychomotorik, ein Konzept der Entwicklungsförderung im Wasser unter Berücksichtigung der spezifischen Eigenschaften und deren Wirkung auf den Menschen ausformuliert. Besonderes Augenmerk wird auf den Einbezug der Eltern gelegt, um auch kleinen Kindern und Kindern mit starken Bewegungseinschränkungen die Teilnahme zu ermöglichen und die Interaktion von Kind und Elternteil zu fördern. Die Darstellung inhaltlicher Aspekte in Kapitel 8 präzisiert die Überlegungen. In Kapitel 9 werden die erläuterten positiven Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung anhand empirischer Ergebnisse aus anderen Förderangeboten im Wasser belegt. Zuletzt werden in Kapitel 10 Grenzen der Möglichkeiten psychomotorischer Entwicklungsförderung im Wasser aufgezeigt und in Kapitel 11 das vorliegende Konzept in die Angebotsstruktur der Frühförderung integriert.

Der Arbeit wird das Paradigma der Entwicklungsförderung zu Grunde gelegt, das weder der Therapie noch der Pädagogik vollständig zugeordnet werden kann, sondern ein eigenständiges Paradigma bildet. Daher werden keine vorwiegend therapeutischen Aspekte in den Mittelpunkt gestellt, wie der Titel dieser Arbeit zunächst vermuten lässt. Vielmehr fließen in die vorliegenden Überlegungen zu einem Konzept der psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser Aspekte aus den Bereichen Therapie und Pädagogik ein.

In der Arbeit wird bei Berufsbezeichnungen die maskuline Form verwendet. Dies beinhaltet keine Wertung und schließt die weibliche Form mit ein. Bei der Bezeichnung von Mutter oder Vater des Kindes wird vorwiegend der neutrale Begriff „Elternteil“ bevorzugt.

2 Theoretische Grundlagen der Frühförderung

2.1 Begriffsklärung

Der Begriff „Frühförderung“ wird in der heutigen Zeit in verschiedenen Bedeutungszusammenhängen verwendet. Thurmair und Naggl nennen exemplarisch die „Intelligenzförderung für Babys allgemein“, die „Bemühungen um Integration von Ausländerkindern schon im Kindergarten“ und die „Talentförderung im Fußball“ (Thurmair & Naggl 2003, 13).

In dieser Arbeit soll der Begriff „Frühförderung“ die pädagogische und therapeutische Frühförderung bezeichnen, die Thurmair und Naggl wie folgt definieren:

„Frühförderung ist ein Hilfsangebot für Kinder im Säuglings-, Kleinkind- und Kindergartenalter, die behindert oder von Behinderung bedroht sind, und auch für deren Eltern und andere Personen, die Elternfunktionen wahrnehmen“ (ebd., 13).

Eine Behinderung liegt nach Bleidick vor, wenn Personen „infolge einer Schädigung ihrer körperlichen, seelischen oder geistigen Funktionen soweit beeinträchtigt sind, dass ihre unmittelbaren Lebensverrichtungen oder ihre Teilnahme am Leben der Gesellschaft erschwert werden“ (Bleidick 1993, 5). Von einer drohenden Behinderung wird dann gesprochen, wenn die „Entwicklung des Kindes in den Bereichen seiner Kompetenzen, seines Selbstkonzeptes und der Integration in seine Lebenswelt“ (Thurmair & Naggl 2003, 18) gefährdet sein könnte, so dass diese Kinder die Hilfen der Frühförderung zumindest für einige Zeit benötigen.

Frühförderung wird von Frühförderstellen angeboten, die ambulant und häufig auch mobil arbeiten. Sie haben eine regionale Struktur und setzen sich, je nach Arbeitsschwerpunkt, aus verschiedenen Berufsgruppen wie Medizinern, Psychologen, Therapeuten, Pädagogen und sozialen Fachkräften zusammen, die fachübergreifend zusammenarbeiten. Als offenes Angebot steht Frühförderung allen Eltern zur Verfügung, die sich Sorgen um die Entwicklung ihres Kindes machen.

Die Altersbegrenzung für von der Frühförderung betreute Kinder wird in der Praxis unterschiedlich ausgelegt: Einige Frühförderstellen betreuen Kinder bis zum Übergang in eine andere Einrichtung wie Kindergarten oder Schule, andere nur bis zu einer bestimmten Altersbegrenzung und wiederum andere Frühförderstellen sogar bis weit in das Grundschulalter

hinein. In der Regel jedoch markiert der Schuleintritt das Ende der Frühförderung (vgl. Färber 2004, 265).

2.2 Aufgaben und Ziele der Frühförderung

Aufgabe der Frühförderung ist es, „Auffälligkeiten oder Beeinträchtigungen möglichst früh zu erkennen“, „das Auftreten von Behinderung zu verhüten“ (Prävention) bzw. möglicher Verstärkung der Auffälligkeiten des Kindes entgegen zu wirken und „Behinderung in ihrer Folge zu mildern oder zu beheben“ (Sohns 2000, 14). Außerdem soll sie Hilfen für die Eltern, Familien und auch Kindergärten entwickeln und bereitstellen. Heese fasst diese Aufgabenbereiche unter den Schlagworten „Früherkennung, Früherfassung, Früherziehung mit Einschluss der frühen sondererzieherischen Therapie“ und „Frühberatung“ zusammen (Heese 1978, 4).

Durch die Hilfen der Frühförderung soll gewährleistet werden, dass sich das Kind in seiner Lebenswelt möglichst gut entwickeln, seine Kompetenzen entfalten und ein positives Selbstkonzept aufbauen kann (vgl. Thurmair & Naggl 2003, 22). Somit soll ihm zu einem „möglichst wenig durch Behinderung belasteten individualen und sozialen Leben“ (Heese in: Heese 1978, 10) und gleichberechtigter Teilhabe am Leben der Gemeinschaft verholfen werden.

Gleichzeitig erhalten die Eltern je nach Bedarf Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit der Beeinträchtigung des Kindes, sowie fachliche Anleitung, Informationen, Beratung und Begleitung im Umgang mit dem Kind und seiner individuellen Entwicklung (vgl. Thurmair & Naggl 2003, 23). Ziel ist vor allem, ihnen „professionelle Unterstützungssysteme zugänglich und transparent zu machen“ (ebd., 31) und ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren, um sie zu befähigen, konstruktiv mit ihrer Situation umzugehen. Die Vermittlung an Selbsthilfegruppen, oder auch andere Institutionen oder Dienstleister, die den Anliegen und Bedürfnissen des Kindes bzw. der Familie gerecht werden können, gehört daher, wie auch die Öffentlichkeitsarbeit, ebenfalls zum Aufgabenbereich der Frühförderung.

2.3 Fachliche Standards der Frühförderung

Frühförderung unterscheidet sich in ihren fachlichen Standards, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, von anderen Angeboten für Menschen mit Behinderung.

Diese Standards sind:

- Ganzheitlichkeit
- Familienorientierung
- Interdisziplinarität
- Soziale Integration
- Vernetzung

2.3.1 Ganzheitlichkeit

Ganzheitlichkeit bedeutet, dass man das Kind nicht defizitorientiert anhand seiner Schwächen beurteilt und in einzelne Teilbereiche fragmentiert. Stattdessen wird sein Wahrnehmen, Denken, Erleben und Handeln als untrennbare Einheit angesehen und das Kind in seiner gesamten Persönlichkeit vor dem Hintergrund der „kindlichen Gesamtentwicklung und Lebenswelt“ (Thurmair & Naggl 2003, 25) „in seiner individuellen und sozialen Eigenheit und Einmaligkeit, in all seinen Bedürfnissen und Entwicklungsmöglichkeiten“ (Sohns 2000, 27) betrachtet.

Daraus folgt, dass Förderung, Diagnostik und Therapie an den Kompetenzen und Interessen des Kindes ansetzen. Es werden seine individuellen Ressourcen anstelle seiner Schwächen und Defizite in den Mittelpunkt gestellt. Das Kind wird als „Akteur seiner eigenen Entwicklung“ (Kautter et al. 1995), und somit als eigenständig handelndes Subjekt, dessen Entwicklung von „außen“ nur angeregt werden kann, nicht als passives „Objekt“ der Förderung, betrachtet. Dadurch ergibt sich eine enge Wechselbeziehung zwischen dem Kind und seiner materialen und personalen Umwelt, die den Förderprozess zu einem „Interaktionsprozess“ werden lässt und das linear-kausale Denken der Medizin und Naturwissenschaften ablöst (vgl. Fischer 1991, 18). Der Fördernde wird somit zu einem Begleiter der Entwicklung des Kindes. Der Einbezug von Familie und Lebensumfeld mit seinen eigenen Bedürfnissen und Dynamiken in die Förderung und Diagnostik ist die logische Konsequenz dieses Verständnisses von Förderprozessen und wird im folgenden Punkt „Familienorientierung“ genauer erläutert.

2.3.2 Familienorientierung

Die Familie stellt den unmittelbaren Entwicklungskontext des Kindes, also sein direktes Lebensumfeld, dar. Daher müssen Förderung und Therapie in diesen Kontext eingebettet werden (vgl. Thurmair & Naggl 2003, 27).

Praktisch umgesetzt bedeutet dies, die elterlichen Kompetenzen zu respektieren und ihre Ressourcen zu stärken, indem „Angebote für das Kind mit Angeboten der Begleitung und Beratung der Eltern“ (ebd., 27) verbunden werden. Dabei werden die Angebote der Frühförderung mit den Anliegen der Eltern abgestimmt und die Eltern als gleichberechtigte Partner der Fachleute betrachtet (vgl. Pretis 2005, 29). Die Hilfen richten sich auf die jeweilige Familie in ihren individuellen Bezügen und sind als „Hilfe zur Selbsthilfe“ anzusehen. Entsprechend dem heute in der Frühförderung angestrebten „Kooperationsmodell“ werden Eltern und Fachleuten eigene, als gleichwertig betrachtete Kompetenzbereiche in Bezug auf das Kind und dessen Förderung zugesprochen. Dadurch soll Verunsicherungen, Leistungsdruck und Rollenkonflikten bei den Eltern, die sich ergeben würden, wenn sie als „Co-Therapeuten“ für ihr Kind eingesetzt würden, vorgebeugt werden.

Auf Grund der Überzeugung, dass viel Übung größere Effekte erziele, herrschte das „Co-Therapeuten-Modell“ lange Zeit in der Frühförderung vor: die Eltern, von den Fachleuten angeleitet, mussten auch zu Hause mit dem Kind Übungen durchführen. Trotz der elterlichen Rollenkonflikte war dies ein Fortschritt gegenüber dem anfangs vertretenen „Laienmodell“, in dem die Förderung sich lediglich auf das Kind bezog und die Eltern als „Laien“ betrachtet wurden. Sie besaßen bezüglich des Kindes keine Entscheidungskompetenzen, in den Augen der Fachleute waren sie nur „Zubringer von Informationen und [...] Empfänger von Ratschlägen und Anweisungen“ (Speck 1998, 485).

Für die flächendeckende und familiennahe Versorgung stellt die regionale Struktur von Frühförderstellen - im Gegensatz zu den überregionalen, eher medizinisch orientierten Sozialpädiatrischen Zentren - eine wesentliche Voraussetzung dar.

Durch das aufsuchende Angebot von mobil arbeitenden Frühförderstellen werden viele Familien erreicht, die eine ambulante Förderung nicht wahrnehmen können oder wollen. Zudem gewährleistet die „Hausfrüherziehung“ (Thurmair & Naggl 2003, 209) eine besonders alltagsnahe Förderung im unmittelbaren Lebenskontext des Kindes.

Um die Einbettung des Kindes in sein Lebensumfeld besser zu verdeutlichen, wird an dieser Stelle ein kurzer Einblick in die ökologisch-systemische Perspektive der Entwicklung nach Bronfenbrenner gegeben. Dieser Ansatz wurde gewählt, da er die kindliche Entwicklung in ihrer Komplexität sehr anschaulich in eine überschaubare Anzahl von Systemen einordnet, ohne in „lineare[...] Ursachen-Wirkungsmodelle[...]“ (Fischer 2004, 109) zu verfallen. Stattdessen verdeutlicht er die Einbindung des Individuums in seine Lebenswelt, in der es eine Vielzahl verschiedener Rollen einnimmt, die in einem Wechselwirkungsprozess die menschliche Entwicklung beeinflussen.

2.3.2.1 Die ökologisch-systemische Perspektive der Entwicklung nach Bronfenbrenner

Der Psychologe Urie Bronfenbrenner untersuchte die Verbindung zwischen verschiedenen Lebensbereichen des Menschen, da er das Argument vertrat, dass diese Verbindungen „die Entwicklung ebenso entscheidend beeinflussen können wie Ereignisse in einem bestimmten Lebensbereich“ (Bronfenbrenner 1981, 19).

Aus diesem Grund teilt er die Lebensbereiche, in denen sich ein Mensch bewegt, in „Ökologische Systeme“ ein, die auf unterschiedliche Weise miteinander in Beziehung stehen und auf vier verschiedenen Systemebenen angesiedelt sind:

1) Mikrosysteme: Ein Mikrosystem ist das „kleinste mögliche System“ (Fischer 2004, 103), in dem sich ein Mensch bewegt, wie beispielsweise die eigene Familie oder die Frühförderung. Darin nimmt das Individuum bestimmte Rollen ein, die sich durch Aktivitäten, Tätigkeiten und Beziehungen des Individuums ergeben, Einfluss auf deren Handeln, Denken und Fühlen ausüben (vgl. Bronfenbrenner 1981, 22) und mit bestimmten Erwartungen verbunden sind. Diese Erwartungen beeinflussen die „Wahrnehmungen, Tätigkeiten und Beziehungsmuster“ (ebd., 102) und somit auch die Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums. Dadurch erfährt es eine gewisse Einschränkung seiner Möglichkeiten, was aber gleichzeitig auch die Chance des Wechselns und Aushandelns von Rollen birgt, was mit einer „Entwicklungserweiterung, [...] einem Wachsen an der Aufgabe“ (Fischer 2004, 105) gleichzusetzen ist. Ein flexibler, am Prozess der Veränderung orientierter Rollenbegriff ist also förderlich für die menschliche Entwicklung, während die „Rollenfixierung [...] eher entwicklungsfeindlich“ ist (ebd., 105). Die Veränderung der Position einer Person innerhalb ihrer Umwelt „durch
einen Wechsel ihrer Rolle, ihres Lebensbereichs oder beider“ (Bronfenbrenner 1981, 43) bezeichnet Bronfenbrenner als „ökologischen Übergang“.
2) Mesosysteme: Als Mesosysteme bezeichnet Bronfenbrenner die „Wechselbeziehungen zwischen Lebensbereichen, an denen die sich entwickelnde Person aktiv beteiligt ist“ (Bronfenbrenner 1981, 41). Als Beispiel hierfür können Wechselbeziehungen zwischen der Familie und der Schulklasse oder Bekannten, also zwischen den einzelnen Mikrosystemen, angeführt werden. Jeder Eintritt in neue Lebensbereiche geht also mit der Bildung neuer Mesosysteme einher. Wechselbeziehungen können durch eine „direkte Beteiligung einer Person an den Lebensbereichen“, „Verbindung über eine Mittelsperson, die jedoch nur an einem Lebensbereich teilhat, aber mit einer Person des anderen Lebensbereiches einen dritten Lebensbereich gemeinsam hat“, „Verbindung oder Kommunikation zwischen den Lebensbereichen“ oder „Verbindung durch Kenntnisse über andere Lebensbereiche“ entstehen (Fischer 2004, 105f).
3) Exosysteme: An ihnen ist die einzelne Person nicht selbst beteiligt, kann aber von Ereignissen in diesen Systemen beeinflusst werden. Für ein Kind bildet z.B. der Arbeitsplatz des Vaters ein Exosystem, dessen Verlust sich auf das Mikrosystem Familie auswirken würde. Auch anders herum können sich Wechselwirkungen ergeben: Erkrankt das Kind, muss sich der Vater evtl. Urlaub nehmen (vgl. ebd., 106).
4) Makrosysteme: Das Makrosystem umfasst Weltanschauungen, Wertvorstellungen, Ideologien und kulturelle Normen, die Einfluss auf die anderen Systeme ausüben. Dazu gehören beispielsweise das Gesellschafts- und das Wirtschaftssystem (vgl. Fischer 2004, 108). Es bezieht sich auf „die grundsätzliche Ähnlichkeit der Systeme niedrigerer Ordnung (Mikro-, Meso- und Exo-), die in der Subkultur oder der ganzen Kultur bestehen oder bestehen könnten“ (Bronfenbrenner 1981, 42).
5) Chronosysteme: Diese berücksichtigen den Faktor „Zeit“ in seiner Bedeutung für die individuelle Entwicklung als „dynamische Beziehung individueller Ereignisse und Erlebnisse und deren Kontextbedingungen“ (ebd., 107).

Dazu gehören ökologische Übergänge und für die Persönlichkeitsentwicklung bedeutende Ereignisse und Erfahrungen sowie ihre biographische Abfolge. Bronfenbrenner unterscheidet

„normative“ Ereignisse, die wie z.B. der Schuleintritt, im Leben jeder Person auftreten, und „non- normative“ wie beispielsweise eine schwere Krankheit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die Systemtheorie nach Bronfenbrenner (eigene Zusammenstellung)

Für die kindliche Entwicklung und ihre Förderung ergibt sich aus Bronfenbrenners Theorie, dass diese stets in wechselseitiger Beziehung zwischen dem Subjekt und seiner Umwelt stattfindet. Die Systeme müssen in ihrer Wirkung auf das Subjekt, wie auch die mögliche Wirkung einer Veränderung des Subjekts auf die umgebenden Systeme, bei jeglicher Förderung berücksichtigt werden. In manchen Systemen wirkt sich eine Behinderung wesentlich stärker aus, als in anderen. Förderung setzt also niemals nur am Kind selbst an, sondern dessen individuelle Lebenswirklichkeit muss immer mit bedacht werden, da sie dessen Erfahrungen und Interessen, wie auch seine Entwicklungsbedingungen mit konstituiert.

2.3.3 Interdisziplinarität

Alle dem behinderten, von Behinderung bedrohten oder entwicklungsverzögerten Kind verpflichteten Berufsgruppen sind als „gleichgewichtig, gleichberechtigt und gleichverantwortlich an der Behandlung beteiligt“ anzusehen (Sohns 2000, 303), denn:

„keines dieser Teilsysteme, sei es das medizinische, das psychologische, das sozialfürsorgerische, kann für sich allein kompetent Frühförderung betreiben. Der behinderte Mensch mit seinen verschiedenen Teilbedürfnissen nach Hilfe ist ein einheitliches System, dem nur in

dem Maße entsprochen werden kann, in dem ihm als ganzem Menschen entsprochen wird“ (Speck 1989, 22).

Die verschiedenen Disziplinen kommen innerhalb ihrer Kompetenzschwerpunkte in der Förderung unterschiedlich zum Tragen. Sie sind „an einer Frühförderstelle als Mitarbeiter repräsentiert, und [arbeiten] dort auch fallbezogen wie übergreifend (z.B. in Konzeptfragen) zusammen“ (Thurmair & Naggl 2003, 29). Erschwerend für die interdisziplinäre Zusammenarbeit kann sich auswirken, wenn persönliche oder berufsgruppenspezifische Auseinandersetzungen vorherrschen, die verschiedenen Mitarbeiter nicht gemeinsam an einer Frühförderstelle angestellt oder die unterschiedlichen Kompetenzen nicht klar abzugrenzen sind. Gelungene interdisziplinäre Zusammenarbeit bedarf also gegenseitiger Achtung, der Rollenklarheit innerhalb der einzelnen Berufsgruppen und einer guten Abstimmung untereinander. Dazu sollten die verschiedenen Fachdisziplinen sich fragen, was ihr fachspezifisches Paradigma ist und wie dieses als „komplementäre Ergänzung zum Gesamtsystem“ beitragen kann (Speck in: Fischer 1991, 20). Für Eltern und Kind sollte die Förderung übersichtlich strukturiert sein, also von möglichst wenigen Fachleuten ausgeführt werden (vgl. Fischer 1991, 18). Die verschiedenen Fachdisziplinen sollten einem gemeinsamen Förderkonzept für jedes einzelne Kind folgen.

2.3.4 Soziale Integration

Soziale Integration findet nach Thurmair und Naggl immer als wechselseitiger Prozess auf zwei Ebenen statt: Der „kindbezogene[n]“ und der „umfeldbezogene[n]“ Ebene (Thurmair & Naggl 2003, 22). In Bezug auf das Kind bedeutet soziale Integration, ihm durch den Auf- und Ausbau von Kompetenzen die Interaktion mit seiner Umwelt zu ermöglichen. Auf das Umfeld des Kindes bezogen, besitzt Frühförderung „Dolmetscherfunktionen“, die dem Kind helfen, für seine Umgebung verständlich zu werden und „seine besonderen Entwicklungsbedürfnisse“ (ebd., 22) durchzusetzen. Ihm soll zu mehr Autonomie verholfen und gleichzeitig auch die Förderung und Betreuung nach Möglichkeit in seinen unmittelbaren Lebenskontext integriert werden. Die Förderung sollte also „im Alltag und in den Alltag“ erfolgen (Sohns 2000, 79).

2.3.5 Vernetzung

Frühförderung erfüllt als Anlaufstelle für Eltern auch eine vermittelnde Funktion: Sie kann der Familie einen Überblick über umgebende Systeme geben, sie an professionelle Dienstleister, Institutionen und Behörden weitervermitteln, wie auch im Umgang mit diesen behilflich sein oder beim Aufbau von Selbsthilfegruppen unterstützen (vgl. Thurmair & Naggl 2003, 30ff).

Der Begriff „Vernetzung“ wird von Thurmair und Naggl noch in einem weiteren Sinn verwendet: Frühförderstellen sollten sich im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit für die „Rechte der von ihr betreuten Kinder und Familien“ einsetzen (ebd., 30) und so auf gesellschaftspolitischer Ebene Akzeptanz und Chancengleichheit für ihre Klienten fördern.

2.4 Die Berufsgruppen in der Frühförderung

In einer Frühförderstelle bilden die pädagogischen Fachkräfte die zentrale Berufsgruppe. Sie können als (Diplom-) Sozialpädagogen, Sozialarbeiter, (Diplom-) Heilpädagogen, Erzieher mit Zusatzausbildung oder Sonderschullehrer vertreten sein (vgl. Sohns 2000, 181). Sie geben den Eltern vielfältige Hilfen bei der Erziehung und Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Kindes und evaluieren und dokumentieren dessen Entwicklungsstand. Die Förderung des Kindes findet zumeist auf der Ebene des – an den Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes angepassten – Spiels statt, da dieses als besonders kindgerechtes Mittel betrachtet wird und darin das „Lernen und Üben von Funktionen“, wie auch die „Entwicklungsförderung im Rahmen von Spielhandlungen“ mit einer für das Kind „sinnstiftende[n] Tätigkeit“ kombiniert werden kann (Oerter in: Thurmair & Naggl 2003, 86).

Medizinische und therapeutische Fachkräfte, wie Ärzte, Physiotherapeuten, Motopäden/ Bewegungstherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden/ Sprachtherapeuten ergänzen die pädagogischen Hilfen im Bedarfsfall durch fachspezifische Diagnostik, Therapie und Hilfsmittelversorgung.

Einige der therapeutischen Fachkräfte besitzen Zusatzqualifikationen oder Arbeitsschwerpunkte, die sich z.B. auf den Bereich der Sensorischen Integrationstherapie oder der Psychomotorik erstrecken können. Psychomotorische Förderung wird in der Frühförderung zumeist von pädagogischen oder krankengymnastischen Fachkräften, in Ausnahmefällen auch von

anderen „originär psychomotorische[n] Fachkräfte[n]“ (Sohns 2000, 188) wie Motologen, Motopäden oder Mototherapeuten durchgeführt. Sie bieten in einigen Frühförderstellen auch eine Förderung im Wasser an. Diese wird bisher aber nur an wenigen Frühförderstellen angeboten und variiert in der Angebotsstruktur. Im „Haus früher Hilfen“ in Wiehl-Oberbandenberg beispielsweise leiten eine Motopädin und eine Sozialpädagogin gemeinsam eine Psychomotorik-Gruppe im Wasser für Kinder von drei bis sieben Jahren. In der Frühförderung der Lebenshilfe Bonn e.V. hingegen ermöglicht eine Diplom-Sozialpädagogin Eltern und Kindern gemeinsam die Teilnahme an der „Frühförderung im Wasser“ und bezieht dabei auch Kinder mit schwersten körperlichen Behinderungen mit ein.

Psychologen und psychologische Psychotherapeuten runden das Angebot der Frühförderung optional durch Elternberatung und psychologische Unterstützung ab. In vielen Frühförderstellen übernehmen sie einen großen Teil der Entwicklungs- und Leistungsdiagnostik. Im Rahmen einer Spieltherapie, in deren Mittelpunkt „die emotionalen Bedürfnisse des Kindes als Voraussetzung für motivationale Prozesse“ (Sohns 2000, 185) stehen, können sie auch „direkte“ Förderung des Kindes anbieten.

Darüber hinaus haben psychologische Fachkräfte innerhalb eines Frühförder-Teams häufig die Aufgabe der Supervision bei Fallbesprechungen oder Teamsitzungen.

2.5 Behinderungsbilder in der Frühförderung

In der Frühförderung werden Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten und verschiedensten Formen und Ausprägungen von Behinderung betreut. Da diese hier nicht allesamt dargestellt werden können, werden nachfolgend exemplarisch die in der Frühförderung sehr häufig vertretene Trisomie 21 und die Infantile Cerebralparese in Bezug auf die Besonderheiten, die sich durch die Behinderung ergeben und die weiter unten im Zusammenhang mit der psychomotorischen Entwicklungsförderung im Wasser diskutiert werden, erläutert.

2.5.1 Trisomie 21

Die Trisomie 21, nach ihrem Erstbeschreiber John L. H. Langdon-Down auch als „Morbus Langdon-Down“ oder „Down-Syndrom“ bezeichnet, ist eine Chromosomenaberration des 21. Chromosoms. Die betroffenen Personen zeigen Ähnlichkeiten im Erscheinungsbild: u.a. sind bei ihnen häufig rundlicher Minder- bzw. Kleinwuchs, eine schräge Augenfalte, tiefsitzende,

oft verkleinerte Ohren und eine verbreiterte Nasenwurzel zu beobachten (vgl. Pschyrembel 2004, 419). Hinzu kommt eine Hypotonie, die sich nicht nur in den Extremitäten auf die Grob- und Feinmotorik auswirkt, sondern auch den Gesichts- und Mundbereich betrifft und zusammen mit der oft vergrößerten Zunge den Mundschluss erschwert. Angeborene Störungen des Verdauungstraktes und Herzfehler treten in 40 bis 60% der Fälle zusätzlich auf, können meist aber operativ behoben werden. Auch Hörschädigungen und Atemwegserkrankungen gehören in vielen Fällen zu den Begleiterscheinungen. Die Auswirkungen der Trisomie 21 auf die Lern- und Entwicklungsfähigkeiten sind breit gestreut und reichen von leichter mentaler Retardierung bis hin zu schwerer geistiger Behinderung. Die kognitive Entwicklung ist verlangsamt: Rauh (2000, 131) zufolge vollzieht sie sich in den ersten drei Lebensjahren etwa halb so schnell wie bei Kindern ohne Behinderung und schreitet danach etwa um 1/3 verlangsamt weiter fort. Sie läuft dennoch während der ersten drei Lebensjahre weniger stark verzögert ab, als die motorische Entwicklung. Die Übertragung vor allem akustischer Reize dauert auf Grund neuroanatomischer Besonderheiten des Gehirns länger als bei Kindern ohne Behinderung (vgl. Internetquelle 1.). Visuelle Reize hingegen werden, sofern keine Sehstörung vorliegt, schneller verarbeitet und besser erinnert (vgl. Storm 1995). Weitere Stärken liegen bei vielen Menschen mit Trisomie 21 in den sozialen und emotionalen Fähigkeiten (vgl. Pueschel u.a. 1995).

Die Förderung von Kindern mit Trisomie 21 sollte an diesen Kompetenzen ansetzen. Den Kindern sollte viel Zeit gewährt werden, sich auf Situationen einzulassen sowie Reize zu verarbeiten, um sie nicht zu überfordern. Da Kinder mit Trisomie 21 ihre sozialen Fähigkeiten allerdings auch sehr häufig einsetzen, um andere Personen zu überzeugen, Problemlöseaufgaben für sie zu erledigen (vgl. Fidler 2005), sollte ihre Handlungskompetenz und Selbständigkeit schon früh gestärkt und somit erlernter Hilflosigkeit (vgl. Absatz 4.5.4) vorgebeugt werden.

Um Fehlhaltungen durch die muskuläre Hypotonie vorzubeugen und die Bewegungskoordination zu verbessern, ist eine frühe Kräftigung der Muskulatur ratsam. Gleiches gilt für die Mundmotorik, da sie eine wesentliche Voraussetzung für den Spracherwerb sowie die Nahrungsaufnahme bildet. Darüber hinaus ist es besonders in Berücksichtigung eventueller Stigmatisierungsprozesse im Umfeld des Kindes wichtig, ihm Erfolgserlebnisse zu vermitteln und ihm somit die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes zu ermöglichen (vgl. 4.5.5).

Wie bei jedem Kind muss die Förderung entwicklungsnah und für das Kind motivierend gestaltet sein. Eine umfassende Begleitung und Beratung der Eltern bezüglich der Förder- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie realistische Zukunftsperspektiven des Kindes sollte ebenfalls Teil des Förderangebotes sein.

2.5.2 Infantile Cerebralparese

Die infantile Cerebralparese (ICP) ist eine „Störung von Haltung und Bewegung, durch eine permanente, nicht progrediente Läsion des unreifen Gehirns“ (Millner 1998, 54). Je nach Umfang der Schädigung des Gehirns kann eine zusätzliche kognitive Beeinträchtigung gegeben sein. Der Sitz der Schädigung im Gehirn steht in Beziehung mit der Art der Bewegungsstörung: Millner stellt vereinfacht dar, dass eine Schädigung des Kortex eine Spastizität auslöst, während eine Läsion in den Stammganglien eine Athetose (stark schwankende Muskelspannung) bewirkt. Ist hingegen das Kleinhirn betroffen, äußert sich die Bewegungsstörung in einer Hypotonie und/ oder Ataxie (Hypotonie bei gesteigerten Sehnenreflexen) (Millner 1998, 65).

Neben Athetose, Ataxie und Hypotonie werden noch weitere Formen der ICP unterschieden, die selten in Reinform auftreten und auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden kann: Die spastische Tetraplegie, bei der die oberen Körperpartien gleich stark oder stärker als die unteren betroffen sind, ist abzugrenzen von der spastischen Diplegie, die sich auf die untere Körperhälfte begrenzt. Durch erhöhte Muskeleigenreflexe und die Persistenz von Reflexen über das typische Alter hinaus werden gezielte Bewegungen erschwert oder sogar unmöglich, wie am Beispiel des Asymmetrisch-Tonischen Nackenreflexes (ATNR) deutlich wird:

Der ATNR kann beim Neugeborenen durch die Drehung des Kopfes in der Rückenlage ausgelöst werden. Der in „Blickrichtung“ liegende Arm und das Bein auf dieser Seite strecken sich, Arm und Bein der anderen Körperhälfte beugen sich gleichzeitig. Diese Körperhaltung wird häufig auch als „Fechterstellung“ bezeichnet (Zinke-Wolter 2001, 71). Der ATNR ist ab einem Alter von etwa 6 Monaten nicht mehr auslösbar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Der Asymmetrisch-

Tonische Nackenreflex

Bleibt er bestehen, verhindert er das gezielte Greifen: Jedes Mal, wenn die Person ihren Kopf in Richtung eines Gegenstandes dreht, den sie greifen möchte, streckt sich ihr Arm, so dass sie ihn nicht kontrolliert in Richtung des Gegenstandes bewegen kann. Zielgerichtete Hand-Augen-Koordination ist demnach nicht möglich. Zudem besteht die Gefahr einer asymmetrischen Entwicklung des Körpers. Die motorische Störung zeigt sich also erst im Laufe der Entwicklung.

Bei der spastischen Hemiplegie ist nur eine Körperseite betroffen. Zu genaueren Erläuterungen der Formen von ICP und ihrer Mischformen, die hier aus Platzgründen nicht näher beschrieben werden können, sei auf die Ausführungen von Millner (1998) und Thom (1982) verwiesen.

Für die Förderung von Kindern mit ICP ergibt sich aus den oben erläuterten Aspekten, dass auf Form und Ausprägung der Bewegungsstörung, sowie auf eventuelle Begleiterscheinungen wie Sehstörungen, Teilleistungsstörungen oder Sprachstörungen (beispielsweise durch von der Spastizität mitbetroffene Atem- und Gesichtsmuskulatur) individuell eingegangen werden muss. Um pathologische Bewegungsmuster abzubauen und die motorische Koordination zu verbessern, müssen alternative Muster eingeübt werden. Dies geschieht im Rahmen der physiotherapeutischen Behandlung. Da bei einer Spastizität die Gefahr von Kontrakturen besteht, müssen die Gelenke regelmäßig bewegt und der Tonus reguliert werden. Im Mittelpunkt steht also Erhaltung und Förderung der Bewegungsfähigkeit (vgl. Bausenwein et al. 1982, 397) und das Lernen neuer Haltungs- und Bewegungsmuster (vgl. Kalbe1993, 82). Besonders bei schweren Bewegungseinschränkungen ist die Entwicklung der Selbständigkeit, der Fortbewegung und die aktive Exploration erschwert und müssen durch geeignete Hilfsmittel, aber auch mit viel Einfühlungsvermögen im Nahebringen von Angeboten, unterstützt werden. Das Auslösen pathologischer Reflexe z.B. beim Füttern kann zusätzliche Schwierigkeiten im Alltag bewirken, die sich zu Interaktionsstörungen zwischen Eltern und Kind entwickeln können (vgl. Millner 1998, 76). Eine bedarfsgerechte Begleitung der Eltern und genaue Information über das Behinderungsbild ihres Kindes ist also unerlässlich. Darüber hinaus ist es wichtig, Interaktionsbemühungen des Kindes schon früh zu erkennen und zu verstärken (vgl. Kalbe 1993, 92). Bei jeglicher Unterstützung des Kindes gilt es, seine Eigentätigkeit nicht durch vorschnelle und übermäßige Hilfestellung zu behindern, damit es eine größtmögliche Selbständigkeit entwickeln kann. Der Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes kann durch mangelnde Bewegungserfahrung, aber auch durch negative Rückmeldung der sozialen Umwelt erschwert sein. Auf diesen Aspekt wird in 4.5.6 näher eingegangen.

3 Die Entwicklung vom Neugeborenen- bis zum Vorschulalter

Die menschliche Entwicklung wird in dieser Arbeit in Anlehnung an den psychomotorischen Entwicklungsbegriff nicht als „Entfaltungsprozess endogen vorgegebener Strukturen“, sondern als „aktiver Interaktionsprozess des Individuums mit der materialen und sozialen Umwelt“ (Schilling 1993, 55) betrachtet. Dieser Prozess zieht sich mit altersspezifischen Themen, Problemen und Aufgaben durch das gesamte Leben und ist niemals abgeschlossen. Als Interaktionsprozess ist Entwicklung abhängig von „den Aushandlungsprozessen zwischen der Person und ihrer sozialen und materialen Umwelt“ (Fischer 2004, 77) und verläuft daher individuell verschieden. Die Individualität der Entwicklung ergibt sich nach Fischer durch „kulturelle Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten [...], die den Entwicklungsverlauf problematisieren“, indem sie verschiedene Aktivitäten für die sich entwickelnde Person ermöglichen, die von ihr angenommen werden können (vgl. ebd., 77).

Entwicklung vollzieht sich auf unterschiedlichen Ebenen, die eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen. So ist beispielsweise die sprachliche Entwicklung mit der kognitiven, motorischen, sensorischen und sozialen Entwicklung untrennbar verbunden.

Es kann nicht auf die gesamte Entwicklung in allen Bereichen und ihren Wechselwirkungen eingegangen werden, da deren Komplexität den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Daher beschränkt sich diese Arbeit auf die kurze Darstellung der Entwicklung von Wahrnehmung, Motorik, Kognition und der sozial-emotionalen Entwicklung.

3.1 Die Entwicklung der Wahrnehmung

Wahrnehmung ist nicht die Abbildung der Wirklichkeit durch die Sinne. Vielmehr ist sie ein komplexer Verarbeitungsprozess des Individuums in seiner Umwelt (vgl. Fischer 2004, 42). Sie kann sich nur in der aktiven Auseinandersetzung des Subjekts mit seiner Umwelt entwickeln, wie in 4.6 noch näher ausgeführt wird. Dabei spielen die einzelnen Sinne, die an jeder Wahrnehmungstätigkeit in einem komplexen Zusammenspiel beteiligt sind, eine wesentliche Rolle als Zubringer von Informationen, die vom Gehirn verarbeitet werden können. Jean Ayres (1998) begründete für den Vorgang dieser Verarbeitung und der Reaktion auf Sinnesreize den Begriff der „Sensorischen Integration“, den sie gleichzeitig auch auf die in der Entwicklung zunehmende Anpassung und Organisation des Gehirns bezog.

Die sensorische Entwicklung kann in dieser Arbeit nicht im Detail dargestellt werden. Dazu sei auf die umfassenden Ausführungen von Zimmer (2005) und Zinke-Wolter (2001) verwiesen. Das von ihr Zinke-Wolter entworfene „Diagramm der Wahrnehmungen“ soll hier zur kurzen Veranschaulichung genügen. Es zeigt die Entwicklung der verschiedenen Sinne beim Kind von der Pränatalzeit bis zum sechsten Lebensjahr.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Diagramm der Wahrnehmungen. Aus: Zinke-Wolter 2001, 65

Auffallend an dieser Darstellung ist, dass die pränatal z.T. bereits recht weit entwickelte Sinnestätigkeit mit der Geburt zusammenbricht. Hier enden die für das Kind aus dem Mutterleib vertrauten Erfahrungen und die extrauterine Umwelt mit ihren Schwerkrafteinwirkungen und unbekannten Reizen löst bei ihm eine „Phase der Unsicherheit“ (Zinke-Wolter 2001, 66) aus.

In der Zeit nach der Geburt bilden olfaktorische, taktile und propriozeptive Wahrnehmung die Hauptquellen des Erkenntnisgewinns:

Bezugspersonen werden schon kurz nach der Geburt am spezifischen Geruch erkannt, was besonders für die Entwicklung der Mutter-Kind-Beziehung entscheidend ist (vgl. ebd., 63). Taktile Reize, die die Haut als das größte sensorische Organ des Körpers empfängt, werden in den ersten Lebenswochen zur Bildung des Bewusstseins über den eigenen Körper bedeutsam. Das Kind erhält passive Berührungsreize durch Kleidung, Bezugspersonen und die Unterlage, auf der es liegt, erkundet aber auch aktiv. Dabei erfährt es, dass es sich selbst berühren und somit zwei Berührungsreize an der berührenden und der berührten Stelle empfinden kann, bei der Berührung von Gegenständen den taktilen Reiz jedoch nur an einer Stelle spürt (vgl. Zimmer 1999, 63). Damit ergibt sich eine erste Vorstellung der Abgrenzung des eigenen

Körpers von der Außenwelt, die für die Entwicklung des Selbstkonzeptes wichtig ist (vgl. 4.5). Besonders die Extremitäten - vor allem die Hände - werden zur Erkundung der Umwelt eingesetzt. So kann beispielsweise ein Gegenstand anhand seiner Größe, seines Gewichts, seiner Form und Oberflächenbeschaffenheit sowie seiner Konsistenz und Temperatur ertastet werden (vgl. Zimmer 2005, 106).

Darüber hinaus erläutert Zimmer den „sozialen Aspekt der Berührung“, der besonders bei Säuglingen als „Kommunikationsorgan, über das er Kontakt mit der Umwelt“ halte, eine wesentliche Rolle spiele (ebd., 111). Über den Tastsinn lernt der Mensch demnach schon früh, positiven und negativen Empfindungen entsprechende Bedeutungen beizumessen.

Die kinästhetische/ propriozeptive Wahrnehmung vermittelt dem Kind die Lage seines Körpers im Raum, seine Bewegungen, seine Stellung, Spannungen, Richtung und Geschwindigkeit einer Bewegung und Informationen über die für eine Bewegung oder Gelenkstellung benötigte Muskelkraft (vgl. ebd., 120f).

Im Diagramm unterscheidet Zinke-Wolter die „vestibulär-kinästhetische“ und „propriozeptive Wahrnehmung“. Durch das vestibuläre System, das die Aufrechthaltung des Körpers sowie - verbunden mit dem kinästhetischen System - die Wahrnehmung von Bewegungs-, Lage- und Richtungsveränderungen und somit die Orientierung im Raum ermöglicht, können Einwirkungen der Schwerkraft, auf den Körper einwirkende Kräfte wie Beschleunigung, Verlangsamung und Drehbewegungen ausgeglichen werden. Es wird hier als gesondertes System behandelt, da für das Gleichgewicht relevante Informationen nicht, wie bei der kinästhetischen/ propriozeptiven Wahrnehmung über die in Muskeln, Sehnen und Bändern des gesamten Körpers liegenden Rezeptoren, sondern vom Vestibularapparat im Vorhof (lat.: vestibulum) des Innenohrs, aufgenommen werden. Dass „alle Lageempfindungen des Körpers (...) auch in Bezug zur Schwerkraft zu sehen“ sind (vgl. ebd., 123), verdeutlicht, wie eng das kinästhetische und das vestibuläre System zusammenarbeiten.

Im Alter von etwa 36 Monaten sind die Sinne bereits so weit entwickelt, wie die eines Erwachsenen (siehe Diagramm). Danach verändert sich ihre Wertigkeit dahin gehend, dass die Fernsinne (Hören und Sehen) die Nahsinne überlagern.

Affolter (1975) hat, in Anlehnung an Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung (vgl. 3.3), ein Strukturmodell der Wahrnehmungsentwicklung entworfen, dem zufolge sich die Entwicklung der Wahrnehmung hierarchisch in drei Stufen vollzieht: In der ersten, „intramodalen Stufe“, lernt das Kind in jedem Sinnesgebiet einzeln. Später verknüpft es auf der „intermodalen Stufe“ Informationen aus mehreren verschiedenen Sinnesbereichen. Auf der „serialen Stufe“ kann es schließlich alle mit einer Situation verbunden Sinnesreize miteinander in Beziehung setzen und „zu einem sinnvollen Ganzen verbinden“ (Zimmer 2005, 54). Dornes (2001) hingegen vertritt die Auffassung, dass kindliche Wahrnehmungen schon von Anfang an als Ganzheit zu sehen sind, die erst im Laufe der Entwicklung „ausdifferenziert und [...] dann isoliert werden“ (Zimmer 2005, 55).

Beides geschieht, wie in Abschnitt 4.6 genauer erläutert wird, „auf der Basis bedeutungsgebundener Bewegungshandlungen“ (Fischer 2004, 41). Die Entwicklung der Motorik hängt also mit dem Prozess der Wahrnehmung untrennbar zusammen und wird daher im nächsten Absatz näher betrachtet.

3.2 Die motorische Entwicklung

Die nun folgende kurze Beschreibung der motorischen Entwicklung legt den Schwerpunkt auf die Betrachtung der motorischen Entwicklungsschritte bis zum freien Gehen, die dem Kind eine fortschreitende Selbständigkeit und die Erweiterung seines Aktionsradius in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt ermöglichen.

Auf die Verbesserung des freien Gehens nach dem ersten Lebensjahr und einzelne Bewegungsformen, die darauf aufbauend ausgebildet und „von der Grobform zur Feinform hin ausdifferenziert“ (Zimmer 1993, 75) werden, wird aus Platzgründen nicht eingegangen. Dazu zählen z.B. das Klettern, Laufen und Springen. Sie sind für die Bildung des Körperschemas notwendig und werden in den Ausführungen von Meinel und Schnabel (2004) ausgiebig erläutert.

Die motorische Entwicklung vollzieht sich besonders im ersten Lebensjahr auffällig schnell. Aus der typischen Beugehaltung von Neugeborenen und ungerichteten Massenbewegungen, die zu einem großen Teil von Stellreaktionen und Primärreflexen beherrscht (vgl. Zinke-Wolter 2001, 69) und von der Einwirkung der Schwerkraft erschwert werden, entstehen schon bald koordinierte Bewegungsformen, mit denen dem Säugling eine Auseinandersetzung mit seiner Umwelt möglich wird. Die Entwicklungsrichtung ist im ersten Lebensjahr cephalo-caudal, geht also vom Kopf aus und schreitet zu den Füßen hin fort (vgl. Meinel & Schnabel 2004, 244). Dies beginnt mit kontrollierten Bewegungen von Augen und Mundregion und mündet schließlich im selbständigen, immer stabileren Halten des Kopfes. Entsprechend verändert sich die Körperhaltung. Auf der Seite liegend, gelingt es den meisten Kindern bereits nach dem dritten Lebensmonat, sich auf den Rücken zu rollen. Etwa zur gleichen Zeit kann ein Kind besser greifen und spielt mit den eigenen Extremitäten. Grobmotorische Bewegungen des ganzen Körpers gehen also den feinmotorischen Bewegungen der Extremitäten voraus („Proximo-distale Entwicklungsrichtung“) (Zimmer, 1993, 70). In Bauchlage sind Bemühungen, sich auf den Unterarmen abzustützen und den Kopf zu heben, zu beobachten.

Mit etwa einem halben Jahr kann ein Kind ein Spielzeug halten und von Hand zu Hand wechseln, sich rollend fortbewegen und mit dem Bauch als Drehpunkt so im Kreis rutschen, dass es Gegenstände erreicht, die etwas außerhalb seiner Reichweite liegen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 : Neue Vorstellung der Lokomotion. Aus: Largo 1999, 131

Das selbständige Sitzen bildet mit sechs bis neun Monaten einen weiteren wichtigen „Meilenstein“ der motorischen Entwicklung. Die früheste Form der Fortbewegung bildet etwa im gleichen Zeitraum das Robben, das von den meisten Kindern über verschiedene Zwischenstufen zum Krabbeln weiterentwickelt wird, aber nicht zwangsläufig eine Vorstufe des freien Gehens sein muss. Folgende Abbildung stellt dar, dass die Wege zum freien Gehen vielfältig sein können:

Die motorische Entwicklung verläuft also, bedingt durch endogene Faktoren und Umweltbedingungen, individuell verschieden, weist aber gewisse überindividuelle Regelmäßigkeiten auf. Diese zeichnen sich durch eine Vergrößerung ihres „motorischen Aktionsradius“ aus (Meinel & Schnabel 2004, 251), stehen mit der Entwicklung der kindlichen Autonomie in direktem Zusammenhang und zeigen Auswirkungen auf alle anderen Entwicklungsbereiche. Dies wird am oben geschilderten ATNR deutlich, dessen Persistenz das gezielte Greifen behindert und damit die Hand-Auge-Koordination das aktive Erkunden von Gegenständen erschwert (vgl. 2.5.2). Kinder mit ICP erlangen somit, abhängig von Art und Schwere der Beeinträchtigung, häufig nicht alle oder gar keine „Meilensteine“ der motorischen Entwicklung und haben z.T. wesentlich eingeschränktere Möglichkeiten, ihre materiale und soziale Umwelt aktiv und selbständig zu erkunden. Das Erfahrungsdefizit kann Störungen der sensorischen Integration zur Folge haben (vgl. Hachmeister 1997, 58f). Wie sich dies in ungünstigen Fällen negativ auf die kognitive Entwicklung auswirken kann, wird am Ansatz Piagets (vgl. 3.3) deutlich, der sich mit der Intelligenzentwicklung bei Kindern beschäftigt.

Kinder mit Trisomie 21 erreichen die ,,Meilensteine der Entwicklung“ später als nichtbehinderte Kinder, jedoch in gleicher Reihenfolge (vgl. Tolksdorf 1994, 38). Sie haben „häufig Probleme, das richtige Aktivierungsniveau für eine geistige Tätigkeit oder körperliche Handlung zu erzeugen“ (Randel-Timpermann 2005, 42). Wendeler vermutet einen Zusammenhang ihrer motorischen Schwierigkeiten mit ihrer hypotonen Muskelspannung und der Überdehnbarkeit ihrer Gelenke (Wendeler 1996, 102). Der Tonusaufbau ist bei Kindern mit Trisomie 21 also eine wesentliche Hilfestellung für die motorische Entwicklung, sollte aber in ansprechendem, motivierendem Rahmen geschehen.

3.3 Die kognitive Entwicklung nach Jean Piaget

Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget untersuchte die Intelligenzentwicklung bei Kindern in der Auseinandersetzung mit deren Umwelt. Intelligenz verstand er als ein „System von geistigen Handlungen, das zunehmend beweglichere und stabilere Strukturen bildet und einem Gleichgewicht zwischen Umweltanforderungen und geistigen Aktionsmöglichkeiten zustrebt“ (Zimmer 1996, 18).

Sein Ansatz wurde in dieser Arbeit zur Darstellung der kognitiven Entwicklung gewählt, da Piaget den sensomotorischen Erfahrungen in den ersten Lebensjahren, die einen wesentlichen Bestandteil psychomotorischer Förderung von Kindern darstellen, eine sehr große Bedeutung

[...]

Fin de l'extrait de 115 pages

Résumé des informations

Titre
Psychomotorische Entwicklungsförderung im Wasser als therapeutisches Angebot in der Frühförderung
Université
University of Cologne
Note
1,0
Auteur
Année
2005
Pages
115
N° de catalogue
V59767
ISBN (ebook)
9783638536134
ISBN (Livre)
9783656557586
Taille d'un fichier
1236 KB
Langue
allemand
Mots clés
Psychomotorische, Entwicklungsförderung, Wasser, Angebot, Frühförderung
Citation du texte
Diplom - Heilpädagogin Christiane Theis (Auteur), 2005, Psychomotorische Entwicklungsförderung im Wasser als therapeutisches Angebot in der Frühförderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59767

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