In jüngster Zeit ist es zur Mode geworden, die Gültigkeit der Bezeichnung Expressionismus für die große künstlerische Bewegung in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts in Frage zu stellen. Angeführt wird, daß das Wort abseits in Paris aus einem Atelierwitz von Malern, dem schon sprachlich naheliegenden Gegensatz zum Impressionismus, entstanden ist. Dort, wo es nichts wirklich repräsentierte, wurde es von Deutschen im Ernst aufgegriffen und generalisiert
Der Expressionismus hat, wie immer das Wort auch entstanden sein mag, in Deutschland und später darüber hinaus eine reale Bedeutung gewonnen. Der Expressionismus ist mehr als eine Etikette, er ist ein Entwicklungsschritt. Der vorhergehende Impressionismus, der sich überwiegend in der Malerei ausgewirkt hat, hatte bereits den Begriff der objektiven, ganz gegenständlichen, ganz stabilen Naturwahrheit erschüttert. So hatte er gezeigt, wieviel Vorgewußtes sich in die naturalistische Darstellung einschleicht, wie damit die statisch geglaubte Substanz und die feste Gegenständlichkeit sich aufzulösen beginnt und die wirkliche Wahrheit in der individuell veränderlichen, gegenwärtigen Perzeption, in der Beziehung des Sehenden zum Gegenständlichen zu finden ist. Damit war schon sehr viel in Richtung auf unsere heutigen Anschauungen geschehen und zunächst ein wichtiger Schritt vom Naturalismus auf den Expressionismus zu.
Die Zolasche Formel "la nature vue à travers un tempérament" verschiebt das Schwergewicht der Darstellung in das subjektive Innere des Künstlers, was an der Darstellung der Natur festgehalten wird. Die bloße Darstellung der Natur hat sich in eine Erforschung der Natur, eine Erforschung der sinnlichen Erscheinung verwandelt. Seit Cézanne hat sie sich in die Erforschung der Struktur des Erscheinens verwandelt. Dies bedeutet einerseits eine Verengung, zugleich aber auch eine Vertiefung des Gesichtsfeldes. Die Aufmerksamkeit hat sich auf das Problem der Naturauffassung, auf das rein Malerische konzentriert; der Gegenstand, das Literarische, wurde nebensächlich behandelt, dem malerischen Interesse geopfert.
Van Gogh beschreibt in einem Brief an seinen Bruder eine Landschaft so, wie er sie später malen wird.
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Die Deutung des Expressionismus
2. Hauptteil
2.1 Die Melancholie
2.2 Die Lyrik des Expressionismus
2.2.1 Georg Heym
2.2.2 Albert Ehrenstein
2.2.3 Ernst Stadler
2.2.4 Georg Trakl
2.2.5 Franz Werfel
3. Schluß
3.1 Die wesentlichen Elemente der epochalen Gemeinsamkeiten
4. Anhang
4.1 Georg Heym: Hora mortis
4.1.1 Interpretation „Hora mortis“
4.2 Albert Ehrenstein: Melancholie
4.2.1 Interpretation „Melancholie“
4.3 Ernst Stadler: Pans Trauer
4.3.1 Interpretation „Pans Trauer“
4.4 Georg Trakl: An die Melancholie
4.4.1 Interpretation „An die Melancholie“
4.5 Franz Werfel: Fünf Uhr nachmittags Traurigkeit
4.5.1 Interpretation „Fünf Uhr nachmittags Traurigkeit“
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Die Deutung des Expressionismus
In jüngster Zeit ist es zur Mode geworden, die Gültigkeit der Bezeichnung Expressionismus für die große künstlerische Bewegung in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts in Frage zu stellen. Angeführt wird, daß das Wort abseits in Paris aus einem Atelierwitz von Malern, dem schon sprachlich naheliegenden Gegensatz zum Impressionismus, entstanden ist. Dort, wo es nichts wirklich repräsentierte, wurde es von Deutschen im Ernst aufgegriffen und generalisiert
Der Expressionismus hat, wie immer das Wort auch entstanden sein mag, in Deutschland und später darüber hinaus eine reale Bedeutung gewonnen. Der Expressionismus ist mehr als eine Etikette, er ist ein Entwicklungsschritt. Der vorhergehende Impressionismus, der sich überwiegend in der Malerei ausgewirkt hat, hatte bereits den Begriff der objektiven, ganz gegenständlichen, ganz stabilen Naturwahrheit erschüttert. So hatte er gezeigt, wieviel Vorgewußtes sich in die naturalistische Darstellung einschleicht, wie damit die statisch geglaubte Substanz und die feste Gegenständlichkeit sich aufzulösen beginnt und die wirkliche Wahrheit in der individuell veränderlichen, gegenwärtigen Perzeption, in der Beziehung des Sehenden zum Gegenständlichen zu finden ist. Damit war schon sehr viel in Richtung auf unsere heutigen Anschauungen geschehen und zunächst ein wichtiger Schritt vom Naturalismus auf den Expressionismus zu.
Die Zolasche Formel „la nature vue à travers un tempérament“ verschiebt das Schwergewicht der Darstellung in das subjektive Innere des Künstlers, was an der Darstellung der Natur festgehalten wird. Die bloße Darstellung der Natur hat sich in eine Erforschung der Natur, eine Erforschung der sinnlichen Erscheinung verwandelt. Seit Cézanne hat sie sich in die Erforschung der Struktur des Erscheinens verwandelt. Dies bedeutet einerseits eine Verengung, zugleich aber auch eine Vertiefung des Gesichtsfeldes. Die Aufmerksamkeit hat sich auf das Problem der Naturauffassung, auf das rein Malerische konzentriert; der Gegenstand, das Literarische, wurde nebensächlich behandelt, dem malerischen Interesse geopfert.
Van Gogh beschreibt in einem Brief an seinen Bruder eine Landschaft so, wie er sie später malen wird. In dieser Landschaft sah van Gogh ein Gleichnis: „So kann auch ein Mensch mit albernen Formen und Konventionen, oder ein anderer voller Exzentrizitäten und Kapricen, wenn ihn nur ein wahrhafter Schmerz ergreift, eine Kalamität (schlimme, mißliche Lage) ihn aufregt, eine dramatische Figur von eigenartigem Charakter werden. Und einen Augenblick dachte ich auch an die Gesellschaft von heute – wie auch sie sich jetzt, während sie untergeht, zuweilen, wenn man sie gegen das Licht irgendeiner Erneuerung betrachtet, wie eine große, düstere Silhouette davon abhebt.“ (Expressionismus als Literatur, gesammelte Studien, Eric von Kahler, S. 14)
Hier liegt der Keim des Expressionismus. Noch ist die Natur malerisch angeschaut, malerisch verfolgt. Schon aber reicht es auch über den malerischen Bereich als solchen hinaus in das „Gleichnis“, in das Dichterische, Allgemeinmenschliche. Damit ist ein Durchbruch geschehen, der schon einmal, erfolglos, in der Romantik angelegt war.
Das Kastensystem der Berufe ist durchbrochen. Die Malerei, Dichtung, Politik und das Sozialwesen laufen nicht mehr gegeneinander abgeschlossen nebeneinander her, sie werden unmittelbar als eine gemeinsame neue Lebensform empfunden. In der Anlage des Expressionismus ist schon die Konsequenz des Aktivismus gegeben. Schon bei van Gogh ist vom „Untergang der Gesellschaft von heute“ die Rede, und es scheint kein Zufall oder Einzelfall zu sein, wenn in den Dichtungen des frühen Expressionismus bei Georg Heym, bei Benn und bei dem jungen Brecht das Erlebnis der Verwesung so beherrschend ist. Das „Weltende“ ist der Auftakt der neuen Bewegung. Das ist die allgemeine Stimmung unter den jungen Menschen in der ersten Phase der Bewegung. Es ist noch kein anderes Ziel greifbar als das der Befreiung von dem öffentlichen Zustand des Vorkriegs. Zunächst wollte man einmal handeln, in unmittelbaren Kontakt mit dem Leben kommen, und man wollte in diesem gemeinsam sein.
2. Hauptteil
2.1 Die Melancholie
Die Melancholie ist seit der Antike ein Thema der Philosophie, Theologie und auch der Künste, und dies kontinuierlich über das Mittelalter bis in unsere Gegenwart. In den Werken der Kultur manifestiert sich das Wesen des Menschen nicht nur auf der Ebene seiner Vorstellungen, sondern auch seines Lebens. Deutlich zeigt sich, daß die Melancholie ein Grundzug des Menschen in seinem Selbst- und Welt- Verständnis ist.
In der Antike werden Dichter und Philosophen mit der Melancholie in Verbindung gebracht. Aristoteles erkennt in ihr die Ursache für geniale Leistungen auf allen Gebieten des Denkens und Handelns, aber auch für die depressive Untätigkeit. Genialität steht von nun an immer wieder in dieser Nähe zur Melancholie.
Die Melancholie hat unterschiedliche Ursachen und führt zu vielfältigen körperlichen und geistig-emotionalen Symptomen, kann im Prinzip Gottesferne oder Gottesnähe bedeuten. Spezifische Gebete, Einsamkeit und Schweigen sollen die Melancholie überwinden helfen, aber auch Arbeit und eine diätische Lebensführung.
Die Neuzeit lenkt das Verständnis für Melancholie wieder stärker auf das Diesseits, auf kosmologische und anthropologische Zusammenhänge, was sich in zahlreichen allegorischen und symbolischen Darstellungen der Jahreszeit (Herbst), der Tageszeit (Abend) sowie der Altersphasen (Mannesalter) und Lebenssituationen oder Berufe des Menschen widerspiegelt. Als gefährdet gilt weiterhin die geniale Persönlichkeit.
Von Kant wird die Melancholie mit der Neigung zum Erhabenen in Verbindung gebracht - ständig in der Gefahr, in Schwermut oder Schwärmerei überzugehen. Schelling zieht eine Analogie zwischen der Melancholie (Schwermut) als der Sehnsucht des Menschen nach dem Absoluten und der Schwerkraft (Gravitation) der Natur als Voraussetzung jeder materiellen Bildung und zugleich des ideellen Triebes der Natur, alle Körperlichkeit zu transzendieren.
Hegel erklärt Melancholie als ein notwendiges Durchgangsstadium jeder Individualentwicklung, als „den nächtlichen Punkt der Kontraktion“ des menschlichen Wesens, durch dessen „Enge“ der einzelne „hindurchgezwängt und zur Sicherheit seiner selbst befestigt und vergewissert“ werde.
Schopenhauer, wenn auch in ausdrücklicher Distanz zur spekulativen Naturphilosophie Schellings und Hegels, führt Melancholie auf das Mißverhältnis zwischen Sensibilität, Irritabilität und Reproduktionskraft, den Grundprinzipien des Organismus, zurück; aus einer übersteigerten Sensibilität resultiere die Melancholie des Genies. Schwindende Lebenslust, desgleichen aber der sich ausbildende Geschlechtstrieb werden als Gründe für die Entstehung von Melancholie angeführt. (Melancholie in Literatur und Kunst, Guido Pressler Verlag Hürtgenwald 1990, Seite 3 und 4)
Die Melancholie ist wie ein Kommen und Gehen. Zuweilen erkennbar (aber selten) als eine gegenstandslose Traurigkeit, ein gemindertes „Gestimmtsein“, welches ziemlich unvermittelt einsetzt, und doch wie ein sanftes unauffälliges Anschleichen von etwas beinah Animalischen. Die Nähe zu solch einer Unberechenbarkeit, die nichts mit Unbeherrschtheit zu tun hat, so wenig wie mit Willentlichkeit, ist zu spüren. Die Witterung einer besonderen, tückischen, da kaum erkennbaren, Gefahr ist groß.
Für Hoppes hat die Melancholie zunächst mit der Veränderung von sinnlicher Wahrnehmung zu tun. Die Empfindlichkeit oder die Empfindungsfähigkeit ist verändert: nicht gemindert oder gesteigert. Wenn es das Paradoxon gäbe, beides könnte zugleich geschehen, daher das schwer Beschreibbare.
Die Veränderung kann auch Unruhe sein, welche hartnäckig ist. Der Mensch verbirgt so lange wie möglich, läßt so lange wie möglich nichts zu und setzt seinen Zustand in Aktivität, Flucht, Leistung oder Exaltation (Überspanntheit) um. Er bewegt sich in seiner Individualität, melancholie-typisch oder –atypisch, dann in der langen Geschichte der Beherrschung, die ihn verläßt, wenn Ereignisse jeglicher Art hinzukommen – den schleichenden Umgang von etwas mit einem selbst, mit dem Betroffenen jedenfalls: das Lauern. Wenn man genauer bezeichnen möchte, entzieht sich das Phänomen oder es wird literarisch nicht richtig oder es stimmt einfach nicht.
Es gibt den melancholischen Rückzug auf sich selbst, wie immer der Vorgang auch beschaffen sein mag oder die melancholische Aggression. Darunter ist aber keine Tat aus der Verzweiflung heraus zu verstehen. Es handelt sich um eine melancholisch bedingte Intensität, eine Steigerung des Wahrnehmungsvermögens. Während die Melancholie wächst, bewegt man sich beispielsweise durch Räume des eigenen Hauses, ohne das Bedürfnis zu verspüren, das Haus zu verlassen und unter Menschen zu gehen. Man hat mit sich selbst zu tun. Es entsteht dann eine stille Raserei, dabei wird man sich um so unauffälliger machen, je stärker sie auftritt. Das zwanghafte Bedürfnis nicht aufzufallen, seine Exaltation (Überspanntheit; leidenschaftliche Erregung) und seine Disziplin hat man in der Melancholie. Zu der Melancholie gehört auch ein Zustand, wie er sich etwa vor einem Gewitter einstellt, ein Knistern der Nerven.
Das Wechselhafte und das einem Anhaftende, von dem man nicht loskommt, ergänzen einander. „Der Morgen ist meine Freude“, lautet eine Gedichtzeile von Eichendorff. Der Morgen ist in der Melancholie „fürchterlich“, er muß es aber nicht sein. Der individuelle Tag ist ein unterschiedliches Fertigwerden mit Stunden, erst am Abend ist die Ruhe da, keine Windstille, auch keine Leere, aber ein In-Ruhe-gelassen-Sein: von sich selbst. Es ist Gelassenheit möglich, das, was einem nicht zusetzt. Ein Genuß von Ausgeglichenheit, ein Minuten- und Stundenglück der nicht mehr strapazierten Aufmerksamkeit.
2.2 Die Lyrik des Expressionismus
Der Expressionismus wurde als Epoche oder als Bewegung in der Literaturgeschichte sehr vieldeutig und widersprüchlich bestimmt. Unkritischer ist wohl noch keine literarische Bewegung analysiert worden.
Gottfried Benn bemerkte im Jahre 1962 rückblickend und ironisch, der Expressionismus sei ein „Konglomerat (Zusammenballung), eine Seeschlange, das Ungeheuer von Loch Ness, eine Art Ku-Klux-Klan“. Kasimir Edschmid meinte im Jahr 1920, er sei ein überzeitlicher Stiltyp, die Wiederkehr des Kunstwollens von Gotik, Barock und Romantik. (Expressionismus als Literatur, Francke Verlag Berlin und München, Seite 107)
Edschmid brachte auch den enthusiastischen Glauben zum Ausdruck, diese „geistige Wesensschau“, welche die Möglichkeit formaler Charakterisierung der neuen Dichtung sehr beschränkt, bestimmt auch die Perspektive von Max Deris. In einem Aufsatz über „Idealismus und Expressionismus“ (1918) behauptete er, daß heute wieder so geschaffen werde wie in der hellenistischen Spätantike, wie in einem Teil der deutschen Renaissance um 1500, wie im Barock, Sturm und Drang und in der Romantik. Die „innerseelische Einstellung“ beim schöpferischen Vorgang sei die gleiche. Der Expressionismus als Ausdruck eines bestimmten deutschen Seelentyps, welcher periodisch wiederkehrt, findet sich auch bei einem anderen repräsentativen Wortführer dieser Epoche, nämlich bei Kurt Pinthus. Nach ihm soll die neue Dichtung die äußere Wirklichkeit im intensivsten Ausdruck der inneren Vorstellung zur Realität des Geistes überhöhen.
Die von emotionalen Impulsen, utopischen Hoffnungen und verschwommenem idealistischen Pathos (übertrieben) heraufbeschworene Einheitlichkeit der Sicht unterscheidet sich von der Auffassung jener Dichter und Kritiker, die gegen Ende des zweiten Jahrzehnts schon beträchtlich ernüchtert, diese Einheitlichkeit und Verbindlichkeit des Expressionismus leugnen. „Der Expressionismus stirbt“, dies stellte 1921 Iwan Goll in einem Nekrolog (Nachruf) auf die gescheiterte Reformbewegung des geistigen Lebens fest. Der gesamte Expressionismus sei keine künstlerische Form, sondern Name einer Gesinnung gewesen. (siehe vorherige Quellenangabe, Seite 108)
Heinrich E. Jacob sieht die expressionistische Dichtung, vorwiegend die Lyrik seit 1910, als ein Chaos an, aus dem man seiner Meinung nach keinen lügnerischen Kosmos bilden kann. Er hält das Wort Expressionismus für eine törichte Bezeichnung, da die einzelnen Dichter weder eine stilistische noch eine seelische Gemeinsamkeit besessen hätten.
In fast allen Versuchen der Selbstdarstellung innerhalb der expressionistischen Bewegung wird der Zugang zu den dichterischen Elementen dieser „Literaturrevolution“ durch ethische, metaphysische und vage philosophische Vorstellungen verstellt.
Die Literaturhistoriker fassen trotz gelegentlicher Vorbehalte das mit dem Begriff Expressionismus gekennzeichnete Phänomen unter geistesgeschichtlichen und stiltypologischen Kategorien als Einheit auf. Entweder rechnen sie es einem romantisch-irrationalen Stiltyp zu oder betrachten es als gesteigerte Neuromantik.
Soergel hingegen mißt die neue Dichtung an ihrer Dynamik, „an dem Kraftstrom, der aus dunklen Urgründen fremd und leidenschaftlich hervorbricht, der ins Ziellose auszuschweifen, aus dem Chaos zu kommen, in ein Chaos zu münden scheint“. (siehe vorherige Quellenangabe, Seite 109)
Das Suchen nach neuen tragenden Grundkräften des seelischen, sittlichen, gesellschaftlichen Daseins findet seinen Ausdruck im Expressionismus. (siehe vorherige Quellenangabe, Seite 109)
Der Expressionismus sei die Offenbarung der Weltkrise auf allen Gebieten des Lebens. Seine Lyrik wird als Niederschlag einer rauschhaft ekstatischen Erlebnisweise gekennzeichnet. Die Charakterisierung der expressionistischen Dichtung richtet sich nach der psychischen Befindlichkeit des Menschen, nach der Echtheit des Gefühls und der Aufrichtung der Gesinnung. Begriffe, die im Grunde sinnlos sind, da zwischen der Echtheit des Gefühls und dem Kunstwerk keine Beziehung besteht.
„Transzendenzdrang ( das Überschreiten der Grenzen der Erfahrung des Bewußtseins), Ekstase, Bewegtheit und Überbewegtheit, Übersteigerung des Ausdrucks, strudelnde Inbrust und Stimmungsgewalt, endzeitliche Bedrängungen und Hoffnungen“ sollen die psychische Befindlichkeit des expressiven Menschen oder Künstlers kennzeichnen. Häufig wird die Verwandtschaft zum gotischen oder barocken Menschen nachgesagt. Mittels solchen Kriterien werden nur unbedeutende Einsichten in die künstlerische Eigenart der neuen Dichtung gewonnen. Für Werner Milch ist die Mehrzahl der Dichter der expressionistischen Periode unmusikalisch, humorlos, fanatisch und monomanisch (krankhaftes Besessensein von einer Wahnvorstellung, fixe Idee) auf ein paar Gedanken gerichtet.
Fritz Martini war im Jahre 1956 der Meinung, daß der Begriff Expressionismus nicht mehr ausreiche, um das Eigene und Besondere zu erfassen, welches sich in dieser Dichtung auszeichnete. Er sieht diese Dichtung nicht mehr isoliert als nationales Phänomen an, sondern er stellt sie in den Zusammenhang europäischer und außereuropäischer Literaturen. Die Dichtung selber, das einzelne Gedicht tritt in den Mittelpunkt des literarischen Interesses. Die neue Forschung konzentriert sich nun auf das Gebiet der Einzeluntersuchungen von Bild und Metapher und im Bereich der Komparatistik (vergleichende Literatur – od. Sprachwissenschaft). Ebenso beschäftigt man sich mit der Grundlagenforschung auf textkritische Editionen und mit der Erschließung des gesamten Materials. Dadurch wurden erst Voraussetzungen für das Verständnis dieser Lyrik geschaffen. Die deutsche Lyrik des 20. Jahrhunderts, die expressionistische einbegriffen, existiert und entwickelt sich hier ohne Bezug nach außen isoliert im nationalen Raum. In der lyrischen Sprache offenbart sich eine Dissonanz zwischen der Wirklichkeit und der Idealität, zwischen Wollen und Können des dichterischen Ausdrucks. Diese Lyrik reduziert sich vorwiegend auf das Phänomen der Sprache.
Es stellt sich nun die Frage, auf Grund welcher Kriterien sich die lyrische Dichtung dieser Zeit bestimmen läßt. Zwar läßt sie sich, wie es des öfteren geschehen ist, thematisch in Arbeiter- und Kriegsdichtung, in revolutionäre und religiöse Lyrik einteilen, oder wie bei Kurt Pinthus in seiner Menschheitsdämmerung in „Sturz und Schrei“, „Erweckung des Herzens“, „Aufruf und Empörung“ und „Liebe den Menschen“; doch was wird damit über ihre Bestimmung ausgesagt? Diese Thematik war bereits in früheren Epochen, ebenso wie bei der zeitgenössischen Dichtung, die, wie beispielsweise Dehmel, Mombert, Rilke, Brecht, nicht dem Expressionismus zugerechnet wurden.
Die Diskrepanz und Unvergleichbarkeit, die zwischen den Werken des einen und anderen Dichters vorzufinden ist, ist häufig auch zwischen den einzelnen Schöpfungen desselben Dichters, auch innerhalb ein und desselben Gedichtes zu finden. Auch vom Wort oder vom Ausdruck her ist diese Lyrik als expressionistisch nicht zu fassen. Es tritt in diesem Zusammenhang die Frage auf, was heißt überhaupt Ausdruck? Soll der Ausdruck der Kommunikation, der Mitteilung an andere oder dem Verstehen des eigenen Selbst dienen? Bedeutet er Entfaltung des Selbst oder Verwirklichung der Welt oder vielleicht beides zusammen? Über diesen Begriff herrschte damals noch weniger Klarheit als heute.
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