Die Auswirkungen der Medienkultur auf die Schulkultur - über Herausforderungen an die Schulorganisation in einer Mediengesellschaft


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2004

58 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Modernisierungstendenzen
2.1 Rationalisierung
2.2 Individualisierung

3. Mediengesellschaft oder Informationsgesellschaft

4. Mediengesellschaft – Medienkultur: Quantitative Auswirkungen

5. Mediengesellschaft – Medienkultur: Qualitative Auswirkungen

6. Die Kultur in der virtuellen Gesellschaft

7. Medien aus der Sicht der Pädagogik
7.1 Medien als Risiko für die Schule
7.2 Medien als Chance für die Schule

8. Medienkompetenz

9. Veränderungen des Unterrichts
9.1 Pluralisierung
9.2 Verselbständigung
9.3 Umgang mit Ambivalenzen

10. Veränderungen der Schulkultur
10.1 Die Ebene der Schüler
10.2 Die Ebene der Lehrer
10.3 Die Ebene des Schulleiters
10.4 Unterricht als Kern der Schulkultur

11. Neue Lernwelten in der Schule
11.1 Das virtuelle Klassenzimmer: lo-net
11.2 Neue Medien im Unterricht – Vorbild USA?

12. Änderung der Schulorganisation
12.1 Die kommerzielle Schule – Beispiel Philadelphia
12.2 Die Öffnung der Schule für den Markt – Beispiel England
12.3 Die verwaltete Schule – Beispiel Deutschland
12.4 Die autonome Schule – Beispiel Niederlande

13. Wege eines veränderten Schulmanagements
13.1 Nutzung externer Ressourcen durch eine Öffnung der Schule
13.2 Dezentrale Ressourcenverantwortung
13.3 Organisatorischer Neuaufbau?

14. Fazit

15. Literatur

Erklärung

1. Einleitung

Auf die Frage, wie die Zukunft der Schule aussehen und wie sie geführt werden soll, gibt es je nach pädagogischer Tradition und Denkrichtung unterschiedliche Antworten. Gerade durch die aktuelle Pisastudie, in der ein relativ schlechtes Abschneiden deutscher Schüler hinsichtlich der Lesekompetenz und mathematischer Leistungen festgestellt wurde, wird deutlich, wie sehr sich pädagogische Rezepte unterscheiden können. Liegt die Zukunft der Schule in einer stärkeren Gliederung des Schulwesens (immerhin haben Bayerische Schulen vergleichsweise gut abgeschnitten) – oder sollte dem skandinavischem Vorbild mit einer Stärkung der Gesamtschulen gefolgt werden? Eine weitere aktuell diskutierte Option ist der Ausbau von Ganztagsschulen, für die die Bundesregierung beträchtliche Mittel zur Verfügung gestellt hat.

Die vorliegende Arbeit hält sich fern von jeder einseitigen pädagogischen Denkrichtung und greift zentrale gesellschaftliche Veränderungen auf, da die Institution Schule der Gesellschaft dienen und somit den gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht werden soll. Die Gesellschaft befindet sich in einem weitreichenden Modernisierungsprozess, in dem Medien eine zentrale Rolle spielen. Die Analyse dieses Prozesses und die Folgen des zunehmenden Einflusses der Medien geben wichtige Hinweise auf zukünftige Aufgaben der Schule. Zudem wird es jeder Einzelschule nur möglich sein eine angenehme Schulkultur zu entwickeln, wenn sie Kenntnis über wichtige kulturelle Einflussfaktoren hat.

Neben gesellschaftlichen Aspekten werden in der vorliegenden Arbeit auch konkrete Folgen für den Unterricht an den Schulen genannt. Medien bergen im Allgemeinen vielfältige Risiken aber auch Chancen für die Unterrichtsgestaltung. Der Einfluss der Medien auf den Unterricht, und somit auch auf die Schulkultur, ist bedeutend und darf nicht unterschätzt werden.

Am Schluss der Arbeit werden verschiedene Optionen hinsichtlich einer Änderung der Schulorganisation skizziert. Tendenziell muss sich die Schule ändern, um zukünftige Herausforderungen gerade in einer Mediengesellschaft bewältigen zu können. Im Kern muss jede Einzelschule ein hohes Maß an Autonomie erlangen, was jedoch langfristig nur durch ein verändertes Schulmanagement und einem organisatorischen Neuaufbau gelingen kann.

2. Modernisierungstendenzen

Auch wenn es in der Soziologie keine Einigung über „die richtige“ Gesellschaftsform gibt, erntet die Modernisierungstheorie von Hans van der Loo und Willem van Reijen, die sie 1990 entwickelten, breite Zustimmung aus allen Richtungen.[1] Van der Loo und van Reijen erfassen die gesellschaftliche Wirklichkeit und das menschliche Handeln aus den Perspektiven der Struktur, Kultur, Person und Natur. Diese vier Perspektiven (man könnte dazu auch Handlungsdimensionen sagen), lassen sich in jeder Handlung (mit wechselnden Kombinationsmöglichkeiten) unterscheiden. In jeder einzelnen Perspektive erscheint der Prozess der Modernisierung in einem anderen Licht: Aus struktureller Sichtweise ist der Prozess der Differenzierung kennzeichnend für die vorhandenen gesellschaftlichen Modernisierungstendenzen. Aus der Sichtweise der Kultur, stellt sich der Modernisierungsprozess als ein Vorgang der Rationalisierung dar, und innerhalb der Perspektiven Person und Natur lassen sich Tendenzen der Individualisierung bzw. der Domestizierung feststellen. Im Folgenden sollen exemplarisch zwei Modernisierungstendenzen dargestellt werden.

2.1 Rationalisierung

Der Prozess der Rationalisierung bezieht sich auf das Ordnen und Systematisieren der Wirklichkeit. Durch die zunehmende Differenzierung wird die gesellschaftliche Wirklichkeit in den entstandenen selbständigen sozialen Einheiten unterschiedlich wahrgenommen, und dabei werden eigene Normen und Werte definiert. Die Medien- und Kulturindustrie versorgt eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen und Subgruppen, beispielsweise hinsichtlich der Musikpräferenzen: In einer Befragung von ca. 600 Schülerinnen und Schülern des Jahres 1992 (Untersuchungsgegenstand waren unter anderem jugendlicher Musikkonsum und Geschmackspräferenzen), wurden einhundertzehn (!) verschiedene Musikrichtungen von Schülern genannt – dabei wurden nur die Nennungen berücksichtigt, die mindestens zwei Schüler angaben.[2] Neben dieser Tendenz zur Pluralisierung findet aber auch eine Generalisierung der Gesellschaft statt: Die Musik der Weltstars wird durch die Medien global vertrieben, und Popkünstler wie Madonna oder Michael Jackson sind auf der ganzen Welt bekannt (Stichwort: Ver-amerikanisierung oder McDonaldarisierung). Mit der Tendenz zur Generalisierung geht aber auch eine Relativierung der Bedeutung einher, die Reichweite der Musik geht sozusagen zu Lasten der Direktheit.

Aus der schulkulturellen Sichtweise bedeutet Pluralisierung, dass man nicht mehr von einer homogenen Schülerschaft ausgehen kann, deren Werte und Normen automatisch gleich sind. Jeder einzelne Schüler hat (unter anderem begünstigt durch eine unendliche Auswahl an Medieninhalten und –formaten) eigene, spezifische Erfahrungen gemacht. Weiterhin kann sich der Informationsstand der Schüler beträchtlich voneinander unterscheiden, da jedem Heranwachsenden durch das Internet prinzipiell eine nicht fassbare Menge an Informationen zugänglich ist. Der Lehrer verliert in diesem Zusammenhang zunehmend sein früheres Monopol der Wissensvermittlung.

2.2 Individualisierung

Die Tendenz der Individualisierung zeigt die wachsende Bedeutung des Individuums, welches sich zunehmend nicht mehr als Teil eines Kollektivs ansieht. Auch aus dieser Perspektive sind ambivalente Tendenzen festzustellen: Wachsende Verselbständigung geht mit der Tendenz zum Abhängig-Werden einher. Nach Befunden der Jugendforschung streben die Jugendlichen zunehmend nach Autonomie und Selbstverwirklichung: „1981 waren es 20 %, 1991 47 %, die nach eigener Ansicht bis zum 14. Lebensjahr [!] zum ersten Mal selbständig über ihr Aussehen, also über Kleidung und Haarstil, entschieden haben.“[3] Verstärkt wird dieser Trend durch die Medien, da die Jugendlichen (und Kinder) vor allem durch Fernsehen und Internet an Informationen gelangen, die früher nur den Erwachsenen vorbehalten waren (Neil Postman spricht in diesem Zusammenhang vom Verschwinden der Kindheit[4]); die Jugendlichen (und Kinder) sind somit weniger abhängig von der Erwachsenenwelt.

Auch aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive kann man eine zunehmende Verselbständigung erkennen; einige Soziologen wie zum Beispiel Rainer Erd betonen die „ aufklärerischen Momente der Kulturindustrie“[5] und argumentieren, dass ein mehr an Informationen eine Verstärkung der persönlichen Meinungsbildung bewirkt und somit die Verselbständigung des Individuums dank der Massenmedien zunimmt.

Geradezu diametral dazu ist Adornos und Horkheimers Verhältnis zu den Medien bzw. der Kulturindustrie; beide betonen den Aspekt des zunehmenden Abhängig-Werdens der Individuen und entwerfen das Bild von Konsumenten, die durch die Illusionsszenerie der Massenmedien kritikunfähig gemacht werden und in einem Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis zum Zwecke des Profits einiger weniger „gefangen“ sind:

„Während der Einzelne vor dem Apparat verschwindet, den er bedient, wird er von diesem besser als je versorgt. Im ungerechten Zustand steigt die Ohnmacht und Lenkbarkeit der Masse mit der ihr zugeteilten Gütermenge. Die materiell ansehnliche und sozial klägliche Hebung des Lebensstandards der Unteren spiegelt sich in der gleißnerischen Verbreitung des Geistes. Sein wahres Anliegen ist die Negation der Verdinglichung. Er muß zergehen, wo er zum Kulturgut verfestigt und für Konsumzwecke ausgehändigt wird. Die Flut präziser Information und gezielten Amüsements witzigt und verdummt die Menschen zugleich.“[6]

Der Aufklärungsgedanke wird durch die Medien nach Adorno und Horkheimer sozusagen ad absurdum geführt; der Mensch ist dem System der Kulturindustrie unterworfen und wird deshalb zu einem unmündigen (= abhängigen) Objekt. Die gesellschaftliche Kultur wird durch das System der Kulturindustrie nicht nur beeinflusst, sondern eher generiert. So transportieren Medien beispielsweise Werbebotschaften, welche starke Rückflüsse auf das Freizeitverhalten der Menschen haben. Besonders bei austauschbaren weil homogenen Produkten (wie zum Beispiel Zigaretten, Jeans, Turnschuhe, Autos oder Waschmitteln) suggeriert die Werbung den potentiellen Kauf eines Gefühls (Stärke, Macht, Anerkennung usw.). Im Extremfall wird ein Produkt sogar existentiell wichtig für eine anvisierte Käufergruppe. An vielen Schulen ist zum Beispiel auffällig, dass die Schüler häufig nur bestimmte Jeans oder nur bestimmte Turnschuhe tragen. Und was wäre ein Jugendlicher heute ohne ein entsprechendes Handy?

Trotz dieser einzelnen Aspekte von möglichen Folgewirkungen durch Medien bedarf es doch einer näheren Bestimmung, was die Mediengesellschaft überhaupt ist. Erst dann sind Schlussfolgerungen auf unsere Kultur sinnvoll. Bis hierhin ist jedoch festzuhalten, dass die gesellschaftliche Kultur aufgrund von Modernisierungstendenzen ständigen Änderungen unterworfen ist

3. Mediengesellschaft oder Informationsgesellschaft?

Der Begriff der Informationsgesellschaft taucht in der wissenschaftlichen Literatur zum ersten Mal im Jahre 1973 auf. Daniel Bell publizierte in diesem Zeitraum das Buch „The Coming of Post-Industrial Society“[7], in dem er systematisch die Geschichte der Menschheit zurückverfolgt und seine Theorie der postindustriellen Gesellschaft begründet (das Präfix „post“ ist hier im Sinne von „nach“ zu verstehen). Nach Bell entwickeln sich alle menschliche Gesellschaften universell nach dem gleichen Schema weiter: Es findet zunächst ein Wandel von der vorindustriellen Gesellschaft zur industriellen Gesellschaft statt; später erfolgt ein weiterer Wandel hin zur postindustriellen Gesellschaft.

In der nachindustriellen Gesellschaft sind die Menschen vorwiegend in Dienstleistungen tätig. Das Leben ist in dieser Gesellschaftsform ein „Spiel zwischen Personen“, da sich die Dienstleistungen am Menschen ausrichten. Um die Menschen optimal zu versorgen, müssen sie ausreichend mit Informationen versorgt werden, damit mögliche Probleme beim Waren- und Energietransport effizient gelöst werden können. Anders als in der vorindustriellen bzw. der industriellen Gesellschaft wird in der nachindustriellen Gesellschaft primär mit Informationen gehandelt: „In ihr zählt weniger Muskelkraft oder Energie als Information.“[8] Die Information wird als ein knappes, handelbares Gut angesehen, das eine zentrale Rolle innerhalb der Gesellschaft spielt; aus diesem Grunde verwendet Bell dafür den Begriff der Informationsgesellschaft.

Da sich Informationen per se nicht selbst verbreiten können, benötigen sie die Strukturen von Medien. Seitens der Medien bleibt es jedoch nicht bei einer neutralen Informationsvermittlung, da jedes Medium eine spezifische Eigenart hat, welches die Realität (bzw. Informationen) auf eine eigene Art und Weise interpretiert. Wenn Marshall McLuhan sagt: „Das Medium ist die Botschaft“[9], so meint er damit, dass ein Medium gerade nicht wertfrei ist, sondern eine Botschaft impliziert – mit weitreichenden Folgen für unser Denken, Fühlen und Handeln. Die transportierte Information wird durch das Medium zu einer verarbeiteten und angebotenen Realität, die unser alltägliches Leben bzw. unsere Kultur immer stärker beeinflusst: „Ohne mediale Gegenwart könnten wir uns kaum Vorstellungen von den Ordnungen machen, in denen wir leben, handeln, arbeiten, phantasieren, uns verabreden, Neues planen oder uns mit anderen Menschen und sozialen Gruppen solidarisch erklären.“[10] Einige Kulturkritiker, betonen in diesem Zusammenhang die starke Rolle des Mediums Fernsehen und prangern den Niedergang der Buchkultur an, so zum Beispiel Neil Postman:

„Um es klar und deutlich zu sagen: Ich untersuche und ich beklage in diesem Buch die einschneidenste Veränderung, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb der amerikanischen Kultur vollzogen hat: den Niedergang des Buchdruck-Zeitalters und den Anbruch des Fernseh-Zeitalters. Dieser Umbruch hat zu einer dramatischen, unwiderruflichen Verschiebung im Inhalt und in der Bedeutung des öffentlichen Diskurses geführt, denn zwei so unterschiedliche Medien können nicht die gleichen Ideen in sich aufnehmen. In dem Maße, wie der Einfluß des Buchdrucks schwindet, müssen sich die Inhalte der Politik, der Religion, der Bildung und anderer öffentlicher Bereiche verändern und in eine Form gebracht werden, die dem Fernsehen angemessen ist.“[11]

Auch der Soziologe Pierre Bourdieu äußert sich kritisch zu den Folgen des Fernsehens und versucht nachzuweisen, dass dieses Medium „ ... für verschiedene Sphären der kulturellen Produktion, für Kunst, Literatur, Wissenschaft, Philosophie, Recht, eine sehr große Gefahr bedeutet.“[12] Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass das Fernsehen nur ein Medium unter vielen ist, so dass der Begriff der Mediengesellschaft nicht mit dem Begriff der Fernsehgesellschaft, wie ihn als erster Joshua Meyrowitz[13] geprägt hat, gleichzusetzen ist, da sonst andere wichtige Medien wie zum Beispiel der Computer oder diverse Tonträger nicht genügend Berücksichtigung finden würden.

Problematisch ist nun, dass das Mediensystem soziologisch gesehen immer autonomer von anderen Subsystemen wird und sie in gewisser Weise sogar steuert (man denke nur an die alltäglichen Rituale auf Pressekonferenzen, auf den sich Politiker oder Unternehmensleiter medienkonform „verkaufen“ müssen, um erfolgreich zu sein. Die „Spielregeln der Mediengesellschaft“[14] bestimmen auch die Handlungen aller anderen Gesellschaftsgruppen; so wird beispielsweise die Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen nicht nur durch massenmedial vermittelte Trends, Moden, Styles oder Musik bestimmt – die Massenmedien an sich beanspruchen zusätzlich noch einen hohen Anteil am Zeitbudget für den allergrößten Teil der Gesellschaft.

4. Mediengesellschaft – Medienkultur: Quantitative Auswirkungen

Alle westlichen Industriestaaten sind mehr oder weniger gleich stark von den massenmedialen Auswirkungen betroffen. Wie auch in anderen Industriestaaten steht die Mediennutzung beispielsweise in den Niederlanden mit fast 41 % Zeitanteil an der Spitze der Freizeitbeschäftigungen. Abgeschlagen folgen die Bereiche Kommunikation mit 26,4 % und Hobbys mit 10,9 % am Freizeitanteil[15]; bemerkenswert ist die Tatsache, dass für die Mediennutzung dreizehnmal mehr Zeit veranschlagt wird als zum Beispiel für soziale und politische Aktivitäten. Und ist es nicht bezeichnend, dass den Menschen die Mediennutzung wichtiger zu sein scheint als die Ausübung ihrer eigenen Hobbys?

In einer Befragung des Jahres 1994, in der 6-13jährige Kinder auf die Frage antworteten, was sie jeden Tag bzw. fast jeden Tag tun, gaben 82 % „Fernsehen“ an, (zusammen mit der Kategorie „Video schauen“ würden sich rein rechnerisch gar 94% ergeben), was im Vergleich zu nichtmedialen Tätigkeiten wie zum Beispiel „Drinnen spielen“ mit 53 % oder „Selber Musik machen“ mit nur 15 % der Nennungen vergleichsweise viel ist.[16] Die Freizeitaktivität „Fernsehen“ wurde nur von der Kategorie „Hausaufgaben machen“ (90 %) übertroffen, welche jedoch eine Zwangskomponente enthält und somit nicht repräsentativ für die wirklichen Freizeitpräferenzen von Kindern sein kann. Im Schnitt sehen 3-13jährige Kinder jeden Tag zwar „nur“ 97 Minuten fern[17]; diese Zahl muss jedoch aufgrund einer großen Anzahl von Vielsehern („Eine halbe Million Kinder [...] sitzen täglich mehr als fünf Stunden vor dem Bildschirm.“[18]) und einer hohen durchschnittlichen Verweildauer von 153 Minuten[19] relativiert werden. Das Medium Buch ist im Vergleich zu seinen elektronischen Konkurrenten weit abgeschlagen: Nur 15 % aller 3-13jährigen Kinder geben an, dass sie jeden Tag bzw. fast jeden Tag ein Buch lesen; die Prozentzahlen der Kategorien „Kassetten/CDs hören“ und „Radio hören“ liegen dagegen bei ca. 30 % - was im Vergleich zur Freizeitaktivität Fernsehen jedoch wenig anmutet.[20] Das Medium Fernsehen scheint deshalb so erfolgreich zu sein, weil es den Kindern Spaß bringt, dem Abschalten dient und nicht zuletzt Langeweile vertreibt: „Jedes dritte Kind setzt sich vor den Bildschirm, wenn es nicht weiß, was es sonst tun soll.“[21]

Die Reihenfolge der medialen Nutzungspräferenz von Jugendlichen unterscheidet sich relativ stark von den oben genannten Zahlen der jüngeren Medienbenutzer. In einer Befragung des Jahres 2000 gaben 12-19jährige hinsichtlich ihrer medialen Freizeitnutzung folgendes an: „Mindestens mehrmals pro Woche“ schauen über 90 % Fernsehen, etwa gleich viele Jugendliche hören CD´s bzw. MC´s, Platz drei belegt knapp die Nutzung des Radios mit 84 %, und immerhin wählen noch 60 % der Befragten die Kategorie Computernutzung (zum Vergleich: Bücher lesen erreicht „nur“ 36 %).[22] Misst man das Zeitbudget, das die Jugendlichen für audiovisuelle Medien aufbringen, ergibt sich im Gegensatz zur Nutzungspräferenz eine eindeutigere Rangfolge: Pro Tag verbringen die 14-19-jährigen demnach 142 Minuten vor dem Fernseher, 125 Minuten werden mit Radio hören verbracht, und für das hören von Tonträgern werden pro Tag nur etwa 46 Minuten veranschlagt. Rechnet man alle audiovisuellen Medien zusammen, kommt man annähernd auf 5,5 Stunden massenmedialer Konsum täglich - dabei ist der Zeitverbrauch für die Benutzung von Computern und Spielkonsolen noch nicht mal mit eingerechnet.[23] Schon jetzt ist im Zuge des technischen Fortschritts der Trend zu einer stärkeren Portabilität und damit auch zu stärkeren Verfügungsmöglichkeiten von Medien zu erkennen: Während man Computerspiele früher nur auf den häuslichen Computer bzw. Spielkonsolen spielen konnte, ist der Spielgenuss heute durch den Gameboy jederzeit möglich (welchen immerhin ca. 40 % aller 10 bis 17-jährigen besitzen) – ähnliche Tendenzen gelten für den CD-Spieler (Discman) und Kassettenrecorder (Walkman). Die Entwicklung von Computerspielen für Handys steht zwar erst am Anfang, allerdings wird es bald durch UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) möglich sein, jederzeit Musik zu hören oder elektronische Spiele zu spielen. Die Folgen für unsere Kultur könnten weitreichend sein. Einige Medienpädagogen, wie zum Beispiel Johannes Fromme von der Universität Bielefeld, meinen, dass der mediale Einfluss der Medien durch die stärkeren Verfügungsmöglichkeiten so stark werden könnten, dass es für die Kinder und Jugendlichen kaum noch medienfreie Zeit (und damit zu eigener Verfügung stehende Zeit) geben wird: „Es geht um das Nichtstun, die Muße und darum, solche Ruhe aushalten zu können. Dass sie immer weiter verschwindet, ist der eigentliche kulturelle Wandel, der durch die Medien forciert wird.“[24]

Angesichts der oben genannten Zahlen und angedachten Tendenzen wird erst verständlich, dass wir uns schon längst in einer Mediengesellschaft befinden. Die Jugendlichen nutzen heute nicht nur die klassischen audiovisuellen Medien wie Fernsehen, Radio, Video (bzw. DVD) und Tonträger - es sind gerade die neuen Kommunikationsmedien wie Internet und Handy, welche einen enormen Zuwachs an jugendlichen Nutzern verzeichnen. Beispielsweise gaben im Jahre 1998 18 % der Jugendlichen an, das Internet „zumindest selten“ zu nutzen, während die entsprechende Zahl für das Jahr 2000 schon bei 57 % lag. 50 % der Jugendlichen hatten im Jahr 2000 ein eigenes Handy – ein Jahr zuvor waren es nur 14 %.[25] Im Vergleich zum Fernsehen können die neuen Medien also auf beachtliche Steigerungsraten verweisen, allerdings bleibt das Fernsehen bis jetzt noch das beliebteste Medium der Jugendlichen: Ca. zwei drittel aller Jugendlichen haben einen eigenen Fernsehapparat, und auf die Frage, auf welche Medien sie am wenigsten verzichten könnten, gaben zwei Drittel aller Jugendlichen in einer Befragung des Jahres 2000 die Antwort „Fernsehen“ an (nur 23 % entschieden sich jeweils für die Kategorien „Computer“ bzw. „Radio“).[26] Auch wenn der Fernseher eine Schlüsselstellung aufweist, wird die Freizeit der Schüler aufgrund der fortschreitenden Portabilität von Medien noch stärker mediatisiert sein als heute.

Die oben genannten Zahlen und Fakten sollen einen Eindruck vermitteln, wie sehr unsere Kultur schon rein quantitativ durch elektronische Medien verändert wird (Änderung der Zeitpräferenzen). Die Zahlen an sich sagen jedoch nichts über eine qualitative Änderung des Verhaltens von Akteuren aus.

5. Mediengesellschaft – Medienkultur: Qualitative Änderungen

Unter dem Aspekt der wachsenden Medien nutzung bzw. Medien verbreitung scheint der Modernisierungsprozess nach van der Loo / van Reijen auf den ersten Blick ein linearer Prozess zu sein. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass bis zum heutigen Tag mit jeder Erfindung eines Mediums ambivalente und nichtlineare Folgeerscheinungen für die Kultur einhergingen.

[...]


[1] Loo, Hans van der / Reijen, Willem van: Modernisierung. Projekt und Paradox. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1997. Die niederländische Originalausgabe erschien 1990 unter dem Titel „Paradoxen van modernisering“.

[2] Lettermann, Ulrich: Jugend - Musik - Jugendkultur – Schule: Ohnmacht vor der Vielfalt? In: Gembris, Heiner u.a.(Hrsg.): Musikpädagogische Forschungsberichte 1993. Augsburg: Wißner, 1994, S.348

[3] Behnken, Imbke und Fischer, Arthur (Hrsg.): Jugend ´92, Bd.1. Opladen 1992, S.219f. , hier zitiert nach: Bohnsack, Fritz: Wandlungen der Schule und ihre Hintergründe. In: Helms, S. / Jank, B. und Knolle, N. (Hrsg.): Verwerfungen in der Gesellschaft – Verwandlungen in der Schule. Augsburg: Wißner, 1996, S.44

[4] Vgl. Postman, Neil: Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1985

[5] Erd, Rainer: Kulturgesellschaft oder Kulturindustrie? Anmerkungen zu einer falsch

formulierten Alternative. In: Erd, Rainer u. a.: Kritische Theorie und Kultur. Franfurt/Main,

1989, S.230

[6] Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W. : Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 1997, S.5

[7] Deutsche Übersetzung: Bell, Daniel: Die nachindustrielle Gesellschaft. Frankfurt am Main: Campus Verlag 1985

[8] Bell, Daniel: Ebd., S.134

[9] McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Düsseldorf/Wien 1986, S.14, hier zitiert nach: Schläbitz, Norbert: Der diskrete Charme der Neuen Medien. Augsburg: Wißner, 1997, S.15

[10] Faßler, Manfred: Informations- und Mediengesellschaft. In: Kneer, Georg / Nassehi, Armin / Schroer, Markus (Hg.): Soziologische Gesellschaftsbegriffe. Konzepte moderner Zeitdiagnosen. München: Wilhelm Fink Verlag, 1997, S.334 f.

[11] Postman, Neil: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1985, S.17

[12] Bourdieu, Pierre: Über das Fernsehen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998, S.9

[13] Vgl. Meyrowitz, Joshua: Die Fernsehgesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter. Weinheim und Basel: Beltz, 1987

[14] Vgl. Löffelholz, Martin und Altmeppen, Klaus Dieter: Kommunikation in der Informationsgesellschaft. In: Merten, Klaus u. a. (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994, S.577

[15] Vgl. Franzmann, Bodo: Diagnosen zur Lesekultur beim Übergang in die Informationsgesellschaft. In: Medienpsychologie 2/1996, S.83 (Abbildung 2)

[16] Zahlen entnommen aus: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland – Zehnter Kinder- und Jugendbericht – mit der Stellungnahme der Bundesregierung (vom 25.8.1998). Quelle: http://www.bmfsj.de vom 14.1.2001, S.65

[17] Zahl entnommen aus: Feierabend, Sabine und Simon, Erk: Was Kinder sehen. Eine Analyse der Fernsehnutzung 1999 von drei- bis 13-jährigen. In: Media Perspektiven 4/2000, S.161 (Abbildung2)

[18] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland – Zehnter Kinder- und Jugendbericht – mit der Stellungnahme der Bundesregierung (vom 25.8.1998). Quelle: http://www.bmfsj.de vom 14.1.2001, S.71

[19] Zahl entnommen aus: Feierabend, Sabine und Simon, Erk: Was Kinder sehen. Eine Analyse der Fernsehnutzung 1999 von drei- bis 13-jährigen. In: Media Perspektiven 4/2000, S.161 (Abbildung2)

[20] Vgl. Feierabend, Sabine und Klingler, Walter: Kinder und Medien 1999. Ergebnisse der Studien KIM 99. In: Media Perspektiven 12/99, S.613 (Abbildung 3)

[21] Ebd., S.623

[22] Zahlen entnommen aus: Feierabend, Sabine und Klinger, Walter: Jugend, Information, (Multi-)Media 2000. In: Media Perspektiven 11/2000, S.519

[23] Zahlen entnommen aus: Zeitbudget für audiovisuelle Medien 1998 bis 1999. In: Media Perspektiven 10/99, S.557

[24] Hier zitiert nach: Hamann, Götz: Starren, bis die Augen rot sind. In: DIE ZEIT Nr.20 vom 10.5.2001, S.21

[25] Zahlen entnommen aus: Feierabend, Sabine und Klinger, Walter: Jugend, Information, (Multi-)Media 2000. In: Media Perspektiven 11/2000, S.523 (Abbildung 6) und S.519

[26] Ebd., S.526

Final del extracto de 58 páginas

Detalles

Título
Die Auswirkungen der Medienkultur auf die Schulkultur - über Herausforderungen an die Schulorganisation in einer Mediengesellschaft
Universidad
University of Hagen  (Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften)
Calificación
2,0
Autor
Año
2004
Páginas
58
No. de catálogo
V60466
ISBN (Ebook)
9783638541398
ISBN (Libro)
9783638742139
Tamaño de fichero
672 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Auswirkungen, Medienkultur, Schulkultur, Herausforderungen, Schulorganisation, Mediengesellschaft
Citar trabajo
Michael Schönfelder (Autor), 2004, Die Auswirkungen der Medienkultur auf die Schulkultur - über Herausforderungen an die Schulorganisation in einer Mediengesellschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60466

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