Isonomia in Athen - Die politische Teilhabe der Athener im gesellschaftlichen und institutionellen Gefüge der kleisthenischen Polis des späten 6. und frühen 5. Jahrhunderts


Trabajo, 2005

40 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1.0 Der Aufbau des kleisthenischen Staates

2.0 Der Demos
2.1 Wirtschaftliche Strukturen des Demos
2.2 Demenversammlung
2.3 Wahl und Losung
2.4 Beamte und Ämter im Demos
2.5 Der Demarchos

3.0 Die Trittye

4.0 Die Phyle
4.1 Boule
4.2 Ekklesia

5.0 Resümee

Abbildungen

Bibliographie

Abbildungsnachweise

Vorbemerkung

Nach dem Tod des Tyrannen Peisistratos übernahmen seine Söhne unter Leitung des Ältesten, Hippias, die Herrschaft in Athen. Im Jahr 514 v. Chr. ermordeten Harmodius und Aristogeiton bei einem missglückten Attentat auf Hippias dessen jüngeren Bruder, was dazu führte, dass sich einige Adelsfamilien, die sich zuvor mit den Tyrannen arrangiert hatten, ins Exil absetzten. Von außen versuchten nun diese aristokratischen Verbände, insbesondere die Alkmeoniden, einen Aufstand anzuzetteln, um die Tyrannenherrschaft des Hippias in Athen zu brechen. Die Pläne scheiterten und es gelang erst im Jahr 510 mit Hilfe der Spartaner, namentlich König Kleomenes, durch militärische Intervention die Tyrannenfamilie der Peisistratiden zu vertreiben. Bald darauf brachen in Athen die altvertrauten Fraktionskämpfe um Macht und Ämter wieder aus. Erwähnung finden in den Schriften der antiken Historiker vor allem die Namen zweier Rivalen: Isagoras und Kleisthenes.

Im Laufe der Auseinandersetzungen konnte Isagoras im Frühjahr 508 einen entscheidenden Vorteil gegenüber Kleisthenes gewinnen: Er wurde zum Archon für die kommende Amtszeit 508/507 gewählt. Aus der Situation der Niederlage heraus erfolgte das, was ich, vorerst ohne nähere Wertung, als politischen Strategiewechsel des Kleisthenes bezeichnen möchte. Kleisthenes wandte sich an das Volk - Herodot schreibt: „Kleisthenes versuchte das Volk auf seine Seite zu ziehen“ (5,66,2) – und entfaltete die Idee eines neuen Staatsgebäudes, die die Essenz der später unter seinem Namen realisierten Reformen wahrscheinlich vorwegnahm. Wegen des Machtzuwachses, den Kleisthenes durch seine Reformvorschläge gewonnen hatte, rief Isagoras im Gegenzug erneut den Spartaner-König Kleomenes zu Hilfe, vertrieb mit dessen Unterstützung Kleisthenes und dessen Gesinnungsgenossen aus Athen und machte sich daran, seine Macht zu festigen. Im gleichen Zug beabsichtigte er, den in solonischer Zeit entstanden Rat der 400 aufzulösen und durch eine oligarchische Regierung zu ersetzen. Dagegen nun wehrten sich in einer offenbar spontanen Erhebung der Rat und das bewaffnete Volk der Stadt Athen und vertrieben Isagoras zusammen mit Kleomenes und seinen Interventionstruppen. Mit den übrigen Verbannten kehrte auch Kleisthenes zurück und hatte nun Gelegenheit, seine Reformpläne zu realisieren.

So etwa lässt sich das zusammenfassen, was einigermaßen zuverlässig über die Vorgeschichte der Kleisthenischen Phylenreform gesagt werden kann. Allein die Rekonstruktion dieser Vorgänge aus den antiken Quellen lässt viele Fragen offen. Etwa die Frage nach der Stellung des Kleisthenes bei der Einbringung seiner Reformvorschläge, der sich einstellende gesellschaftliche Konsens und generell die Frage nach der Intension des Kleisthenes und dem Zweck seiner Reform sind in aller Breite im Fach diskutiert worden. Die Überlieferung vermag auf viele Frage keine Antwort zu geben, nicht nur in Hinblick auf die Vorgeschichte, sondern auch auf die Reform selbst, die aufgrund ihrer komplexen immanenten Struktur das Interesse und die Faszination vieler Althistorikergenerationen geweckt hat. Dementsprechend, ist das Spektrum moderner Meinungen sowohl in der Beurteilung von Einzelheiten als auch in der des Ganzen ausgesprochen breit, die Fülle widersprechender Interpretationen oft verwirrend.

Mein Aufsatz will sich daher ganz bewusst auf eine klar fixierte Fragestellung beschränken um den wohl nicht abschließend zu beurteilenden und zu bewertenden Fragen, etwa nach dem Zweck oder der Intension des Reformwerkes aus dem Weg zu gehen. Mir geht es um eine Untersuchung der uns überlieferten oder aus epigraphischem Material rekonstruierbaren Strukturen des kleisthenischen Staatsgebildes. Im Zentrum meiner Arbeit steht die Frage nach dem Repräsentationspotential der einzelnen „Institutionen“ des attischen Staates in der politischen Praxis des späten 6. und frühen 5. Jahrhunderts und die Möglichkeiten einer Teilhabe des Bürgers an den Entscheidungen der Gemeinschaft in den verschiedenen politischen Institutionen und Gremien.

Es erschien mir zweckmäßig, den inhaltlichen Aufbau meiner Untersuchung an der triadischen Struktur der kleisthenischen Reform zu orientieren. Beginnend mit den kleinsten politischen Einheiten, den Demen und den sich auf dieser Ebene befindenden politischen Institutionen, über das System der Trittyen bis hin zu den Phylen sollen die einzelnen Bereiche politischen Handelns in der Optik ihrer Repräsentationspotentiale betrachtet werden. Diese Perspektive vereint die institutionalisierten Knotenpunkte politischer Kommunikation, als auch die sozialgeschichtlichen Hintergründe, wie etwa wirtschaftliche Abhängigkeiten oder Formen politischer Ungleichheit, die auf bestimmte Entscheidungsprozesse eingewirkt haben könnten. Im letzten Kapitel werden die Einzelergebnisse der vorangegangenen Abschnitte gleichsam aufgegriffen und zu einer abschließenden Beurteilung geformt.

Wenn ich von Repräsentation spreche, meine ich das Verhältnis der politischen Macht einzelner und den institutionellen Formen und politischen Strukturen, die diese Macht an die Gemeinschaft aller politisch Berechtigten zurück binden. Mich interessiert, wer an welchen Entscheidungen beteiligt war, welche Möglichkeiten der politischen Einflussnahme sich welchen Bevölkerungsgruppen, in welchem Umfang boten. Neben dem Modus der Machtverteilung bzw. der Mandatsvergabe und ihrer Kontrolle, soll es um die institutionellen Strukturen des kleisthenischen Staates und vor allem um die Frage gehen, wie es in dem, in geographischer Hinsicht, vergleichsweise großen Staat gelang, Bevölkerungsgruppen aus den verschiedenen Regionen des Landes unter dem Gesichtspunkt der politischen Gleichheit an der Machtausübung und politischen Entscheidungsbildung zu beteiligen.

Die politische Gleichheit, bereits in kleisthenischer Zeit fassbar im Begriff der Isonomia, wurde in jüngerer Zeit immer wieder gebraucht, um die kleisthenische Ordnung zu charakterisieren.[1] Es wird zu fragen sein, in wie weit diese Begrifflichkeit angemessen sein kann, mit Blick auf die politische Praxis des 6. und 5. Jahrhunderts .

Aus Gründen des Umfangs war es mir jedoch nicht möglich, auf alle Teilaspekte der Problemstellung einzugehen. So habe ich etwa das Problem der juristischen Praxis bewusst aus meiner Darstellung ausgeklammert. Das mag verwundern, da ja gerade die gerichtlichen Instanzen, in ihrer, die staatliche Ordnung stabilisierenden, Wirkung eine ganz entscheidende Funktion innerhalb des kleisthenischen Staates erfüllten, und die Frage nach der politischen Gleichheit in engem Zusammenhang mit der Frage nach der Gleichheit vor dem Gesetz steht. Jedoch werden die Entscheidungen, die die Gemeinschaft aller betreffen, nicht in den Gerichten, sondern in den gesetzgebenden Versammlungen getroffen. Eine Betrachtung dieser Vorgänge erscheint mir für meine Frage, nach der politischen Teilhabe, ergiebiger zu sein, als die allein der Gesellschaft dienenden gerichtlichen Instanzen. Ich habe den Fokus daher stärker auf die Modalitäten der politischen Entscheidungsbildung gerichtet, um zunächst die legislativen Kräfte, die Voraussetzungen einer jeden juristischen Praxis, zu befragen.

Noch ein Wort zur Quellenlage: Neben einer vergleichsweise großen Zahl von gefundenen Inschriften, sind es Herodots Historien und vor allem der antike Historiker Aristoteles, der uns in der Athenaion Politeia über den Aufbau der Reform und über die politischen Strukturen Attikas Auskunft gibt und auf die wir in der Rekonstruktion der historische Realitäten angewiesen sind. Da uns die dürftige Quellenlage die gewünschte Vielfalt an Informationen versagt, erschien es mir zuweilen sinnvoll, erst einmal den Rahmen des objektiv Möglichen abzustecken, um dann gegebenenfalls eine Bewertung vornehmen zu können. Werten kann man die kleisthenische Reform allein in der Perspektive geschichtlicher Progression. Denn in der weiteren gesellschaftlichen, kulturellen und vor allem politischen Entwicklung bedeutete die Phylenreform einen Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie. Als solche soll sie gewürdigt werden.

Die athenische Demokratie und mithin die kleisthenische Phylenreform ist seit den frühen fünfziger Jahren eine Domäne der amerikanischen Althistoriker. Entsprechend zahlreich sind die Publikationen aus dem englisch-sprachigen Raum, von denen ich an dieser Stelle einige benennen will, die für meine Arbeit eine besondere Rolle gespielt haben. Da wäre zunächst zu nennen, Martin Ostwald, der in seiner Untersuchung[2] ein vielfältiges Bild des attischen Staates im fünften Jahrhundert entstehen lässt und die historischen Prozesse zu rekonstruieren vermag, die von der nachsolonischen Polis zu dem Staatsgebilde führten, was man später allgemein mit dem Begriff der athenischen Demokratie bezeichnen sollte. Daneben ist vor allem in der Demenforschung John S. Traill[3] zu erwähnen, der mit seinen Untersuchungen zur politischen Struktur Attikas Basisarbeit geleistet hat. Und nicht zuletzt soll an dieser Stelle Jochen Bleicken[4] genannt sein, dessen, international als Standardwerk angesehene, systematische Darstellung der athenischen Demokratie die Forschungsarbeit der letzten hundert Jahre subsumiert und in überaus überschaubarer Form präsentiert.

1.0 Der Aufbau des kleisthenischen Staates

Gewöhnlich wird das Reformwerk des Kleisthenes unter dem Terminus der Phylenreform zusammengefasst. Der Begriff erklärt sich wohl am besten, wenn man zunächst die bisherigen politischen Strukturen Attikas betrachtet. Die Athenaion Politeia benennt vier alte Phylen, die jeweils in drei Trittyen (Dritteln) und zwölf Naukrarien gegliedert sind.[5] Die vier alten Phylen waren Personenverbände, die wahrscheinlich seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. das Aufgebot der athenischen Hopliten gliederten und somit vor allem eine militärische Bedeutung hatten.[6] Michael Stahl schlussfolgert, dass auch die Trittyen, als Substrukturen der Phylen in erster Linie eine militärische Bedeutung hatten, in deren kleineren Rahmen sich das Kampftraining und die Mobilisierung der Wehrfähigen vollzog.[7] Neben der militärischen Funktion hatten die Phylen wahrscheinlich noch weitere politische Aufgaben, etwa die Rechtsprechung und, so mutmaßt Michael Stahl, die praktische Durchführung der solonischen Klasseneinteilung.

Über die Funktion der Naukrarien ist leider nur sehr wenig bekannt. Dem Namen nach, waren sie für die Bereitstellung von Kriegsschiffen zuständig.[8] Die große Anzahl der bei Aristoteles überlieferten Naukrarien steht jedoch im Gegensatz zur Geringfügigkeit der athenischen Flotte in jener Zeit.

Kleisthenes hat diese alten Strukturen nicht formell beseitigt, sondern die von ihm geschaffenen neuen politischen Körperschaften einfach neben sie gestellt, bzw. die Funktionen der alten Institutionen in das neu geschaffene Staatsmodell integriert.[9]

Die kleinste territoriale Größe des kleisthenischen Staates waren die sogenannten Demen. Sie bildeten mit einer Anzahl von 139 Einheiten die unterste Ebene des Staatsgebäudes. Mehrere von diesen Demen wurden dann zu annähernd gleich großen Trittyen zusammengefasst, von denen dann wiederum je drei eine Phyle bildeten. Insgesamt gab es dreißig Trittyen, die dann in Blöcken zu zehn Phylen zusammengesetzt wurden. Die Besonderheit des kleisthenischen Strukturmodells liegt in der Konstitution der Phylen. Denn jede Phyle bestand aus drei Trittyen, die jeweils in ganz verschiedenen Teilen Attikas angesiedelt waren. Grundsätzlich teilte Kleisthenes das Land in drei Regionen ein (siehe auch die Abb. Auf S. 32): in die Küstenregion (paralía), das Binnenland (mesógaion) und die Stadt Athen (ásty). Jedem dieser territorialen Blöcke wurden zehn Trittyen zugeordnet und jede Phyle enthielt jeweils eine Trittye aus den verschiedenen Regionen Attikas.

Neben den Demen und den neuartig zustande gekommenen Phylen ist die Einrichtung eines Volksrates, der sogenannten Boule oder auch Rat der 500 genannt, die dritte wichtige institutionelle Neuerung der kleisthenischen Reform. Der Rat war in seiner Zusammensetzung eng an das Phylensystem gebunden. Er hatte 500 Mitglieder, jeweils fünfzig aus jeder Phyle, die gleichzeitig der für 1/10 des Jahres geschäftsführende Ratsausschuss, die Prytanie, war. Wie viele Ratsmitglieder (Bouleuten) aus jedem einzelnen Demos kamen, war abhängig von dessen Größe.

2.0 Der Demos

Lenken wir unsere Aufmerksamkeit nun auf die Demen. Sie bildeten, wie bereits angedeutet, die untersten und kleinsten Einheiten in der Organisationspyramide der kleisthenischen Reformen. Als kleinste Einheit bildeten die Demen die Basis des attischen Staates, weil sie, als gewachsene Siedlungsstrukturen, den eigentliche Ort politischen Lebens darstellten, in dem die Bürger in Gemeinschaft zusammen lebten, in dem sie registriert und verwaltet wurden.[10] Daher sollte man die Demen primär als Personenverbände ansehen, nicht als Territorien.[11] Der Demos besaß eine eigene Organisation, an deren Spitze ein Demarchos (démarchos) stand, der von allen Demosangehörigen, den Demoten (dêmótês) gewählt bzw. erlost wurde.[12] Zum Verständnis der politischen Verfassung Athens und für die Frage nach der politischen Teilhabe ist darum eine genaue Kenntnis des Demos erforderlich. In den folgenden Abschnitten sollen die politischen Körperschaften des Demos im Einzelnen betrachtet werden. Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, den Demos als politischen Organismus auf Basis der vorhandenen Quellen zu rekonstruieren und dieses politische System im abschließenden Kapitel unter den Gesichtspunkten meiner Fragestellung einzuordnen.

2.1 Wirtschaftlichen Strukturen des Demos

Will man sich ein Bild vom politischen Leben im Demos des fünften Jahrhunderts machen, kommt man nicht umhin, zunächst einen eingehenden Blick auf die Rahmenbedingungen politischen Handelns zu werfen. Ein entscheidender Punkt spielt hierbei, nach meiner Auffassung, die wirtschaftliche Struktur, weil sie wesentlichen Einfluss auf die Formen des sozialen und politischen Miteinanders hat und eine Gesellschaft bestimmend prägt.

Die athenische Polis ist ein Gemeinwesen mit einer breiten Schicht von kleinen Grundeigentümern. Ihr ökonomisches, soziales und gesellschaftliches Leben spielte sich vor allem in den Demen ab. Charakteristisch für die Landbevölkerung Attikas war daher überwiegend die landwirtschaftliche Selbstversorgung. Man lebte von der eigenen Hände Arbeit und von den Ernteüberschüssen, die man in den größeren städtischen Zentren bzw. im relativ dicht besiedelten Raum um die Stadt Athen absetzen konnte.[13]

Das kleinbäuerliche Dasein, das die meisten Demoten führten, war jedoch immerzu Gefahren ausgesetzt. Zu bedenken sei etwa der Einfluss von Natureinwirkungen auf den Ernteertrag. Im Falle einer Missernte oder anderer Formen wirtschaftlichen Ruins konnten Kleinbauern leicht in Abhängigkeit zu Großbauern geraten.[14] Als Großbauern bezeichne ich Grundeigentümer mit einem Landbesitz von mehr als zehn Hektar Land, das entweder in kleine Landstücke aufgeteilt war oder verpachtet wurde oder in Form von Großbetrieben von Sklaven bewirtschaftet wurde.[15]

Neben den Einnahmen aus der Landwirtschaft, erschlossen sich die wohlhabenden Großbauern meist noch andere Einkommensquellen. Etwa durch Spekulationen im Überseehandel durch Immobiliengeschäfte in den großen städtischen Zentren, durch Einkünfte aus dem Bergbau oder durch die gewinnbringende Vergabe von Darlehen. Durch die Verbindung von Handel, Gewerbe und Marktproduktion schufen sich die größeren Grundeigentümer außerhalb der Agrarproduktion ein Erwerbsfeld, das ihnen in Krisenzeiten Ausgleichsmöglichkeiten, ökonomische und soziale Sicherheit bot.

Der vermögende Grundbesitzer hatte somit überhaupt erst die Möglichkeit sich seinen politischen Ambitionen zu widmen, weil er über die nötige Zeit und über das nötige Einkommen verfügte. Vor dem Hintergrund eines wirtschaftlichen und sozialen Gefälles von Arm und Reich mag die These von der Gleichheit der Demoten in der politischen Praxis daher fragwürdig erscheinen. Doch soll uns die Fragestellung noch weiter beschäftigen und nach den folgenden Einzelbetrachtungen der politischen Institutionen des Demos entschieden werden.

2.2 Demenversammlung

Jeder Demos besaß eine ausgeprägte politische Struktur. Das institutionelle und kommunikative Zentrum des Demos, war die sogenannte Demenversammlung, die aus allen erwachsenen männlichen Bürgern des Demos bestand und in der alle Fragen von gemeinschaftlichen Belang diskutiert und entschieden wurden. Der Bereich ihrer Zuständigkeit umfasste zudem die Losung von Verwaltungsbeamten und Ratsherren, die für die gemeinschaftlichen Aufgaben im Demos zuständig waren, bzw. den Demos im zentralen Rat (Boule) in Athen repräsentieren sollten.[16] Daneben wurden kultische und finanzielle Entscheidungen getroffen, etwa die Verpachtung von Gemeindeland oder die Festsetzung von Steuern.

Eine wichtige politische Aufgabe bestand in der Registrierung der Einwohner in die Bürgerliste des jeweiligen Demos, denn nur derjenige, der in einer solchen Liste registriert war, hatte die Möglichkeit am politischen Leben teilzunehmen.[17] Neben diesen Verwaltungsaufgaben ist die wohl wichtigste Funktion der Demosversammlung die Auswahl und Losung von Bügern für den Stadtrat und für verschiedene Ämter, die im Demos zu vergeben waren. Im Weiteren wurden in der Demosversammlung die dem Demos zustehende Anzahl von Richtern für die zentralen Geschworenengerichte in Athen erlost, und schließlich wurden die Kandidaten für das Archontat vorgewählt, aus denen dann phylenweise die Archonten erlost wurden.[18] In Hinblick auf die vielfältigen Funktionen und Aufgaben, die die Demenversammlung wahrnahm, gilt es nun zu fragen, ob alle Bürger in gleichem Maße Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen konnten und ob man von dieser Demenversammlung tatsächlich als einem, unserem Verständnis nach, demokratischen Gremium sprechen kann.

Die Quellenlage insbesondere für die politischen Vorgänge in der Demenversammlung ist leider ausgesprochen dürftig. Bei Aristoteles findet sich lediglich ein Hinweis. Folgt man der Athenaion Politeia (AP 7,4) durften die sogenannten Theten, die Bürger in der niedrigsten Einkommensklasse, kein Amt im Demos übernehmen. Davon ausgehend, liegt die Vermutung nahe, dass nicht jeder Demote mit dem gleichen politische Gewicht sein Mitspracherecht in der Gemeindeversammlung einbringen konnte. Ähnlich sieht das auch Peter Spahn in seiner Studie über die gesellschaftliche Mittelschicht in der griechischen Polis: „ ...in diesen kleinen überschaubaren Gemeinde-versammlungen, entschied nicht einfach die numerische Mehrheit; nicht jede Stimme zählte wirklich gleich viel; bei aller Betonung von ‚Gleichheit‘ waren noch keineswegs alle Bürger tatsächlich Gleiche.“[19] Plausibel scheint daher die Annahme, dass der gesellschaftliche Status und materielles Vermögen den Einfluss bestimmte, den ein einzelner Bürger auf Entscheidungen im Demos bzw. in der Demenversammlung hatte. Auch hierzu Spahn: „Was zählte, war ein gewisser Grundbesitz, waren die militärischen und sonstigen Leistungen, die von den Besitzenden für die Gemeinde erbracht wurden.“[20] Wer nichts beizutragen hatte, konnte auch schlecht mitreden und mitbestimmen. Die kleisthenischen Reformen hatten jedoch zweifellos den positiven Effekt, dass sie den Kreis der zur politischen Mitsprach Berechtigten vergrößerte. Zwar konnten die Kleinstbauern sicherlich nicht mitentscheiden, aber die Bauern, die immerhin so vermögend waren, dass sie sich selbst bewaffnen konnten, gewannen an politischem Einfluss.[21] In welchem Verhältnis der Anteil dieser mittelgroßen Bauern an der Gesamtbevölkerung stand, lässt sich leider nicht genau bestimmen, die Theten machten jedoch ungefähr Zweidrittel der Bevölkerung aus.[22]

Zusammenfassend ließe sich sagen, dass diese Versammlungen, in denen jeder jeden kannte, in denen alle Fragen des gesellschaftlichen Lebens beraten und beschlossen wurden, wahrscheinlich von einer relativ starken wohlhabenden Oberschicht dominiert waren. Es liegt zudem nahe, anzunehmen, dass die, nach dem Einsetzen des kleisthenischen Reformwerks, ja noch vorhandenen adeligen Geschlechter nach wie vor, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Potenz und ihrer vielfältigen sozialen Beziehungen, einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen im Demos nehmen konnten.

Einschränkend lässt sich anmerken, dass der Kreis derer, die aktiv an diesen Versammlungen teilnehmen durften, sich durch die kleisthenische Reform erheblich vergrößert hatte und damit die Macht der Großbauern und des Adels bremste, und dass durch gewisse Verfahrensweisen der Einfluss einzelner Personen, etwa auf die Besetzung wichtiger Ämter, begrenzt war. Gemeint ist das Prinzip der Losung, das eine große Bedeutung im politischen Bewusstsein der attischen Demoten hatte und im folgenden erläutert werden soll.

2.3 Wahl und Losung

Die Losung ist für das Verständnis der demokratische Idee der Athener besonders bezeichnend.[23] Bereits Herodot, Platon und Aristoteles weisen der Losung fundamentale Bedeutung in der Demokratie zu. Denn im Gegensatz zur Wahl, schien den Athenern das Losverfahren als möglichen Bestellmodus für die zu vergebenden Ämter und Mandate, als die eigentlich demokratische Form, die die größtmögliche Gleichheit aller Beteiligten ermöglichte.

Es verwundert daher nicht, dass Kleisthenes die Mitglieder der Boule, des obersten Rates, von Beginn an durch Losverfahren bestellen ließ. Im Laufe des fünften Jahrhunderts wurden dann auch die Archonten ausgelost.

Die grundsätzliche Bedeutung des Losverfahrens für das Demokratie-Verständnis der Athener brachte es mit sich, dass alle Ämter durch das Los vergeben wurden und nur diejenigen davon ausgeschlossen waren, welche mit Aufgaben verbunden waren, die vom Mandatsträger besondere Kenntnisse erforderten. Zu diesen durch Wahl bestimmten Beamten, gehörten sämtliche militärischen Führungsmandate, die sogenannten Strategen und Hipparchen, weiterhin Ratsschreiber, Architekten, Baufachleute sowie Vorsteher großer Finanzämter.[24]

[...]


[1] Rausch, Mario: Isonomia in Athen. Veränderungen des öffentlichen Lebens vom Sturz der Tyrannis bis zur zweiten Perserabwehr, Frankfurt/a.M. 1999; Raaflaub, Kurt Kleisthenes, Ephialtes und die Begründung der Demokratie, in: Demokratia, [Hrsg.] Konrad Kinzl, Darmstadt 1995; S. 1-54.

[2] Ostwald, Martin: From Popular Sovereignty to the Sovereignty of Law. Law, Society, and Politics in Fifth-Century Athens, Berkeley 1986.

[3] Traill, John S.: Demos and Trittys. Epigraphical and topographical studies in the organization of Attica, Toronto 1986; und ders.: The political organization of Attica. A study of Demes, Trittys and Phylai and their representation in the Athenian Council, Princeton 1975.

[4] Bleicken, Jochen: Die athenische Demokratie, Paderborn/München 19954.

[5] Vgl. Aristot. Ath. Pol. 8,3.

[6] Vgl. Michael Stahl, Gesellschaft und Staat bei den Griechen. Klassische Zeit, Paderborn 2003.S. 27; Vgl. Karl Wilhelm Welwei: Die griechische Polis. Verfassung und Geschichte in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1983; S. 58f.

[7] Vgl. Stahl, S. 27.

[8] Vgl. Stahl, S. 27; Christian Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt/a.M. 1980.

S. 182.

[9] Vgl. Stahl S. 27.

[10] Vgl. Bleicken, S. 185.

[11] Vgl. Raaflaub, 1995, S. 22.

[12] Über den Modus der Wahl bzw. des Los-Prinzips, siehe unter 2.3.

[13] Wir wissen, dass Attika, bereits seit solonischer Zeit, auf Agrar-Güter-Importe aus dem Ausland angewiesen war. Von autarker Wirtschaft kann keine Rede sein. Ein Absatzmarkt für bäuerliche Produkte war, so steht zu vermuten, immer gegeben. Vgl. Ernst Kluwe, Die soziale Zusammensetzung der athenischen Ekklesia und ihr Einfluß auf politische Entscheidungen, in: Klio 58, 1976; S. 295-333; 59, 1977; S. 45-81; hier S. 305.

[14] Siehe Kluwe, S. 310f.:“Die primitive Technik zwang sie [die Kleinbauern] zu schwerer körperlicher Arbeit und einen langen Arbeitstag. Die Sicherung ihrer eigenen Existenz ließ sehr wahrscheinlich das Streben nach weitgehender Selbstversorgung voranstehen; noch derjenige, der Getreide anbauen wollte, brauchte Rinder als Zugtiere, die aus Rentabilitätsgründen in der Wirtschaft des Durchschnittsbauern nicht gehalten werden konnten. Er war daher ständig auf die Hilfe der benachbarten mittleren und größeren Grundeigentümer angewiesen, zu denen er auch gehen musste, wenn Missernten oder andere Anlässe ihn zum Borgen zwangen.“

[15] Vgl. Kluwe, S. 306.

[16] Vgl. Bleicken, S. 186.

[17] Vgl. Bleicken, S. 186.

[18] Vgl. Bleicken, S. 186f.

[19] Siehe Peter Spahn, Mittelschicht und Polisbildung, Frankfurt/a.M. 1977, S. 165; im Gegensatz dazu: Stahl, S. 34

[20] a.a.O.

[21] Vgl. Kurt Raaflaub, Des freien Bürgers Recht der freien Rede. Ein Beitrag zur Begriffs- und Sozialgeschichte der athenischen Demokratie, in: Studien zur Sozialgeschichte. FS für Friedrich Vittinghoff, [Hrsg.] Werner Eck, Hartmut Galsterer, Hartmut Wolff, Köln 1980; S. 7-59; hier S. 32.

[22] Vgl. Jones, Athenian Democracy, Oxford 1957, S. 8.

[23] Vgl. Bleicken, S. 312.

[24] Die Besetzung der Finanzämter durch Los lässt sich erst ab dem vierten Jahrhundert nachweisen.

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Título
Isonomia in Athen - Die politische Teilhabe der Athener im gesellschaftlichen und institutionellen Gefüge der kleisthenischen Polis des späten 6. und frühen 5. Jahrhunderts
Universidad
Dresden Technical University  (Institut für Geschichte)
Curso
Hauptseminar. Repräsentativsysteme in der griechischen Welt
Calificación
1,0
Autor
Año
2005
Páginas
40
No. de catálogo
V60606
ISBN (Ebook)
9783638542425
ISBN (Libro)
9783638667494
Tamaño de fichero
597 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Isonomia, Athen, Teilhabe, Athener, Gefüge, Polis, Jahrhunderts, Hauptseminar, Repräsentativsysteme, Welt
Citar trabajo
Philipp Maurer (Autor), 2005, Isonomia in Athen - Die politische Teilhabe der Athener im gesellschaftlichen und institutionellen Gefüge der kleisthenischen Polis des späten 6. und frühen 5. Jahrhunderts, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60606

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