Relative Weltgesellschaft - Ein Prozessmodell zur Messung des Exklusionsniveaus einer Nation aus der Weltgesellschaft mit Fallbeispielhafter Anwendung auf Kuba


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

33 Pages, Note: 1.5 (CH 5.5)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Fragestellung und methodisches Vorgehen

2. Exklusion – Eine kurze Begriffsgeschichte

3. Exklusion – Die theoretische Begriffskonzeption

4. Schematische Zusammenführung – Das Prozessmodell

5. Fallbeispiel – Fidel Castros kubanische Revolution

6. Zusammenfassende Analysen und Bewertungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitende Fragestellung und methodisches Vorgehen

1945 gründeten einundfünfzig Staaten die Vereinten Nationen und legten – nach dem gescheiterten, weil einflusslosen Völkerbund – den Grundstein zur Konstituierung der zu diesem Zeitpunkt noch schwachen Weltgesellschaft (Bornschier, 2002a, S. 19). Mit gewisser peinlicher Berührung stellen wir fest, dass die beiden Kleinstinselstaaten Demokratische Republik Osttimor und Schweizerische Eidgenossenschaft sich erst zu Beginn des dritten Jahrtausend überwinden konnten, den Vereinten Nationen beizutreten. Immerhin, denn bis heute besitzen neben dem Heiligen Stuhl noch vier weitere Staaten keine Vollmitgliedschaft. Auch die mehr als einundzwanzigtausend Einwohner der Cook Islands verhindern bis heute die politische Vollkonstituierung der Weltgesellschaft. Man könnte annehmen, dass solange sich nicht alle Staaten der Welt zu einer gemeinsamen Organisation (welcher Natur auch immer) zusammenschliessen, von Weltgesellschaft nicht die Rede sein darf. Über dieses strenge Kriterium kann nur hinweggesehen werden, wenn man die Weltgesellschaft nicht als bestehendes, sondern als entstehendes Faktum betrachtet. Bornschier (2002b, S. 685) sieht den Wert der Entwicklung als ein Ausdruck gemeinsamer Leitvorstellungen in der Weltgesellschaft. Bestehendes schliesst Entwicklung aber aus, Entstehendes ist hingegen ihr Äquivalent. Sobald die Weltgesellschaft sich final konstituiert hat, respektiert sie eine ihrer Leitvorstellungen nicht mehr und bestreitet somit endogen ihre eigene Existenz. Durch ewig (!) dauernde Beitrittsverhandlungen erlaubt beispielsweise der Vatikan die Respektierung der weltgesellschaftlichen Leitvorstellungen der Entwicklung.

Thema dieser Arbeit soll aber die andere Seite der Medaille sein. Festgehalten wurde, dass der Beitritt der meisten Staaten der Welt zu den Vereinten Nationen den Grundstein zur Konstituierung der Weltgesellschaft legte. Die Nichtteilhabe gewisser Nationen – also der ausdrückliche Wille dieser Staaten nicht Vollmitglied der Vereinten Nationen, resp. der Weltgesellschaft sein zu wollen – legitimiert wiederum wie gesagt deren Existenz im Sinne der Entwicklungsleitvorstellung. Aber was ist mit dem Ausschluss eines Staates aus der Weltgesellschaft? Ist er ebenfalls ein diesbezüglicher Beitrag, weil er das ganze Konstrukt in Bewegung hält? Oder ist der Ausschluss per se gar nicht möglich, weil man von dem Moment an nur von partieller, relativer Weltgesellschaft sprechen müsste (und dadurch ein Paradox künstlich am Leben erhalten würde)?

Es mag schwierig erscheinen, Nichtteilhabe und Ausschliessung zu unterscheiden. Klar, beides heisst nicht Teil von etwas Bestehendem zu sein. Eine adäquatere Differenzierung wird aber erst möglich, wenn man die Perspektive des Akteurs und deren Zugehörigkeit als Hauptkriterium in Betracht zieht. Die hierbei zu akzeptierende Prämisse ist der erklärte Wunsch von heute immerhin hunderteinundneunzig Staaten, anhand der Vereinten Nationen eine auf die Respektierung der Menschenrechte basierende Weltgesellschaft zu etablieren. In diesem feierlichen Moment wird die entstehende Weltgesellschaft als historische Tatsache geboren. Der Wunsch, daran nicht Teilnehmen zu wollen, hat mit dem entstandenen Konstrukt nichts zu tun, weil er nicht Teil dessen ist. Das Konstrukt Weltgesellschaft per se kommt mit dem Konstrukt der Nichtteilhabenden keineswegs in Berührung. Wohingegen die existenzbezogene Legitimation der Weltgesellschaft von denen in Frage gestellt werden kann, die bereits Teil dessen sind. Die Weltgesellschaft kann nicht von Aussen, sehr wohl aber von Innen zum Fall gebracht werden!

Es wurde bereits festgehalten, dass die Weltgesellschaft – und deshalb das Attribut entstehende und nicht bestehende – in Bewegung ist, resp. sein muss. Demzufolge kann alles was mit ihr zusammenhängt ebenfalls als prozesshaft betrachtet werden. So ist beispielsweise die Nichtteilhabe ein bestehendes Faktum, der Ausschluss aber ein Entstehendes; was wiederum die Nichtbezüglichkeit des Ersteren mit der Weltge-sellschaft bekräftigen könnte... Will man von Ausschluss aus der Weltgesellschaft sprechen, ist es deshalb konsequent, die entsprechende Fragestellung in Form eines Prozessmodells darzustellen:

In einem ersten Schritt wird der Exklusionsbegriff anhand der soziologischen Theorien von Ferdinand Tönnies, Georg Simmel, Max Weber & Talcott Parsons in Form eines mehrdimensionalen Prozessschemas (à je zwei Polen) resümiert. Die genannten Autoren wurden gewählt, weil sie Punkto Exklusionstheorien einen hohen Abstraktionsgrad aufweisen. Sie beziehen sich nicht auf eine eingeschränkte Anzahl an Sachverhalten oder sozialen Gruppen, sondern erlauben (zumindest eine Teilanwendung) ihres Exklusionsverständnisses auf mehreren Ebenen. Also nicht nur bezogen auf bestimmte Individuen in einer bestimmten Gesellschaft, sondern auf einer Makroebene auch bezogen auf bestimmte Nationen in der Weltgesellschaft. Was hierbei skizziert werden soll, ist wie gesagt ein theoretischer Raum, der die Komponenten dieser vier Theorien zu Dimensionen umformt. Sprich, jede Theorie wird als Achse für das prozesshafte Analyseschema verwendet.[1]

Das breite, begriffsgeleitete Analyseschema wird dann anhand eines Fallbeispieles auf seine Tauglichkeit hin überprüft. Sollte diese Analyse dazu führen, dass in Bezug auf das bestimmte Land tatsächlich Exklusion nachgewiesen werden kann, wäre die Frage – zumindest anhand der gewählten Theorien, resp. Methode – in abschliessender Form zustimmend beantwortet. Exklusion aus der Weltgesellschaft wäre im weitesten Sinne möglich… Soviel zum einfacheren Fall. Komplizierter wäre die Interpretation des Resultates, wenn sich herausstellen würde, dass die gewählte Nation kein Exklusionsopfer ist. Dies dürfte nicht zwangsläufig als verneinende Antwort missinterpretiert werden. Ebenso könnte dieses Resultat bedeuten, dass das verwendete Schema die Fragestellung nicht valide zu untersuchen vermag.[2] Würde man hingegen annehmen, dass das Schema methodologisch doch adäquat ist, wäre eine abschliessende Verneinung der Frage nur dann möglich, wenn das Schema bei allen Nationen der Welt Nonexklusion ergeben würde.

Die Wahl fiel auf Kuba! Zur Auswahl standen neben diesem veritablen Gründervater aller „Schurkenstaaten“ auch jene drei Länder, die der Präsident der Vereinigten Staaten Georg W. Bush in seiner ersten Ansprache zur Lage der Nation vom 29. Januar 2002 – also nur wenige Monate nach den Anschlägen in New York und Washington – als Achse des Bösen bezeichnet hat.[3] Die aktuellsten Ereignisse rund um den „Schurkenstaat“ Iran sollen hierzu zwecksgebunden aufzeigen, warum aber Kuba als Fallbeispiel verwendet wird:

Am 26. Oktober 2005 hat der iranische Präsident Mahmud Achmadineschad mit der Forderung nach der „Tilgung Israels von der Landkarte” internationale Empörung ausgelöst. Am selben Tag forderte Schimon Peres vom israelischen Regierungschef Ariel Scharon in einem offenen Brief, man müsse dem General-sekretär der Vereinten Nationen und dem Sicherheitsrat einen klaren und deutlichen Antrag vorlegen, damit der Iran aus der UNO ausgeschlossen werden würde. Dies weil der zitierte Aufruf gegen die Charta der Vereinten Nationen verstösse und einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkomme. Doch dem nicht genug! Am 8. Dezember 2005 forderte der iranische Präsident in einer erneuten Brandrede, dass Deutschland und Österreich Teile ihrer Länder an die Israelis abgeben sollen, um ein entsprechender Staat in Europa aufbauen zu können; somit könnten die palästinensischen Moslems von der jüdischen Besatzung befreit werden. Achmadineschad möchte mit dieser Massnahme jene Länder direkt zur Verantwortung ziehen, die den Holocaust – den er in derselben Rede aber wiederum zweifelsohne leugnet – entfacht haben.[4] Somit ist klar, dass die internationale Stellung des Irans als „Schurkenstaat“ par excellence nicht aktueller sein könnte. Die Politik von Präsident Mahmud Achmadineschad hat sogar dazu geführt, dass offen der Ausschluss seines Landes aus der Vereinten Nationen gefordert wurde. Der Iran scheint somit perfekt geeignet zu sein, um die Frage beantworten zu können, ob ein Staat überhaupt aus der Weltgesellschaft ausgeschlossen werden kann. Was in diesem Zusammenhang als grosser Vorteil erscheint – die Aktualität der Themenkoppelung Iran, Weltgesellschaft, Exklusion – ist aber auch dessen grösster Nachteil: Seit Verfassungsbeginn dieser Arbeit Anfang November 2005 überschlagen sich die Ereignisse rund um den Iran förmlich und werden nahezu täglich durch neue Meldungen angereichert. Zum jetzigen Zeitpunkt könnten Schlüsse gezogen werden, die im Lichte der allerneusten Infos wieder revidiert werden müssten. Das Thema Iran ist so aktuell, dass eine Ereignisgerechte Verarbeitung zwangsläufig undifferenziert und unvollständig wäre. Das Problem der Hyperaktualität soll nun anhand eines medialen Vergleiches dargestellt werden.

Anhand der Internetsuchmaschine www.swissdox.ch wurden die acht grössten Tages- und die fünf grössten Wochenzeitungen der deutschsprachigen Schweiz grob durchsucht.[5] In der einmonatigen Zeitspanne vom
1. Oktober 2005 bis zum 1. November 2005 ergab die Suche nach dem Stichwort Kuba insgesamt 88 Resultate. Diese stehen 695 Treffern zum Stichwort Iran gegenüber. Das systematische Durchsuchen der Wochenzeitungen in der einjährigen Zeitspanne vom 1. November 2004 bis zum 1. November 2005 ergab 158 Nennungen für Kuba und mehr als Tausend Nennungen für Iran (die genaue Zahl wurde vom Suchsystem nicht ausgewiesen).[6] Denkt man das hier angesprochene Problem weiter könnte dies heissen, dass die Position Irans im weltgesellschaftlichen Kontext beim Schreiben des abschliessenden Punktes dieser Arbeit eine komplett neue sein könnte; es bedarf also eines stabileren Fallbeispieles.

Kuba hatte hingegen den letzen grossen Auftritt im Rampenlicht der internationalen Politik anlässlich der Kubakrise von 1962.[7] Dieses historische Ereignis steht ausserhalb des Einflussbereiches der kubanischen Politik, obwohl letztere direkt davon betroffen ist. Die Regierung Fidel Castros hat in den letzten vierzig Jahren konsequent dieselbe ideologiegebundene Politik betrieben. In diesem Sinne ist Kuba ein verlässliches, weil stark voraussagbares, Analyseobjekt. Pikanter ausgedrückt: Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Stellung Kubas innerhalb der Weltgesellschaft vor dem Tod des 79jährigen Fidel Castros (und womöglich auch vor dem Tod seines jüngeren Bruders Raul) überhaupt verändern wird. Kuba, als potentielles Exklusionsopfer mit stabilen politischen Eigenschaften eignet sich also vorzüglich als Fallbeispiel.[8]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zur Rekapitulation… In einem ersten Schritt wird der Exklusionsbegriff anhand der vier genannten Theoretiker definiert,[9] so dass daraus das Prozessmodell der Exklusion konstruiert werden kann. Um zu ergründen, ob ein Ausschluss aus der Weltgesellschaft überhaupt möglich ist, findet dieses Analyseinstrument dann Anwendung auf das kubanische Fallbeispiel.[10]

2. Exklusion – Eine kurze Begriffsgeschichte

Der soziologische Exklusionsbegriff entstand in den 1960er / 70er Jahren in zwei verschiedenen Regionen der kapitalistischen Welt und bezog sich in beiden Fällen auf eine konkrete Schicht innerhalb der westlichen Gesellschaft. Unter dem frankophonen Terminus exclusion breitete sich das Thema zunächst in Frankreich aus. Unter dem englischen Terminus underclass gewann der Exklusionsgedanke wiederum starken Einfluss in der Armutsdiskussion der USA. Die zwei Begriffe gingen dann über ihre jeweilige Landesgrenze hinaus und wurden Teil einer internationalen Diskussion über das Ausgrenzungsproblem (Kronauer, 2002, S. 27).[11]

René Lenoir begründete mit seinem Buch Les exclus, un Français sur dix (1974) die europäische Exklusionsdebatte. Er betrachtet darin die Ausgeschlossenen nicht als verantwortungstragende Randgruppe, sondern sieht ihre Lebensverhältnisse vielmehr als eine unbeeinflussbare Folge der Funktionsweise moderner Gesellschaften (Paugam, 1996, S. 10f). Aus dieser allgemeinen Prämisse entwickelten sich im Laufe der wissenschaftlichen Debatte dann drei präzise Exklusionskategorien: Die Erste umfasst gemäss Robert Castel (1991, S. 138f) einerseits den Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt ( précarité du travail ) und andererseits die Auflösung sozialer Bindungen ( fragilité rélationale ). Die Zweite umschreibt den Verlust von sozialen Teilhabemöglichkeiten.[12] Und in der dritten Kategorie wird die Exklusion wiederum als Prozess betrachtet. Castel (1996, S. 775ff) spannt hierzu einen Bogen beginnend bei der intégration (stabile Beschäftigung und intakte soziale Netzwerken) über die vulnérabilité (prekäre Erwerbseinbindung und brüchige soziale Netz-werke) bis zur désaffiliation (veritable Ausschliessung aus Erwerbsarbeit und Verlust sozialer Einbindung).

Die amerikanische Exklusionsdebatte, die ihren Ursprung dank dem skandinavier Gunnar Myrdal fand, wurde mit dem Begriff underclass begründet. In der schwedischen Muttersprache des Autors wurde der Terminus bereits im späten 19. Jahrhundert verwendet und bezeichnete einfach die Arbeiterschaft. Strindberg
(1970, S. 85) umschrieb diese Klasse wiederum auf diese Weise: „Diejenigen, welche mit ihrer Hände Arbeit Nahrung, Kleidung, Unterkünfte und Brennstoff erzeugen, sie sind die Arbeitenden, die Ernährer.“ Heutzu-tage würde man diese Gesellschaftsschicht wohl am ehesten als die working poor bezeichnen. Also jene Personen, die sich trotz ihrer Erwerbstätigkeit unterhalb der Armutsgrenze befinden.[13] Im Sinne Myrdals ist mit underclass aber eben nicht diese arbeitende Gesellschaftsschicht, sondern die Klasse der andauernd arbeitslosen oder allenfalls der andauernd unterbeschäftigten gemeint (Kronauer, 2002, S. 53).

3. Exklusion – Die theoretischen Begriffskonzeption

In beiden genannten Ausgrenzungskonzeptionen wird das Problem auf einer Mesoebene (hierunter verstehe ich in diesem Kontext die Gesellschaft innerhalb eines Staates) nicht nur beim Namen genannt, sondern gar namentlich begründet. Die Beispiele sind konkret auf bestimmte Menschen in bestimmten Lebensumständen bezogen und dadurch eng umschrieben. Der Abstraktionsgrad ist gering, die Interpretationsmöglichkeiten beschränkt. Um den ersten methodischen Schritt zu vollführen, wird in diesem Kapitel hingegen ein höheres theoretisches Abstraktionsniveau angestrebt. Dies anhand von vier namhaften soziologischen Theoretikern.

Ferdinand Tönnies stützt seine soziologischen Analysen auf die Unterscheidung zwischen Gemeinschaft
und Gesellschaft, wobei sich daraus eine komplexe Vernunft- und Willenstheorie herausbildet (Bickel, 2003, S. 116). Auf der einen Seite steht die Gemeinschaft, die endogen entsteht weil die Ratio im Willen integriert ist. Sie bildet sich somit sozusagen um ihrer Selbst Willen; mit Selbstzweck und Eigenleben. Gemeinschaft basiert auf so genannterm Wesenswillen und ist nicht von den Menschen abhängig die daran teilhaben. Auf der anderen Seite steht die Gesellschaft, die exogen entsteht weil die Ratio den Willen bestimmt. Gesellschaft ist somit ein zwecksrationaler Willensakt der Subjekte. Das Zusammenwollen entsteht zum Vorteil der Menschen die daran teilhaben. Demzufolge wird dieser so genannte Kürwille von den Menschen geschaffen.

Als unterscheidende Variable zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft fungiert sodann wohl der Vorteilsmaximierungsaspekt: Auch eine Gemeinschaft kann auf individuelle Willensakte wechselseitiger Bejahung beruhen, die Motive unterscheiden sich aber von jenen die einer Gesellschaft zugrunde liegen. Die Familie ist eine Gemeinschaft, das Familienunternehmen aber eine Gesellschaft.

Auf diese Weise ausgedrückt scheint Ferdinand Tönnies ausschliesslich von zwei möglichen Inklusions-prozessen zu sprechen. Inklusion durch endogenem Wesenswillen oder Inklusion durch exogenem Kürwillen. Meiner Ansicht nach ist aber in beiden Konzeptionen ebenso ein Exklusionspotential auf zwei Dimensionen vorhanden. Klar, die Kreation einer Inklusionstheorie impliziert die automatische Mitschöpfung einer Exklusionstheorie. Damit ist aber noch nicht der tatsächliche Prozess der Ausschliessung beschrieben. Namentlich bleibt unbeantwortet, wo die Exklusion aktiv und wo hingegen passiv vollführt wird. Hierzu soll nun eine (wohl contraintuitive) Schlussfolgerung gewagt werden:

Nochmals, in eine Gemeinschaft wird man geboren, man ist Teil dessen ohne einen expliziten Beitrag leisten zu müssen.[14] Eine Gesellschaft formiert sich hingegen, weil dies von allen Teilhabenden ausdrücklich angestrebt wird. Nicht zuletzt aus der Perspektive eines Ausgeschlossenen ist dies ein erheblicher Unterschied. Um aus der Familie exkludiert zu werden, bedarf es eines Aktes. Sprich die Beteiligten müssen in diese Richtung aktiv werden. Gemeinschaft formiert sich endogen, Gemeinschaftsausschluss bildet sich hingegen exogen. Jemanden aus der Gemeinschaft ausgrenzen zu wollen ist vorerst ein Entschluss und dann eine aktive Handlung. Die Ausschliessung eines Menschen aus einer Gesellschaft im Sinne Tönnies muss hingegen nicht zwangsläufig aktiv vollzogen werden. Es ist ebenfalls vorstellbar, dass ein bestimmtes Individuum einfach nicht in den Prozess der Gesellschaftsgründung miteinbezogen wird. Er wird also nicht aktiv ausgegrenzt, sondern passiv. Er wird Opfer der Nichtbeachtung und dadurch kein Teil des Wesenswillens der Mitglieder.


[...]

[1] Vorweggenommen sein folgende methodische Problematik: Das vorgestellte Prozedere entspricht dem, was ich als breite, begriffsgeleitete Methode bezeichnen möchte. Die Fragen der Arbeit werden anhand einer bestimmten Theoriepalette untersucht: Sprich, (1) welche Facetten des makrodimensionalen Exklusionsbegriffs werden im Rahmen soziologischer Theorien angesprochen und (2) wird ein bestimmtes Land anhand dieser Mehrdimensionalität aus der Weltgesellschaft ausgeschlossen.

Eine tiefe, theoriegeleitete Methode würde hingegen vorliegen, wenn die Frage anhand nur einer Theorie – dafür in detaillierter Form – untersucht werden würde: Sprich, (1) wie definiert der Soziologe XY den Exklusionbegriff und (2) wird ein bestimmtes Land gemäss dieser Theorie aus der Weltgesellschaft ausgeschlossen. Dies zum Beispiel indem man das AGIL – Schema von Parsons (siehe für einen Überblick beispielsweise Münch, 2004) zugunsten der Fragestellung ummodellieren würde, um es als Messinstrument des Exklusionsgrades verwenden zu können. Wiederum müsste man aber, um Methodenvergleichbarkeit etablieren zu können, auch die Erkenntnisse aus der breiten, definitionsgeleiteten Vorgehensweise so darstellen, dass sie mit dem Schema von Parsons vergleichbar wären. Man müsste jede der vier genannten soziologischen Theorien einem bestimmten Feld zuschreiben, so dass die beiden Konstrukte eine Vergleichsbasis bieten würden.

So könnte zumindest versucht werden, den Exklusionsgrad eines Landes nicht nur (A) in die Tief e gehend und bezogen auf eine bestimmte Theorie oder (B) auf der Basis eines breiten definitorischen Teilkonsenses zu untersuchen, sondern auch (C) auf vergleichender Ebene zwischen den zwei Hauptvorgehensweisen. Ergo könnte man dadurch untersuchen, ob ein Land unabhängig von der gewählten Theorie, der gewählten Definition und dem gewählten Schema als exkludiert betrachtet werden muss. Die vorgegebenen formalen Einschränkungen verlangen aber eine Entscheidung zugunsten nur einer Methode. Ich habe mich für die breite, begriffsgeleitete Methode entschieden, weil mein Interesse in der Kreation eines eigenen Modellentwurfes liegt. Als Basis hierfür werden wie gesagt vier etablierte Theorien dienen.

[2] Beispielsweise erläutert Stichweh (2000, S. 16), dass je nachdem welches Analyseschema man verwendet, in der Zeit zwischen 1480 und 1580 Portugal (anhand einer Kreuztabellierung der Faktoren economy, polity, community und culturality) oder aber Frankreich und Spanien (anhand einer Zentrum-Peripherie-Unterscheidung) als dominante Mächte der damaligen Zeit hervortreten.

[3] Gemeint waren zur damaligen Zeit vor allem der Irak, der Iran und Nordkorea. Bekanntlich wurde ein Teil des Problems mit Gewalt gelöst, so dass nur noch die zwei letztgenannten Staaten Teil dieser Achse sind. Hinzu kommen der Sudan, Syrien und eben Kuba. Mit der Bezeichnung rouge state (während Bill Clintons Amtszeit noch states of concern genannt) werden Staaten bezeichnet, die sich nach Ansicht der Amerikanischen Regierung angeblich aggressiv gegenüber anderen Ländern verhalten, die Stabilität ganzer Weltregionen untergraben und sich zugleich internationalen Verhandlungen verweigern. Als typische Muster von Fehlverhalten gelten dabei die Unterstützung des Terrorismus und das Streben nach (nuklearen) Massenvernichtungswaffen. Ein Überblick zum Thema liefern zum Beispiel Roithner & Nolte (2004). Der Wortlaut der erwähnten Rede ist wiederum Online unter folgender Adresse frei einsehbar: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/USA/bush-rede.html

[4] Die entsprechenden Informationen wurden – nicht im Wortlaut der Artikel – der Onlineausgabe des Spiegels entnommen. Diese ist unter der Internetadresse http://www.spiegel.de/politik/ausland/ frei einsehbar.

[5] Für diese Bestimmung massgebend war das Auflagenbulletin des Ringier Verlages vom 1. Oktober 2005. Folgende acht Tageszeitungen wurden verwendet (nach Auflagenzahl geordnet): Tages Anzeiger, Berner Zeitung, Mittelland Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, St. Galler Tagblatt / Die Südostschweiz, Neue Luzerner Zeitung, Aargauer Zeitung und Basler Zeitung. Folgende fünf Wochenblätter wurden verwendet (nach Auflagenzahl geordnet): Sonntags-zeitung, NZZ am Sonntag, Die Weltwoche, Facts, und Die Wochenzeitung. Aufgrund des nichtigen Informations-gehaltes von 20Minuten, Blick und Sonntagsblick wurden diese Druckprodukte nicht berücksichtigt.

.

[6] Der Inhalt der einzelnen Artikel wurde nicht näher untersucht. Das heisst, die Erwähnung der beiden Länder könnte in allen möglichen Zusammenhängen erfolgt sein, also nicht nur im eng soziologisch / weltgesellschaft-lichen Kontext. Durch die grobe Analyse kann aber zumindest diskursiv gezeigt werden, dass sich die beiden Länder Punkto (medialer) Aktualität deutlich unterscheiden.

[7] Der Übersichtlichkeit wegen wird bei historischen Daten und Hintergrundsinformationen auf eine seitengenaue Bibliographierung verzichtet. Alle Angaben im Zusammenhang mit der kubanischen Geschichte oder der Biographie von Fidel Castro stammen aus Beyhaut (1965), Dunn (1974), Habel (1993), Herzka (1998), Hoffmann (2002), Kinder & Hilgemann (1983), Massari (1992), Ploetz (1998), Schneider (2002), Skierka (2001) und Sweezy & Hubermann (1970).

[8] Die Frage, ob die tropische Insel aus der Weltgesellschaft ausgeschlossen werden könnte, ist nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion umso interessanter. Vor 1991 war Kuba fester Bestandteil des Gegenzentrums. Mit Sicherheit taugt die Weiterexistenz der kubanische Politik und Ideologie alleine aber nicht aus, um noch Heute von der Existenz eines (sozialistischen) Gegenzentrums sprechen zu können. Hierfür tragend war eindeutig die Sowjetunion und nicht eines der so genannten Satellitstaaten Osteuropas oder gar der kleine karibische Verbündete.

[9] Die Fragestellung würde – neben den hier angekündigten Definitionen des Terminus Exklusion – auch eine Definition von Weltgesellschaft (die über diese Einleitung hinausgeht) verlangen. Da ausschliesslich die Teil-nehmerInnen des Seminars Weltgesellschaft – Gegenstand der Analyse und Rahmenbedingungen für soziale Prozesse Zielpublikum dieser Arbeit sind, wird auf eine (nochmalige) Definition verzichtet. Für eine tiefere definitorische Auseinandersetzung sei an dieser Stelle aber auf Bornschier (2002a) verwiesen.

[10] Ein anderer auf die Methodologie bezogener Selbstkritikpunkt sei ebenfalls an dieser Stelle vorweggenommen: Die Rede ist von Weltgesellschaft und von Kuba, in Betracht gezogen werden aber nur westlich geprägte Theorien. Korrekterweise müsste man soziologische Gedanken mit verschiedensten kulturellen Wurzeln mit einbeziehen, oder zumindest soziologische Gedanken aus dem fokussierten Land. Auf diese Weise wird aber überprüft, ob Kuba im Sinne der westlichen Soziologie aus der globalen Gesellschaft ausgeschlossen wird. Für die Betroffenen relevanter wäre aber, ob Kuba im Sinne der kubanischen Soziologie aus der globalen Gesellschaft ausgeschlossen wird…

[11] Voraus genommen sei hierbei, dass der Terminus Exklusion aus dem lateinischen Begriff exclusio abgeleitet wird und wörtlich Ausschluss oder sinngemäss Ausgrenzung bedeutet.

[12] Dubet und Lapeyronnie (1994, S. 34f, S. 134ff) haben hierzu beispielsweise bereits vor mehr als zehn Jahren jene Phänomene der französischen Vorstädte beschreiben, die in jüngster Zeit zu gewalttätigen Revolten der marginalisierten Jugendlichen der banlieues geführt haben.

[13] Einen Überblick zum Thema liefert Strengmann-Kuhn, der mit Bezug auf Deutschland zum Schluss kommt dass "[...] mehr Arme erwerbstätig als arbeitslos [sind] und die Mehrheit der Armen in einem Erwerbstätigenhaushalt [lebt]. Selbst die Anzahl der in Vollzeit erwerbstätigen Armen beträgt noch über eine Million“ (2003, S. 55).

[14] Ausnahmen hierzu haben sich in den Sprichwörtern unzähliger Kulturgruppen festgesetzt. In Spanien pflegt man beispielsweise zu sagen, dass man „dem Schwein und dem Schwiegersohn das Haus nur einmal zu zeigen [braucht]. Sie finden nachher den Weg von allein“ (Puntsch, 1997, S. 835).

Fin de l'extrait de 33 pages

Résumé des informations

Titre
Relative Weltgesellschaft - Ein Prozessmodell zur Messung des Exklusionsniveaus einer Nation aus der Weltgesellschaft mit Fallbeispielhafter Anwendung auf Kuba
Université
University of Zurich
Note
1.5 (CH 5.5)
Auteur
Année
2006
Pages
33
N° de catalogue
V60636
ISBN (ebook)
9783638542616
ISBN (Livre)
9783656803300
Taille d'un fichier
661 KB
Langue
allemand
Mots clés
Relative, Weltgesellschaft, Prozessmodell, Messung, Exklusionsniveaus, Nation, Weltgesellschaft, Fallbeispielhafter, Anwendung, Kuba
Citation du texte
Marcello Indino (Auteur), 2006, Relative Weltgesellschaft - Ein Prozessmodell zur Messung des Exklusionsniveaus einer Nation aus der Weltgesellschaft mit Fallbeispielhafter Anwendung auf Kuba, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60636

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