Unterrichtseinheit zu "Der abenteuerliche Simplicissimus"

Eine Stunde aus der Lehrprobeneinheit "Barock" (11. Klasse Gymnasium)


Plan d'enseignement, 2006

19 Pages, Note: 1,5


Extrait


2. Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, 1. Lehrprobe, Deutsch, 04.04.2006

„Der barocke Roman I: Grimmelshausen und seine Thematisierung des Dreißigjährigen Krieges im ´Simplicissimus‘“,

Wildis Streng

Hebel-Gymnasium Pforzheim, Klasse 11bm

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Planung der Unterrichtseinheit

Teil 1: Einführung

1. Stunde: Der Übergang von der Renaissance zum Barock

2. Stunde: Die Diskrepanz zwischen Hofkultur und Lebenswirklichkeit der Bevölkerung

Teil 2: Erzählformen

3. Stunde: Gedichtformen und Stilmittel im Barock

4. Stunde: Lyrik I: Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges: Andreas Gryphius

5. Stunde: Lyrik II: Religiöse Lyrik

6. Stunde: Lyrik III: Martin Opitz (verschoben auf die 8. Stunde)

7. Stunde: Der barocke Roman I: Grimmelshausen und seine Thematisierung des

Dreißigjährigen Krieges im „Simplicissimus“ (verschoben auf die 6. Stunde)

8. Stunde: Der barocke Roman II: Simplicissimus II (verschoben auf die 7. Stunde)

9. Stunde: Das Drama des Barock: Auszug aus dem Jesuitendrama

Teil 3: Die barocke Gesellschaft

10. Stunde: Barocke Briefkultur

11. Stunde: Die Sprache des Barock

12. Stunde: Die Rolle der Frau im Barock

Zur Situation der Klasse

Die Klasse 11bm des Hebel-Gymnasiums besteht aus 16 Schülerinnen und 7 Schülern. Ich unterrichte die Klasse erst seit Beginn der Unterrichtseinheit, also seit dem 23.03.2006. Ich glaube, einen recht guten Zugang zur Klasse gefunden zu haben, auch wenn es einige Schülerinnen und Schüler gibt, die eher schwer zu motivieren sind. Dementsprechend ist es nicht so einfach, alle Schüler am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen, da sich im Gegenzug einige gute Schüler sehr rege melden. Trotzdem denke ich, dass es mir bereits gelungen ist und auch weiterhin gelingen wird, auch die eher ruhigen Schüler zu motivieren. Ich versuche dies anhand kleiner Anekdoten aus dem Leben des Barock und dem „Schädel-Gag“; nämlich bringe ich seit der Behandlung von Andreas Gryphius und der damit zusammenhängenden Besprechung der Vanitas in jede Stunde einen Totenkopf mit, der als humoristisches „Memento-mori“ - und „Carpe-diem“- Symbol (und gleichzeitig als Warnung bei Fehlverhalten) dienen soll.

Sachanalyse

Martin Opitz sieht in seinem „Buch von der Deutschen Poeterey“ den Zweck der „Poeterey“ in der „Erbauung der Gottesfurcht, guten Sitten und Wandel“[1]. Demgegenüber steht Grimmelshausens Kommentar auf der Titelseite seiner Erstausgabe, wo zu lesen ist, sein Werk sei nicht nur „männiglich nutzlich zu lesen“ sondern auch „überaus lustig“, könne also, wollte man den heutigen Jargon verwenden, als Unterhaltungsliteratur angesehen werden[2]. Tatsächlich gilt der „Simplicissimus“ als erster deutscher Roman[3], und zwar nicht als „höfischer“, an Helidors Romanstruktur[4] orientierter, sondern als „niederer Prosaroman[5],[6] “, auch „Schelmenroman“ genannt. Hat Grimmelshausen auch keine „offizielle“ poetische Ausbildung (Schulte nennt ihn gar den „Schwarzwälder Bauernphilosophen“[7] ), so haben sämtliche führenden Forscher Grimmelshausen stets als eine Art „freischaffendes Naturgenie“ bezeichnet[8],[9] Grimmelshausen hat den „Simplicissimus“ innerhalb mehrerer Jahrzente geschrieben, ihn in seiner Jungend begonnen und im Alter von 45 Jahren vollendet.

Häufig baut er im „Simplicissimus“ autobiographische Elemente ein[10]. So war er selbst Zeuge eines Überfalls kaiserlicher Truppen auf seine Heimatstadt Gelnshausen und muss fliehen, er nahm selbst als „Troßbube“ am Dreißigjährigen Krieg teil und war schließlich auch Musketier[11]. Auch der junge Simplicissimus verliert seine Heimat, irrt danach verstört im Wald umher, und macht dort, ähnlich wie Iwein und Parzifal, Bekanntschaft mit einem Einsiedler, der ja seit dem Mittelalter als Inbegriff der Weltabwendung, also dem barocken christlichen Ideal gilt. Dieser Einsiedler wandelt ihn von der „ Bestia zum Christenmenschen“ und gibt dem jungen Melchior Sternfels von Fuchshaim, der seinen Namen nicht kennt, sondern nur „Bub“ gerufen wird, aufgrund seiner Unbedarftheit den Namen Simplicissimus – der Einfachste. Nach dem Tod des Einsiedlers begegnet Simplicissimus den unterschiedlichsten Wirrungen und bringt sein Seelenheil durch verschiedene unrühmliche Tätigkeiten in Gefahr, bis er, am Ende des Romans, seinen fehlgeleiteten Wandel erkennt und sich endlich selbst als Einsiedler in den Wald zurückzieht. Wie allen barocken Werken kann man dem Simplicissimus also eine religiös-moralische Intention attestieren, die, laut Schafarschik, „mit dem Handeln des Helden zusammenhängt[12] “. Darüber hinaus jedoch auch eine „historisch-unterhaltende“ und, was besonders interessant ist, eine „ironisch-satirische mit zeitkritischer Funktion[13] “.

Ironie und Satire suggeriert schon das Titelkupfer, das das bei größeren Werken bis dahin eigentlich gängige Vorwort ersetzt. Es gibt verschiedene Interpretationsansätze das Titelkupfer betreffend[14], die sich im Detail unterscheiden (etwa bei der Deutung der Geste der Hand), jedoch darin einig sind, dass es sich um eine satyrähnliche Darstellung, ein Mischwesen aus Tier und Mensch, „Symbol unverdorbener Menschennatur“[15], also eine naive Person, wohl Simplicissimus, handelt, die letztendlich die „Masken der Torheit“ überwindet („zertritt[16] “).

Dass Grimmelshausen selbst eine „schelmische“ Charakterseite hat, zeigt die Verwirrung, die seine zahlreichen, aus Anagrammen seines vollständigen Namens bestehenden Pseudonyme, stifteten[17]. Man vermutet auch in der Fortsetzung des Romans, der „Continuoatio des abentheurlichen Simplicissimi“, diverse geheimpoetologische Avancen Grimmelshausens, dies sei jedoch nur am Rande erwähnt[18].

Didaktische Analyse

Es stellt sich nun die Frage, ob es sinnvoll sei, den Simplicissimus mit Schülern zu lesen. Zunächst einmal ist in diesem Zusammenhang erwägenswert, dass Dr. Königs Meinung nach der Simplicissimus auch heute noch zu „tiefer wahrer Frömmigkeit“ und „reicher menschlicher Erfahrung“- also kurz: zur Verbesserung des Charakters - verhelfen kann[19]. Das ist sicherlich eine Chance, die der Simplicissimus bietet, jedoch offeriert er darüber hinaus auch ein hervorragendes zeitgenösssches Dokument und gibt einen Einblick in die barocke Lebenswelt und nicht zuletzt auch in die Sprache[20]. Es versteht sich von selbst, dass als Einstieg in das Romageschehen jedoch eine „actiongeladene“ und weniger eine „moralpredigende“ Szene gewählt werden muss. Daher fiel meine Wahl, wie auch in Klöckners „Texte und Zeiten“ empfohlen, auf das vierte Kapitel und den Anfang des fünften Kapitels, die die dramatische Plünderung des Hofes und die Folterung der Bewohner sowie Simplicissimus‘ Flucht beinhalten[21]. Der „Simplicissimus“ ist, wie schon erwähnt, keine leichte Lektüre, schon aufgrund der altertümlichen, „verschnörkelten[22] “ Sprache. Trotzdem ist durchaus zu erwarten, dass die Schüler nach einiger Vorarbeit und mit Hilfe von Worterklärungen in der Lage sein werden, den Inhalt des Textes zu begreifen. Schließlich wird in der elften Klasse in allen Fächern ein wissenschaftliches Arbeiten forciert[23], an das die Schüler nun, wenn auch behutsam, herangeführt werden sollen. Dennoch bleibt der ausgewählte Text kurz, um die Schüler nicht zu überfordern. Im Zuge der ethischen Urteilsbildung bietet sich der Simplicissimus natürlich an, ist schließlich die Handlung eines jeder Figur klar als positiv oder negativ zu bewerten[24]. Fernerhin kommt die Handlung der Forderung des Bildungsplans entgegen, dass die Schüler „Haltungen, Einstellungen und Handlungen im Kontext von religiösen, weltanschaulichen und geschichtlichen Bindungen und Lebensumständen analysieren“ sollen[25].

Im Bildungsplan wird im Arbeitsbereich „Literatur, Texte und andere Medien“ außerdem der „Einblick in eine Epoche“ gefordert, weiterhin wird vorgeschlagen, diesen anhand einer „Betrachtung exemplarischer Einzelwerke[26] “ stattfinden zu lassen. Die Epoche des Barock zu behandeln, ist sehr spannend, der Simplicissimus als prosaisches Werk im niederen Stil inmitten all dieser „pathetischen Weltabsagelyrik“ sicherlich ein Thema, das es sich zu betrachten lohnt. Besonders einträglich ist am Beispiel des Simplicissimus die „Berücksichtigung der historischen Gebundenheit des Verfassers[27] “ aus dem Arbeitsbereich „Sprechen und Schreiben“, ist doch Grimmelshausen von den Eindrücken des Dreißigjährigen Krieges tief geprägt und nutzt sein Werk quasi als Anti-Kriegs-Propaganda[28]. In der Arbeitsphase soll besonderes Augenmerk auf die Darstellungsweise des Textes gelegt werden[29]. Fernerhin kann die Arbeitsphase als „auf Inhalt und Wirkung bezogene Formbetrachtung[30] “ gelten, sollen doch die Schüler anhand der Ausducksweise des Ich-Erzählers die von Grimmelshausen beabsichtigte und sicherlich auch erzeugte Wirkung auf den Leser erschließen.


[...]

[1] vgl. Opitz, Martin: Buch von der Deutschen Poeterey, Stuttgart 2002, S. 15, es sei angemerkt, dass er er im Folgenden noch Strabo zitiert, auch er sieht in der Poeterey die „erzieherinn des lebens von jugend auff, welche die art der sitten, der bewegungen des gemuetes und alles thuns und lassens lehre“, vgl. auch Kommentar von Meid, Volker: Grimmelshausen: Epoche – Werk – Wirkung, München 1984, S. 50.

[2] Was wiederum dahingehend relativiert werden muss, dass Grimmelshausen nicht ausschließlich unterhalten wollte, er betont in der (nachgeholten) Vorrede: „Wann ihm jemand einbildet, ich erzähle nur darum meinen Lebenslauf, damit ich einem und anderem die Zeit kürzen oder [...] die Leut zum Lachen bewegen möchte, so findet sich derselbe weit betrogen! Denn viel Lachen ist mir selbst ein Ekel, und wer die edle, ohnwiederbringliche Zeit vergeblich hinstreichen lässt, der verschwendet diejenige göttliche Gabe ohnnützlich, die uns verliehen wird, unserer Seelen Heil in und vermittelst derselben zu würken. [...] Dass ich aber zuzeiten etwas possierlich aufziehe, geschiehet der Zärtling halber [und...] dass [es] bei den allergravitätischen Männern ein Lächeln herauspresset“, vgl. Gehse, Harro: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch, Hollfeld 1992, S. 65.

[3] wobei umstritten ist, ob man beim Simplicissimus, dieser „Aneinanderreihung von Stücklein“ (vgl. Nachbemerkung von Schafarschik in Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus, Stuttgart 2002, S. 164), überhaupt von einem Roman sprechen kann, vgl. dazu auch Merkel, Hans-Ulrich: Das Problem der Gattung oder der Roman in: ders., Maske und Identität in Grimmelshausens „Simplicissimus“, Stuttgart 1964, S. 179ff..

[4] unvermittelter Anfang, allmähliche, die Romangegenwart beeinflussende Aufhellung der Vorgeschichte, Begrenzung der Handlungsdauer, vgl. Meid S. 67.

[5] hat sein Vorbild im spanischen Pikaro-Roman „La vida de Lazarillo de Tormes y sus fortunas y adversidades“, vgl. Gehsen S. 64 ff.

[6] vgl. auch Meid, S. 101.

[7] vgl. Scholte, J.H.: Der Simplicissimus und sein Dichter, Tübingen 1950, S. 147.

[8] vgl. Weydt, Günther: Wer war Grimmelshausen? In: Grimmelshausen. Dichter und Schultheiß, Renchen 1976, S. 8.

[9] Grimmelshausen selbst äußert sich hingegen sehr bescheiden über sein Talent.

[10] vgl. Behrle, Rudolf: Hans Jakob Chrstof von Grimmelshausen. Leben und Werk, Bühl 1971, S. 56 ff.

[11] vgl. Parzefall, Edith: Das Fortwirken des Simplicissimus von Grimmelshausen in der deutschen Literatur, Berlin 2001, S. 12.

[12] vgl. Schafarschiks Nachwort in der verwendeten Primärausgabe, S. 164.

[13] ebd.

[14] vgl. z. B. Merkel, S. 38 ff. oder Klöckner, Klaus: Texte und Zeiten, Berlin 1995, S. 66.

[15] vgl. Rosenfeld, Hellmut: Das deutsche Bildgedicht, Berlin 1935, S. 65.

[16] vgl. Klöckner, S. 65.

[17] u.A. „German Schleifheim von Sulsfort“, „Philarchus Grossus von Trommenheim“, „Samuel Gneifenson von Hirschfeld“, vgl. Weydt, S. 8 bzw. zu deren „verhüllenden“ Wirkung Merzhäuser, Andreas: Satyrische Selbstbehauptung, Göttingen 2002, S. 31.

[18] vgl. dazu Gersch, Hubert: Geheimpoetik, Tübingen 1973.

[19] vgl. Dr. König, Wilhelm: Erläuterungen zu Grimmelshausens Simplicissimus, Hollfeld 1960, S. 56.

[20] und zwar aufgrund von Grimmelshausens niederem Stil einen Einblick in die Alltagssprache der Menschen.

[21] ist schließlich auch für Grimmelshausen die Kritik an der Grausamkeit der Soldaten eine zentrale Aussage des Romans, vgl. Tenkhoff, Hubert: Barocke Weltmetaphorik am Beispiel von A. Gryphius und H.J.Ch. von Grimmelshausen, Münster 1997, S. 122.

[22] vgl. Dr. König, S. 56.

[23] vgl. Bildungsplan S. 507.

[24] zumindest im ausgewählten Textausschnitt, später sind die Grenzen teilweise fließend, beispielsweise als Simplicissimus der „Jäger von Soest“ wird.

[25] vgl. Bildungsplan, S. 507.

[26] vgl Bildungsplan, S. 531.

[27] vgl. ebd., S. 530.

[28] laut Dr. Brie sieht Grimmelshausen den Soldaten als „Feind des Volkes“, vgl. Dr. Brie, Renate: Die sozialen Ideen Grimmelshausens, Berlin 1938, S. 114.

[29] vgl. ebd., S. 530.

[30] vgl. ebd., S. 532.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Unterrichtseinheit zu "Der abenteuerliche Simplicissimus"
Sous-titre
Eine Stunde aus der Lehrprobeneinheit "Barock" (11. Klasse Gymnasium)
Université
Studienseminar Karlsruhe
Cours
Prüfungslehrprobe
Note
1,5
Auteur
Année
2006
Pages
19
N° de catalogue
V60689
ISBN (ebook)
9783638542999
ISBN (Livre)
9783640113231
Taille d'un fichier
4914 KB
Langue
allemand
Annotations
Kompletter Lehrprobenentwurf mit ausführlicher Sachanalyse, methodischem und didaktischem Kommentar, selbstkonzipiertem Arbeitsblatt mit Lösung und kreativen Folien. Die Kommission war sehr angetan.
Mots clés
Unterrichtseinheit, Simplicissimus, Prüfungslehrprobe, Barock, Klasse 11, Epoche, Dreißigjähriger Krieg, Goya, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Grimmelshausen, Schelmenroman, 17. Jahrhundert, Prosa, Prosaroman, Roman, schule, simplicissimus teutsch, teutsch, der abenteuerliche simplicissimus teutsch, der abenteuerliche simplicissimus
Citation du texte
Wildis Streng (Auteur), 2006, Unterrichtseinheit zu "Der abenteuerliche Simplicissimus", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60689

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