Die Verpflichtungskraft der Gerechtigkeitsprinzipien bei John Rawls


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2006

17 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

A. Die zwei Prinzipien der Gerechtigkeit bei John Rawls
1. Darstellung und Erläuterung
2. Die Funktion der Prinzipien in der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls
3. Die grundlegenden Bedingungen für die Gerechtigkeitsprinzipien:
Grundgüter, Urzustand und Schleier des Unwissens
a) Grundgüter.…
b) Der Urzustand und der Schleier des Unwissens

B. Die Verpflichtungskraft der Prinzipien
1. Im Hinblick auf die Institutionen
2. Im Hinblick auf die sprachliche Struktur der Prinzipien

C. Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Ein chinesisches Sprichwort besagt „Ein gerechtes Urteil findet nur, wer sich öffentlich berät“. Tiefsinnig, wie chinesische Sprichwörter manchmal sind, verrät dieses eine Verbindung zwischen dem kaum fassbaren Begriff der Gerechtigkeit und einem Konsensurteil, das nicht von einem, sondern von allen getroffen wird. Was in dem Aphorismus nur intuitiv anklingt, das hat der amerikanische Philosoph John Rawls in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ systematisch untersucht. Grundlage diese Theorie sind zwei Prinzipien der Gerechtigkeit, anhand derer man ebenso gut wie mit einer öffentlichen Beratung, feststellen können soll, ob etwas gerecht ist oder nicht. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Frage, ob eine bestimmte Verpflichtungskraft von diesen beiden Prinzipien ausgeht und wenn ja, wie diese gefasst werden kann. In meiner Darstellung werde ich – neben dem Hauptwerk aus dem Jahr 1971 „Eine Theorie der Gerechtigkeit“[1] und einigen Aufsätzen, die unter dem Titel „Gerechtigkeit als Fairness“[2] erschienen sind – vor allem auf die aktuellste und gleichzeitig finale Bearbeitung durch Rawls zurückgreifen. Sie trägt im Deutschen den Namen „Gerechtigkeit als Fairness – Ein Neuentwurf“[3] und enthält eine teilweise Neuformulierung des Schlüsseltextes aus dem Hauptwerk. Final ist sie deswegen, weil Rawls noch vor Beendigung der letzten Feinarbeiten im Jahr 2002 im Alter von 81 Jahren verstarb. Da ich im Umfang der vorliegenden Arbeit nicht auf die einzelnen Änderungen eingehen kann, die auch nicht alle im Einzugsbereich des hier darzustellenden Themas liegen, will ich mich auf zwei wichtige Hinweise beschränken, die Rawls zu Beginn des „Neuentwurfs“ gibt. Der erste Hinweis bezieht sich auf die Ziele, die er mit der erneuten Formulierung seiner Thesen verfolgt. Neben der Korrektur einiger Unklarheiten in seinem Hauptwerk und der Verknüpfung von Aufsätzen, in denen er Kritiken repliziert, nennt er als Drittes die Aufgabe, seine Theorie nicht als globales Moralkonzept zu verstehen, sondern als politische Theorie. Gerade im Bezug auf die seinen Prinzipien innewohnende Verpflichtungskraft, die hier untersucht werden soll, scheint mir dieser Hinweis wichtig zu sein. Darauf werde ich weiter unten detaillierter eingehen Der zweite Hinweis, den zu betonen ich als notwendig erachte, ist bereits Teil der Argumentation. Rawls expliziert unter § 1 vier Aufgaben politischer Philosophie, die analog dann auch als die vier Aufgaben seiner politischen Philosophie verstanden werden können[4]. Diese Hinweise sollen als Orientierung dienen, besonders an den Stellen, die metaphysisch mißverstanden werden können:

1.1 „die Aufmerksamkeit auf heftig umstrittene Fragen zu lenken und herauszufinden, ob sich [...] eine zugrundeliegende Basis philosophischer und moralischer Übereinstimmung finden lässt“[5] ; 1.2 Orientierung zu leisten im Hinblick auf das Selbstverständnis als Angehöriger einer Gesellschaft;

1.3 einen Beitrag zu leisten für das historische und funktionale Verständnis von Institutionen innerhalb einer Gesellschaft und (mit Hegel) eine positive Grundhaltung der Gesellschaft und ihrer Funktionen gegenüber zu erzeugen; schließlich 1.4 die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit einer gerechten demokratischen Gesellschaft im Modell einer realistischen Utopie und unter der Begrenzung eines vernünftigen Pluralismus.

In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit der Frage, woher die Gerechtigkeitsprinzipien ihre Verpflichtungskraft beziehen. Hierzu muss – in einem ersten, ausführlichen Schritt – die Grundlage der beiden Prinzipien umrissen werden, die mit Begriffen wie „Grundgüter“, „Urzustand“ und „Schleier des Unwissens“ verbunden ist, welche ich zunächst erklären werde. In einem zweiten Schritt widme ich mich dann dem Problem der Verpflichtungskraft für die die Gesellschaft konstituierenden Institutionen. In diesem Teil meiner Untersuchung will ich dann auch einige Fragen stellen, die ich „mit Rawls“ zu beantworten versuche. Dabei soll die argumentative Struktur der Prinzipien deutlich werden und es soll vor allem die Anwendbarkeit der Rawls’schen Prinzipien im Diskurs getestet werden. Zum Abschluss will ich mein persönliches Fazit geben und eine weitere Verknüpfung anbieten, die dann über diese Arbeit hinausweist.

A. Die zwei Prinzipien der Gerechtigkeit bei John Rawls

Die zwei „Prinzipien der Gerechtigkeit“ und der Schlüsseltext, aus dem sie stammen, „Gerechtigkeit als Fairness“[6], sind im wesentlichen die theoretische Grundlegung von Rawls’ Gerechtigkeitstheorie. Trotzdem versteht Rawls diese nicht als moralisches Gerechtigkeitskonzept, das sich – wie der von ihm kritisierte Utilitarismus – auf jeden Bereich von Individualrecht bis Völkerrecht anwenden ließe[7]. Vielmehr will er eine politische Konzeption explizieren, die konkret die Grundlage für einen modernen demokratischen Staat schafft, indem sie Prinzipien formuliert, mit denen alle Gesellschaftsgruppen – und seien sie noch so verschieden – übereinstimmen können. Gleichzeitig dienen diese Prinzipien auch als Bewertungsmaßstab für staatliche Institutionen im Hinblick auf ihre Gewährleistung von Gleichheit und Gerechtigkeit, beispielsweise in der Ämter- oder Güterverteilung. Rawls will damit keine auf philosophischer Metaphysik im Sinne von Naturrechtskonzeptionen oder kategorischen Imperativen aufgebaute Moralkonzeption installieren, sondern eine Herleitung von Prinzipien aus historischer Entwicklung und diskursivem Gedankenspiel heraus leisten, welche die Stabilität eines modernen demokratischen Staates grundlegen können.

1. Darstellung und Erläuterung

Zwei Momente von Gerechtigkeit unterscheidet Rawls im Hinblick auf die zu formulierenden Prinzipien, welche die Steuerung sozialer Verteilungsprozesse übernehmen: formale Gerechtigkeit und substanzielle Gerechtigkeit[8]. Formale Gerechtigkeit meint ein regelgeleitetes, d.h. an Regeln orientiertes institutionelles Handeln. Dadurch werden soziale Prozesse geregelt und ihr bloßer Ablauf garantiert, sowie gewährleistet, dass sie ohne Störung ablaufen und ihr Ablauf von den Adressaten etwa einer sozialen Leistung auch erwartet werden kann. Allein die formale Gerechtigkeit reicht nicht, um auch einen sinnvollen Ablauf zu garantieren; so könnten Regeln zwar gleichmäßig befolgt werden, ihr Inhalt könnte aber eine (eben durch die Regelmäßigkeit) permanente Ungerechtigkeit verursachen. Dass dies nicht geschieht, garantiert die substanzielle Gerechtigkeit. Sie betrifft vor allem den Inhalt der Regeln, die Gerechtigkeit garantieren sollen. Zusammengefasst handelt es sich also um kontinuierliche, die Erwartungssicherheit betreffende und inhaltlich gerechte Regeln. Wie der Inhalt dieser Regeln beschaffen sein muss, ist Gegenstand des nun folgenden Abschnitts. Vorgreifend muss noch gesagt werden, dass die Formulierungen der beiden Gerechtigkeitsprinzipien in Rawls Gesamtwerk eine Art Wandlung durchlaufen. Schon in der „Theorie der Gerechtigkeit“ entwickelt er gewissermaßen aus zwei vorläufigen Modellen mehrere Formulierungen, die auch den Bedeutungsrahmen der Prinzipien erweitern und ihre vielfältigen Konsequenzen aufzeigen helfen sollen. Aufgrund der Themenstellung werde ich mich auf eine Formulierung beschränken. Rawls wählt in „Gerechtigkeit als Fairness – ein Neuentwurf“ folgende Formulierung für das erste und das zweite Prinzip der Gerechtigkeit[9]:

I. Jede Person hat den gleichen unabdingbaren Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben System von Freiheiten für alle vereinbar ist.

II. Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offenstehen; und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen (Differenzprinzip).

Wie aus der Formulierung ersichtlich, regelt das erste Prinzip die Gleichheit aller Mitglieder einer Gesellschaft[10]. Rawls expliziert diese Gleichheit auch in Form von Grundrechten, die jeder Mensch besitzt und die durch das erste Prinzip gewährleistet werden sollen: politische Freiheit (freie Wahlen und Ämter), Rede- und Versammlungsfreiheit, Gedanken- und Gewissensfreiheit, persönliche Freiheit und das Recht auf persönliches Eigentum und Schutz vor staatlicher oder sonstiger Willkür. Gleichzeitig formuliert es die Einschränkung, dass die Grundfreiheiten eines Individuum mit denen aller anderen immer vereinbar sein sollen. Damit ist klar, dass die Freiheit kein rein positives Gut ist, das dem Menschen innewohnt, sondern gerade durch Grenzen entsteht, die einerseits die Freiheit beschränken, sie andererseits aber auch erst ermöglichen.

Das zweite Prinzip besteht aus zwei Teilen, die als Ganzes als Bedingung für soziale Ungleichheiten und damit als Bedingung für die diese Ungleichheiten verursachenden Institutionen gefasst sind. Der erste Teil formuliert einen Sonderfall des ersten Prinzips auf einer neuen Ebene: politische oder allgemein institutionelle Ämter sollen für alle prinzipiell frei zugänglich sein. Das deckt sich mit dem Grundrecht der politischen Freiheit. Wichtig ist dabei aber der Bezugsrahmen: Die Chancengleichheit im Bezug auf institutionelle Ämter oder Positionen bezieht sich nämlich auf die Ungleichheit, die diese erzeugen. Ein einfaches Beispiel macht dies verständlich: So erhält ein Bundestagsabgeordneter für seine Tätigkeit Diäten, die oft die Höhe eines durchschnittlichen Einkommens überschreiten. Gleichzeitig ist aber festgelegt, dass jeder Bundesbürger (die Volljährigkeit vorausgesetzt) Bundestagsabgeordneter werden kann und darf. Diese Ämter oder Positionen müssen aber noch einer zweiten Bedingung genügen, nämlich dem zweiten Teil des zweiten Prinzips der Gerechtigkeit: Soziale Ungleichheiten dürfen nur dann entstehen, wenn die Ärmsten, Besitzlosen – „die am wenigsten Begünstigten“ – den größtmöglichen Vorteil daraus ziehen. Damit reagiert Rawls auf den Fall, dass auch durch absolute Gleichheit Ungerechtigkeit entstehen und umgekehrt durch Ungleichheit Gerechtigkeit gewährleistet bleiben kann.


[...]

[1] Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt/Main 1979.

[2] Höffe, Otfried (Hg.): John Rawls. Gerechtigkeit als Fairneß, München 1977.

[3] Ders.: Gerechtigkeit als Fairneß. Ein Neuentwurf, Frankfurt/Main 2006.

[4] Ebd., S. 20-24.

[5] Ebd., S. 20.

[6] Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 19-65.

[7] Rawls, John: Gerechtigkeit als Fairneß: politisch, nicht metaphysisch, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus, Frankfurt/M 1994, S. 257.

[8] Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 74-85.

[9] Rawls, Neuentwurf, S. 78.

[10] Ders., Theorie der Gerechtigkeit, S. 82.

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Die Verpflichtungskraft der Gerechtigkeitsprinzipien bei John Rawls
Université
Ruhr-University of Bochum  (Institut für Philosophie, Pädagogik und Publizistik)
Cours
Einführung in die Gerechtigkeitstheorie bei John Rawls
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
17
N° de catalogue
V60726
ISBN (ebook)
9783638543194
ISBN (Livre)
9783638773607
Taille d'un fichier
486 KB
Langue
allemand
Mots clés
Verpflichtungskraft, Gerechtigkeitsprinzipien, John, Rawls, Einführung, Gerechtigkeitstheorie, John, Rawls
Citation du texte
Daniel Zorn (Auteur), 2006, Die Verpflichtungskraft der Gerechtigkeitsprinzipien bei John Rawls, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60726

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