1. Ausschnitte eines Natursymbolismus: Einleitung
Innerhalb seines Werkes ,,Reisen eines Deutschen in Italien" schreibt Karl Phillip Moritz 1793 unter dem Titel ,,Über die Signatur des Schönen":
,,Ist nicht alles in der Natur voller Bedeutung, und ist nicht alles Zeichen von etwas Größerem, das in ihm sich offenbaret....Lesen wir nicht in jedem kleinen Teil des Gebildeten die Spuren des Größeren, das sich darin abdrückt?...Auf diese Weise wird alles, was uns umgiebt, zum Zeichen; es wird bedeutend, es wird zur Sprache"1.
Die Aussagen Moritz` beruhen auf einer Weltanschauung, die ihre Wurzeln in der naturmystischen Tradition hat: alle Dinge des Kosmos sind miteinander verknüpft. Die semiotische Ableitung ist, dass jede äußere Gestalt der Natur (bei Moritz ,,jedes kleine Teil des Gebildeten") ein pars pro toto ist, das ,,Größere" sich in jeder äußeren Gestalt finden lässt. Jede äußere Gestalt steht damit zugleich für sich und für die Bedeutung des ,,Größeren", sie ist also zugleich autonom und verweist auf eine Bedeutung, die außerhalb seiner Gestalt liegt.
Eine künstlerische Symbolik, die diese naturmystische Grundannahme sowie deren semiotische Ableitung verinnerlicht hat und dem ästhetischen Anspruch folgt, dass die Kunst untrennbar mit der Natur verbunden ist und daher das ,,Größere" der Natur im Kunstwerk selbst offenbart werden muss (und dieser Kunstästhetik folgt Moritz) unterliegt zwangsläufig diesem Paradoxon zwischen Autonomie und Fremdbestimmung - zugleich ist in solch einer Symbolik die unbestimmbare Wirkung des Symbols von der eindeutigen und rationalistischen Allegorie bedroht2. Laut Sørensen löst Moritz das widersprüchlich erscheinende Verhältnis für die Poesie auf kunstästhetische und psychologische Weise, indem er zwei Variablen einführt: die Poesie sei eine Sprache der Phantasie und eine Sprache des Traums. So wie die äußere Gestalt eine immanente und eine fremdbestimmte Bedeutung hat ist ein Traum nie bedeutungslos und hat daher eine eigene Bedeutung.
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1 Karl Phillip Moritz: Reisen eines Deutschen in Italien 1786 bis 1788. Bd. III, 1793, S. 141f.; zit. n.: Sørensen (1963), S. 71
2 Die Begriffe Symbol und Allegorie werden in dieser Arbeit entsprechend ihrem jeweiligen Bedeutungsinhalt am Ende des 18. Jh.s verwendet. Auf die Problematik dieser terminologischen Abgrenzung wird bei Sørensen, S. 15-18 eingegangen
Inhaltsverzeichnis
- Ausschnitte eines Natursymbolismus: Einleitung
- Zur Absicht dieser Arbeit
- Die „höhere Wirklichkeit“ in den „Dingen um uns“ und die mystisch getönte Wahrnehmung des Künstlers
- Sprachbegriff und Sprachdilemma in „Die Lehrlinge zu Sais“
- Der Sensualismus des Künstlers als Gegenentwurf zum rationalistischen Denken und die Dialektik von Innen und Außen
- Die gestaltlose Symbolik: „flüssige Poesie“
- Zur Gestalt des Kindes
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Symbolik und dem Sprachdilemma in Novalis' "Die Lehrlinge zu Sais". Sie untersucht, inwiefern Novalis' Symbolbegriff über den naturmystischen Symbolbegriff der Klassiker hinausgeht und welche poetologischen Forderungen sich in seinen "Lehrlingen" finden lassen.
- Die Verbindung zwischen Natur und Kunst
- Die Rolle des Symbols in der Wahrnehmung der Wirklichkeit
- Das Sprachdilemma des Künstlers
- Novalis' Kritik an traditionellen Kunst- und Symbolauffassungen
- Die poetologischen Forderungen in "Die Lehrlinge zu Sais"
Zusammenfassung der Kapitel
- Ausschnitte eines Natursymbolismus: Einleitung: Das Kapitel untersucht den naturmystischen Symbolbegriff von Karl Phillip Moritz und zeigt die Verbindung zwischen Natur und Kunst sowie die semiotische Ableitung von Bedeutung.
- Zur Absicht dieser Arbeit: Dieses Kapitel stellt die Hauptthemen der Arbeit vor und beleuchtet die Unterschiede zwischen Novalis' Symbolbegriff und dem der Klassiker, insbesondere von Moritz.
- Die „höhere Wirklichkeit“ in den „Dingen um uns“ und die mystisch getönte Wahrnehmung des Künstlers: Das Kapitel analysiert die Verbindung zwischen der Wahrnehmung des Künstlers und der „höheren Wirklichkeit“ der Natur sowie die Bedeutung des Sprachdilemma für Novalis.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf Schlüsselwörter wie Symbolik, Sprachdilemma, Naturmystik, Novalis, „Die Lehrlinge zu Sais“, Poetologie, Kunst- und Symbolauffassungen und Romantik.
- Citation du texte
- Heiko Bruchhaus (Auteur), 2002, Über Symbolik und Sprachdilemma in Novalis` Fragment -Die Lehrlinge zu Sais-, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6088