In seinem 1995 erschienen Buch „Konsequenzen der Moderne“ erläutert Anthony Giddens die Bedeutung abstrakter Systeme für die modernen Gesellschaften. Der Begriff ‚abstraktes System‘ umfaßt dabei symbolischen Zeichen und Expertensysteme (jene Bereiche, zu denen die Bevölkerung nur noch partiellen Zugang hat, die aber das Leben unter modernen Verhältnissen zu einem gewichtigen Teil mitbestimmen und organisieren). Besondere Bedeutung kommt dabei dem Vertrauen zu. Es dient als Mechanismus zur Überbrückung der in der Moderne entstandenen Raum- Zeit- Spannen.
In seinen Ausführungen wendet Giddens den Begriff ‚Vertrauen‘ sowohl auf freundschaftliche Beziehungen, als auch auf den Kontakt zu Fremden und auf das Verhältnis zu abstrakten Systemen an. Dieses Vorgehen ist jedoch zu undifferenziert. Ausgehend von Luhmanns (1988) Unterscheidung zwischen Vertrauen und Zutrauen läßt sich feststellen, dass es sich bei beiden Formen um unterschiedliche Mechanismen handelt. Vertrauen ist dabei entscheidend bei zwischenmenschlichen Beziehungen, während das Verhältnis zu abstrakten Systemen von Zutrauen gekennzeichnet ist. Da abstrakte Systeme jedoch aus einzelnen Individuen, oder besser Rollen, bestehen, läßt sich schlußfolgern, dass sich Zutrauen auch auf Rollenerwartungen bezieht.
Nun war die Vormoderne im Vergleich zur Moderne vor allem durch eben diesen Rollencharakter gekennzeichnet. Freundschaft, Ehe, nachbarschaftliche Beziehungen – all diese vermeintlich persönlichen Bereiche waren auf die Erfüllung von Rollenerwartungen ausgelegt. Erst in der Moderne begann sich das Bild des Menschen zu wandeln – weg vom Teil eines Kollektivs, eines Zeichens im System – hin zu einem Individuum unabhängig von Rollenerwartungen. Demnach wäre Vertrauen erst in der Moderne möglich.
Dieser Vermutung möchte ich in dieser Arbeit nachgehen und dabei erläutern, welche Bedeutung Vertrauen und Zutrauen für die Organisation moderner Staaten haben.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung: Anthony Giddens und die Moderne
- 1.1. Der Dschagannath – Wagen
- 1.2. Die Dynamik der Moderne
- 1.3. Vertrauensformen in der Moderne
- 2. Vertrauen in der Moderne
- 2.1. Vertrautheit, Vertrauen, Zutrauen – eine Ausdifferenzierung
- 2.2. Distinktive Unterscheidungsmerkmale abstrakter Systeme
- 2.3. Vertrauen und Zutrauen – Korrelationen
- 2.4. Wandel der Vertrauensumwelten
- 2.5. Vertrauen und persönliche Beziehungen in der Moderne
- 3. Schluss: Vertrauen – ein modernes Phänomen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Bedeutung von Vertrauen und Zutrauen in modernen Gesellschaften, ausgehend von Anthony Giddens' Werk „Konsequenzen der Moderne“. Ziel ist es, die Rolle des Vertrauens als Mechanismus zur Überbrückung von Raum-Zeit-Spannen in der Moderne zu analysieren und die Unterschiede zwischen Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen und Zutrauen in abstrakte Systeme zu beleuchten.
- Die Dynamik der Moderne nach Giddens (Raum-Zeit-Trennung, Entbettung sozialer Systeme, reflexive Ordnung)
- Der Unterschied zwischen Vertrauen und Zutrauen nach Luhmann
- Die Rolle des Vertrauens in der Organisation moderner Gesellschaften
- Der Wandel von Vertrauensumwelten in der Moderne
- Vertrauen und persönliche Beziehungen in der modernen Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Anthony Giddens und die Moderne: Diese Einleitung führt in das Thema ein und stellt Anthony Giddens' Theorie der Moderne vor. Giddens' Vergleich der Moderne mit einem Dschagannath-Wagen verdeutlicht die unkontrollierbare Dynamik und die Widersprüchlichkeit moderner Gesellschaften. Die Einleitung skizziert die Hauptfaktoren der modernen Dynamik – Raum-Zeit-Trennung, Entbettung sozialer Systeme und reflexive Ordnung – und hebt die zentrale Rolle des Vertrauens hervor. Die Kapitel 1.1 bis 1.3 entwickeln diese Punkte weiter und legen den Grundstein für die folgenden Analysen.
2. Vertrauen in der Moderne: Dieses Kapitel analysiert verschiedene Facetten von Vertrauen und Zutrauen in der modernen Gesellschaft. Es differenziert zwischen Vertrautheit, Vertrauen und Zutrauen nach Luhmann und untersucht die spezifischen Merkmale abstrakter Systeme. Der Fokus liegt auf den Korrelationen zwischen Vertrauen und Zutrauen sowie dem Wandel der Vertrauensumwelten. Das Kapitel erörtert weiterhin den Einfluss des Vertrauens auf persönliche Beziehungen in der Moderne und wie sich dieses in Vergleich zur Vormoderne unterscheidet.
Schlüsselwörter
Vertrauen, Zutrauen, Moderne, Anthony Giddens, Abstrakte Systeme, Raum-Zeit-Spannen, Entbettung, Reflexivität, Moderne Gesellschaften, Soziale Beziehungen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Vertrauen in der Moderne nach Anthony Giddens
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Bedeutung von Vertrauen und Zutrauen in modernen Gesellschaften, basierend auf Anthony Giddens' Theorie der Moderne. Der Fokus liegt auf der Rolle des Vertrauens als Mechanismus zur Überbrückung von Raum-Zeit-Spannen und den Unterschieden zwischen Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen und Zutrauen in abstrakte Systeme.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Dynamik der Moderne nach Giddens (Raum-Zeit-Trennung, Entbettung sozialer Systeme, reflexive Ordnung), den Unterschied zwischen Vertrauen und Zutrauen nach Luhmann, die Rolle des Vertrauens in der Organisation moderner Gesellschaften, den Wandel von Vertrauensumwelten und den Einfluss von Vertrauen auf persönliche Beziehungen in der modernen Gesellschaft.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln: Eine Einleitung, die Giddens' Theorie der Moderne und den Begriff des Vertrauens einführt; ein Hauptkapitel, das verschiedene Facetten von Vertrauen und Zutrauen analysiert (inklusive der Unterscheidung zwischen Vertrautheit, Vertrauen und Zutrauen nach Luhmann und dem Wandel der Vertrauensumwelten); und ein Schlusskapitel, das die Ergebnisse zusammenfasst.
Welche Rolle spielt Anthony Giddens?
Giddens' Theorie der Moderne bildet die Grundlage der Arbeit. Sein Vergleich der Moderne mit einem Dschagannath-Wagen verdeutlicht die Dynamik und Widersprüchlichkeit moderner Gesellschaften. Seine Konzepte der Raum-Zeit-Trennung, der Entbettung sozialer Systeme und der reflexiven Ordnung sind zentral für die Analyse.
Wie werden Vertrauen und Zutrauen unterschieden?
Die Arbeit differenziert zwischen Vertrautheit, Vertrauen und Zutrauen, wobei Luhmanns Unterscheidung von Vertrauen und Zutrauen eine wichtige Rolle spielt. Der Unterschied liegt im Wesentlichen in den Objekten des Vertrauens bzw. Zutrauens: Vertrauen bezieht sich eher auf zwischenmenschliche Beziehungen, während Zutrauen sich auf abstrakte Systeme richtet.
Was sind die Schlüsselkonzepte?
Schlüsselkonzepte sind Vertrauen, Zutrauen, Moderne, Raum-Zeit-Spannen, Entbettung, Reflexivität, abstrakte Systeme und die Analyse sozialer Beziehungen im Kontext der modernen Gesellschaft.
Welche Schlussfolgerungen werden gezogen?
(Die detaillierten Schlussfolgerungen sind nicht explizit in der Zusammenfassung angegeben, aber implizit wird die zentrale Rolle des Vertrauens und Zutrauens für das Funktionieren moderner Gesellschaften hervorgehoben, sowie die Veränderungen und Herausforderungen, die sich daraus ergeben).
- Citation du texte
- Sascha Lübbe (Auteur), 2006, Vertrauen - ein modernes Phänomen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61059