Bereits zu Zeiten der Antike war augenscheinlich, dass Intrigen und Lügen keine sichere Basis fürVertrauen untereinander sein konnte. Im Mittelalter versuchte man, Mitteilungen und Angaben zur wirtschaftlichen Lage von Unternehmungen auf Stichhaltigkeit zu „prüfen“. Zu Mitte des 19. Jahrhundert wurden die Daten-Aufbereitungen der Lage von Unternehmen auf ihre Vertrauenswürdigkeit bzw. Plausibilität näher untersucht. So beauftragte ein Baron seinen Rechtsanwalt mit der „Prüfung“ der vom Pächter seines landwirtschaftlichen Betriebes eingereichten Unterlagen. Später erledigten dies die Revisoren mit einer systematischen Untersuchung der Buchungs-Unterlagen. Um 1930 erschütterte die Weltwirtschaftskrise das gesamte volkswirtschaftliche System der Weimarer Republik, so dass die Regierung 1931 mit einer Notverordnung die gesetzliche Ordnungsgemäßigkeitsprüfung des Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften einführte und damit die Grundlage für einen Berufsstand der Wirtschaftsprüfer schuf, der jedoch nicht verbeamtet wurde. 1932 wurde ein Institut der Wirtschaftsprüfergeschaffen, dem es obliegt, Richtlinien und Grundsätze für die ordnungsgemäße Berufsausübung zu konkretisieren. Damit rückte die Gewissenhaftigkeit und die Qualität des Wirtschaftsprüfers in den Mittelpunkt der Ausübung dieses Berufes. Es ist jedoch des einzelnen Prüfers eigene Festlegung, ob und wieweit er seine Qualität in Richtung auf eine Systemprüfung erweitert. Manchmal vertraute der Prüfer einfach den Vorjahresprüfungen, ggf. auch anderer verbundener Wirtschaftsprüfer, kritiklos. Das vom Wirtschaftsprüfer erteilte Testat wird - gewissermaßen in Erweiterung der Publikumswirksamkeit - zum allgemeinen Begriff eines Gütesiegels höherer Ordnung, d.h. der Nutzer des Prüfungsergebnisses geht von derAnnahmeaus, die Ertragskraft des geprüften Unternehmens entspräche dem Dargestellten und ließe sogar einen Schluss über seine Zukunft zu. Hier rückt diese Annahme in die Nähe der Verkündung von Börsenanalysten, die den Blick nur auf einige der markanten Kenn-Daten (Kurse) richten. Aktienkurse können das „Bemühen, kritische Tatbestände in Unternehmen aufzudecken“ jedoch lähmen. Das AktG von 1937 sieht ein Versagen des Testates in § 140 Abs. 3 vor, „wenn eine falsche Darstellung von den Verhältnissen der Gesellschaft erweckt“ werden kann. Die gesetzlichen Adressaten des Prüfberichtes sind gemäß KonTraG vom 27.04.1998 der Aufsichtsrat und die Vorstände einer Gesellschaft. [...]
1. Die Glaubwürdigkeitsprüfung.
Bereits zu Zeiten der Antike war augenscheinlich, dass Intrigen und Lügen keine sichere Basis für Vertrauen[1] untereinander sein konnte. Im Mittelalter versuchte man, Mitteilungen und Angaben zur wirtschaftlichen Lage von Unternehmungen auf Stichhaltigkeit zu „prüfen“. Zu Mitte des 19. Jahrhundert wurden die Daten-Aufbereitungen der Lage von Unternehmen auf ihre Vertrauenswürdigkeit bzw. Plausibilität näher untersucht. So beauftragte ein Baron seinen Rechtsanwalt mit der „Prüfung“ der vom Pächter seines landwirtschaftlichen Betriebes eingereichten Unterlagen[2]. Später erledigten dies die Revisoren mit einer systematischen Untersuchung der Buchungs-Unterlagen. Um 1930 erschütterte die Weltwirtschaftskrise das gesamte volkswirtschaftliche System der Weimarer Republik, so dass die Regierung 1931 mit einer Notverordnung die gesetzliche Ordnungsgemäßigkeitsprüfung des Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften[3] einführte und damit die Grundlage für einen Berufsstand der Wirtschaftsprüfer schuf[4], der jedoch nicht verbeamtet wurde. 1932 wurde ein Institut der Wirtschaftsprüfer[5] geschaffen, dem es obliegt, Richtlinien und Grundsätze für die ordnungsgemäße Berufsausübung zu konkretisieren. Damit rückte die Gewissenhaftigkeit und die Qualität des Wirtschaftsprüfers in den Mittelpunkt der Ausübung dieses Berufes. Es ist jedoch des einzelnen Prüfers eigene Festlegung, ob und wieweit er seine Qualität in Richtung auf eine Systemprüfung erweitert[6]. Manchmal vertraute der Prüfer einfach den Vorjahresprüfungen, ggf. auch anderer verbundener Wirtschaftsprüfer, kritiklos[7]. Das vom Wirtschaftsprüfer erteilte Testat[8] wird – gewissermaßen in Erweiterung der Publikumswirksamkeit - zum allgemeinen Begriff eines Gütesiegels höherer Ordnung, d.h. der Nutzer des Prüfungsergebnisses geht von der Annahme aus, die Ertragskraft des geprüften Unternehmens entspräche dem Dargestellten und ließe sogar einen Schluss über seine Zukunft zu. Hier rückt diese Annahme in die Nähe der Verkündung von Börsenanalysten, die den Blick nur auf einige der markanten Kenn-Daten (Kurse) richten. Aktienkurse können das „Bemühen, kritische Tatbestände in Unternehmen aufzudecken“ jedoch lähmen[9]. Das AktG von 1937 sieht ein Versagen des Testates in § 140 Abs. 3 vor, „wenn eine falsche Darstellung von den Verhältnissen der Gesellschaft erweckt“ werden kann. Die gesetzlichen Adressaten des Prüfberichtes sind gemäß KonTraG vom 27.04.1998 der Aufsichtsrat und die Vorstände einer Gesellschaft. Die allgemeine Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an eine Art Gütesiegel bleibt außen vor.
Nach den Zusammenbrüchen einiger „großer“ Unternehmen war die Öffentlichkeit entsetzt, dass trotz Testates der Wirtschaftsprüfer[10] kriminelle Manipulationen im Bereich des Berichts- und Prüfungswesens nicht entdeckt worden waren. Eine Prüfung der Testat-Würdigkeit von Unternehmen und Unternehmern ist im Prüfmechanismus der Wirtschaftsprüfer nicht vorgesehen[11], obwohl es für das „Management starke Anreize gibt, die Rechnungslegung zu manipulieren, um den Börsenkurs positiv zu beeinflussen.“[12]. Die Staatsanwaltschaften hatten – wie sie in der Hauptverhandlung der Wirtschaftsprüfer vor dem Landgericht Münster 2006 zugaben - Mühe, die durch das Wirtschaftsstrafrecht[13] missbilligten Handlungen im Löbbert-Kriminalfall[14] aufzuklären. Man wähnte sogar, infolge entdeckter „erfundener“ Rechnungsunterlagen die kriminelle Methodik[15] hinreichend ermittelt zu haben. Im Fall der angeklagten Gebrüder Löbbert bemühte sich die bis zu 30 Personen aufgestockte Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Wirtschaftskrimalität über vier Jahre, aus einzelnen Rechnungsunterlagen aus einem Konvolut beschlagnahmten Akten-Materials den Beweis für die Ursächlichkeit des obersten Managements bis zum Einzelakt der jeweiligen Buchhaltung für die Gesamtheit der kriminellen Machenschaft der Gebrüder Löbbert zu erbringen, obwohl dem Prozessbeobachter des relevanten Prozesses vor dem Landgericht Münster[16] dies auch nach mehr als 2,5 Jahren Hauptverhandlung noch immer nicht restlos schlüssig erscheint, zumal die Staatsanwaltschaft und die Strafkammer sich trotz der Komplexität der sich wandelnden Funktionsketten-Verflechtung als hinreichend sachkundig bezeichnen[17]. Eines ist jedoch gewiss: ein Corporate Governance dürfte solche Kriminalität kaum verhindern. Eher könnte eine unabhängige Kontroll-Instanz wirksam werden, wenn diese eine angeblich fehlerfreie Rechnungslegung und Prüfung nochmals kritisch sichtet. Auch wäre dringend die völlige Unabhängigkeit eines Prüfers zu fordern, zumal kleinere Wirtschaftsprüfgesellschaften schnell in eine monetäre Auftragsabhängigkeit gelangen können.
Wie im gesamten Leben sind in der Wirtschaft und bei den Prüfungen Risiken vorhanden[18], z.B. das einer Manipulation[19] oder des übermäßigen Vertrauens des Prüfers in das interne Kontrollwesen[20] im Unternehmen bzw. auf die vorgelegten Unterlagen-Daten. Sind dem Management die Schwächen der Kontrolle oder Kontroll-Lücken bekannt, so kann es diese für eine Manipulation umgehen. Ist nun eine unangebrachte Vertrauensseligkeit, eine Folge des Denkens in egoistischen Wirtschaftlichkeitskategorien oder worin liegt die Motivation, sich des gesunden Misstrauens zu entledigen? Nicht anders ist es bei den Verwendern des Prüfungsvermerkes vom Wirtschaftsprüfer, z.B. Banken: überdeckt die Phantasie des möglichen Zukunftserfolges, des Erzielens hoher Rendite ihren Spürsinn für ein Nachfragen, für ein Hinterfragen der Kreditwürdigkeit? Manche kennzeichnen eine solche Eigenschaft, oft auch Charakterzug eines Menschen mit Einfalt, aber dieser ist erwiesenermaßen weder selten noch erfolglos[21]. Ein so genanntes unrichtiges Ergebnis eines Jahresabschlusses oder einer Bilanzaufstellung ist also mit Risiken behaftet, die in der Größe weder berechen- bzw. kalkulierbar noch in der Höhe begrenzbar sind, da sie im Eintritt nicht begründbar als wahrscheinlich voraussehbar sind. Verschiedene Methoden zur Bestimmung der noch vertretbaren Fehlergröße in Abhängigkeit von einer Jahresabschlussgröße werden vorgeschlagen, bei qualitativer Methodik meist als Prozentsatz von 5 bis 10 %[22]. Damit wird das kriminelle Risiko nicht erfasst , es sei denn, die Höhe bliebe innerhalb dieser Prozent-Bereichsgrenze, was nur zu erwarten ist, wenn die Integrität des Managements durch eine Eigentümer-Struktur-Analyse ermittelt ist[23] und so einer der Wesentlichkeits-Fehler ausgeschaltet. Aus den bisherigen Erkenntnissen aus dem Löbbert-Prozeß lässt sich sogar vermutend ableiten, dass bei Fortdauer dieses Managements die vorangehenden „Fehler“ wieder zugedeckt worden wären, denn durch die Firmen-Zukäufe hätten diese bzw. die Lücken ausgeglichen werden können. Dies wird untermauert dadurch, dass sich für den Aufsichtsrat seinerzeit keine Anhaltspunkte gegen einen Börsengang ergaben[24] und dass die „Fehler“ über Jahre vor der Beschlagnahme von Unterlagen aus der Unternehmensgruppe vorhanden waren und unentdeckt blieben. Allerdings war bei dem Börsengang von SERO der Löbbert-Firmengruppe nur eine Plausibilität von Plandaten erforderlich, die dann den Nachteil in sich trugen, auch erfüllt zu werden, möglicherweise ein Zwang zu einer unendlichen Manipulations-Schraube.
2.. Methodische Grundüberlegungen zur Ermittlung eines zu beurteilenden Systems
Vertrauen ist nicht nur eine unbestimmte Glaubens- oder Gefühlssache innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen, sondern der Glaube, die subjektive Überzeugung in die Richtigkeit und Daten-Wahrheit von Handlungen und Beziehungsstrukturen. Manche Prüfer entwickeln ein Gespür für Inseriositäten bei den Unternehmern und Managern. In ihm steckt das nicht quantifizierbare Rest- Risiko einer Nichtstimmigkeit. Es gilt deshalb, auf Grund von Erkundungen, dieses Risiko zu mindern, zumal es Basis von Einschätzungen in die Vertrauenswürdigkeit von Unternehmensdaten ist. Weder durch statistische, möglicherweise nicht gesamt-repräsentative Stichproben noch durch psychische Teste ist das Vertrauen sicherbar[25]. In einzelnen Wirtschaftsbereichen ist es sogar ein schützenswertes Rechtsgut, Vertrauensbruch wird geahndet. Die zweckmäßige Vorgehensweise zum Erreichen eines erforderlichen Vertrauensgrades ist der „Kunst“, dem Können und der Erfahrung des Prüfers überlassen[26].
Die Analyse eines Unternehmens ist zugleich eine System-Analyse. Der Wirtschaftsprüfer handelt als Teil einer Unternehmensüberwachung und muss sich deshalb dort über den Ist-Zustand eingehende Kenntnis verschaffen, insbesondere über die Stellen innerhalb der Organisation, die Datenobjekte erzeugen und deren Funktionen und Beeinflussungen[27]. Im Einzelnen hat er eine objektorientierte Analyse durchzuführen, denn die Rechnungsbelege können Datenobjekte sein. Zusätzlich muss eine ablauforientierte Analyse erfolgen, weil hier die Funktionen über Personen ausgeführt werden, die wechseln und mehr oder unsicher sein können. Im erweiterten Sinne müssen auch die Veranlasser von Aufgaben und Funktionen mit ermittelt werden. Es kann auch erforderlich sein, die Kontroll-Systeme[28] einzubeziehen. Am besten wird das ganze computermäßig, ggf. über entsprechende Modelle erarbeitet, so dass man die einzelnen Vorgänge der Geschäftsprozesse im Unternehmen jederzeit nachvollziehen oder rückverfolgen kann. Diese Arbeit muss dem Grunde nach auch ein Staatsanwalt tun, wenn er den Vollbeweis für eine kriminelle Handlung erbringen will. Selbstverständlich müssen sowohl die Modelle als auch die Objekte sicher und möglichst ohne Fehler sein.
Im Allgemeinen hat ein Unternehmensgebilde eine feste bzw. vorgegebene Struktur in der Organisation, einen so genannten Aufbau der hierarchisch gegliederten verschiedener Ebenen vom obersten Management bis zum letzten Ausführenden. Die Weisungen an Untergebene erfolgen von oben nach unten. In den relevanten Informationsflüssen innerhalb des Unternehmensgebildes sollten Rückmeldungen über ausgeführte Prozesse zur oberen Informations-Ebene enthalten sein. Diese sind nach den Regeln gegenwärtigen Wissensstandes bei der Absicht einer Analyse des Gebildes oder von Teilen davon einwandfrei festzustellen, bevor die einzelnen Funktionszusammenhänge bzw. die zugehörigen Werte beurteilt werden[29]. Zur Analyse bildet man alle Vorhaben z.B. mit Hilfe moderner Informationstechnik modellhaft ab, um den Sachverhalt der Vorgänge in seinen Beziehungen zu erkennen. In ähnlicher Weise arbeiten Unternehmensberater. Sie reduzieren komplexe Prozesse auf einfache und ohne großen Denk-Aufwand durchschaubare Verhältnisse. Darüber hinaus wird das gleiche Prinzip der Abbildefähigkeit für den (genormten) elektronischen Geschäftsverkehr[30] mit Unternehmen außerhalb benutzt, so dass man ein Gesamtbild des Unternehmensgebildes erhält. Eine Besonderheit stellen wachsende Unternehmen mit Konglomeraten sich laufend veränderten Sub-Gesellschaften[31] dar, also Unternehmensgebilde mit gleitender Struktur und Personal-Verantwortung. Hierfür sind anpassbare Modelle vorteilhaft. Bei der Analyse der Informationsflüsse kann eine Vor-Ort-Analyse des Entstehens der Daten zwingend erforderlich sein, um Vertrauen in deren „Wahrheit“ zu gewinnen und eine Rückverfolgung zu ermöglichen. Oft fällt eine solche Analyse der Rationalisierung des Prüfers zum Opfer.
Eine Reihe von großen Prozessen der Wirtschaftskriminalität lehren die Schwierigkeiten, den tatsächlichen Hergang und Datenfluss aufzuklären. Die Staatsanwaltschaft geht zwar mit großer Energie und Aufwand dem nach, aber der Beweis muss für den Prozess sicher sein. Der Anfangs- oder der verdichtete Täter-Verdacht der Anklage kann in der Hauptverhandlung aber nur streitfrei bleiben, wenn seine Daten-Grundlage einwandfrei und auch der Öffentlichkeit gegenüber klar demonstrierbar ist. Im Löbbert-Prozeß war eigentümlich, dass das Gesamtunternehmen schon in der Struktur mit seinen verzweigten Aktiengesellschaften und deren Töchtern (Gesellschaften mit beschränkter Haftung) von dem anklagenden Staatsanwalt für Wirtschaftskriminalität nur bruchstückhaft rekonstruiert war. Die Löbbert-Gruppe[32] bestand aus einer Vielzahl von Teilen, so von Konzernen ähnlichen Aufgabengebietes, aber auch davon abweichenden und darüber hinaus noch so genannten privaten Eigentümer-Gesellschaften unterschiedlichster Zielsetzung. Die Beziehungsstrukturen waren undurchsichtig. In der Hauptverhandlung wurden Zeugen System-Diagramme gezeigt, in der sie sich nicht wieder fanden. Es fehlten offenbar Gesellschaften oder Daten. Auch die Dynamik der Eigentümer- und Vorstands- sowie Geschäftsführer-Verhältnisse[33] war anscheinend nicht vollständig ermittelt und war als Schaubild nicht für die Öffentlichkeit verfügbar. In den zahlreichen Töchtern wurden nach den Handelsregister-Eintragungen[34] z.T. kurzfristig die Geschäftsführer ersetzt oder gewechselt, so dass die Kontinuität des Geschäftswesens nur bedingt gewahrt war[35]. Einige Geschäftsführer kannten nicht einmal ihre Pflichten und Aufgaben. Sie hatten ihren Vertrag blind unterschrieben. In der Regel gab es zwei, einen für das „operative“ Geschäft z.B. als Entsorgungsunternehmen, einen weiteren für das kaufmännische Geschäft. Manche Geschäftsführer waren in mehreren Gesellschaften verantwortlich, konnten aber wegen ihrem schmalen Wissen nur eigentümergerecht eingesetzt sein. Als durchgängiges Merkmal scheint keine Querinformation zwischen den Geschäftsführern erlaubt und praktiziert zu sein[36]. Die buchhalterischen Erledigungen erfolgten in einer völlig abgetrennten Buchhaltung-Hierarchie von oben bis zur einfachen Buchhalterin unten. Unter diesen Kautelen scheint ein bedingungsloses Vertrauen für einen kritischen Prüfer nicht gerechtfertigt[37].
In seiner Aussage vor der Strafkammer erklärte Dieter Löbbert, einer der beiden Brüder (≡ Eigentümer), dass er selbst die Kontrollfunktion wahrgenommen und eine Kontroll-Abteilung wie z.B. großer Konzerne als unnötige Verwaltung angesehen habe. Andererseits gab es eine zentrale Konzernbuchhaltung[38] und Finanzabteilung[39], die unmittelbar unter ihnen installiert war, u.a. auch die Ausgabe der verfügbaren Mittel (Kredite) nach Auswahl innerhalb des Unternehmensgebildes verteilte. Der als Kontrollorgan in einer Aktiengesellschaft fungierende Aufsichtsrat übte nach Zeugenaussagen nur eine unvollkommene Kontrolle aus, was z.B. die kurzfristige Sitzungs-Vorlage der Unternehmensdaten dokumentiert. Als Prozessbeobachter ist man nicht in der Lage, diese Aussagen auf ihren Objektiv-Gehalt zu überprüfen. Interessant waren die Äußerungen von Zeugen über Sitzungen des oberen Managements (TopTen) nach der ersten staatsanwaltlichen Durchsuchung Anfang 1998, denn hier wurde die dadurch hervorgerufene Situation besprochen und es wurde nachkontrolliert. Vorstandssitzungen der Aktiengesellschaften soll es – zumindest im sonst üblichen Sinne - nicht gegeben haben.
Von großer Bedeutung für die Klassierung der Angeklagten ist die Funktion der Eigentümer als Täter oder Mittäter. Für das innerunternehmerische Vertrauen sind die zwischenmenschlichen Beziehungen entscheidend. Anhand der extrahierten Praxis in der Personalpolitik des Löbbert-Unternehmens – wie sie von Untergebenen geschildert wird – ergibt sich die herausragende Stellung der Eigentümer[40], die mit dem Fachausdruck juristischer Sprache als „faktischer Vorstand“ charakterisierbar ist.. Es gibt darüber hinaus scheinbar Situationen, bei denen der Vollzug ihrer Quasi-Weisung durch Erpressung, der Drohung des möglichen Arbeitsplatzverlustes[41] erzwungen wurde, insbesondere bei dem Teil des Nachlasses der alten SERO-Sammel-Einrichtung der DDR. Dort war zwar die Hoffnung geweckt, dass die alte Idee höchster Verwendung verwertbarer Rohstoffe sich durchsetzen würde und man eine Lebensstellung innehätte, andererseits aber die Erfahrung von Arbeitslosigkeit demontierter DDR-Unternehmen. Für einen Beamten (Strafkammer, Staatsanwaltschaft) mag dies eine etwas merkwürdige und psychologisch schwer einschätzbare Situation sein. Einige – bereits Verurteilte – wussten bei ihrer Zeugenvernehmung nicht, warum und für welche Taten sie verurteilt worden sind. Sie wollten bloß von dem Damokles-Schwert der Brandmarkung und Vernehmung befreit sein. Eine Weiterexistenz war den Untergebenen wegen der Verhaftung des gesamten oberen Managements höchst unsicher. Sie äußerten sich in der Hauptverhandlung vorsichtig: sie seien nicht – oder wenigstens nicht nachweisbar – bei ihren bisherigen Vernehmungen unter Druck gesetzt worden. Die menschliche Einschätzung solcher Haltungen sollte nur der dementsprechend Lebenserfahrene vornehmen.
Die Einsetzung eines Bankiers als Generalbevollmächtigten durch die Ehefrauen der Gebrüder Löbbert, der sich später seinen Vertrag selbst verlängert, nahm den Gebrüdern die Lenkung des Gesamt-Unternehmensgebildes[42]. In der Erwartung eines Kenners der Materie lag ein Zerfall oder eine Verwertung nahe und demgemäß die Richtung des Führungsverhaltens jenseits eines nüchternen Investitionsgüter-Marktforschers. Die Wirtschaftsprüfer scheinen die vorherige Struktur und Gegebenheiten nicht bemerkt zu haben[43], den jetzt beauftragten Unternehmensberatern fehlte das geeignete und qualifizierte Können. So gehörte binnen zwei Jahren das Unternehmen anderen bzw. war liquidiert. Eine Reihe von Arbeitnehmern wurde arbeitslos.
[...]
[1] Begrifflich als individueller Glaube, in nicht überschaubaren Komplexen durch rationale Abwägung anhand von Erfahrensparametern entstanden, als Vertrauensbereich in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, in der Rechtsprechung z.B. durch missbrauchtes Vertrauen definiert.
[2] S. www.grin.com. Das adlige Geschlecht derer von Herda. 2006. Kapitel 9. Die adelige Wirtschaft.
[3] Vgl. hierzu § 316 HGB.
[4] Schulze zur Wiesche, Dietrich Wilhelm. Grundsätze aktienrechtlicher Jahresabschlußprüfung. Düsseldorf. 1963. S.39-48 und Meisel, Bernd S. Geschichte der deutschen Wirtschaftsprüfer. Köln: Schmidt. 1992.
[5] Kammer
[6] Wahl, Adalbert. Wiedergewinnung von Vertrauen in die Arbeit des Wirtschaftsprüfers. Vortrag 2. Hamburger Revisionstagung 2003. www.wpk.de/aktuell/nachricht_06_08_2003.asp
[7] S. Quick, R. a.a.O. S. 272, 291 (Geschichte der Korrektur-Buchungen). Argument eines Wirtschaftsprüfers im Prozeß vor dem LG MS, „es lag ein Anlaß zu Misstrauen vor.“
[8] Erle, Bernd. Der Bestätigungsvermerk des Abschlußprüfers. Düsseldorf. 1990. Das Testat bescheinigt „nur“ die Einhaltung der gesetzlich normierten Grenzen, jedenfalls gilt dies für die Mehrheit der Wirtschaftsprüfer.
[9] Reuss, Udo. Berufsaufsicht muß erweitert werden, Wirtschaftsprüfer-Skandale www.consultant.de 10/2002, Ausspruch vom Geschäftsführer der Wirtschaftsprüferkammer, Dr. R.J. Veidt. Vgl. auch Aussage von IDW, Vorstandssprecher Prof. Dr. Kl.-P. Naumann, ebda. „sachverhaltsgestaltende Maßnahmen“.
[10] Auch großer, z.B. KPMG, die Jahre danach den Bestätigungsvermerk Flowtex zurückziehen und in einer Goodwill-Aktion 100 Mill. als Schadens-Minderung zur Verfügung stellen.
[11] Vgl. hierzu: Starcevic, Slavisa. Möglichkeiten und Grenzen der Aufdeckungen und Prävention von betrügerischen Handlungen des Managements im Rahmen der handelsrechtlichen Jahresabschlussprüfungen. Diplom-Arbeit Universität Essen. 2001. www.grin.com. Nr. 7322, 446 kB. An der HfB, Business School of Finance & Management, Ffm. gab es am 28.10.2005 sogar einen Praxis-Workout über die Thematik: Wie kann ein Wirtschaftsprüfer Kriminalitätshandlungen erkennen? Auch bestehen Bestrebungen zu einem „Enforcement der Rechnungslegung“, aber über die erreichbare Effektivität und Prävention sind die Ansichten verschieden.
[12] Universität Würzburg, Prof. Dr. H. Lenz, s. Reuss, 2002 www.consultant-magazin.de
[13] Andere Delinquenzen wie aus Umweltstrafrecht, Arbeitsrecht usw. bleiben dann außen vor.
[14] 9. Strafkammer, Az. 9 Kls 6/01, begangen 1993-1998, Anklageschrift 2001/03, Hauptverhandlung ab 2004.
[15] Vgl. in der BRD Balsam-, Flowtex-Prozeß. So genannte gezielt vom obersten Management organisiert erstellte „Luftrechnungen“. S. www.recherchieren.org/view.php?glikey=90. Vgl. auch: Brill, Nina. Schneider, Balsam und die Folgen – was können Aufsichtsräte und Abschlussprüfer gemeinsam tun? FH für Oekonomie & Management, 2002. www.grin.com, Nummer V 13519.
[16] Löbbert-Prozess, Materialien in Kapitel 12, Teil 2 auf CD, siehe www.familie-rabich.de. Vgl. Ott, Michael. Löbbert-Prozess geht ins zweite Jahr. Hamburger Morgenpost vom 07.01.2005.
[17] Vgl. hierzu Oberstaatsanwalt Dr. Hans Richter, Staatsanwaltschaft Stuttgart. Erfahrungen bei der Strafverfolgung auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität. www.lpb.bwue.de/publikat/grenzlos/erfahr.htm. Abschn.3.1
[18] Quick, Reiner. Die Risiken der Jahresabschlussprüfung. Düsseldorf. IDW 1996. [Habilitation Universität Mannheim]. Auch: Higgen, Klaas. Aufbau und Einsatz eines Risikomanagementsystems als Instrument zur Verhinderung von Bilanzdelikten und dolosen Handlungen. Institut für Wirtschaftsprüfung und Steuerwesen, Lehrstuhl Prof. Dr. C.-Chr. Freidank, Universität Hamburg. Seminararbeit vom 04.01. bis 24.03.2006.
[19] Quick, R.1996, a.a.O. S. 237/238
[20] Besonders bei unsicherer Effektivitäts-Analyse, s. Kroneberger, Wolf. Die Auswertung des Internen Kontrollsystems im Rahmen der Jahresabschlussprüfung. Wirtschaftsprüfung und –recht, Beiträge 75j. TVA. Stuttgart, 1980, S. 201-234
[21] Geyer, Horst, Über die Dummheit. Wiesbaden, VMA. 1954 (10. Auflage 1965, Nachdrucke 1988, 1999) zitiert S. 151 Papst Julius III. (1550-1555): Weiß Du nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird?
Vgl. auch Streufert, Siegfried. Dummheit hat Zukunft. www.big-foot.de/dummheit_hat_zukunft.htm.
[22] Quick, R. 1996. a.a.O. S. 188, 201/202, ggf. der Bezug die Bilanzsumme.
[23] Historisch bereits belegt im McKesson & Robbins-Fall 1938, wo über Jahre fiktive Geschäfte über gefälschte Dokumente in das Rechnungswesen eingeschleust wurden. Vgl. Quick, R. 1996. a.a.O. S. 262-269.
[24] Siehe hierzu Anklageschrift Löbbert StA Bielefeld - 6 Js 413/97- , S.582 und KPMG Gutachten, S. 584ff.
[25] Von der Wechselwirkung zwischen Auftraggeber und Prüfer sei hier abgesehen.
[26] Verfasser war jahrzehntelang für die Prognose von Unternehmensentwicklungen kompetent, er leitete auch eine Stabsstelle in einem Konzern der Investitionsgüter-Produktion. Für die höhere Gewissheit wurden auch persönliche freie Interviews mit den obersten Managern und den leitenden Angestellten geführt.
[27] S. Spitta, software engineering, Systembildung und –abgrenzung. www.wiwi.uni-bielefeld.de/~Spitta.
[28] Hierzu: Qualitäts-Sicherungssysteme.
[29] Gärtner, Michael. Analytische Prüfungshandlungen im Rahmen der Jahresabschlu0ßprüfung. Grundsatz ordnungsgemäßen Abschlusses. Marburg. 1994. Zur Prüfung gehört auch die Vergewisserung, ob körperliche oder Vor-Ort-Analysen erforderlich sind und Buchungsdaten der Wirklichkeit entsprechen.
[30] Z.B. mit EDIFACT. Verfasser war Mitglied im relevanten DIN-Ausschuß.
[31] In Kapitel 10, Teil 2, s. CD, www.familie-rabich.de sind Tabellen und Übersichten vorhanden.
[32] Zuletzt 1998 etwa 350 Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter oder Mehrheitsaktionäre die Gebrüder Löbbert, Dülmen waren. Die Struktur war nicht konstant, sie wurde durch Aufkäufe zu einer Aggregation.
[33] Einschließlich ihrer Beziehungs-Motivation zu den Eigentümern.
[34] Nach Auskunft der HR-Stelle beim Amtsgericht COE lag keine Anfrage der Staatsanwaltschaft vor. Der Verfasser hat entsprechende Daten aus dem Bundesanzeiger (über Internet GBI) ermittelt.
[35] Das fiel sogar dem eintragenden Amt im Amtsgericht auf. Gilt für die SERO und die LOESCH AG.
[36] Einige Zeugen behaupten, eine solche sei von den Eigentümern verboten gewesen.
[37] Ob man das Aufdeckungsrisiko quantifizieren kann, erscheint unter solchen Umständen fraglich. Vgl. Diehl, Carl-Ulrich. Risikoorientierte Abschlussprüfung, Gedanken zur Umsetzung in der Praxis. Deutsches Steuerrecht 31(1993) S. 1114-1121.
[38] In Abhängigkeit von der Unternehmensentwicklung, so in Berlin und später in Dülmen (Wewers).
[39] Mit einer gewissen Überwachungsfunktion der Liquidität und der Engpässe bei den Gesellschaften. Zugleich Vermögensverwalter der Gebrüder Löbbert.
[40] Oder Mehrheitsaktionäre.
[41] Belegt durch mehrere Zeugenaussagen und durch die Arbeitsgerichtsprozesse, die die große Rechtsabteilung zu erledigen hatte.
[42] Europäische Müllentsorgung EWS.
[43] Ein Steuerberater – und letztlich auch Berater der Gebrüder – wurde sogar Treuhänder/Geschäftsführer in einem abfallrechtlich bedenklichen Verbrennungs-Unternehmen (Anlage für Sonderabfälle).
- Quote paper
- Dr.-Ing. Adalbert Rabich (Author), 2006, Der Wirtschaftsprüfer und seine Datenbasis. Sachverhalt der Bilanzfälschung und Kreditbetrug in einem komplexen Unternehmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61092
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