Die literarische Einordnung von Petrons Satyrica


Term Paper (Advanced seminar), 2002

27 Pages, Grade: sehr gut


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Inhalt

1. Einleitung

2. Roman – Satire – Parodie? Einordnungskriterien
2.1 Titel
2.2 Motive
2.3 Sprache
2.4 (Vers-) Einlagen
2.5 Handlungsführung
2.6 Moralisierung
2.7 Realität/Irrealität

3. Beziehungen zu anderen literarischen Gattungen/Traditionen
3.1 Schelmenroman und Iolaos-Papyrus
3.2 Epos
3.3 Griechische Novelle
3.4 Mimus
3.5 Symposion-Literatur

4. Schluss

Textausgaben

Literatur

1. Einleitung

Petrons Satyrica haben in der Forschung immer wieder die Frage aufgeworfen, zu welcher literarischen Gattung dieses Werk gehört. Schwierigkeiten der Einordnung ergeben sich aus dem Fehlen eines genau entsprechenden Werkes, der Tatsache, dass verschiedene literarische Gattungen in Frage kommen, und aus dem fragmentarischen Zustand der Satyrica.

Einen ersten Ansatz zur literarischen Einordnung lieferte E. Rohde:[1] Er nahm die dichterischen Einlagen zur Grundlage und versuchte daraus den literarischen Charakter des Werkes zu erklären. Er sah in Petrons Werk aufgrund der Vermengung von Prosa und Versen eine menippeische Satire. Rohde betrachtete Petrons Satyrica als spezifisch lateinisches Literaturprodukt, unabhängig von der Entwicklung des griechischen Romans.

Einen entgegengesetzten Ansatz unternahm R. Heinze:[2] Er nahm an, dass ein ernsthafter griechischer Liebesroman bereits vor Petron existierte (Rohde hingegen datierte die frühesten griechischen Romane in das 2. Jh. n. Chr.). Heinze nahm zugleich an, dass auch ein parodistisches Gegenstück zum griechischen Liebesroman bereits vor Petron vorlag. Diese Parodie hätte Petron aufgegriffen und in die Form der menippeischen Satire gebracht.

Für Heinzes Theorie sprechen Papyrusfunde (Fragmente des Ninos- und Charitonromans), die die Aussage bekräftigen, dass der griechische Roman Petron vorausgeht. Ob auch bereits eine Romanparodie vor Petron anzusetzen ist, ist zu fragen.

Mit diesen beiden Forschungsansätzen sind die wesentlichen Erklärungslinien für den literarischen Charakter der Satyrica benannt: Die erste erklärt Petrons Werk aus der lateinischen Literatur (Satire), die zweite aus der griechischen Literatur (Roman).

Zwischen den Parametern Roman, (menippeischer) Satire und Parodie wird sich die Argumentation bezüglich der literarischen Einordnung bewegen, die mit Hilfe von Einordnungskriterien systematisiert wird.

Desweiteren sollen Beziehungen der Satyrica zu anderen literarischen Gattungen und Traditionen gesucht werden (komischer Roman, Epos, griechische Novelle, Mimus, Symposion-Literatur). Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Erschließung und Interpretation des Iolaos-Papyrus. Ausgehend von diesem Papyrus soll die Frage erörtert werden, ob die Satyrica in einer bis dahin nicht zu beweisenden Tradition des Schelmenromans stehen.

2. Roman – Satire – Parodie? Einordnungskriterien

2.1 Titel

Der Titel Satyrica gibt Hinweise auf die literarische Einordnung Petrons. Er erscheint als spielerische Abwandlung von Romantiteln wie z.B. den Ephesiaka des Xenophon oder von Geschichtswerken (Assyriaka).[3] Aber auch Novellen (Milesiaka) kommen in Betracht.

Mit dem Titel Satyrica wird zugleich eine Aussage getroffen über das Leben der Hauptpersonen: Sie führen ein satyrhaftes Leben und leben damit in einer von Komik geprägten Welt. Betrachtet man das Satyrspiel der nachklassischen Zeit, so lässt sich dort darüber hinaus auch beißender Spott feststellen. Mit Satyrn brachte man Spott in Verbindung . saturikos bedeutet „schalkhaft“, aber auch „satirisch, spottend.“[4] Perry hingegen sieht weder eine etymologische noch sonst eine Verbindung zu den satirae.[5]

Wie auch immer der Titel zu lesen ist,[6] kann man vielleicht den Titel mit der Satire in Verbindung bringen (zumindest „schwingt“ die Satire mit) und zwar mit der ganzen Bandbreite der römischen Satire . Die bunte inhaltliche und sprachliche Fülle und die satirische Intention sprechen für einen Bezug zur satura.

Es ist m. E. wahrscheinlich, dass Petron den Titel Satyrica bewusst gewählt hat, um das Beziehungsgeflecht zu verschiedenen literarischen Gattungen und Bedeutungsnuancen zum Ausdruck zu bringen.

2.2 Motive

Die in den Satyrica verwendeten Motive lassen eine Verbindung zum griechischen Roman und zur Satire zu:

Sowohl im traditionellen griechischen Liebesroman als auch bei Petron ist ein Liebespaar gegenwärtig. Bei Petron bilden Encolp und Giton das Liebespaar. Das Liebespaar erlebt Abenteuer (jedoch führen bei Petron die Protagonisten ihr Schelmendasein freiwillig, die Helden der Romane erleben ihre Abenteuer unfreiwillig[7] ). Es leidet unter dem Einfluss einer feindlichen Gottheit, wie überhaupt im Liebesroman und bei Petron Tyche/Fortuna eine große Rolle spielt. Das Liebespaar muss sogar lebensgefährliche Abenteuer wie Schiffbruch oder Seesturm überstehen, wird von Ort zu Ort getrieben, wird z.B. durch Entführung getrennt und ist erotischen Versuchungen ausgesetzt, die jedoch im Liebesroman letzten Endes abgewehrt werden. Es fließen Tränen und es kommt zu Selbstmordversuchen. Gemeinsame Elemente sind Liebesklagen des Helden, das gemeinsame Sterbenwollen und Eifersuchtsszenen. Verbindende Elemente gibt es auch im Bereich der Rhetorik: pathetische Monologe, Gerichtsverhandlungen. Hinzu kommen Ekphraseis, Gnomen und die Beschreibung von Gemälden.[8]

Die Betrachtung der gemeinsamen Motive lässt bereits erkennen, dass die Beziehung Petrons zum Roman unzweifelhaft ist. Diese Aussage wird von den meisten Forschern gestützt. Zu beachten ist jedoch, dass der Roman selbst sich aus verschiedenen Gattungen zusammensetzt. D.h., gemeinsame Motive bei Petron und im Roman können auch von älteren Vorbildern stammen. Vorgetäuschte Selbstmordversuche z.B. gibt es in der Komödie, Sturmbeschreibungen und Schiffbruch im Epos, und manche Züge Encolps lassen sich von Odysseus herleiten.[9] Ob also alle Romanmotive, die bei Petron Beachtung finden, wirklich aus dem Roman stammen, ist kaum zu klären.

Petron arbeitet zwar mit den Elementen und Motiven des griechischen Liebesromans, aber er hat sie nicht einfach übernommen, sondern er variiert sie. Ein deutlicher Unterschied Petrons zum griechischen Roman liegt in der parodistischen Tendenz der Satyrica. Diese manifestiert sich besonders in der Wahl eines homosexuellen Liebespaares. Die Erklärung der Satyrica als Parodie auf den griechischen Liebesroman ist die Theorie Heinzes (s.o.). Diese wurde in der Forschung nicht kritiklos aufgenommen: Die Gattung des Romans sei in Rom zu wenig bekannt gewesen, als dass sich eine Parodie gelohnt hätte.[10] Das Publikum habe an der Homosexualität des Liebespaares keinen Anstoß genommen.[11] Homosexualität sei auch in anderen Romanen ohne ausdrückliche Kritik zu finden.[12]

Meiner Meinung nach lässt sich die These, dass der griechische Liebesroman parodiert wird, dennoch aufrecht erhalten. Dies wird bereits bei der Betrachtung der handelnden Personen deutlich: „Schlechte Kerle sprechen und agieren wie Heroen, vergleichen sich selbst mit Helden.“[13] Selbst wenn Homosexualität in Rom keinen Anstoß erregte, ist die Verbindung Petrons zum Roman aufgrund der genannten Motive zu eindeutig und die Wahl eines homosexuellen Liebespaares wirkt dann sehr komisch. Ein weiteres Argument ist die Tatsache, dass in keinem Roman sonst die Protagonisten homosexuell sind. Das Motiv der Knabenliebe spielt nur episodenhaft hinein. Z.B. ist bei Xenophon von Ephesos eine kürzere Novelle eingeschoben (3,2), in der ein Mann von seiner tragischen Liebe zu einem Knaben berichtet, der ihm durch Tod entrissen wurde.

Die erotischen Partien weisen gewiss eine Nähe zum Roman auf. Aber die Art, wie das Liebesthema behandelt wird, lässt die Satyrica als Parodie erscheinen. Gefühlsausbrüche wegen Trennung oder aus anderen Gründen und ebenso Selbstmordversuche werden so übertrieben dargestellt, dass man sie als ironische Umdeutung der Romanmotive betrachten kann.[14]

Als eindeutigen Beweis für eine Parodie sehe ich die Behandlung des Themas Treue an. In griechischen Romanen sind die unverbrüchliche Treue und die Keuschheit der Helden oberstes Gut. Es kommt zwar zu Versuchungen, aber diese werden im letzten Moment abgewehrt. Nach Wehrlis Auffassung interessieren die Reise- und Abenteuergeschichten in den Romanen den Erzähler nicht, sie liefern Rohmaterial für die Verherrlichung einer alle Widerstände überwindenden Liebe.[15] Wie dem auch sei, bei Petron liegt das Gegenteil vor. Die Treulosigkeit der Liebhaber ist eklatant. Dies gilt für Giton, Encolp und andere. Stubbe behauptet, die eigentliche Romanhandlung bestehe (abgesehen von Reiseabenteuern und Streichen) in einem erotischen „Reigen“. Durch einen ständigen Wechsel der erotischen Beziehungen gewinne der Roman seine Wirkung.[16] Zu dem Urteil, dass es sich um einen „pikarischen“ Roman handelt, kommt auch Macrobius (ca. 400 n.Chr.). Er bezeichnet Petrons und Apuleius` Romane als argumenta fictis casibus amatorum referta (Macr. somn. 1, 2, 8). M.E. darf das Motiv der Erotik bei Petron aber nicht überbewertet werden. Der Liebesroman gewinnt seine innere Spannung aus dem Verhältnis der Liebenden zueinander, dagegen ist Giton nur für kurze Zeit von Encolp getrennt.[17] Das Liebesmotiv spielt hier episodenhaft hinein. Zudem ist die Liebe zu Giton gar nicht so entscheidend in Anbetracht der Tatsache, dass Encolp auch heterosexuellen Neigungen nachgeht. Bei den erotischen Partien handelt es sich insgesamt um „kunstvoll stilisierte Partien mit erotischen Motiven, angefüllt mit Deklamationen und literarischen Anspielungen, wobei Ironie und Parodie ihre Wirkung entfalten und die Pointe gesucht wird. Diese Teile sind zudem in ihrer Wirkung weitgehend auf sich selbst beschränkt.“[18]

[...]


[1] Rohde, S. 266f.

[2] Heinze, S. 417ff.

[3] Perry, S. 191f.

[4] Petersmann (1986), S. 389.

[5] Perry, S. 192.

[6] Eine Diskussion zur Titellesart ist hier nicht beabsichtigt.

[7] Petersmann (1986), S. 393

[8] Heinze, S. 417ff., ein kurzer Motivkatalog mit Bezugstellen bei Schönberger, S. 16.

[9] Sullivan, S. 96.

[10] Schönberger, S. 17.

[11] Sullivan, S. 96.

[12] Wehrli, S. 136f.

[13] Schönberger, S. 12.

[14] Adamietz, S. 332f.

[15] Wehrli, S. 136.

[16] Stubbe, S. 10f.

[17] Sullivan, S. 95.

[18] Adamietz, S. 334.

Excerpt out of 27 pages

Details

Title
Die literarische Einordnung von Petrons Satyrica
College
University of Osnabrück  (Literatur- und Sprachwissenschaften - Latein)
Course
Petron
Grade
sehr gut
Author
Year
2002
Pages
27
Catalog Number
V6158
ISBN (eBook)
9783638137966
ISBN (Book)
9783656741824
File size
503 KB
Language
German
Keywords
Latein, Petron, Satyrica, Literatur, Roman, Satire
Quote paper
Andreas Gohmann (Author), 2002, Die literarische Einordnung von Petrons Satyrica, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6158

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