Die thukydideische Rede des Athenagoras (6, 36 - 41) in der syrakusanischen Volksversammlung von 415 v. Chr.


Seminar Paper, 2000

23 Pages, Grade: Sehr gut (1,3)


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die thukydideischen Reden und die Verfassungstypologie
2.1 Verfassungsbegriff und Verfassungstheorie bei Thukydides
2.2 Probleme der Interpretation thukydideischer Reden
2.3 Die Herausbildung einer Verfassungstypologie

3. Die syrakusanische Volksversammlung von 415 v. Chr
3.1 Die innenpolitische Situation in Syrakus zu Beginn der Sizilschen Expedition
3.2 Darstellung der Rede des Hermokrates
3.3 Darstellung der Rede des Athenagoras
3.4 Analyse und Interpretation

4. Zusammenfassendes Resümee

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beabsichtigt, die thukydeische Rede des Athenagoras

(6, 36-40) vor dem Hintergrund des politischen Denkens in Syrakus um 415 v. Chr. genauer zu untersuchen und ihre Bedeutung und Funktion für das Gesamtwerk des Historikers aufzuzeigen. Anhand dessen ist zu versuchen mögliche Rückschlüsse zu ziehen, die die Stellung des Thukydides in der von seinen Zeitgenossen lebhaft geführten Debatte über die Verfassungsformen näher beleuchten könnten.

Ein solches Vorhaben ist, zumal in diesem Umfang, notwendig begrenzt, da die Argumentationsweisen der diesbezüglich erschienenen Literatur stark divergieren.

Weder in der Bewertung der „Verfassungsrede“[1] des Athenagoras, noch in der Beurteilung der politischen Haltung des Thukydides haben die verschiedenen Forschungsrichtungen auch nur annähernd einen Konsens erzielen können.

Zudem ist durch die Fülle an Literatur, die hier nicht gänzlich berücksichtigt werden konnte, und die Reichhaltigkeit an Problemstellungen, die diese Thematik impliziert, eine nahezu unzulässige inhaltliche Einschränkung dieser Arbeit unumgänglich.

Die o.g. Rede des Athenagoras vor der Volksversammlung in Syrakus soll im Zentrum dieser Untersuchung stehen. Daraus ableitend und unter Beachtung des relevanten Kontextes, in den die Rede eingebettet ist, werden komplexere Fragestellungen aufgeworfen und zumindest ansatzweise entwickelt.

Ein methodisches Problem, das trotz seiner Evidenz in dieser Arbeit noch kurze Erwähnung finden sollte, liegt darin, daß man die Reden des Thukydides nicht ohne weiteres als seine Meinungsäußerungen verstehen darf. Klare bejahende Kommentare zu seinen Reden äußert Thukydides höchst selten. Eine Ausnahme bilden die Reden des Perikles, der, wie der Leser weiß, in der Gunst des Historikers stand.

Als Basis für diese Arbeit diente dem Verfasser die erst kürzlich erschienene Monographie Hartmut Leppins über die Verfassung der antiken Polis im Werk des Thukydides. Darüber hinaus wurde auf einige vorwiegend in englischer Sprache

erschienenen Monographien und Aufsätze zurückgegriffen, von denen namentlich der Aufsatz von Edmund F. Bloedow erwähnt werden soll.

Sämtliche Titel der verwendeten Literatur sind in einer Literaturliste abgebildet. Darüber hinaus lag dem Verfasser das Werk des Thukydides in der Übersetzung von Helmuth Vretska vor[2].

Bei Quellenangaben im Text wird, der Kürze wegen, der Nachname des Verfassers und das Erscheinungsjahr seiner Publikation vermerkt.

2. Die thukydideischen Reden und die Verfassungstypologie

2.1 Verfassungsbegriff und Verfassungstheorie bei Thukydides

Will man den Zusammenhang zwischen einer von Thukydides in sein Werk verflochtenen Rede und dem darin sich widerspiegelnden Plädoyer für oder wider eine bestimmte Verfassungsform genauer untersuchen, ist es ratsam sich im Vorfeld darüber zu vergewissern, was der neuzeitliche Begriff „Verfassung“ entsprechend dem für die Antike eingeführten Sprachgebrauch überhaupt leisten kann. Der Begriff der Verfassung meint dabei nicht ein institutionalisiertes, schriftlich niedergelegtes Normengefüge im Sinne des deutschen Grundgesetzes. Vielmehr bezieht er sich „auf die gesamte innere Struktur einer Polis, soweit sie für deren politisches Handeln relevant ist“[3].

Neben der schon in der Einleitung erwähnten Gefahr, den Autor mit seinem Redner zu identifizieren, ist besonders zu berücksichtigen, daß Thukydides kein politisch-theoretisches Werk geschrieben hat. Es handelt sich bei seinen acht Büchern vielmehr um eine Kriegsgeschichte, in die seine Vorstellungen über Politik eingehen, soweit sie für sein eigentliches Thema fruchtbar gemacht werden konnten. Es ist also tunlichst zu vermeiden, „eine völlig geschlossene Staatstheorie aus dem Geschichtswerk des Thukydides herauszupressen [...]“[4].

Dies gilt verständlicherweise um so mehr, wenn anhand nur einer Rede aus seinem Werk der vorsichtige Versuch gewagt wird, politische Vorstellungen des Autors zu rekonstruieren[5].

2.2 Probleme der Interpretation thukydideischer Reden

Die Schwierigkeit der Einschätzung und Interpretation thukydideischer Reden stellt eine signifikante Kontroverse in der Thukydides- Forschung dar, dessen Argumente hier jedoch nicht entfaltet werden sollen.

An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, daß Thukydides selbst den wesentlichsten Beitrag zur Entschärfung dieser Diskussion leistet. In seinem berühmten Redensatz[6] erwähnt er die Schwierigkeit einer wörtlich- objektiven Wiedergabe der Reden und räumt ihre perspektivische Gebundenheit selber ein[7].

Außerdem ist unbestreitbar, daß Thukydides sich mit bestimmten Rednern einfach nicht identifizieren kann, denn es gibt, wie bei der Rede des Athenagoras, mehrere Fälle von Rede und Gegenrede.

Thukydides macht es seinem Leser in der Regel also nicht leicht, das subjektive Moment in seinen Reden zu fassen[8].

Dennoch, auch wenn die Aussagen der Reden nicht unmittelbar als Auffassungen des Thukydides gelten können, so können wir das subjektive Moment doch in der Komposition der „Logoi“ fassen, zumal es ja im Ermessen des Autors stand, wann, d.h. in welcher Situation, seine Personen Reden hielten. Darüber hinaus lassen sich daraus, daß bestimmte Fragen und Thematiken in einer oder sogar in mehreren Reden behandelt werden, Rückschlüsse darauf ziehen, welche Probleme Thukydides in das Bewußtsein des Lesers rücken wollte[9].

2.3 Die Herausbildung einer Verfassungstypologie

Bevor wir uns nun der Rede des Athenagoras vor der Volksversammlung in Syrakus zuwenden, und sie im Detail zu erläutern und interpretieren versuchen, scheint es sinnvoll noch einige Anmerkungen zum verfassungstheoretischen, politischen Denken in der Zeit des Thukydides zu machen.

Politisches Denken setzt voraus, daß die Herrschaftsordnung einer politisch organisierten Gemeinschaft als ein fortwährend dynamischer Prozeß, als veränderlich, erkannt und verstanden wird[10].

Dies war im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts v. Chr. schon lange der Fall. Man kann sich unschwer vorstellen, wie einschneidend das Erlebnis der Etablierung bzw. Beendigung einer Herrschaft von Tyrannen im archaischen Griechenland für Zeitgenossen gewesen sein muß. Darüber hinaus sei hier nur auf die Reformen des Solon und des Kleisthenes hingewiesen.

Solche Ereignisse mußten dem politisch aufmerksamen Zeitgenossen ins Bewußtsein rücken, daß der Aufbau einer Polis „keine dem menschlichen Handeln entzogene Größe“[11] darstellte.

Die begriffliche Differenzierung zwischen verschiedenen, konträren Verfassungsformen war zu Zeiten des Solons, also im beginnenden 6. Jahrhundert v. Chr., jedoch erst sehr gering ausgeprägt. Der Begriff der Eunomie, dies war das von den Göttern gesetzte und gewollte Prinzip, stand dem der Dysnomie oder Anomie, dem Chaos, gegenüber.

Man unterschied also zunächst lediglich zwischen der Wohlgeordnetheit und der Unordnung in der Polis, ohne einzelne politische Institutionen oder organisatorische Eigenheiten zu berücksichtigen[12].

[...]


[1] Ich habe diese Bezeichnung von Leppin der Kürze halber übernommen, auch wenn der Begriff den Sachverhalt einschränkt. Die Rede behandelt nicht ausschließlich die Verfassungsformen, was im folgenden noch zu zeigen sein wird (vgl. Leppin 1999, S. 82)

[2] Thukydides: Der Peloponnesische Krieg (Auswahl), Reclam Verlag, Stuttgart 1996.

[3] Leppin 1999, S. 7.

[4] ders., S. 15.

[5] obgleich es sich bei der Rede des Athenagoras um „die geschlossenste Darstellung einer Verfassungslehre“ handelt, „die sich bei Thukydides findet“, vgl. Leppin 1999, S. 91.

[6] vgl. Thk. 1,22,1: „Was nun in Reden beide Gegner vorgebracht haben, teils während der Vorbereitungen zum Krieg, teils im Krieg selber, davon den genauen Wortlaut im Gedächtnis zu behalten war schwierig, sowohl für mich, was ich selber anhörte, als auch für meine Zeugen, die mir von anderswo solche berichten. Wie aber meiner Meinung nach jeder einzelne über den jeweils vorliegenden Fall am ehesten sprechen mußte, so sind die Reden wiedergegeben unter möglichst engem Anschluß an den Gesamtsinn des wirklich Gesagten.“

[7] Zur Diskussion um die Reden vgl. Leppin 1999, S. 82, Anm. 1.

[8] vgl. Leppin 1999, S. 83. Es sei hier nur angemerkt, daß es möglicherweise sinnvoller ist, sich bei dem Versuch der Rekonstruktion des thukydideischen Denkens in erster Linie auf den narrativen Teil in seinem Werk zu stützen (vgl. Leppin 1999, S. 16f.). Vgl. dagegen die m. E. etwas naive Sichtweise bei Busolt, der der Auffassung ist, daß die „Subjektivität des Historikers [...] am meisten in den Reden zum Ausdruck“ kommt (Busolt 1904, S. 671).

[9] vgl. Leppin 1999, S. 17.

[10] vgl. ders., S. 20.

[11] ebd.

[12] vgl. ders., S. 21f.

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Details

Title
Die thukydideische Rede des Athenagoras (6, 36 - 41) in der syrakusanischen Volksversammlung von 415 v. Chr.
College
University of Cologne  (Historisches Seminar der Universität Köln)
Course
Einführungsseminar 'Der Peloponnesische Krieg'
Grade
Sehr gut (1,3)
Author
Year
2000
Pages
23
Catalog Number
V61665
ISBN (eBook)
9783638550765
ISBN (Book)
9783656784180
File size
529 KB
Language
German
Keywords
Rede, Athenagoras, Volksversammlung, Einführungsseminar, Peloponnesische, Krieg
Quote paper
Oliver Laschet (Author), 2000, Die thukydideische Rede des Athenagoras (6, 36 - 41) in der syrakusanischen Volksversammlung von 415 v. Chr., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61665

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