Merkmale und Funktionen der 'Traumbilder' in Ernst Tollers Drama 'Die Wandlung'


Dossier / Travail, 2006

16 Pages, Note: 1,3

Christine Porath (Auteur)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aufbau des Dramas „Die Wandlung“ von Ernst Toller

3. Merkmale und Funktionen der „Traumbilder“ im Drama „Die Wandlung“
3.1. Merkmale der „Traumbilder“
3.2. Die Funktionen der „Traumbilder“ im Kontext des Dramas

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Literatur des Expressionismus, die hauptsächlich zwischen 1910 und 1920 entstanden ist, war entscheidend vom Wilhelminismus der Jahrhundertwende und vom ersten Weltkrieg geprägt. Die Ablehnung des Wilhelminismus und damit der Vätergeneration war indirekt mit der Befürwortung des Krieges verbunden, da man sich nur so eine Verbesserung und Beseitigung der starren gesellschaftlichen Verhältnisse erhoffte. Dies spiegelte sich sowohl in der Lyrik, als auch in der Dramatik des Expressionismus wider, in der nicht selten Vaterkonflikte dargestellt sind und zum Krieg oder zur Revolution aufgerufen wurde. Von dieser anfänglichen Kriegseuphorie, die nicht nur von den meisten Dichtern der expressionistischen Strömung geteilt wurde, blieb nach dem Ende des Krieges und dessen Schrecken nicht mehr viel übrig. Viele Literaten, sofern sie den Krieg überlebt hatten, wendeten sich zunehmend auch in ihren Werken gegen den Krieg und wurden Pazifisten.

Dazu gehörte auch Ernst Toller. Sein erstes Drama „Die Wandlung“ beendete er 1918 während einer Haft in einem Militärgefängnis, welches im September 1919 auf die Bühne gebracht wurde. Da das Stück offensichtlich autobiographische Züge trägt und den Anschein der reinen Subjektivität erweckt (im Mittelpunkt des Dramas steht der als einzige Figur individualisierte Protagonist Friedrich, der um seine Identität als Jude in Deutschland kämpft), wurde diesem Drama bereits von vielen Zeitgenossen eine objektive Geltung abgesprochen. „Für die Kritiker erfaßt[e] es die Stimmung der Jugend zwischen 1914 und 1918, [war] es die zeittypische ‚Seelenbiographie’ eines jungen Mannes [...]“[1].

Das dies der Intention Tollers widerspricht und ebenso mit der Ausformung des Stückes nicht vereinbar ist, wird deutlich, wenn man die Funktion der „Traumbilder“ untersucht, die für das Drama ein beherrschendes Gestaltungsprinzip sind. In dieser Arbeit wird im Folgenden das Augenmerk insbesondere auf die Analyse der „Traumbilder“ gerichtet und es wird sich zeigen, dass es entscheidend für die Interpretation des Dramas ist, wie diese „Traumbilder“ und ihre Funktion verstanden werden.

Dazu wird zunächst der Aufbau des Dramas untersucht und skizziert, um davon ausgehend die „Traumbilder“ in Bezug auf ihr Erscheinungsbild und ihre Merkmale, d.h. was sie formal und inhaltlich von den realen Bildern unterscheidet, und schließlich auch auf ihre Funktionen hin untersuchen zu können. Im Hintergrund wird vor allem bei der Funktionsbestimmung die Frage stehen, ob es sich bei diesen „Traumbildern“ tatsächlich um Träume oder aber vielmehr um Allegorien oder Symbole eines bestimmten Sachverhaltes oder eines Geschehens handelt.

2. Aufbau des Dramas „Die Wandlung“ von Ernst Toller

Ernst Tollers Drama „Die Wandlung – Das Ringen eines Menschen“ wird in der Forschung, neben anderen Klassifizierungen, überwiegend als „einpolige[s] Stationendrama“[2] bezeichnet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Tollers Werk, im Gegensatz zum traditionellen Drama, welches in Akte und Szenen gegliedert und mit einer zusammenhängenden Handlung sowie einem sich entfaltenden Konflikt ausgestattet ist, in einzelne Stationen eingeteilt ist (die nochmals in Bilder untergliedert sind), die auf den ersten Blick nur rein zufällig miteinander verbunden sind. Der Zusammenhalt zwischen diesen Stationen wird nicht vordergründig durch einen chronologischen Handlungsverlauf erzielt, sondern durch den Protagonisten gestiftet, der in jeder Station und jedem Bild auftritt. Das Drama wird überdies als „einpolig“ bezeichnet, weil dem Protagonisten Friedrich keine tatsächlichen Gegenspieler zugeordnet sind, durch die sich ein äußerer Konflikt entwickeln könnte. Er steht daher als isolierte Figur im Zentrum des Stückes und durchlebt Station für Station eine Wandlung, die ihn am Ende an das Ziel der Menschwerdung, einem zentralen Begriff des Expressionismus, bringt.

Das Drama beginnt jedoch nicht direkt mit der ersten Station, sondern mit dem Gedicht „Aufrüttelung“, worauf das Vorspiel „Die Totenkaserne“ folgt, das gemäß der Regiean-weisung „auch als Nachspiel gedacht werden kann“ (S.139)[3]. Diese Passagen haben ihre eigene Funktion und Bedeutung, sie dienen z.B. zur Einbettung des Dramas in das Kriegs-geschehen der Jahre 1914-1918, da aber der Aufbau des Dramas in Hinblick auf die Funktion der „Traumbilder“ untersucht werden soll, wird auf eine nähere Betrachtung verzichtet.

Auf die einleitenden Passagen folgen dann in chronologischer Reihenfolge sechs Stationen, die nochmals in jeweils unterschiedlich viele Bilder unterteilt sind, wobei die Nummerierung der Bilder nicht für jede Station neu beginnt, sondern sich kontinuierlich fortsetzt, so dass diese auch ohne zusätzliche Untergliederung in Stationen bis 13 gezählt werden. Hierbei stellt sich die Frage, warum Toller die fest durchnummerierten Bilder nochmals in Stationen teilt. Darauf soll später näher eingegangen werden, wenn es um die Bestimmung der Funktionen der „Traumbilder“ geht, da diesbezüglich ein Zusammenhang konstatiert werden kann.

In der ersten Station und dem dazugehörigen ersten Bild, das auf der realen Ebene angesiedelt ist, wird der Protagonist Friedrich als junger Mann dargestellt, der sich im Konflikt sowohl mit seiner Umwelt als auch mit seiner Familie befindet. Dieser entsteht, weil er die ihm von der Gesellschaft vorgegebene Rolle nicht annehmen will. Zum einen möchte er keine bürgerliche Laufbahn einschlagen, wie dies seine Eltern verlangen, zum anderen will er als Jude nicht mehr als Außenstehender und Vaterlandsloser angesehen werden. Der einzige Ausweg aus seiner Situation scheint nur die Teilnahme an dem aktuellen Kolonialkrieg zu sein, weshalb er sich am Ende des ersten Bildes dazu entscheidet, als Freiwilliger zu melden; mit der naiven Hoffnung: „Oh, der Kampf wird uns alle einen...“ (S.149).

Im zweiten Bild, das nicht auf der realen Ebene spielt, werden sieben Soldaten in einem Transportzug auf dem Weg in den Krieg dargestellt, die während der langen Fahrt Angst und Zweifel befällt. Dieser Aufbau der ersten Station, die aus einem Wechsel von realem und traumhaftem Bild besteht, wird in den folgenden zwei Stationen beibehalten.

In der zweiten Station und dem dritten Bild ist Friedrich bereits im Krieg und sorgt im Lazarett für die Verwundeten. Es zeigt sich nun aber, dass sein Kriegsbeitritt nicht die erhoffte Wirkung, nämlich als zum Vaterland zugehörig angesehen zu werden, erzielt hatte. Von den anderen Soldaten wird er weiterhin als „Vaterlandsloser“ (S. 153) bezeichnet. Daher erklärt er sich am Ende des Bildes dazu bereit, an der Front zu kämpfen.

Das vierte Bild, das wieder auf der Traumebene angesiedet ist, zeigt mehrere Skelette, die sich zu einem fröhlichen Tanz, der eher wie ein makaberer Totentanz erscheint, ermuntern.

Im fünften realen Bild der dritten Station befindet sich Friedrich als Verwundeter im Lazarett und wird von einem Arzt und einer Schwester versorgt. Als Belohnung für seine heldenhaften Taten an der Front wird ihm ein Verdienstkreuz und gleichzeitig das Bürgerrecht verliehen. Als Friedrich aber erkennt, welche Opfer er dafür bringen musste („zehntausend Tote“ S.162), kommen ihm leise Zweifel über den wahren Wert seiner Tat.

Das nächste „traumhafte“ Bild findet ebenfalls in einem Lazarett statt. Diesmal handelt es sich aber um einen mit Betten überfüllten Saal, in dem verstümmelte Soldaten liegen. Ein Arzt, der durch ihre Reihen geht, rühmt sich, dass er mit Hilfe von Prothesen die „Krüppel“ wieder retten könne. Ihm geht es dabei jedoch nicht darum den Menschen zu helfen, sondern sie wieder für die Kriegseinsatz verwertbar zu machen. „Die Leute können wieder ihrer höchsten Pflicht genügen“ (S. 164). Dies stößt jedoch auf Ablehnung seitens der „Krüppel“.

Die darauf folgende vierte Station besteht nur aus einem realen Bild und kann als Angel- und Wendepunkt des Dramas bezeichnet werden. Zum einen, weil es die einzige Station ist, die nur ein Bild hat, welches auf der realen Ebene angesiedelt ist und zum anderen, weil Friedrich hier die eigentliche Wandlung vollzieht, die ihn auf das Ziel der Menschwerdung vorbereit.

Am Anfang des siebenten Bildes befindet sich Friedrich in einem Atelier und arbeitet an einer Statue zur Ehre des Vaterlandes. Dieses Bild hat eine doppelte Bedeutung, denn einerseits hat Friedrich sich den Traum, eine nicht-bürgerliche Karriere als Künstler einzuschlagen, erfüllt, andererseits ist in ihm zu diesem Zeitpunkt noch kein ernsthafter Zweifel am Krieg und seinem doch fragwürdigen Ruhm durch diesen entstanden. Es scheint also, als hätte Friedrich das Ziel erlangt, welches er sich am Anfang des Dramas ersehnt hatte. Seine Zweifel werden erst durch ein Invalidenehepaar, das an seiner Tür um Almosen bettelt, erneut erweckt und bestärkt, was Friedrich dazu bewegt, die unvollendete Statue zur zerstören; ein Symbol für die Erkenntnis, dass der Kampf für sein Vaterland nichts wert ist angesichts der menschlich verheerenden Folgen. Nachdem Friedrich diesen entscheidenden Schritt getan und sein illusorisches Ideal hinter sich lassen konnte, kommt am Ende des Bildes sein Schwester zu ihm und verkündet einen neuen Weg, den er gehen soll, der aber in ihren Aussagen unbestimmt bleibt. Die entscheidende Wandlung wurde also in dieser Station vollzogen bzw. vorbereitet und steht aufgrund der Wichtigkeit dieser Entwicklung im Zentrum des Dramas.

[...]


[1] Grundow-Erdmann, C.: Die Dramen Ernst Tollers im Kontext ihrer Zeit. Heidelberg. 1994.

[2] Vgl. z.B.: Oehm, H.: Subjektivität und Gattungsform im Expressionismus. München. 1993. S. 155.

[3] Die Seitenangaben zum Text des Dramas beziehen sich im Folgenden immer auf die Ausgabe: Toller, Ernst: Ausgewählte Schriften. Mit Geleitwort von B. Uhse und B. Kaiser. Berlin. 1959.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Merkmale und Funktionen der 'Traumbilder' in Ernst Tollers Drama 'Die Wandlung'
Université
University of Potsdam  (Institut für Germanistik)
Cours
Zur Dramatik des Expressionismus
Note
1,3
Auteur
Année
2006
Pages
16
N° de catalogue
V62172
ISBN (ebook)
9783638554657
ISBN (Livre)
9783638806930
Taille d'un fichier
539 KB
Langue
allemand
Mots clés
Merkmale, Funktionen, Traumbilder, Ernst, Tollers, Drama, Wandlung, Dramatik, Expressionismus, Germanistik, Literaturwissenschaft
Citation du texte
Christine Porath (Auteur), 2006, Merkmale und Funktionen der 'Traumbilder' in Ernst Tollers Drama 'Die Wandlung', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62172

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