Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wer hat das Recht zu herrschen
3. Durch das Summierungsverfahren zur Herrschaft
3.1. Das Prinzip des Summierungsverfahrens
3.2. Wie kommt es zur Summierung
3.3. Einwände
3.4. Die Kompetenzen der „Menge“ nach der Summierung
4. Fazit: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die folgende Arbeit ist im Rahmen des von Herrn Prof. Dr. Gert Ueding geleiteten Rhetorik-Hauptseminars „Der Begriff des Politischen bei Platon und Aristoteles“ entstanden. Dabei dient das von mir im Verlauf dieses Seminars gehaltene Referat zum Thema „Die Kapitel sechs bis elf im dritten Buch der „Politik“ Aristoteles“ als Grundlage“. Im Gegensatz zum Referat werden jedoch nicht alle Kapitel im gleichen Umfang behandelt, sondern der Schwerpunkt auf die Frage der Teilhabe der Menge an der Herrschaft gesetzt. Insofern hier nun nur ein kurzer Überblick über die Kapitel in deren Kontext die Fragestellung eingebettet ist.
Zu Beginn des sechsten Kapitels steht eine Verfassungsdefinition. Im Anschluss daran bemerkt Aristoteles, dass eine gute Verfassung vorliegt, wenn das Gemeinwohl gewahrt wird und eine schlechte, entartete Verfassung, wenn der Herrscher nur den eigenen Nutzen im Sinn hat. Auf dieser Grundlage stellt er im siebten Kapitel ein Verfassungsschema von guten und entarteten Verfassungen auf. Auf der Seite der Guten nennt er dabei die Monarchie, die Aristokratie und die Politeia und auf der Seite der entarteten die Tyranis, die Oligarchie und die Demokratie. Im achten Kapitel erfolgt eine nähere Definition der entarteten Verfassungen, die jedoch für die weitere Thematik der Arbeit nicht von belang ist. Im neunten Kapitel illustriert Aristoteles anhand des Streits zwischen Anhängern der Oligarchie und Anhängern der Demokratie, welche Gründe vorgebracht werden, um den eigenen Anspruch auf Herrschaft zu legitimieren. Auch das zehnte Kapitel widmet sich der Thematik des Herrschaftsanspruchs. Da der Frage nach dem Recht zu Herrschen im Anschluss an diese Einleitung weiter nachgegangen wird, soll an dieser Stelle auf eine Wiedergabe der Argumente verzichtet werden. Schließlich stellt Aristoteles im elfen Kapitel das Summierungsprinzip vor, mit dessen Hilfe er die Teilhabe der Menge an der Herrschaft begründet. Auf der Vorstellung, den Einwänden und den Folgen dieses Prinzips wird der Schwerpunkt dieser Abhandlung liegen.
Mit der Ankündigung, dass im nächsten Kapitel der Frage nach dem Anspruch zu herrschen nachgegangen wird und sich der Hauptteil mit der Behandlung des Summierungsprinzips beschäftigt, ist auch schon die grobe Gliederung der Arbeit gegeben. Zusätzlich zu diesen beiden Punkten wird noch am Ende der Arbeit unter der Überschrift „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben. Dieser Ausblick beschäftigt sich mit der Frage inwieweit man mit Hilfe des Summierungsprinzips einen Ausbau der Kompetenzen des deutschen Volks in politischen Angelegenheiten legitimieren könnte.
2. Wer hat das Recht zu herrschen
In seinem Werk der „Politik“ geht Aristoteles der Frage nach unter welchen Umständen eine Gemeinschaft von Menschen ein vollkommenes, glückliches Leben führen kann. Daher spielt die Frage, wer das Recht auf Herrschaft hat, für ihn nur insofern eine Rolle, als dass der Träger der Herrschaft in der Gemeinschaft zu dem Ziel des Erreichens des glücklichen Lebens einen wesentlichen Beitrag leisten muss. Demzufolge steht es für ihn außer Frage, dass nur diejenigen einen Anspruch auf Herrschaft erheben können, die mittels ihrer Vorzüge zur Ereichung des Staatsziels beitragen können.[1] Dabei spielt es theoretisch auch keine Rolle, ob ein einzelner Mensch oder eine mehr oder weniger große Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Qualitäten die Regierung stellen will, sondern eben nur welche gute Eigenschaften sie in die Waagschale legen können.
Als Eigenschaften, die von den einzelnen Gruppen bei der Erhebung ihres Herrschaftsanspruches erhoben werden, nennt Aristoteles Reichtum und freie Geburt. Beide Eigenschaften spielen bei der Erreichung des Staatsziels jedoch nur eine untergeordnete Rolle und sind insofern zwar nicht völlig abzuweisen, aber dennoch für sich allein genommen nicht ausreichend, um die eigene Herrschafft zu legitimieren Stattdessen wird der Anspruch auf Macht durch Tugend begründet (Pol III 10, 1280b 39- 181a8) und praktische Klugheit als die einzige charakteristische Tugend von Herrschern genannt (Pol lII 5, 1277b25).[2] Indessen ist auch die Tugend nicht das einzige Kriterium das ein Herrscher haben sollte, sondern er muss auch über ausreichende Fähigkeiten zur Amtsausführung verfügen (Pol V 9, 1309a35). Falls ein Bewerber also nur Tugend hat, aber unfähig ist sein Amt auszuführen, ist sein Anspruch auf Herrschaft unzureichend.[3] Die Anspruchsgrundlage ist also nicht einzig auf die charakterliche Qualität eingeengt, sondern auch andere Qualitäten spielen eine Rolle. Daher verleihen die oben erwähnten Eigenschaften des Reichtums und der freien Geburt auch ein gewisses Recht am Staat und es kommt zu einer Abstufung von mehr oder weniger höheren oder geringeren Rechtsanspruch.[4]
Wenn es nun mehrere Bewerber um die Macht gibt, bekommt sie derjenige, der die Mitbewerber an guten Eigenschaften überragt.[5]
Aristoteles stellt daher die Hypothese auf, dass wenn ein einzelner oder eine Minorität alleine besser sei als die ganze Menge, diese das Recht zur Herrschaft haben.[6]
Gesetzt es wäre ein einziger Mann besser als alle anderen tüchtigen Inhaber der Staatsgewalt, so müsste nach dem gleichen Recht dieser eine die oberste Staatsgewalt besitzen. Und endlich, wenn die Volksmenge die oberste Gewalt ausüben soll, weil sie stärker ist als die Minderzahl, so muß doch umgekehrt, falls ein einzelner oder mehrere, die aber immer noch geringer an Zahl sind als die große Menge, stärker sind als die übrigen, eben viel mehr diesen die oberste Gewalt zustehen als der Menge (Pol III 13, 1283b22-27).
Freilich ist Aristoteles skeptisch, dass ein Teil der Bevölkerung den anderen so überragt, dass er das Recht auf dauerhafte Herrschaft hätte (Pol VII 14, 1332b16-27).[7] Im Normalfall wird also nicht ein Bürger oder eine Bevölkerungsgruppe über alle Vorzüge verfügen. Folglich müssen die Aufgaben und Befugnisse verteilt werden.[8] Dies geschieht nach dem Prinzip der „verteilenden Gerechtigkeit“. Bei diesem Prinzip erfolgt die Verteilung nach dem Maßstab der proportionalen Gleichheit. Dabei wird den Bürgern unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer schon erbrachten Verdienste eine relative gleiche Behandlung zu Teil.[9] Somit verwirft Aristoteles den Totalitätsanspruch sämtlicher Gruppen oder Einzelpersonen auf Herrschaft.[10] Damit wird die Frage aufgeworfen, welche Personen in welchem Ausmaß beziehungsweise mit welchen Aufgaben an der Herrschaft im Staat beteiligt werden sollen.
[...]
[1] Richard G. Mulgan: Aristotle's political theory: an Introduction for Students of Political Theory. Oxford 1977, S. 81.
[2] Mathias Risse: The Virtous Group - Foundations for the „Argument from the Wisdom of the Multitude”. In: http://ksghome.harvard.edu/~mrisse/Papers/Papers%20-%20Philosophy/VirtuousGroupa.pdf S.8.
[3] Risse: Virtous Group. S. 17
[4] Eckart Schütrumpf: Die Analyse der Polis durch Aristoteles . Amsterdam 1980, S. 167.
[5] Risse: Virtous Group. S. 21.
[6] Braun, Egon: Die Summierungstheorie des Aristoteles. In: Jahreshefte des österreichischen archäologischen Institutes in Wien. Band XLIV. Wien 1959, S. 169.
[7] Bookman, John T.: The Wisdom of the Many: an anlysis of the arguments of books III and IV of Aristotles politics. In: History of political thought Vol. XIII. No.1. 1992, S. 4.
[8] Mulgan: Aristotle's political theory. S. 103.
[9] Walter Siegfried: Untersuchungen zur Staatslehre des Aristoteles. Zürich 1942, S. 8f.
[10] Braun: Summierungstheorie. S. 174.