Das Gespenst in der Maschine - Systemstörungen im Werk Franz Kafkas


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

25 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhalt

1 Einleitung – Zum Begriff des Systems

2 Systeme in Kafkas Werk
2.1 Parallele Systeme
2.2 Die Rationalisierung des Selbst
2.3 Der Individuum und das Kollektiv

3 Das Bürokratische System
3.1 Der automatische Apparat
3.2 Der unsichtbare Apparat

4 Das Subjekt als Fehler im System

5 Schlussbetrachtung

6 Literaturverzeichnis

Diese Arbeit beschäftigt sich mit Systemen in Kafkas Werk. Zunächst sollen einige Bezugspunkte Kafkascher Systeme herausgestellt werden, die eine Art Matrix ergeben, anhand derer man weitere Untersuchungen anstellen kann. Oft stellen sich Kafkas Systeme als automatisch ablaufende Netzwerke von Operationen heraus, die meist in ihrer Ausprägung als Bürokratie beschrieben werden. Diese Darstellungen sollen vor dem Hintergrund gesellschaftstheoretischer Ansätze wie Michel Foucaults Panoptismus oder Norbert Elias’ Über den Prozeß der Zivilisation . Zuletzt soll der Aspekt der Systemstörung untersucht werden: Wo bekommt die Ordnung Risse, durch die das Chaos hereinbrechen kann? Welche Rolle spielt das Subjekt dabei? Hier dient vor allem Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung als Vergleichsfolie.

1 Einleitung: Zum Begriff des Systems

Der Begriff des Systems wird in den Geisteswissenschaften, vor allem in der Soziologie, stets in Verbindung mit Niklas Luhmanns Systemtheorie gebracht. Luhmanns Theorie stützte sich ursprünglich auf systemtheoretische Untersuchungen im Bereich der Naturwissenschaften und wandte sie auf soziale Systeme an. Dank ähnlicher Übertragung auf andere Bereiche (z.B. der Wirtschaftswissenschaften) versteht man heute unter Systemtheorie die interdisziplinäre Erforschung der strukturellen und funktionalen Eigenschaften sowohl natürlicher, sozialer als auch technischer Systeme.

Der im Folgenden benutzte Begriff des Systems soll sich weniger auf diese Systemtheorie beziehen, sondern meint in einem viel grundlegenderen Sinne lediglich eine Ordnung, nach der etwas organisiert wird. Freilich wird die Untersuchung von Systemen und Systemstörungen in Kafkas Werk mitunter Bereiche streifen, die auch Untersuchungsgegenstand der Systemtheorie sind, so etwa das Phänomen der Selbstorganisation von Systemen. Jedoch soll hier nicht der Versuch unternommen werden, diese Phänomene strukturell zu analysieren. Eine Erforschung von Kafkas Arbeiten vor dem Hintergrund der Systemtheorie wäre sicher interessant, soll aber nicht Thema dieser Hausarbeit sein. So steht System hier als Synonym für Ordnung im Gegensatz zum Begriff der Unordnung.

2 Systeme in Kafkas Werk

Bei der Untersuchung von Systemen in Kafkas Werk geht es zunächst darum, einige Merkmale Kafkascher Systeme herauszuarbeiten, um sie danach miteinander in Verbindung zu bringen.

2.1 Parallele Systeme

In der Strafkolonie lassen sich zwei unterschiedliche Systeme beobachten, die sich speziell in den Merkmalen unterscheiden, welche die Gerichtsbarkeit betreffen. Auf der einen Seite gibt es die alte Ordnung, die vom verstorbenen Kommandanten sowie vom Offizier verkörpert wird, der dem Reisenden die Maschine vorführen will. Diese Ordnung repräsentiert die koloniale Rechtsprechung, einer eigentümlichen Mischung von feudalen Merkmalen wie Folter, Ausbeutung und Ungerechtigkeit mit dem modernen Streben nach Systematik. Die in der Erzählung beschriebene Maschine stellt sich als Ergebnis einer rationalen Leistung dar, dazu gedacht, die von Willkür und Irrationalität geprägte alte Ordnung zu perfektionieren und berechenbarer zu machen. Die Maschine soll Gerechtigkeit produzieren, und nicht nur das: Sie soll obendrein sogar für „Verklärung“[1], also „Erlösung“[2] von den irdischen Qualen sorgen, und in der Tat gibt uns der Erzähler keinen Hinweis darauf, dass die Maschine ihre Arbeit bislang nicht erfüllen konnte. Dabei ist den Befürwortern der alten Ordnung durchaus bewusst, „daß unser Verfahren nach altem Brauch ein unmenschliches ist.“[3] Doch unmenschlich ist in diesem Sinne nicht gleichbedeutend mit ungerecht, denn der Begriff der Menschenrechte ist ein Produkt der Aufklärung.

Demgegenüber steht das neue System, das sowohl vom neuen Kommandanten als auch vom Reisenden dargestellt wird. Diese Ordnung basiert auf humanistischem Gedankengut, auf den Prinzipien einer aufgeklärten, zivilisierten Gesellschaft. Kafka beschreibt jedoch nicht, wie das alte System aufgrund seiner moralischen Defizite dem neuen unterliegt und deshalb abgelöst wird. Vielmehr nimmt er das Verhältnis der Maschine zu ihren Erbauern und Betreibern in Augenschein. Das Paradoxon, das entsteht, als die Maschine die Ordnung richten soll, aus der sie selbst entstanden ist, kann sie nur durch ihre eigene Zerstörung lösen.

Wenngleich wir davon ausgehen können, dass das alte System In der Strafkolonie spätestens mit dem Tod des Offiziers und der Destruktion der Maschine vom neuen System abgelöst wird, so verwundert es doch, dass der neue Kommandant die alte Ordnung nicht schon längst vor der Ankunft des Reisenden außer Kraft gesetzt hat. Alte und neue Ordnung scheinen also eine ganze Weile nebeneinander existiert zu haben, zudem deutet das Ende der Erzählung an, dass die alte Ordnung immer noch als eine Art böser Traum, als „Prophezeiung“[4] über der Strafkolonie schwebt und womöglich irgendwann zurückkehren wird. Solche parallelen Systeme, die auf eigentümliche Weise miteinander verzahnt sind, finden sich in einer Reihe von Kafkas Arbeiten, beispielsweise in Der Proceß. Hier existiert neben der Ordnung von Josef K.’s Büro die Ordnung des Gerichts, das dem Protagonisten den Prozess macht. Beide sind sowohl eingebettet in eine noch größere Ordnung als auch miteinander verbunden. Doch ist ihre Beziehung zueinander nicht statisch: Langsam scheint die Welt des Gerichts Eingang in Kafkas geordnete Bürowelt zu finden, wie etwa die Prüglerszene in der Besenkammer des Büros verdeutlicht. Demgegenüber kann man in Das Schloß zwei Systeme beobachten, deren Verhältnis zueinander nur schwerlich zu beurteilen ist: Sind Schloss und Dorf zwei getrennte Systeme? Ist das eine System Teilmenge des anderen? Gibt es gar nur ein System, das lediglich zwei Namen besitzt?

2.2 Die Rationalisierung des Selbst

Dass es sich bei der Erzählung Der Bau um die Beschreibung eines Systems handelt, ist offensichtlich: Der Erzähler, ein kleines bis mittelgroßes Raubtier (das anhand Kafkas Beschreibung nicht näher zu bestimmen ist), schildert seinen Bau als eine Konstruktion von Gängen und Plätzen, also einem System. Dieses scheint in erster Linie der Lebenssicherung zu dienen, denn der Erzähler ergeht sich in langen Ausführungen über die etlichen Sicherheitsvorkehrungen, die er mit seinem Bau getroffen hat. Dabei wird klar, dass der Bau eine Metapher für das Selbst des Erzählers ist.

Bei seinem Bau handelt es sich um ein aus sich um ein aus sich selbst hervorgebrachtes, analytisches System, das den Gesetzen der Logik folgt und nach diesen konstruiert ist. Das Wesen hatte keinen Bau vorgefunden, es mußte ihn sich nach den ihm innewohnenden Plänen gestalten. Es brauchte keine Anleitung und keine weitere Führung. Deshalb kann man sagen, daß der Bau die äußere Erscheinung der inneren Bewegung seines Erbauers ist.[5]

Da es sich um eine von Kafkas Tierfabeln handelt, kann man wohl allgemeiner formulieren, dass der Bau eine Metapher nicht nur für das Innenleben des Erzählers, also des Raubtieres, sondern für das Innenleben des Menschen, das Konstrukt des menschlichen Bewusstseins darstellt. Dieses ist per Definition ein rein rationales:

[...]


[1] E 108

[2] E 122

[3] E 110f.

[4] E 122

[5] Gress, S. 131f.

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Das Gespenst in der Maschine - Systemstörungen im Werk Franz Kafkas
Université
University of Cologne  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Cours
Franz Kafka
Note
2,3
Auteur
Année
2005
Pages
25
N° de catalogue
V62363
ISBN (ebook)
9783638556217
ISBN (Livre)
9783638668590
Taille d'un fichier
520 KB
Langue
allemand
Mots clés
Gespenst, Maschine, Systemstörungen, Werk, Franz, Kafkas, Franz, Kafka
Citation du texte
Thorsten Felden (Auteur), 2005, Das Gespenst in der Maschine - Systemstörungen im Werk Franz Kafkas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62363

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