Literatur und Repräsentation - Ulrich von Etzenbach / "Wilhelm von Wenden" als politischer Roman?


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

26 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Minne- und Abenteuerromane

2. Werk und Verfasser
2.1. Ulrich von Etzenbach
2.2. „Wilhelm von Wenden“

3. Historische Situation

4. Politische Dichtung
4.1. Definition aus dem Lexikon des Mittelalters
4.2. Definition aus dem Metzler Literatur Lexikon
4.3. Der Wahlmodus als politisches Element

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Minne- und Abenteuerromane

Will man literarische Gattungen des Mittelalters beschreiben, stellt man schnell fest, dass eine einfache Kategorisierung, wie man sie heute vornehmen kann, nicht möglich ist. Texte des Mittelalters lassen sich nur durch mehr oder weniger bestehende Gemeinsamkeiten zu verschiedenen Erzähltypen zusammenfassen.

Eine literarische Gattung, die sich durch Gemeinsamkeiten verschiedener Texte ergibt, ist der so genannte „Minne- und Abenteuerroman“. Hier zeigen sich Übereinstimmungen in der thematischen Struktur, in Schwerpunkten und Aufbau der Handlung und in der Gruppierung und Darstellung der Personen. Alle „Minne- und Abenteuerromanen“ beginnen zunächst mit der Umwerbung und dem Gewinn einer Geliebten. Auf die glückliche Vereinigung erfolgt jedoch die Trennung. Auf der Suche nach dem oder der Geliebten müssen zahlreiche Abenteuer bestanden werden, damit es dann schließlich zum lang ersehnten Wiedersehen kommen kann.

Der „Minne- und Abenteuerroman“ geht auf zwei unterschiedliche Stofftraditionen zurück. Zum einen wäre da der Antike Liebesroman, in welchem das Motiv der Brautwerbung eine zentrale Rolle spielt. Zum anderen handelt es sich um Legenden, welche die Lebensgeschichte von Heiligen schildern, zu denen zunächst das Leben als „normaler“ Mensch zählt und dann die „Erweckung“, die schließlich zum Heiligtum führt.

Im Mittelpunkt der Handlung des „Minne- und Abenteuerromans“ stehen die zentralen Themen Liebe und Abenteuer. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Minne im höfischen Sinne, bei der die gesellschaftlichen Verpflichtungen im Vordergrund stehen, sondern um die wirklich innige Liebe mit dem persönlichen Glück, dem Kummer über die Trennung und der Freude über die Wiedervereinigung. Auch die aventiure des höfischen Romans grenzt sich vom Abenteuer des „Minne- und Abenteuerromans“ ab. Es handelt sich hierbei nicht um die Bewährung des Helden, welche durch Zufall und Bestimmung ausgelöst wurde, sondern um Erfahrungen, die den Helden reifen lassen. Bedingt durch den Wechsel zwischen Trennung und Wiedervereinigung ergibt sich die Opposition Ferne und Heimat, welche wiederum für das Ausgeliefertsein von Gefahren und der sicheren Rückkehr nach Hause steht. Der Protagonist befindet sich somit meist auf Reisen.

Die Helden des „Minne- und Abenteuerromans“ haben die „Unschuld des Handelns“[1] wie sie epische Helden des Mittelalters besitzen verloren. Sie entscheiden selbst, beurteilen die Lage und überlegen ob sich der Einsatz von Gewalt oder List lohnt. Sie suchen ihr Glück selbst und sehen ihre Abenteuer als immer neue Prüfungen, die es zu bestehen gilt, um das ersehnte Wiedersehen mit der Geliebten zu erlangen.

Eine Form der Gattungsmischung unter vielen anderen ist nach W. Röcke der „abenteuerliche und erbauliche Minneroman“ zu dem auch Ulrich von Etzenbachs „Wilhelm von Wenden“ zählt. In diesem Romantypus wird das Handlungsschema von Liebe, Trennung und Wiedervereinigung mit legendenhaften Zügen verbunden. W. Röcke spricht von einem „triadischen Aufbau“: „auf Vereinigung und Glück der Liebenden folgt ein Bekehrungserlebnis, das sie zur Abkehr von Glück und Reichtum bringt und einen langen Weg der Entbehrung beginnen läßt, gleichwohl aber schließlich zu erneutem Glück führt“.[2] Im „Wilhelm von Wenden“ geschieht die Bekehrung jedoch nicht durch ein Mirakel, sondern allein durch das daz süeze wort (v.503), den Namen Christi.

2. Werk und Verfasser

2.1. Ulrich von Etzenbach

Über den Autor des „Wilhelm von Wenden“, Ulrich von Etzenbach, ist nur wenig bekannt. Es scheint jedoch, dass er der erste deutschsprachige Dichter Böhmens gewesen ist. Man vermutet, dass er am Königshof unter Ottokar II. (1253-1278) und unter dessen Sohn Wenzel II. (1283-1305) in Prag lebte und arbeitete. Später fand er in dem böhmischen Adligen Borso II. von Riesenburg (1295-1312) einen neuen Gönner. In der Literatur ist man sich weitgehend einig, dass seine Werke durchweg stilistisch von Wolfram von Eschenbach beeinflusst wurden.

Die Werke Ulrich von Etzenbachs sind nicht exakt datierbar, jedoch kann man eine weitgehend gesicherte Abfolge feststellen. Sein erstes Werk ist der „Alexander“. Daraufhin folgen der „Wilhelm von Wenden“ und der „Alexander-Anhang“. Dass der „Herzog Ernst“ auch aus seiner Feder stammt, ist nicht gesichert.

2.2. „Wilhelm von Wenden“

Die Entstehung des „Wilhelm von Wenden“ lässt sich auf die Zeit vor 1297 datieren, da dies das Jahr war in dem die Königin Guta starb. Vermutlich verfasste es Ulrich von Etzenbach 1290/91, als Guta ihrem Mann, Wenzel II., Zwillinge gebar. Überliefert sind 2 Handschriften des 15.Jh, von denen die eine (Petrus von Freysen aus Trier) komplett erhalten ist. Der Roman „Wilhelm von Wenden“ besitzt insgesamt 8358 Verse. Es handelt sich um eine Auftragsdichtung, die auf Verlangen des königlichen Protonotars Henricus Italicus verfasst wurde. Eine Huldigung seiner Mäzene durchzieht dementsprechend das gesamte Werk.

Vermutlich geht der Text auf die so genannte Eustachius-Legende zurück. In dieser wird die Geschichte des heidnischen Feldherrn Placidus erzählt, der auf der Jagd einen Hirsch verfolgt, welcher sich als Christus zu erkennen gibt. Dieser fordert ihn auf sich taufen zu lassen. Die Abkehr vom alten Leben und die Zuwendung zum neuen Leben sind jedoch mit der Trennung des Ehepaars und viel weiterem Leid verbunden. Schließlich kommt es aber zur Wiedervereinigung. Ulrich von Etzenbach hat das triadische Muster übernommen, es jedoch auch um den zeitgenössischen, politischen Diskurs erweitert.

Inhaltsangabe:

Pilger berichten dem jugendlichen Wendenfürsten Wilhelm von Christus. Wilhelm hält es nicht mehr aus und will unbedingt aufbrechen um diesen zu suchen. Seine schwangere Frau Bene bemerkt jedoch sein Vorhaben und überredet ihn sie mitzunehmen. Sie machen sich heimlich auf, um Christus zu suchen. Wilhelm lässt seine Frau jedoch nach Geburt der Zwillinge, welche beide Jungen sind, zurück um sie zu schonen. Er verkauft die Zwillinge an christliche Kaufleute und geht nach Palästina. Dort lässt er sich taufen und bewährt sich als Kämpfer gegen Heiden. In der Zwischenzeit wird Bene zur Herzogin in ihrem Gastland gewählt. Ihre Söhne, welche getrennt voneinander aufgewachsen sind, finden zueinander und werden Räuber in Benes Land. Wilhelm kommt als Pilger in Benes Land, erkennt seine Söhne und bewahrt sie bestraft zu werden. Er erzählt Bene seine Lebensgeschichte. Sie durchschaut die Familienkonstellation, deckt schließlich alles feierlich auf und macht Wilhelm zum Herzog. Dieser verlangt jedoch die Taufe aller, was auch geschieht. Wilhelm ist damit letztlich der Begründer des christlich-slawischen Großreiches.

3. Historische Situation

Zweifellos ist der „Wilhelm von Wenden“ Wenzel II. , König von Böhmen, gewidmet. Dieser stammte aus dem Geschlecht der Přemysliden, welche seit dem 9. Jahrhundert Böhmen regierten. Wenzel wurde als Vierzehnjähriger mit der Tochter Rudolf I. von Habsburg, Guta von Habsburg, verheiratet. Wenzels Vater, der böhmische König Ottokar II. Přemysl, und Rudolf von Habsburg waren sich feindlich gesinnt. 1278 unterlag Ottokar II. auf dem Marchfeld. Böhmen war damit zeitweilig königslos, da der noch unmündige Thronfolger Wenzel II erst 1283 zum König ernannt wurde. Auf Veranlassung Wenzels Mutter wurde Böhmen in den Jahren 1278 – 1283 jedoch zum Protektorat Ottos von Brandenburg. Dieser missbrauchte zusammen mit dem böhmischen Hochadel seine Macht um sich königliche Güter und Städte anzueignen.

Rudolf von Habsburg besetzte in der Zwischenzeit Mähren. Zunehmend regte sich daraufhin im böhmischen Landadel, in der städtischen Führungsschicht und im Klerus Widerstand gegen die Besatzer und die damit verbundene Ausplünderung des Landes. Der Protest war erfolgreich und führte zum Abzug der brandenburgischen Besatzung sowie zum Freikauf des Thronfolgers.

Auseinandersetzungen zwischen Adelsparteien prägten zu dieser Zeit die Situation Böhmens. Nach einem kurzen Machtkampf mit Záviš von Falkenstein übernahm Wenzel der II. schließlich aktiv die Herrschaft in Böhmen. Politisch folgte er dem Weg seines Vaters, indem er eine straffe Zentralisierung des Landes sowie eine starke Expansionspolitik verfolgte. Weiterhin förderte er die Einwanderung deutscher Bürger. Deutsche Politiker, die an seinem Hof dienten, empfahlen ihm die Expansion in den Norden nach Polen. Gleich nach seiner Hochzeit mit Guta von Habsburg verlangte Wenzel alle Gebiete, die sein Vater zu Lebzeiten besessen hatte, vor allem Kärnten, von seinen Schwiegervater König Rudolf. Dieser war über die Forderung höchst aufgebracht, da er insgeheim die Wiederherstellung der Großmacht Böhmens fürchtete. Diese Befürchtungen waren nicht zu Unrecht. Nach dem Tod Rudolfs gelang es Wenzel II. durch geschickte Verhandlungen mit dem Grafen Adolf von Nassau sein Gebiet erheblich zu erweitern. 1300 gewann er sogar kurzfristig die polnische und die ungarische Krone. Mit seinem Tod 1305 und der Ermordung seines Thronfolgers starb das Geschlecht der Přemysliden jedoch aus.

Letztendlich gelang es Wenzel II. das Chaos, welches durch die Streitigkeiten der Adelsoppositionen herrschte, zu bewältigen und schließlich Böhmen wieder als Großmacht zu konsolidieren.

Zur Veranschaulichung der historischen Situation hier ein Schaubild:

dt.-röm. König böhm. König

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Röcke, Werner: Höfische und unhöfische Minne- und Abenteuerromane. In: Mertens, V. und Müller, U. (Hrsg.): Epische Stoffe des Mittelalters, Stuttgart 1984; S. 400

[2] ebd. S. 415

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Literatur und Repräsentation - Ulrich von Etzenbach / "Wilhelm von Wenden" als politischer Roman?
Université
Humboldt-University of Berlin  (Deutsche Literatur)
Cours
Der Liebes- und Abenteuerroman des Mittelalters
Note
1,7
Auteur
Année
2006
Pages
26
N° de catalogue
V62406
ISBN (ebook)
9783638556514
ISBN (Livre)
9783656771098
Taille d'un fichier
593 KB
Langue
allemand
Mots clés
Literatur, Repräsentation, Ulrich, Etzenbach, Wilhelm, Wenden, Roman, Liebes-, Abenteuerroman, Mittelalters
Citation du texte
Ines Rieck (Auteur), 2006, Literatur und Repräsentation - Ulrich von Etzenbach / "Wilhelm von Wenden" als politischer Roman?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62406

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