Postadoleszenz und Jugendlichkeit - Versuch der Definition einer neuen Statusdimension


Dossier / Travail, 2002

15 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung

1. Einführende Gedanken zur Rezeption der „Jugend“

2. Grundbegriffe zum Verständnis der Postadoleszenzdiskussion
2.1. „Adoleszenz“, „Pubertät“ und „Jugendlichkeit“
2.2. Der Mythos von einer Lebensphase „Postadoleszenz“
2.3. Die „Postadoleszenz“ als gleichwertiger Erwachsenenstatus

3. Versuch einer Vereinbarung widersprüchlicher Sachverhalte zum Jugendende mittels der Statusdimension „Jugendlichkeit"
3.1. Die Verlängerung der Jugend
3.2. Das frühzeitige Ende der Jugend

4. Abschließende Betrachtung der „Jugendlichkeit“ als eigenständige Statusdimension

5. Literaturverzeichnis

1. Einführende Gedanken zur Rezeption der „Jugend“

Die „Jugend“ als Begriff ist für sich ein soziologisch interessantes Phänomen. Denn jeder einzelne „Erwachsene“, der unter europäisch-amerikanischen Verhältnissen sozialisiert wurde, meint, sie als Lebensphase durchlebt zu haben, und zu wissen, was „Jugend“ für sich und Andere bedeutet, wer gerade „jugendlich“ ist, oder zumindest „junggeblieben“. Trotzdem existiert keine trennscharfe und adäquate Definition für den in „Adoleszenz“ und „Postadoleszenz“ differenzierten Lebensabschnitt, der dem Erwachsensein vorausgeht. Zu sagen, „jemand sei junggeblieben“ ist ein allgemein geläufiges ( normalerweise positiv-gemeintes ) Prädikat. Doch ebenso das abschätzige Urteil, jemand „wolle nicht erwachsen werden“ oder sei „Berufsjugendlicher“ ( Janke 1995: S. 12. ), sind gebräuchliche ( normalerweise negativ-gemeinte ) Klischees. Aber was ist mit solcherlei Aussagen tatsächlich gemeint? Und auf was nimmt die bipolare Wertung der Urteile dieser Art eigentlich bezug? Doch auf die „Jugendlichkeit“ einer Person, mit der sowohl positive als auch negative Aspekte assoziiert werden. Solcherlei Phrasen können bereits als Hinweis dafür gelten, daß „jugendlich sein“ mit dem sozialen Status einer Person auch über das eigentliche Jugendalter hinaus in irgendeiner Form korreliert, da sie auf die soziale Position in der Gesellschaft anspielen. Über folgende Entwicklung des sozialen Wandels sind sich Soziologen weiterhin relativ einig : „Die Kindheit endet früher, die Jugend beginnt eher – und dauert immer länger. ( . . . ) Der Schritt von der Jugend ins Erwachsenenalter vollzieht sich aber nicht nur später, sondern er ist auch nicht mehr so klar auszumachen: Die Grenzen verwischen sich.“ ( Janke 1995: S. 11. ) Die „Jugend“ als „Statuspassage“ ( vgl. Neidhardt: 1970; Hurrelmann / Rosewitz / Wolf: 1985 ) zu betrachten zielt also an der Realität vorbei, da ihre Grenzen zu diffus wären, um überhaupt noch zu greifen, obwohl die „Jugendlichkeit“ einer Person aber mit deren Status in unmittelbarer Beziehung steht. Auch die Ausdifferenzierung der Lebensphase Jugend in zwei „Teilstatuspassagen“ ist nur ein Rettungsversuch einer Theorie, die schon lange nicht mehr haltbar ist, wie ich noch zeigen werde. Ähnlich verhält es sich mit der Erfindung der „Postadoleszenz“ ( erstmals bei Keniston 1968 ), die in der deutschen Rezeption an die Lebensphase „Adoleszenz“ kurzerhand angehängt wurde, um den durch die damals noch „Postmoderne“ genannte Epoche verursachten Umwälzungen zu begegnen. Matthias Junge reagiert auf dieses Definitions-Dilemma, indem er durch seine These der „Pluralisierung des Erwachsenenstatus“ der Gruppe der als „postadoleszent“ bezeichneten einen gleichwertigen Erwachsenenstatus einräumt. So definiert ist das Konstrukt „Postadoleszenz“ als Lebensphase gestorben, und in eine Bezeichnung für einen unbestimmten, aber eben gleichwertigen Erwachsenenstatus transformiert worden. Ausgehend von der Erläuterung der nötigen Grundbegriffe und wiedersprüchlicher Thesen, die das definitionsabhängige früher, später oder eben nie eintretende Ende der Jugend tangieren, versuche ich Matthias Junges Konzeption durch Ausdifferenzieren des Erwachsenenstatus in Status-Teildimensionen zu konkretisieren und so eine allgemein gültige Definition für die „Jugend“ und das soziale Phänomen, was mit dem „catch-all-term“ „Postadoleszenz“ umrissen wird, zu formulieren. Das Ziel ist, die „Jugendlichkeit“ oder „Postadoleszenz“ einer Person als eine vollwertige Statusdimension zu definieren, die man je nach Passung zu den anderen Statusdimensionen wie Bildungsgrad, Beruf, und Familienstand entweder früher oder später ablegt, oder bei über das eigentliche Jugendalter hinaus gegebener Statuskonsistenz als Identitätsmerkmal ( oder auch „Identitäts-Patch“ ) behält, oder sich wieder aneignet.

2. Grundbegriffe zum Verständnis der Postadoleszenzdiskussion

Vor Ausführung der für meine Betrachtungen relevanten Theorien definiere ich in diesem Abschnitt die Grundbegriffe, die für eine Beschreibung des „Jugendalters“, der „Lebensphase Jugend“ und die Unterscheidung der verschiedener Postadoleszenz-Begriffe sinnvoll sind und benötigt werden. Der Versuch, die Konstrukte „Jugendalter“ und „Lebensphase Jugend“ über rein biologistische Alterszuschreibungen zu fassen, scheint mir der vielversprechendste Ansatz zu sein. Denn den Übergang von der Phase der „Kindheit“ zur „Jugend“ kann man für die Soziologie und die Biologie zufriedenstellend mit dem physischen Eintrittsalter der Geschlechtsreife festschreiben. Die Grenzen zwischen dem Abschluß der Jugend und dem Eintritt ins Erwachsenenleben verschwimmen zwar an sozialen Aspekten gemessen zur Gänze, da die Kriterien für „Erwachsensein“ historisch wechselnden gesellschaftlichen Konventionen unterliegen, die biologische Wachstumsphase des Menschen ist allerdings ungefähr im 20. Lebensjahr beendet. Die Schlüpfrigkeit dessen, was einen „Erwachsenen“ ausmacht, wird bei der Betrachtung der kurzen, aber bewegten Geschichte des mehrdeutigen Begriffs der „Postadoleszenz“ besonders deutlich: Sein Bedeutungsgehalt wandelte sich von einem Lebensstil ( vgl. Keniston 1968, hier nach Junge 1995: S. 9. ) zu einer Lebensphase ( vgl. Fuchs 1983; Zinnecker 1981, hier nach Junge 1995: S. 12. ), von einer Statuspassage zur gleichwertigen Ausprägung eines Erwachsenenstatus ( vgl. Junge: 1995 ), bis hin zu einer Statusdimension als Ausdruck einer „Seinsform“, wie ich ihn aufbauend auf Junges Konzeption verstehe und versuche, hinreichend zu definieren. Denn meiner Meinung nach wurde die „Postadoleszenz“, in meinem Verständnis die „Jugendlichkeit einer Person“ ( im Sinne Kenistons Ausdruck eines jugendlicher Lebensstils ), im Zug des sozialen Wandels unserer Gesellschaft zunehmend vom eigentlichen Lebensalter unabhängig, emanzipierte sich also vom Alter einer Person. Die mehrdeutigen Konstrukte „Pubertät“, „Adoleszenz“, „Jugendlichkeit“ und „Postadoleszenz“ möchte ich im Folgenden trennscharf voneinander abgrenzen und in Beziehung zueinander setzen, um mit ihnen die soziale Wirklichkeit einzufangen.

2.1. „Adoleszenz“, „Pubertät“ und „Jugendlichkeit“

Nach dem „Lexikon zur Soziologie“ ist „Pubertät“ die „Bezeichnung für den zwischen Kindheit und Adoleszenz liegenden Entwicklungsabschnitt, die Zeit der Geschlechtsreifung.“ ( R. Klima in: Fuchs-Heinritz, u.a. 1995: S. 530. ) Deren psychische Merkmale seien „Stimmungsschwankungen, Nachdenklichkeit, Streben nach Erlebnistiefe, schwärmerische Suche nach sicheren Werten und Vorbildern, kritische Auseinandersetzungen mit der und Protest gegen die Welt der Erwachsenen, ´Sehnsucht´ usw.“ ( ebenda, Hvh. i. Orig. ), also Klischees a la Pippi Langstrumpf, die genau diese Eigenschaften sowie das angeblich notwendige Vorbild in einem verkörpert. Die genannten Eigenschaften der Pubertierenden sind heute als Phänomene der Adoleszenz verallgemeinert, und werden auf die erzwungene „ . . . Unterdrückung des mit der Geschlechtsreifung erwachenden sexuellen Interesses“ ( ebenda ) zurückgeführt, die speziell in europäisch-amerikanisch geprägten Gesellschaften den zu Sozialisierenden abverlangt wird. Die „Pubertät“ endet nach Rolf Klima erst mit der Ablösung von den Eltern und dem dazugehörigen Eintritt ins Erwachsenen- und Arbeitsleben, dessen Bedeutung er, zumindest im „Lexikon zur Soziologie“, nicht weiter ausführt. In diesem Punkt widerspricht er sich also tatsächlich selbst, da nach seiner eigenen Definition ja der Entwicklungsabschnitt der Adoleszenz auf die Pubertät folgt ( siehe oben ), dessen Ende durch die gleichen, schwammigen Entwicklungsschritte markiert sein soll. Auf mittels einem zweidimensionalem Konzept ähnlich definierte Entwicklungsschritte komme ich nochmals im Zusammenhang mit dem endgültigen Erwachsenwerden am Ende der „Postadoleszenz“ getauften Lebensphase zurück, die an die Lebensphase der „Adoleszenz“ anschließen soll. In der Unschärfe der gängigen Definitionen deutet sich an, daß die tatsächlich interessante Frage die nach dem Ende der Jugend ist. Für meine weiteren Ausführungen definiere ich „Pubertät“ als Begriff für die Entwicklungsphase der physischen Geschlechtsreifung, welche immer früher, momentan um das 12. / 13. Lebensjahr herum einsetzt. Die „Adoleszenz“, die vor Allem die psychischen Merkmale dieser Lebensphase bezeichnen soll, welche Ausdruck der psychosexuellen Entwicklung sind, die ebenfalls spätestens beim Eintritt in die Geschlechtsreifung in Turbulenzen kommt, tritt zeitgleich mit ihr ein. Die Pubertät endet meines Erachtens entsprechend mit dem Abschluß der körperlichen Entwicklung, der biologisch circa im 20. Lebensjahr erreicht wird, da die menschlichen Zellen in diesem Alter ihre Reproduktionsfähigkeit verlieren, und man beginnt zu altern. Auch die ( häufig vorläufige ) psychosexuelle Orientierung und das mit ihr einhergehende „adoleszente Moratorium“ ist i.d.R. tatsächlich erst zu diesem späten Zeitpunkt abgeschlossen. Noch vor hundert Jahren wurden die Begriffe „Pubertät“ und „Jugend“ als Bezeichnung einer biologischen Wachstumsphase synonym verwandt. Der soziologische Begriff „Adoleszenz“, der heute i.d.R. als Synonym für „die Lebensphase Jugend“ verwendet wird, ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, ebenso wie die psychische Dimension, die er bezeichnet, da damals die Jugend wesentlich früher mit dem direkten Eintritt ins Erwachsenen- und Arbeitsleben beendet war, und damit auch eine soziale Erwachsenen-Identität, inklusive dem zugehörigen Status und der entsprechenden Eigenverantwortung, sehr früh zugestanden wurde. Der langwierige Orientierungsprozeß in der komplizierter gewordenen Welt war damals noch nicht obligat geworden. Um Trennschärfe herzustellen setze ich wie ehedem die „Lebensphase Jugend“ wieder mit der Zeit der „Pubertät“ gleich. In dieser Lebensphase treten die beschriebenen psychischen „Symptome“ auf, die Ausdruck der psychischen „Adoleszenz“ sind. Diese Definition von „adoleszent“ ist auch etymologisch betrachtet korrekt, da die damit ursprünglich bezeichneten „Heranwachsenden“ biologisch betrachtet erst ab diesem Alter nicht mehr weiter heranwachsen, und während des nun abgeschlossenen „adoleszenten Moratorium“ zumindest vorerst eine „Identität“ im Sinne „psychosozialer Gesundheit“ gefunden worden sein sollte ( vgl. Keupp: 1999. , S. 77. , S.80. ). Während des „Jugendalters“ durchlebt man meiner Definition gemäß also die eigentliche „Lebensphase Jugend“, die sich hinsichtlich der „Jugendlichkeit einer Person“, mit der die soziale Dimension der Jugend gemeint ist, beliebig verlängern läßt, und sogar wiederaneignen, was ich in meinen weiteren Ausführungen noch zeigen werde. Denn die soziale Dimension der Jugend, ihre Ideale und der damit verbundene Lebensstil ist nicht mehr weiter an das Lebensalter gebunden.

[...]

Fin de l'extrait de 15 pages

Résumé des informations

Titre
Postadoleszenz und Jugendlichkeit - Versuch der Definition einer neuen Statusdimension
Université
LMU Munich  (Institut für Soziologie)
Cours
Einführung in die Jugendsoziologie
Note
1,0
Auteur
Année
2002
Pages
15
N° de catalogue
V6251
ISBN (ebook)
9783638138673
ISBN (Livre)
9783640521463
Taille d'un fichier
483 KB
Langue
allemand
Mots clés
Postadoleszenz, Jugendlichkeit, Statusdimension, Jugend, Jugendalter
Citation du texte
Matthias Brabetz (Auteur), 2002, Postadoleszenz und Jugendlichkeit - Versuch der Definition einer neuen Statusdimension, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6251

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