Die Rechtslage der Arbeitnehmer aus den neuen EU-Beitrittsländern


Diploma Thesis, 2006

58 Pages, Grade: 2


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Allgemeine rechtliche Grundlagen

3. Beschäftigungsmöglichkeiten von Bürgern aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten
3.1. Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die bereits seit einem längeren Zeitraum legal auf dem deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt sind
3.2. Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die als Selbständige in Deutschland arbeiten wollen
3.2.1. Selbständig Erwerbstätige aus den neuen Mitgliedsstaaten mit Niederlassung in Deutschland
3.2.2. Selbständig Erwerbstätige aus den neuen Mitgliedstaaten, die grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen
3.3. Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die als Arbeitnehmer in Deutschland tätig werden wollen
3.3.1. Arbeitnehmer, die für einen Arbeitgeber mit Sitz in Deutschland arbeiten wollen
3.3.1.1. Beschäftigungen, die keiner Zustimmung der Agentur für Arbeit bedürfen
3.3.1.2. Beschäftigungen, die keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzen
3.3.1.3. Beschäftigungen, die eine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzen
3.3.1.4. Beschäftigungen, die auf der Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarung basieren
3.3.2. Arbeitnehmer, die für einen Arbeitgeber mit Sitz in einem der neuen Mitgliedstaaten in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten wollen

4. Zusammenfassung

5. Fazit

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Vorwort

Am ersten Mai 2004 sind 10 weitere Staaten, nämlich Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien Malta und Zypern der Europäischen Union beigetreten. Somit gilt der EG-Vertrag nun auch für diese Länder in vollem Umfang und damit die darin festgesetzten Ziele. Eines dieser Ziele ist die Verwirklichung des Binnenmarktes, also der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital.[1] Dabei sind alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, mit geeigneten Maßnahmen dazu beizutragen, dieses Ziel zu erreichen.[2]

Die Staatsangehörigen der neuen Beitrittsstaaten sind jetzt Unionsbürger und haben dadurch das Recht, sich in den Unionsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.[3] Dies beinhaltet natürlich auch das Recht, sich in jedem Mitgliedstaat wirtschaftlich betätigen zu können, was aus den Art. 39, 43 und 49 EGV, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr beinhalten, hervorgeht.

Somit müsste der deutsche Arbeitsmarkt allen Staatsangehörigen der neuen Mitgliedsstaaten offen stehen. Jedoch haben die „alten“ EU-Staaten aus Angst, dass billige Arbeitskräfte aus den Beitrittssaaten auf die heimischen Arbeitsmärkte strömen, Übergangsregelungen zum Schutz ihrer Arbeitsmärkte in den Beitrittsvertrag aufnehmen lassen, von denen sie Gebrauch machen können. England, Irland und Schweden haben ihre Arbeitsmärkte ab dem Tag des Beitritts für die Bürger der Beitrittsländer geöffnet. Deutschland hingegen macht von der Möglichkeit Gebrauch, seinen Arbeitsmarkt zu schützen und hat sogar, genauso wie Österreich, zusätzliche Übergangsregelungen zugesprochen bekommen, die die Dienstleistungsfreiheit einschränken. Welche Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts für die Bürger der Beitrittsstaaten bereits Anwendung finden und welche vorübergehend durch Übergangsregelungen außer Kraft gesetzt wurden, ist Thema dieser Arbeit.

2. Allgemeine rechtliche Grundlagen

Der EG-Vertrag sieht vor, dass die Bürger der 10 Beitrittsstaaten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben. Nach Artikel 1 des Beitrittsvertrages werden „die Tschechische Republik, die Republik Estland, die Republik Zypern, die Republik Lettland, die Republik Litauen, die Republik Ungarn, die Republik Malta, die Republik Polen, die Republik Slowenien und die Slowakische Republik (…) Mitglieder der Europäischen Union und Vertragsparteien der die Union begründenden Verträge in ihrer jeweiligen geänderten oder ergänzten Fassung.“[4] Des weiteren bestimmt Artikel 2 des Beitrittvertrages, dass „die Aufnahmebedingungen und die aufgrund der Aufnahme erforderlichen Anpassungen der die Union begründenden Verträge (…) in der diesem Vertrag beigefügten Akte festgelegt (und) die Bestimmungen der Akte (…) Bestandteil dieses Vertrags“[5] sind. Durch diesen Vertrag gilt nun auch für die Beitrittsländer der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, also aktuell der Vertrag von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte[6].

Nach Art. 10 EGV müssen die Mitgliedsstaaten „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag (…) ergeben“[7], treffen. Darunter fällt die Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft nach Art. 39 EGV, die die „Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen“[8] umfasst. Damit erhält jeder Arbeitnehmer das Recht, „a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben, b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen (und) c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben (…)“[9]. Außerdem sind nach Art. 43 EGV „Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (…) verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaates, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates ansässig sind.“[10] Art. 49 EGV verbietet „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind“[11], wobei als Dienstleistungen insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten gelten.[12]

Auf diesen drei Bestimmungen des EGV basiert das Recht, dass sich die Bürger der neuen Mitgliedstaaten in der gesamten Gemeinschaft frei bewegen, niederlassen und jeder legalen Beschäftigung nachgehen können. Auf Grund diverser Vorbehalte, auch und besonders von Deutschland, wurden jedoch einige Regelungen und Beschränkungen beschlossen, um die vollständige Öffnung der unterschiedlichen Arbeitsmärkte um einen Zeitraum von bis zu sieben Jahre nach dem Beitritt verzögern zu können, welche in der Beitrittsakte, die Teil des Vertrages ist, geregelt sind. Wie bereits erwähnt ist dieser Teil des Beitrittsvertrags und somit deren Inhalt für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend einzuhalten.

Spätestens nach Ablauf von sieben Jahren, also am 1. Mai 2011, gibt es keine Einschränkungen mehr bezüglich der Freizügigkeit der Unionsbürger im gesamten EU-Raum. Dies geht aus dem Artikel 24 der Beitrittsakte[13] hervor, in Verbindung mit den Anhängen V, VI, VII, VIII, IX, X, XI, XII, XIII und XIV[14]. Spätestens ab diesem Zeitpunkt müssen alle Mitgliedstaaten ihre Arbeitsmärkte für alle Unionsbürger, also inklusive der Angehörigen der neuen Mitgliedstaaten, zugänglich machen.

Bis zu besagtem Datum können die in den Anhängen der Beitrittsakte unter dem Punkt „Freizügigkeit“ für das jeweilige Beitrittsland aufgeführten Maßnahmen für eine begrenzte Geltungsdauer angewendet werden, welche bei allen Ländern auf maximal sieben Jahre beschränkt sind.[15]

Eine Ausnahme bilden die beiden Beitrittsstaaten Malta und Zypern (Anhang VII und XI). Für diese gilt bereits seit dem 1. Mai 2004 der Art. 39 EGV in vollem Umfang. Somit genießen die Bürger von Malta und Zypern vollständige Freizügigkeit im gesamten EU-Raum auf dem europäischen Arbeitsmarkt.[16]

Deswegen sind zur Vereinfachung unter dem Begriff „neue Mitgliedsstaaten“ in dieser Arbeit nur die Tschechische Republik, die Republik Estland, die Republik Lettland, die Republik Litauen, die Republik Ungarn, die Republik Polen, die Republik Slowenien und die Slowakische Republik zu verstehen, da die Republik Zypern und die Republik Malta bezüglich des Themas nicht relevant sind. Ebenso sind die Anhänge VII und XI (Malta und Zypern) auszuschließen, wenn von den Anhängen V – XIV der Beitrittsakte die Rede ist.

In den folgenden Kapiteln sollen nun die verschiedenen Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten von Bürgern aus den neuen Mitgliedstaaten in Deutschland mit den jeweiligen Beschränkungen und Ausnahmen erklärt werden.

3. Beschäftigungsmöglichkeiten von Bürgern aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten

Wie bereits erwähnt, sieht der Beitrittsvertrag vor, dass spätestens am 1. Mai 2011 die Arbeitsmärkte aller 25 Mitgliedsstaaten für alle EU-Bürger offen sind. Bis dahin können die einzelnen Mitgliedsstaaten während eines Übergangszeitraumes von maximal sieben Jahren Maßnahmen ergreifen, die in dem jeweiligen Anhang der Beitrittsakte festgehalten sind, um den Zugang zu ihren Arbeitsmärkten zu regeln.

Die aktuelle Rechtslage fordert eine Differenzierung der verschiedenen Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland, da diese von den jeweiligen Regelungen in den Anhängen V – XIV der Beitrittsakte nicht gleichermaßen betroffen sind. Die folgende Einteilung erscheint sinnvoll:

- Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die bereits seit einem längeren Zeitraum legal auf dem deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt sind
- Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die als Selbständige in Deutschland arbeiten wollen
- Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die als Arbeitnehmer in Deutschland tätig werden wollen

3.1. Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die bereits seit einem längeren Zeitraum legal auf dem deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt sind

Nach Absatz 2 des Kapitels „Freizügigkeit“ in den Anhängen V – XIV der Beitrittsakte haben Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, wenn sie am Tag des Beitritts rechtsmäßig in Deutschland arbeiten und für einen ununterbrochenen Zeitraum von zwölf Monaten oder länger zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen waren. Dasselbe Recht gilt auch, wenn die Person nach dem Beitritt für einen ununterbrochenen Zeitraum von zwölf Monaten oder länger zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen war. Dabei ist zu beachten, dass diese Rechte verloren gehen, wenn die Person freiwillig den deutschen Arbeitsmarkt verlässt. Der Zugang zum Arbeitsmarkt anderer Mitgliedsstaaten, die nationale Maßnahmen anwenden, bleibt verwehrt.

Dieselben Rechte stehen Familienangehörigen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 zu, das heißt, dem Ehegatten oder den Kindern, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen Unterhalt gewährt wird, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Beitritts mindestens 12 Monate in Deutschland legal beschäftigt war und die Familienangehörigen bei ihm am Tag des Beitritts ihren rechtmäßigen Wohnsitz hatten. Falls die Familienangehörigen erst nach dem Tag des Beitritts ihren rechtmäßigen Wohnsitz bei besagtem Arbeitnehmer hatten, erhalten sie nach 18 Monaten oder „ab dem dritten Jahr des Beitritts, wenn dieser Zeitpunkt früher liegt“[17] Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.[18]

Es gelten in diesen Fällen keine Einschränkungen mehr und der Arbeitnehmer und seine Angehörigen genießen volle Freizügigkeit, solange sie Deutschland nicht verlassen. Dieses Recht steht übrigens auch Staatsangehörigen aus den neuen Mitgliedsstaaten zu, die für eine befristete Zeit von mindestens 12 Monaten in Deutschland beschäftigt wurden, wenn sie nach Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses in Deutschland bleiben.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass jeder Staatsangehörige der neuen Mitgliedsstaaten, der mindestens 12 Monate auf dem deutschen Arbeitsmarkt legal beschäftigt war und danach in Deutschlang bleiben möchte volle Freizügigkeit genießt und damit für ihn dieselben Rechte wie für einheimische Arbeitnehmer gelten. Wenn sein Ehegatte und seine Kinder im selben Haushalt leben, erhalten diese spätestens nach 18 Monaten (ab 1. Mai 2007 sofort) vollen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.

3.2. Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedsstaaten, die als Selbständige in Deutschland arbeiten wollen

Als selbständig Beschäftigte gelten Personen, die eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit ausüben, die keine Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV ist. Dieser besagt, dass kein abhängiges Arbeitsverhältnis vorliegen darf und die Tätigkeit nicht nach Weisungen und durch eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines Weisungsgebers ausgeübt wird[19]. Als selbständige Arbeit wird somit jede Arbeit angesehen, die keine nichtselbständige ist. Sie wird durch eine Umkehrung der Merkmale für nichtselbständige Arbeit definiert. Daher ist es nicht möglich eine genaue Grenze zu ziehen.

Unter die Selbständigen werden in jedem Fall arbeitende Personen gezählt, die einen Betrieb besitzen und leiten sowie die freiberuflichen Tätigkeiten, die in § 18 Abs. 1 EStG definiert sind. „Zu den freiberuflichen Tätigkeiten gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe.“[20] Ist eine genaue Abgrenzung nicht möglich, erfolgt die Einteilung in selbständige bzw. nichtselbständige Arbeit nach den Merkmalen, die überwiegen.[21]

Staatsbürger der neuen Mitgliedsstaaten, die nach der obigen Definition selbständig Dienstleistungen erbringen, können diese nach den Artikeln 49 und 43 EGV in der gesamten Gemeinschaft anbieten, wenn dies nicht durch Übergangsregelungen nach § 284 SGB III unterbunden wird, die in den Anhängen V – XIV der Beitrittsakte angegeben sein müssen. Dabei stehen ihnen grundsätzlich zwei Möglichkeiten offen. Entweder hat der Erbringer der Dienstleistung seine Niederlassung in einem der neuen Mitgliedsstaaten und bietet die Dienstleistung grenzüberschreitend in Deutschland an oder er entschließt sich dazu, eine Niederlassung in Deutschland zu gründen oder sich in Deutschland niederzulassen.

Zentraler Begriff ist hier also die Bedeutung der Niederlassung. Der EuGH führt dazu aus, „dass der Niederlassungsbegriff im Sinne der Artikel 52 ff. EWG-Vertrag (jetzt Art. 43 EGV) die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit umfasst.[22] Somit gilt es zwei wichtige Voraussetzungen zu erfüllen, nämlich einmal eine „feste Einrichtung“, wie z.B. Produktionsstätten, Lager- und Büroräume[23], in dem Mitgliedstaat, in dem man sich niederlassen möchte, vorweisen zu können und zum zweiten, tatsächlich stetig und dauerhaft am Wirtschaftsleben in dem betreffenden Land teilzunehmen.[24] Es reicht also nicht, eine feste Einrichtung in der Bundesrepublik Deutschland zu haben, um eine Niederlassung zu begründen, ebenso wenig die bloße stetige Teilnahme am deutschen Wirtschaftsleben. Nur wenn beide Merkmale zusammen in ein und demselben Land gegeben sind, kann von einer Niederlassung ausgegangen werden

Liegt die Niederlassung eines Staatsangehörigen der neuen Mitgliedstaaten in Deutschland und ist eine dauerhafte Teilnahme am deutschen Wirtschaftsleben nachgewiesen, ist der Art. 43 EGV die Rechtsgrundlage, da er Beschränkungen für die Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat verbietet.[25]

Wenn die Dienstleistung grenzüberschreitend angeboten wird, also die feste Einrichtung in einem der neuen Mitgliedstaaten verbleibt, kann sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EGV berufen werden. Hier findet Art. 49 EGV über den freien Dienstleistungsverkehr Anwendung.

Aufgrund dieser rechtlichen Differenzierung und der in den Anhängen V – XIV der Beitrittsakte aufgeführten Übergangsmaßnahmen ist es sinnvoll selbständige Tätigkeiten hinsichtlich des Ortes der Niederlassung zu unterscheiden.

3.2.1. Selbständig Erwerbstätige aus den neuen Mitgliedsstaaten mit Niederlassung in Deutschland

Nach Art. 43 EGV sind „Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (…) verboten. Das gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen, oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaates, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates ansässig sind.“[26] Ebenso besagt dieser Artikel, dass die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten umfasst.[27] Der Artikel 43 EGV hat unmittelbare Wirkung und nachdem in keinem der Anhänge V – XIV der Beitrittsakte Maßnahmen zur Einschränkung der Niederlassungsfreiheit vorgesehen sind, genießen Staatsangehörige der neuen Mitgliedsstaaten diese in vollem Umfang, wenn sie sich in Deutschland als Selbständige niederlassen wollen. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU werden sie jedoch dahingehend in Deutschland ansässigen Selbständigen gleichgestellt, dass sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sein müssen.[28] Das heißt, dass die in Deutschland geltenden Vorschriften bezüglich des jeweiligen Berufstandes zu beachten sind; dies wären insbesondere das Arbeits-, Steuer-, Gewerbe- und Handwerksrecht.[29] Wenn sich ein Staatsangehöriger der neuen Mitgliedsstaaten in Deutschland niederlassen möchte um hier als Selbständiger erwerbstätig zu werden, sollte er sich also vorher über die nationalen Regelungen, die das Gewerbe betreffen, in dem er arbeiten möchte, informieren. Dabei kann er sich an die zuständige Arbeitsagentur wenden, die nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB I dazu verpflichtet ist, Beratung anzubieten und die nötigen Informationen zur Verfügung zu stellen.

Des Weiteren ist zu beachten, dass bestimmte Berufe in Deutschland nur mit einer anerkannten Qualifikation ausgeübt werden dürfen. Handelt es sich um einen so genannten „reglementierten“ Beruf, d.h. „eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist“[30], muss zuerst eine Anerkennung der Berufsqualifikation durch den Aufnahmestaat erfolgen. In der Bundesrepublik Deutschland sind aktuell folgende Berufe als „reglementiert“ deklariert: Altenpfleger/in, Arbeitserzieher/in, Augenoptiker/in, Berg- und Skiführer/in, Beschäftigungs- und Arbeitstherapeut/in, Betriebsschwester, Diplom-Heilpädagoge/in, Diplom-Sozialarbeiter/in, Diplom-Sozialpädagoge/in, Diätassistent (in), Fachkinderkrankenschwester (stationär), Fachlehrer (berufliche und allgemein bildende Schulen), Fachlehrer an Sonderschulen (Unterschiede in Bezeichnung, Ausbildungsgang und Lehrbefähigung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland), Fachphysiotherapeut für Funktionelle Störungen und psychische Erkrankungen, Fachschwester für Kinderneuropsychiatrie, Fachschwester für Zahn- n. Mundhygiene, Gemeindeschwester, Gesundheitsaufseher/in, Haus- und Familienpfleger/in, Hauswirtschaftler/in (sozialer Dienst), Heilerzieher/in, Heilerziehungspfleger, Heilerziehungshelfer/in, Heilerziehungspflegehelfer/in, Heilpädagoge/in, Hörgeräteakustiker/in, Ingenieur (Berufsbezeichnung allein oder in Verbindung mit einer Fachbezeichnung), Innenarchitekt, Intensivpflege, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/in, Kinderkrankenpfleger/-schwester, Krankenpflegerhelfer/in, Landschafts- und Gartenarchitekt, Lehrer, Lehrer (alle Lehrämter), Logopäde/in, Masseur/in /medizinischer Bademeister/in, medizinisch-technische(r) Radiologieassistent/in, medizinisch -technische(r) Assistent/in für Funktionsdiagnostik, medizinischer Fußpfleger/in, Podologe/in, nautische und technische Schiffsoffiziere, Orthoptist/in, Orthopädieschuhmacher/in, Orthopädietechniker/in, Patentanwalt, pharmazeutisch-technische(r) Assistent(in), Physiotherapeut/in, Krankengymnast/in, psychologische(r) Psychotherapeut/in, Rechtsanwalt, Rettungsassistent, Schädlingsbekämpfer/in, Skilehrer/in, Sonderpädagogische Lehrämter (Unterschiede in Bezeichnung, Ausbildungsgang und Lehrbefähigung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland), Sozialassistent/in, Sozialmedizinischer Assistent/in, Sportphysiotherapeut, staatlich anerkannte/r Erzieher/in, staatlich geprüfter Erzieher/in, staatlich geprüfter/e Schwimmmeister/in, staatlich geprüfte(r) Dorfhelfer/in, Stadtplaner, Stationsschwester, Steuerberater, stomatologische Schwester/- Pfleger, Veterinärmedizinisch-technische(r) Assistent(in) / Pharmazie Ingenieur, Wirtschaftsprüfer und Zahntechniker/in.[31]

Damit auch hier die Niederlassungsfreiheit der Unionsbürger gewährleistet ist, hat der Europäische Rat nach Art. 47 EGV Richtlinien erlassen, die die Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und Befähigungsnachweisen regeln. Für die oben genannten Berufe sind dies die Richtlinie 89/48/EWG über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen sowie die Richtlinie 92/51/EWG über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG. Diese und weitere 12 Richtlinien, die die direkte Anerkennung bestimmter Berufsqualifikationen regeln (siehe nächster Absatz) wurden in der Richtlinie 2005/36/EG konsolidiert und ergänzt, die im September 2005 verabschiedet wurde und nach Art. 63 Richtlinie 2005/36/EG bis zum 20. Oktober 2007 umgesetzt werden muss[32].

Damit würde eine einzige Richtlinie die Anerkennung von Berufsqualifikationen im EU-Raum regeln. Solange diese jedoch noch nicht umgesetzt ist, behalten die vorher genannten Richtlinien ihre Gültigkeit und sind daher aktuell maßgebend für die Regelung von Berufsqualifikationen. Danach kann, „wenn der Zugang zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung im Aufnahmestaat von dem Besitz eines Diploms abhängig gemacht wird, (…) die zuständige Stelle einem Angehörigen eines Mitgliedstaates den Zugang zu diesem Beruf oder dessen Ausübung unter denselben Voraussetzungen wie bei Inländern nicht wegen mangelnder Qualifikation verweigern, a) wenn der Antragsteller das Diplom besitzt, das in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich ist, um Zugang zu diesem Beruf in seinem Hoheitsgebiet zu erhalten oder ihn dort auszuüben, und wenn dieses Diplom in einem Mitgliedstaat erworben wurde, oder b) wenn der Antragstelle diesen Beruf vollzeitlich zwei Jahre lang in den vorhergehenden zehn Jahren in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt hat, der diesen Beruf nicht (…) reglementiert, sofern der Betreffende dabei im Besitz von einem oder mehreren Ausbildungsnachweisen war“[33]. Dabei gilt für diese Ausbildungsnachweise, dass sie „in einem Mitgliedsstaat von einer nach dessen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bestimmten Stelle ausgestellt worden waren“[34], dass aus ihnen hervorgeht, „dass der Inhaber ein mindestens dreijähriges Studium oder ein dieser Dauer entsprechendes Teilzeitstudium an einer Universität oder einer Hochschule oder einer anderen Ausbildungseinrichtung mit gleichwertigem Niveau in einem Mitgliedstaat absolviert und gegebenenfalls die über das Studium hinaus erforderlicher Ausbildung abgeschlossen hatte (und dass er diese) zur Vorbereitung auf die Ausübung dieses Berufes erworben hatte“[35]. Die Richtlinie 92/51/EWG ergänzt die Richtlinie 89/48/EWG in der Hinsicht, dass auch unter gewissen Umständen Ausbildungsnachweise, die nicht an Hochschulen oder ähnlichen Einrichtungen erworben wurden anerkannt werden müssen. Prinzipiell ist also ein mindestens dreijähriges Studium oder eine ähnliche Ausbildung mit erfolgreichem Abschluss Voraussetzung für die Anerkennung der Qualifikation. Falls der Beruf im Entsendestaat nicht reglementiert ist, muss zusätzlich eine zweijährige Berufserfahrung während der letzten zehn Jahre nachgewiesen werden. Falls jedoch die Inhalte des Studiums oder der Ausbildung sich wesentlich von denen unterscheiden, die im Aufnahmeland gefordert sind, kann eine Eignungsprüfung oder ein Anpassungslehrgang verlangt werden. Dabei muss es prinzipiell dem Antragsteller überlassen werden, für welche Maßnahme er sich entscheidet. Ein Vorschreiben eines Anpassungslehrgangs oder einer Eignungsprüfung ist nur möglich, wenn die Ausübung des Berufes genaue Kenntnisse des nationalen Rechts erfordert.[36]

[...]


[1] Siehe Art. 14 EGV

[2] Siehe Art. 10 EGV

[3] Siehe Art. 18 EGV

[4] Art.1 Absatz 1, Vertrag über den Beitritt zur Europäischen Union 2003

[5] Art.1 Absatz 2, Vertrag über den Beitritt zur Europäischen Union 2003

[6] Siehe ABl. Nr. C 80 vom 10.03.2001

[7] Art. 10 EGV

[8] Art. 39 Absatz 2 EGV

[9] Art 39 Abs. 3 EGV

[10] Art. 43 EGV

[11] Art. 49 EGV

[12] Siehe Art. 50 EGV

[13] Fundstelle: http://europa.eu.int/comm/enlargement/negotiations/treaty_of_accession_2003/de/pdf/3_beitrittsakte/aa00003-re03.de03.pdf

[14] Fundstelle: http://europa.eu.int/comm/enlargement/negotiations/treaty_of_accession_2003/de/treaty_of_accession_2.htm

[15] Siehe Art. 24, Beitrittsakte; Anhänge V-XIV, Beitrittsakte

[16] Siehe Anhänge VII und XI, Beitrittsakte

[17] Punkt 8, Abschnitt 2, Kapitel Freizügigkeit in den Anhängen X-XIV Beitrittsakte

[18] Siehe: Artikel 10, 11 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68; Punkt 8, Abschnitt 2, Kapitel Freizügigkeit in den Anhängen X-XIV Beitrittsakte

[19] Siehe § 7 SGB IV

[20] § 18 Absatz 1, Satz 2 EstG

[21] Siehe http://www.aufenthaltstitel.de/stichwort/selbstaendige_taetigkeit.html ;

http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstst%C3%A4ndige ; § 7, Abs. 1, SGB IV ;

Microsoft Encarta Enzyklopädie 2002, Stichwort „Selbständige“

[22] EuGH, Rs. C-221/89 vom 25.07.1991 – Factortame, Randnr. 20

[23] Siehe http://www.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek/texte/0660-0672.html#fnB13, Randnr. 10

[24] Siehe EuGH, Rs. C-70/95 vom 17.06.1997 – Sodamare, Randnr. 24

[25] Siehe Art. 43 EGV

[26] Art. 43 Satz 1 und 2 EGV

[27] Siehe Art. 43 Satz 3 EGV

[28] Siehe § 2 Abs. 2, Nr. 2, FreizügG/EU

[29] Siehe S. 7, Referat IIA 7, Bundesministerium für Wirtschaft, Bonn, 2004, Fundstelle: http://www.deutschebotschaft-budapest.hu/downloads/eu-beitrittsvertrag-beschaeftigung-frage-antwort.pdf

[30] Art. 3 Abs. 1, Buchstabe a, Richtlinie 2005/36/EG

[31] Siehe Website der Kommission, Binnenmarkt http://europa.eu.int/comm/internal_market/qualifications/regprof/regprofs/dsp_bycountry.cfm

[32] Siehe Art. 63, Richtlinie 2005/36/EG, ABl. Nr. L 255/22 vom 30.09.2005

[33] Art. 3 Abs. 1, Richtlinie 89/48/EWG, ABl. Nr. L 019 vom 24.01.1989

[34] Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b, Spiegelstrich 1, Richtlinie 89/48/EWG, ABl. Nr. L 019 vom 24.1.1989

[35] Art.3 Abs.1 Buchstabe b, Spiegelstrich 2 u. 3, Richtlinie 89/48/EWG, ABl. Nr. L 019 v. 24.1.1989

[36] Siehe Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b, Richtlinie 89/48/EWG

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Details

Title
Die Rechtslage der Arbeitnehmer aus den neuen EU-Beitrittsländern
College
University of Applied Sciences Landshut
Course
Europarecht
Grade
2
Author
Year
2006
Pages
58
Catalog Number
V62592
ISBN (eBook)
9783638558051
ISBN (Book)
9783656803867
File size
617 KB
Language
German
Notes
Diese Diplomarbeit behandelt die aktuellen Rechte der Arbeitnehmer aus den neuen EU Mitgliedsstaaten in Deutschland. D.h. unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen diese in der BRD welche Arbeit ausüben oder annehmen dürfen bzw. können. - Basiert auf Gesetzestexten und Regierungsvereinbarungen -
Keywords
Rechtslage, Arbeitnehmer, EU-Beitrittsländern, Europarecht
Quote paper
Martin Kendlbacher (Author), 2006, Die Rechtslage der Arbeitnehmer aus den neuen EU-Beitrittsländern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62592

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