Die Konsolidierung der Demokratie in Ungarn


Dossier / Travail, 2001

21 Pages, Note: sehr gut (1,3)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Kontextabhängigkeit der Konsolidierung
1.1. Liberalisierung seit 1968
1.2. Verfassungsgebung
1.3. Wahl - und Regierungssystem

2. Die Ebenen der Konsolidierung
2.1. Konsolidierung der Institutionen
2.1.1. Politische Institutionen
2.1.2. Verfassungsorgane
2.1.3. Aktuelle Probleme
2.2. Repräsentative Konsolidierung
2.3. Verhaltenskonsolidierung
2.4. Demokratiestützende Staatsbürgerkultur
2.4.1. Motor: Strukturwandel
2.4.2. Die Rolle der EU
2.4.3. Die Problematik der Roma

Fazit

Literaturverzeichnis

Die Republik Ungarn gilt als einer der ersten Kandidaten für die Aufnahme in die Europäische Union im Rahmen der Osterweiterung. Ob Ungarn mit Blick auf die Institutionen, Parteien und Interessengruppen, das Verhalten relevanter Akteure und der Staatsbürger bereits als konsolidiert gelten kann, wird mit Hilfe des akteurstheoretischen Ansatzes untersucht. Trotz der Probleme, die die Lage der Roma und die anhaltende Korruption mit sich bringen, hat sich in Ungarn durch die frühzeitige Liberalisierung schnell eine stabile und konsolidierte Demokratie entwickeln können.

Einleitung

Kann Ungarn als bereits konsolidiert gelten? Vor allem mit Blick auf das Trilemma der gleichzeitigen Transformation des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems, stellt sich diese Frage[1]. Es gibt nur zwei idealtypische Lösungswege für das Problem der Gleichzeitigkeit: den gradualistischen Weg oder den „big bang“ – eine rasche, radikale und riskante Transformation der Wirtschaft[2].

Die Transformation Ungarns wird sehr häufig in der Literatur beschrieben. Ein Grund ist die gut dokumentierte Entwicklung des Landes während der Transitionsjahre 1988 und 1989. Die Ungarn konnten sich auf bereits vorhandene Ansätze einer Marktwirtschaft - die sogenannte zweite Wirtschaft - berufen. Die folgenden Reformen waren demnach nicht so radikal oder sozialpolitisch riskant wie in anderen Transformationsländern. Es konnten rasche Fortschritte erzielt werden, die heute dazu führen, dass Ungarn als erster möglicher Beitrittskandidat der Europäischen Union im Rahmen der Osterweiterung gehandelt wird.

Aus den besonderen Gegebenheiten in Ungarn lässt sich schlussfolgern, dass die Konsolidierung eines Staates nicht losgelöst von dessen Kontext betrachtet werden kann. Im ersten Abschnitt werden die Besonderheiten Ungarns: die Liberalisierung seit 1968, die Verfassungsgebung und das Wahl- und Regierungssystem dargestellt. Diese bilden die Rahmenbedingungen für die anschließende Untersuchung der vier Ebenen der Konsolidierung nach Linz/Stepan (Linz, Stepan 1996). Ziel der Untersuchung ist, am konkreten Beispiel Ungarns Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Konsolidierung zu finden. Dabei werden noch anstehende Probleme in einem eigenen Abschnitt betrachtet.

Das Augenmerk liegt auf der engen Verbindung zwischen den handelnden Akteuren und den Institutionen im weiteren Sinne, da der akteurstheoretische Ansatz die institutionellen Arrangements am fundiertesten zu erklären vermag. Den Akteuren wird durch die Besetzung von Schlüsselpositionen ein überlegener Einfluss auf das gesellschaftliche Geschehen unterstellt. In der Praxis sind daher die politischen Entscheidungen von den Kräftekonstellationen und Machtperspektiven der Akteure abhängig.

1. Die Kontextabhängigkeit der Konsolidierung

Die Konsolidierung, also die Verfestigung, Legitimierung und Stabilisierung der demokratischen Strukturen kann sehr differenziert verlaufen. In der Vergangenheit haben unterschiedliche institutionelle Arrangements gleichermaßen zu einer Konsolidierung geführt. Der optimale Konsolidierungspfad eines Landes ist jedoch an den dessen Kontext gebunden. Im Beispiel Ungarns wird der Kontext im folgenden anhand der schrittweisen Liberalisierung seit dem Ende der sechziger Jahre, des Verlaufs der Verfassungsgebung und der Entscheidungen um das heutige Regierungs - und Wahlsystem dargestellt.

1.1. Liberalisierung seit 1968

In Ungarn wurde während der sowjetischen Besatzung die sozialistische Planwirtschaft eingeführt. Unter Ministerpräsident Imre Nagy (1953-1955) folgte eine Lockerung, die zu dessen Absetzung und in der Folge im Oktober 1956 zum Aufstand - der sogenannten Asterrevolution - führte. Der Aufstand wurde von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen und eine neue Regierung unter Janós Kádár eingesetzt. Seit Ende der sechziger Jahre fand unter Kádár eine schrittweise Liberalisierung statt. Sie äußerte sich in einer außenpolitischen Öffnung Ungarns, einer zweiten Wirtschaft, Alternativkandidaten im Wahlsystem der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei und einer gewissen Basisdemokratie auf dem Lande. Das deficit spending ermöglichte einen beträchtlichen Aufschwung der Wirtschaft. Gleichzeitig wurde eine aktive Struktur - und Gesellschaftspolitik betrieben, die zu einer völligen Überlastung des Staatshaushaltes führte. In der 80-er Jahren kam es zur Stagnation in der Liberalisierung unter Kádár.

Nach den Massenprotesten im Jahre 1988 und 1989 - allein 250 000 Menschen gedachten Imre Nagys und anderer Helden der Asterrevolution - war eine Fortsetzung der Politik der alten Elite nicht mehr möglich. Janós Kádár schied aus der Führung der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei aus. Die Angst vor einem Wiederaufleben der Verhältnisse von 1956 zwang die Parteiführung unter Károly Grósz zu Kompromissen.

Freie Wahlen wurden gefordert. Dieser Forderung stand die alte Elite nicht entgegen, weil sie sich den Erhalt und die Bestätigung ihrer Macht erhoffte. Diese Haltung war begründet, da die Opposition sehr schwach war. Die Parteiführung versuchte wirtschaftliche Reformen umzusetzen, handelte aber immer nach dem Prinzip „teile und herrsche“. Die Hardliner der Regimepartei und die Opposition waren auf Konfrontation aus, was den Einfluss der Reformkommunisten stärkte. Im März und Juni 1989 wurden Runde Tische einberufen, in deren Verlauf die Reformkommunisten sich mehr und mehr von der Partei distanzierten. Károly Grósz, hat es so formuliert: „Die Partei wurde nicht von ihren Gegnern zerschlagen, sondern paradoxerweise von ihrer eigenen Führungsspitze“[3]. In Ungarn wurde die Transition demnach unter den politischen Akteuren ausgehandelt. Die Grenzanlagen zu Österreich wurden abgebaut und am 23. Oktober 1989 wurde die demokratische Republik Ungarn proklamiert.

1.2. Verfassungsgebung

Die Verfassung soll einer jungen, noch instabilen Demokratie Legitimität und Stabilität verleihen. Deshalb ist ein staatsrechtlich und demokratie - theoretisch korrektes Verfahren bei der Verfassungsgebung erforderlich. In Ungarn wurde die stalinistische Verfassung von 1949 einer Totalrevision unterzogen und vom reformerischen, aber demokratisch unzureichend legitimierten „Regimeparlament“ ohne ein Volksreferendum im Oktober 1989 verabschiedet. Dieses Verfahren ist demokratie - theoretisch äußerst bedenklich, weist jedoch auf die Zeitknappheit bei einer Transition hin. Das alte Regime hatte eine Güterabwägung zwischen einer vorbildlichen Prozedur und einer langen risikoreichen Übergangsphase zu treffen[4].

In Ungarn begannen die Verhandlungen zur Verfassungsrevision am Runden Tisch, an dem die Reformkräfte der Regimepartei, Oppositionelle und einige gesellschaftliche Organisationen als wenig bedeutsame dritte Verhandlungspartei saßen. Der Konsens für eine parlamentarische Demokratie war breit. Umstritten waren jene Institutionen, die für die künftige Machtverteilung bedeutend waren: die Befugnisse des Staatspräsidenten, die Rechte von Parlament und Regierung, das Wahlsystem sowie die Befugnisse des Verfassungsgerichts[5].

Die Entscheidung über eine neue Verfassung sollte erst nach der Wahl 1990 vom frei gewählten Parlament getroffen werden. Es ist jedoch sehr schwierig, nach den Transitionsjahren einen Konsens herzustellen. In Ungarn hat noch immer die provisorische Verfassung von 1989 ihre Gültigkeit.

Seitdem wurden nur einige Änderungen wie die Ergänzung der Menschenrechte, die Vertretung der Minderheiten im Parlament, die Verfassungskontrolle und die Kontrolle des Parlaments vorgenommen[6]. Die eindeutige Verteilung der Kompetenzen und wirkungsvolle Kontrollen schufen einen verfassungspolitischen Rahmen, der sich förderlich auf die demokratische Konsolidierung auswirkt.

[...]


[1] Offe, Claus (1994): 20.

[2] Merkel, Wolfgang (1994): 9.

[3] Zitiert nach Przeworski, Adam (1991): 56.

[4] Merkel, Wolfgang; Sandschneider, Eberhard; Segert, Dieter (1996): 22ff.

[5] Stark, David; Bruszt, Laszlo (1999): 41f.

[6] Brunner, Georg (1991): 297-318.

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Die Konsolidierung der Demokratie in Ungarn
Université
Free University of Berlin  (Osteuropa-Institut/FB Politik)
Note
sehr gut (1,3)
Auteur
Année
2001
Pages
21
N° de catalogue
V6290
ISBN (ebook)
9783638138956
ISBN (Livre)
9783638786942
Taille d'un fichier
516 KB
Langue
allemand
Mots clés
Konsolidierung, Demokratie, Ungarn
Citation du texte
Andrea Friemann (Auteur), 2001, Die Konsolidierung der Demokratie in Ungarn, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6290

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