Ursprünglich war geplant in dieser Arbeit die Theodizee, also die Rechtfertigung Gottes hinsichtlich des von ihm in der Welt zugelassenen Übels und Bösen, innerhalb der muslimischen Theologie zu behandeln. Bei meinen Vorbereitungen zu dieser Arbeit wurde mir aber zunehmend bewusst, dass dieses Thema eine weitere Fragestellung mit sich bringt, die unter muslimischen Theologen, vor allem in den ersten Jahrhunderten, stark umstritten war: die Handlungsfreiheit des Menschen.
Die meisten Lösungsversuche des Theodizee-Problems bauen genau auf diese Handlungsfähigkeit auf, nur dass es die unterschiedlichsten Ansichten darüber gibt bzw. gab, ob der Mensch überhaupt diese Fähigkeit besitzt oder nicht. Genauer gesagt lautete der entscheidende Streitpunkt: Kann der Mensch frei handeln, also aus eigener Kraft, Verantwortung und eigenem Willen, oder ist alles, was der Mensch im Laufe seines Lebens tut, letztendlich auf Gott zurückzuführen? Für die Theodizee ist diese Frage von daher von Bedeutung, als dass man sich fragen muss, woher das Übel und das Böse in der Welt kommen. Diejenigen Theologen, die die Handlungsfreiheit des Menschen vertraten, hatten zumeist auch den Standpunkt, dass der Mensch es ist, welcher der Schöpfung und Gottes Geboten zuwider handeln kann und somit die schlechten Seiten der Welt hervorruft. Selbst bei Ereignissen, die man zunächst als von menschlichen Handlungen unabhängige Ereignisse betrachten würde, kann man auf diese Weise den Menschen zur Verantwortung ziehen, indem man sagt, dass auch hier die Sünden der Menschen diese Vorkommnisse ausgelöst haben. Diejenigen Theologen, die allerdings die Meinung vertraten, der Mensch ist in seinen Handlungen nicht frei, mussten eine andere Lösung für die Theodizee finden. Um also die Frage nach dem Ursprung des Übels beantworten zu können, muss man zunächst klären, wie es um die Handlungsfreiheit des Menschen bestellt ist.
Aus den bis hierher erläuterten Problematiken wird ersichtlich, dass es in einem Großteil dieser Arbeit zunächst darum gehen muss, die verschiedenen theologischen Standpunkte hinsichtlich der menschlichen Handlungsfreiheit aufzuzeigen, ehe ich zum Problem der Theodizee übergehen kann. Natürlich gibt es auch Ansätze, die ohne den Punkt des menschlichen Handelns auskommen. Diese sind allerdings relativ schnell erläutert und schon fast auf die altbekannte Formel „Gottes Wege sind unergründbar“ zu bringen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Menschliches Handeln
- Prädestination und Fatalismus
- Das frühe Sunnitentum
- Die Mu'tazila
- Die Aš'ariten
- Die Theodizee
- Allgemeines
- Das Übel kommt vom Menschen allein
- Das Böse ist eine Versuchung
- ,,Er wird nicht zur Rechenschaft gezogen...“ (21,23)
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Problem der Theodizee im Islam des 8. bis 11. Jahrhunderts und analysiert die verschiedenen theologischen Ansätze zur Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt. Dabei wird die Frage der Handlungsfreiheit des Menschen als zentrale Herausforderung für die Theodizee erörtert, die im frühen Islam stark umstritten war.
- Prädestination und Fatalismus im Islam
- Die Rolle des menschlichen Handelns in der Theodizee
- Verschiedene theologische Ansätze zur Theodizee (Sunnitentum, Mu'tazila, Aš'ariten)
- Die Frage der Verantwortung des Menschen für das Böse in der Welt
- Die Interpretation und Auslegung relevanter islamischer Texte
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung erläutert die Problematik der Theodizee und die Relevanz der Frage nach der Handlungsfreiheit des Menschen für diese Thematik. Kapitel 2 befasst sich mit verschiedenen Konzepten zum menschlichen Handeln, insbesondere mit der Prädestination und dem Fatalismus im Islam. Es werden die Positionen des frühen Sunnitentums, der Mu'tazila und der Aš'ariten vorgestellt, die unterschiedliche Ansichten zur Handlungsfreiheit des Menschen vertreten. Kapitel 3 analysiert verschiedene Ansätze zur Theodizee, wobei die Frage nach dem Ursprung des Übels im Mittelpunkt steht. Dabei werden Theorien erörtert, die das Übel auf das menschliche Handeln zurückführen oder es als Versuchung Gottes interpretieren.
Schlüsselwörter
Theodizee, Prädestination, Fatalismus, Handlungsfreiheit, Menschliches Handeln, Übel, Böse, Islam, Sunnitentum, Mu'tazila, Aš'ariten, Gottesbild, Rechtfertigung Gottes, islamische Theologie, 8. bis 11. Jahrhundert, Al-Ġubbãi, al-Aš´ari
- Arbeit zitieren
- Marko Tomasini (Autor:in), 2006, Woher kommt das Übel in der Welt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62987