Leseprobe
Gliederung
Einleitung
1. Die Situation der Kirche nach dem Bürgerkrieg: der Nationalkatholizismus
2. Das Konkordat von 1953
3. Kirche und Sexualität
4. Die Kirche und ihr Frauenbild
5. Kirche und Arbeiterschaft
6. Das Opus Dei
7. Die Distanzierung der Kirche vom Staat
Fazit
Chronologie
Bibliographie
Einleitung
Neben Italien ist Spanien wohl das Land in Europa, das auch heute noch am stärksten mit dem Katholizismus identifiziert wird. Die aktuellen Reaktionen in Spanien auf die Anerkennung der Ehe von gleichgeschlechtlichen Partnern, nämlich die Forderungen der Bischöfe an die Bürgermeister, „zivilen Ungehorsam“ zu leisten und die Eheschließungen dieser Paare zu verweigern, veranschaulicht, dass die spanische Katholische Kirche noch heute beansprucht, in Fragen von Moral und des rechten Menschenbilds Normen zu setzen und eine lautstarke Einflussnahme auf die spanische Gesellschaft auszuüben. Sind es heute nur noch Äußerungen appellativen Charakters, die die Kirche an die einzelnen Vertreter des Staates lanciert, so war die Verflechtung von Kirche und Staat im Franco-Regime auch institutionell verankert.
Die Katholische Kirche gehörte zu den fundamentalen Stützen des neuen Regimes, welches ihr im Gegenzug ihre alten, in der Republik eingebüßten Privilegien zurückerstattete. Mit Hilfe dieser Machtinstrumente durchdrang die Katholische Kirche die verschiedenen Bereiche des sozialen Lebens. Doch welche Funktionen waren es genau, die die Kirche in jenem Regime, das oft als „klerikalfaschistische Herrschaftsform“ bezeichnet wird, einnahm? Welchergestalt war der Einfluss, den sie auf die Gesellschaft ausübte? Und welche Wirkung hatte dieser Einfluss im täglichen Leben?
Diese Arbeit stellt den Versuch dar, die Rolle der Kirche im Franco-Regime zu skizzieren. Dabei lieferte die Darstellung von Walther L. Bernecker zur Religion in Spanien in der Fülle der Literatur zu diesem Thema eine grundlegende Orientierungshilfe.
Im Rahmen einer im Wesentlichen chronologischen Darstellung der Entwicklung der Katholischen Kirche wird zunächst die Situation der Kirche nach dem Bürgerkrieg beschrieben. Um die Kodifizierung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu erklären, folgt eine Beschreibung des Konkordats und seiner konkreten Auswirkung in Spanien. Dabei muss darauf verzichtet werden, die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem franquistischen Regime genauer zu erläutern. In den folgenden drei Kapiteln wird die Einflussnahme der Kirche auf die Gesellschaft beleuchtet. Im Einzelnen interessieren uns dabei vier Bereiche: Die Sexualrepression durch die Kirche, das von ihr propagierte Frauenbild, ihre Beziehungen mit der Arbeiterschaft und der Einfluss einer kirchlichen Organisation, des Opus Dei, speziell auf die Wirtschaft. Im letzten Teil werden die Veränderungen in der Kirche ab den 60er Jahren umrissen, während derer sich eine Distanzierung vom Staat vollzog.
1. Die Situation der Kirche nach dem Bürgerkrieg: der Nationalkatholizismus
Seit Beginn des Bürgerkrieges gehörte die katholische Kirche zu den Machtträgern des neuen Regimes. Mitte 1937 veröffentlichten die Bischöfe Spaniens einen Brief an alle Bischöfe der Welt, in dem sie den Aufstand als „Kreuzzug“ verteidigten – lediglich zwei spanische Bischöfe stellten sich gegen die Schrift. Von der eindeutigen Parteinahme erhoffte sich die Kirche die Wiedereinsetzung ihrer verlorenen Privilegien. Gefestigt wurde die Beziehung zwischen der Kirche und dem Nuevo Estado durch den extremen Antiklerikalismus, der zu Beginn des Bürgerkrieges in Kirchenverbrennungen und Morden an Priestern, Ordensbrüdern und Nonnen seine grausamste Erscheinungsform annahm.
Nach 1939 wurde deutlich, dass die Kirche nur eine der „politischen Familien“[1] des neuen Regimes war. Sie stand in Konkurrenzkampf mit der Einheitspartei Falange um die führende Stellung im Staate. Die anfangs dominierenden faschistisch-totalitären Züge des Regimes stießen sofort auf die Opposition der Kirche. Jedoch bestand keine etwa in der Parteiideologie begründete Gegnerschaft zwischen der Falange und der Kirche, wie es bei den Nationalsozialisten der Fall war. Die Falange vertrat vielmehr die von den spanischen Traditionalisten des 19. Jahrhunderts übernommene Vorstellung von Staat und Kirche als Einheit. In der Ideologie hatten Kirche und Staat tiefe Übereinstimmungen. Franco bezeichnete sich als „überaus treuer Sohn der Kirche“[2] und seine Lehre bestand aus einem Cocktail von Ideen, in dem man im Wesentlichen zwei Tendenzen erkennen konnte: erstens die Vorstellung einer Einheit von Katholizismus und Hispanismus – wer Spanier war, musste auch Katholik sein; und zweitens ein „Katholizismus mit einer typisch spanischen Art von Faschismus,“[3] dessen Charakteristika „ein religiöses Ausufern im öffentlichen, oft auch im privaten Leben, Doktrinarismus und Autoritarismus“[4] waren.
Es ist zu einem Allgemeinplatz geworden, das enge Verhältnis von Kirche und Staat während der Franco-Regierung als „Nationalkatholizismus“ zu benennen. Diese Bezeichnung wird in der Literatur allerdings kritisiert: von den Einen als zu plakativ und vereinfachend, als unangemessen, um die Situation der Kirche unter Franco in ihrer Komplexität zu erfassen; von anderer Seite wird bemängelt, dass die Ideen, die mit „Nationalkatholizismus“ assoziiert würden, vermittelten, dass die Kirche über ein wirkliches ideologisches Instrumentarium verfügt hätte, um ihre Unterstützung für Franco und die im Gegenzug erhaltenen Privilegien zu rechtfertigen. In jedem Fall schloss der Nationalkatholizismus Religionsfreiheit und Weltlichkeit aus. Franco wurde zum Retter von Glauben und Nation erhoben, um dem Regime in der öffentlichen Meinung Anerkennung zu verschaffen.[5]
Alle Vorrechte, die die Kirche in der Republik verloren hatte, wurden ihr im neuen Staat zurückerstattet. Das neue Regime erklärte die volle Wiederherstellung der katholischen Religion und Kultur zu einem ihrer Hauptanliegen. 1945 wurde der Katholizismus in dem „Grundrechtskatalog“ zur Staatsreligion erklärt. Durch den Nachsatz „Andere öffentliche Zeremonien und Kundgebungen als die der katholischen Religion sind nicht erlaubt“, (Grundgesetz der Spanier, Artikel 6)[6] wird Religionsfreiheit im Nuevo Estado ausgeschlossen. Nach kurzer Zeit kam es zu einer sukzessiven „Invasion“ des Katholizismus in die verschiedenen Bereiche des sozialen Lebens.[7]
Der Bürgerkrieg hatte für die spanischen Orden sowohl auf personaler als auch materieller Ebene große Verluste eingefordert. Doch im Zuge der religiösen Euphorie der Nachkriegsjahre kam es zu einer Resakralisierung des gesellschaftlichen Lebens in Spanien. Mehr Kirchen und sakrale Bauten wurden neu errichtet als im Bürgerkrieg vernichtet worden waren. Viele junge Menschen fühlten sich zu einem Leben im Orden oder im Priesteramt berufen und so stieg der „Personalbestand“ in der Kirche beachtlich. Die Orden und Klöster hatten ihre Funktionen in vier Bereichen: im Erziehungs- und Bildungssektor, in der Kranken- und Heimpflege, in der Sozial und Jugendarbeit und im Bereich kirchlicher Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Aufgaben der Pfarrer umfassten das Abhalten der Messen, die Krankenbetreuung und Armenfürsorge, Jugendarbeit, das Halten von Fastenpredigten, Prozessionen, Herz-Jesu- und Marienandachten.
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[1] Bernecker (1995), Walther L. Bernecker, Religion in Spanien. Darstellung und Daten zu Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1995, S. 100.
[2] “hijo fidelísimo de la Iglesia”, Vicente Cárcel Ortí, Historia de la Iglesia en la Espana contemporánea (siglos XIV y XX), Madrid 2002, S. 191.
[3] Angela Cenarlo, Elite, Party, Church. Pillars of the Francoist ‘New State’ in Aragon, 1936 – 1945, in:European History Quarterly 28, 4 (1998), S. 472.
[4] Walther L. Bernecker, Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg, München ²1988, S. 71.
[5] Vgl. William J. Callahan, The Catholic Church in Spain, 1875 – 1998, Washington, D.C. 2000, S. 382.
[6] Bernecker (1988), S. 70.
[7] Vgl. Cárcel Orti, S. 189.