Von der Bierkneipe zur Stadt - Entstehung und Stadtwerdung der mittelalterlichen Stadt Ardres


Hausarbeit, 2003

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Lambert von Ardres

II. Stadtwerdung Ardres
1. Lage und Entstehung
2. Herrschaftliche und fortifikatorische Zentralfunktion: Die Burg
3. Kultisch – religiöse Zentralfunktion: Der Stift
4. Arnold fördert die Stadtwerdung: Das Stadtprivileg
5. Wirtschaftliche Zentralfunktion: Der Markt
6. Die verfassungsmäßige Institutionalisierung
7. Stadtqualität von Ardres am Ende des 11. Jahrhunderts

III. Entwicklung Ardres’
1. Ausbau der herrschaftlichen Zentralfunktion
2. Ausbau der Stadtbefestigung
3. Weitere Entwicklung

IV. Fazit

Karte

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

Stellen Sie sich vor es ist Sommer, im Jahre 1035. Sie sind ein Fern-handelskaufmann auf der Durchreise von Italien nach England. Natürlich reisen Sie über Flandern, da Sie hier noch ein paar flandrische Tuche ein-kaufen können, um diese in England wieder teuer zu verkaufen. Sie sind bereits seit Tagen unterwegs, müde, hungrig, durstig und gelangweilt. Auf Ihrer Kutsche wird es Ihnen langsam zu warm, weil die Sonne schon den ganzen Tag scheint und sich scheinbar kein Wölkchen dazu erbarmen möchte, Ihnen ein wenig Schatten zu spenden. Alles, woran Sie noch denken können, und was Sie sich jetzt noch wünschen, ist: Ein kühles Bier. Und siehe da, tatsächlich treffen Sie an Ihrer Wegstrecke eine einsame Bierkneipe an. Und Sie freuen sich, denn hier bekommen Sie nicht nur Ihr gekühltes Bier, nein, hier ist sogar richtig gute Stimmung. Sie können sich etwas von der anstrengen Fahrt erholen und mit den anderen Kaufleuten, die auf ihrem Weg hier angehalten haben etwas trinken, essen und sich unerhalten. Später beschließen Sie dann auch noch die Nacht in dem Wirtshaus zu verbringen, weil Sie endlich wieder in einem richtigen Bett schlafen möchten.

Am nächsten Morgen wachen sie ausgeschlafen – und vielleicht mit einem kleinen Kater – auf und reisen weiter nach London. Sie beschließen, dort angekommen, in London zu bleiben und sich vor den Toren der herrschaftlichen Stadt niederzulassen, weil dort der Markt abgehalten wird[1].

Viele Jahre später haben Sie das Bedürfnis doch in Ihre Heimat zurück zu kehren und treten den Heimweg an. Sie kennen die Strecke und die ermüdende Fahrt. Sie erinnern sich daran, wie es war, als Sie die Strecke beim letzten mal zurück gelegt haben und erinnern sich plötzlich an das Wirtshaus und wie schön der Abend dort gewesen war, und Sie nehmen sich vor, dort wieder Halt zu machen. Langsam nähern Se sich mit Ihrer Kutsche dem Fleck, an dem es etwa gewesen sein müsste. Sie wissen noch, dass es ganz einsam inmitten des vielen Weidelandes gestanden hatte. Doch je näher Sie kommen, desto mehr beschleicht Sie das Gefühl, dass Sie sich verfahren haben müssen. Zuerst hatte Sie ja schon die Burg auf dem Hügel verwundert, die Sie in keinen Zusammenhang mit dem Wirtshaus bringen konnten, aber jetzt noch die vielen Häuser...

Sie stehen mitten in einem unbekannten, kleinen Städtchen, an das Sie sich von der Hinfahrt gar nicht mehr erinnern können, und auf einmal sehen Sie es, zwischen den ganzen Häusern und Hütten: das Wirtshaus. Ihnen wird plötzlich klar, dass sich das Städtchen in der Zeit zwischen Ihrer Hin- und Rückreise um das Wirtshaus herum entwickelt haben muss. Viele Fragen gehen Ihnen durch den Kopf: „Wo kommt diese Stadt her?“ , „Was ist hier passiert?“.

Und genau dieser Frage möchte ich auf den Grund gehen. Die Stadt, von der ich gesprochen habe, die sich bereits in einem sehr frühen Stadium des mittelalterlichen Urbanisierungsprozesses aus nur einem einzigen Wirtshaus entwickelte, ist die Stadt Ardres. Warum ich gerade diese Stadt ausgewählt habe? Nun, weil man sich ihre Entstehung und Entwicklung so genau vorstellen kann (wie man eben schon gesehen hat). Das verdanken wir dem Pfarrer Lambert von Ardres, der die Geschichte seiner Heimatstadt so exakt und lebendig niedergeschrieben hat. Und so möchte ich auch im Folgenden zuerst ein paar Worte über den Mann verlieren, dem ich die Quellen meiner Arbeit verdanke, Lambert von Ardres, und dann über Ardres selbst berichten, von der Entstehung über die Stadtwerdung, bis hin zu seiner weiteren Entwicklung im Mittelalter.

I. Lambert von Ardres

Lambert lebte am Ende des 12.Jahrhunderts mit seiner Familie in Ardres und war Pfarrer des kleinen Städtchens. Aufgeschlossen für die mündlich geprägte Kultur der Ritter, verwendete er deren zeitgenössische und lokale Geschichten, um die Entstehung seiner Heimatstadt Ardres zu rekonstruieren. Er war verwandt mit der Grafenfamilie von Ardres und Guînes, deren Geschichte er dann auch um 1200, verknüpft mit der Ge-schichte Ardres, in der „Historia Comitum Ghisnensium“ niederschrieb.

Interessant ist auch, warum der Pfarrer Lambert diese Chronik verfasste: Lambert hatte im Jahre 1194, anlässlich der Hochzeit des Grafensohnes Arnulf von Ardres, nicht die Glocken läuten lassen, da dieser exkom-muniziert war. Dadurch fiel er jedoch bei dem Grafen Balduin II. von Guînes, seinem Gönner, in Ungnade und verfasste die „Historia Comitum Ghisnensium“, um die Gunst des Grafen wieder zu gewinnen[2]. Seine Chronik ist geteilt in 3 Teile: Geschichte der Grafen von Guînes vom 10. Jahrhundert bis zu Balduin II. ; Geschichte der Herrschaft Ardres’ bis zur Heirat der Erbtochter mit dem Grafen von Guînes ; einige Kapitel über die gemeinsame Geschichte der beiden Herrschaften.

Dadurch, dass Lambert sehr detailliert berichtet und auch als kritischer Beobachter auftritt, liefert er uns eine Chronik mit viel Realitätssinn, und wenn man die Kapitel über die Entstehung seiner Heimatstadt liest, glaubt man fast selbst dabei gewesen zu sein.

II. Stadtwerdung Ardres

1. Lage und Entstehung

Zur Entstehung Ardres’ trägt ein wichtiger Faktor bei: der Lagevorteil. Der Fleck, an dem Ardres später entstehen sollte, liegt im Norden Frank-

reichs, ganz in der Nähe von Calais. In dieser Gegend, dem Küstengebiet
von Nordfrankreich, entstehen seit der frühen Karolingerzeit Handels-emporien als neue Organisationsformen des Fernhandels. Der Lagevorteil Ardres’ besteht nun darin, dass es an einer wichtigen Fernhandelsroute liegt. Die Handelsstrecke gewinnt im 12. Jahrhundert an Bedeutung, zusammen mit dem Aufstieg der Champagne-Messen und der frühen englischen Messen. Und so kommen spätestens seit dem 12. Jahrhundert italienische Kaufleute durch Ardres, die in England Handel treiben wollen[3].

Nun aber zur eigentlichen Entstehung von Ardres:

Lambert verfolgte in seiner Chronik die Entwicklung Ardres’ seit dem frühen 11. Jahrhundert. Da er zu dieser Zeit noch gar nicht geboren war, ist dieser Teil der Entstehungsgeschichte Ardres’ auf die Erzählungen des Troubadours Walter de Clusa gestützt[4]. Lambert beginnt mit der Zeit, als der Ort noch nur aus Weideland bestand und kaum durch Siedlung und Ackerbau berührt war. Das Weideland war jedoch nicht ganz unbesiedelt, denn in ihm wohnte ein Bierbrauer und Schankwirt. Seine Brauerei sollte schließlich die „Keimzelle einer mittelalterlichen Stadt“ (Franz Irsigler) werden. In die Brauerei kamen Bauern und kleine Leute, Jäger, Hirten und Durchreisende um zu trinken, zu essen und zu spielen. Sie fanden dort die Unterhaltung, die sie brauchten. Lambert begründet den regen Besuch der Kneipe mit dem weiten und breiten Weideland, agri pascui largam et latam planiciem, das die Brauerei umgibt. Man weiß nicht genau, was er damit meinte. Weit verbreitet ist zum einen die Meinung, dass es keine andere Unterhaltungsmöglichkeit in dem weiten Weideland gab, aber auch die Meinung, dass man dort Fußball spielte, weil dort so ein großes flaches Feld war. Dies währe dann sogar der früheste mitteleuropäische Beleg für das Fußballspiel. Aber weiter im Thema. Da diese Brauerei jedoch an der Fernhandelsroute gelegen war, übernahm sie nicht nur die Funktion eines einfachen Hirtenwirtshauses, sie war auch Herberge und Pferdewechsel-station für die durchreisenden Kaufleute. Durch das regelmäßige Zu-sammensein in der Kneipe entwickelte sich bald ein gemeinsames Siedeln um die Brauerei herum. Hauptsächlich Hirten, Bauern und andere aus dem weiteren Umland wurden Nachbarn, indem sie sich kleine Hütten in der Nähe des Schankbetriebes bauten, um den Weg dorthin zu verkürzen. Kaufleute siedelten dort in der Regel nicht, sie betrachteten den Ort tatsächlich nur als Etappenstation. So wächst Ardres. Die lockere Siedlung wird langsam zum Dorf. Die zuziehende Be-völkerung betreibt intensiven Landesausbau (d.h. Weiden werden zu Ackerland, Bau- und Brennholz liefern die Wälder, Wasser ist genügend vorhanden), wodurch das Dörfchen Ardres für Bewohner des Umlandes attraktiver wird[5]. Und so findet auch der adlige Burgherr Herredus, von dem wir gleich mehr erfahren werden, Gefallen an dem kleinen Örtchen Ardres. Zur Entstehung einer Stadt gehört natürlich ebenfalls die Entstehung ihres Namens. Lambert erklärt das folgendermaßen: Wahrscheinlich hatte der Platz, an dem sich das Wirtshaus befunden hatte zunächst noch keinen Namen besessen, weil das Gelände um den Schankbetrieb Weideland ( pascuus) war, leitete man von pastura – so sagten die Bewohner zum Weide- oder Hirtenland – den Namen ab. Wenn die Leute sich nun in der Brauerei verabreden wollten, so sagten sie in der Volkssprache „Arda“ zu dem Ort, was soviel heißt wie „Erde“[6]. Nun existierte also ein kleiner Ort mit Namen Ardres, der sich noch weiter entwickeln sollte, wie wir gleich sehen werden.

[...]


[1] Historische, politische und ökonomische Bedingungen der Stadtentwicklung. Von den Anfängen der Stadtentwicklung in Mitteleuropa bis zum Ende des 2. Weltkrieges, Reihe Forschungsberichte, hg. Von Klaus Habermann, Brigitte Nieße, Hannover 1978, S. 31 ff.

[2] Bourgain, P., Art. Lambert von Ardres, in: LexMA V, Sp. 1624 f.

[3] Vgl. zur Durchgangsstraße Ardres-Calais Lestocquoy, Jean, Histoire des territoires ayant formé le departement Pas-de-Calais. Commission Départementale des Monuments Historiques du Pas-de-Calais. Mémoires I. Arras 1946.

[4] Lamberti Ardensis Historia comitum Ghisnensium, Hg. von J. Heller, in: MGH SS XXIV, Hannover 1879, ND Stuttgart 1964, c.97-146 (eingeschobene Erzählung des Walter de Clusa).

[5] Lambert, c.100.

[6] Lambert, c.100.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Von der Bierkneipe zur Stadt - Entstehung und Stadtwerdung der mittelalterlichen Stadt Ardres
Hochschule
Universität Trier
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V63595
ISBN (eBook)
9783638566049
ISBN (Buch)
9783656777700
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bierkneipe, Entstehung, Ardres
Arbeit zitieren
Susanne Schake (Autor:in), 2003, Von der Bierkneipe zur Stadt - Entstehung und Stadtwerdung der mittelalterlichen Stadt Ardres, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63595

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Von der Bierkneipe zur Stadt - Entstehung und Stadtwerdung der mittelalterlichen Stadt Ardres



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden