Gesellschaft ist die Basis jeglicher Überlegung und Erforschung wissenschaftlicher Soziologie. Nach Esser kann das Analyseobjekt ,,Gesellschaft" als der allgemeinste Gegenstand soziologischer Erforschung vermerkt werden, wobei die ,,...typisierende ... Beschreibung von Gesellschaften" einer der wichtigsten Aufgaben der Soziologie darstellt.1
So verwundert es auch nicht, dass der Versuch einer Antwort auf die von Armin Pongs rhetorisch gestellte Frage ,,In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?", in einer retrospektiven Betrachtung einen bunten Strauß ,,typisierender Gesellschaften" hervorzaubert. Die Vielfältigkeit der bereits vorhandenen Theorien zeigt, dass es auf diese Frage nicht die eine Antwort geben kann. Je nachdem, mit welcher Absicht, mit welcher Fragestellung, zu welcher Zeit und aus welchem Blickwinkel Gesellschaft beobachtet wird, fällt die Antwort so oder so aus, kommt die Analyse zu Gesellschaftstypen wie Risikogesellschaft, Wissensgesellschaft, Arbeitsgesellschaft und der gleichen mehr.2 Es liegt ,,schlicht und einfach im Wesen von Gesellschaft...",so Pongs weiter, ,,daß sie sich nicht kategorisieren und eingrenzen läßt, dass sie ... sich ständig bewegt und wandelt."3 Um es mit Luhmanns Worten zu sagen: ,,Wir können nur sicher sein, dass wir nicht sicher sein können, ob irgendetwas von dem, was wir als vergangen erinnern, in der Zukunft so bleiben wird wie es war."4
So oder ähnlich müssen die Überlegungen sein, die man anstellt, wenn man das von Jean Fourastié entwickelte Konzept einer Dienstleistungsgesellschaft heute liest.
[...]
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1 Vgl. Esser (1996), S. 326.
2 Vgl. Pongs (1999), S. 17.
3 Pongs (1999), S.281.
4 Luhmann, zitiert nach Pongs (1999), S. 15.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Die Aktualität der Vergangenheit
2. Theoretische Ansätze zur Dienstleistungsgesellschaft
2.1 Jean Fourastié
2.2 Daniell Bell
2.3 Alan Gartner und Frank Riessman
2.4 William J. Baumol
2.5 Jonathan Gershuny
2.6 Gegenüberstellung und Bewertung
2.7 Zwischenresümee
3. Der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft
3.1 Entwicklung der Frauenrolle und Frauenbeschäftigung in Deutschland
3.2 Ursachen der Stagnation
3.3 Auswirkungen konservativer Frauen- und Arbeitsmarktpolitik
3.4 Änderung forschungsstrategischer Fragestellung
3.5 Die Überquerung des Rubikon
3.6 Resümee
4. Stellungnahme
Literaturverzeichnis
Die Sackgasse der Dienstleistungsentwicklung oder warum Deutschland noch immer an der Schwelle des Übergangs von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft verharrt.
1. Einleitung: Die Aktualität der Vergangenheit
Gesellschaft ist die Basis jeglicher Überlegung und Erforschung wissenschaftlicher Soziologie. Nach Esser kann das Analyseobjekt „Gesellschaft“ als der allgemeinste Gegenstand soziologischer Erforschung vermerkt werden, wobei die „...typisierende ... Beschreibung von Gesellschaften“ einer der wichtigsten Aufgaben der Soziologie darstellt.[1]
So verwundert es auch nicht, dass der Versuch einer Antwort auf die von Armin Pongs rhetorisch gestellte Frage „In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?“, in einer retrospektiven Betrachtung einen bunten Strauß „typisierender Gesellschaften“ hervorzaubert. Die Vielfältigkeit der bereits vorhandenen Theorien zeigt, dass es auf diese Frage nicht die eine Antwort geben kann. Je nachdem, mit welcher Absicht, mit welcher Fragestellung, zu welcher Zeit und aus welchem Blickwinkel Gesellschaft beobachtet wird, fällt die Antwort so oder so aus, kommt die Analyse zu Gesellschaftstypen wie Risikogesellschaft, Wissensgesellschaft, Arbeitsgesellschaft und der gleichen mehr.[2] Es liegt „schlicht und einfach im Wesen von Gesellschaft...“,so Pongs weiter, „daß sie sich nicht kategorisieren und eingrenzen läßt, dass sie ... sich ständig bewegt und wandelt.“[3] Um es mit Luhmanns Worten zu sagen: „Wir können nur sicher sein, dass wir nicht sicher sein können, ob irgendetwas von dem, was wir als vergangen erinnern, in der Zukunft so bleiben wird wie es war.“[4]
So oder ähnlich müssen die Überlegungen sein, die man anstellt, wenn man das von Jean Fourastié entwickelte Konzept einer Dienstleistungsgesellschaft heute liest. „Fourastié sah...“, so Walter Siebel[5] „ in der Dienstleistungsgesellschaft ... eine Gesellschaft der Vollbeschäftigung mit differenzierten Berufsstrukturen und entfalteten humanen Bedürfnissen.“ Seit Fourastiés 1954 in deutscher Sprache erschienenem Buch „Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts“[6] gilt er als “Vater der Debatte“[7] um die Dienstleistungsgesellschaft. Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts war für ihn evident, dass die agrarische und industrielle Produktion im Gesamtkontext von Produktion an Bedeutung verlieren und durch den zunehmenden Einfluss an Dienstleistungsproduktion ersetzt würde. Darüber hinaus bedeutete für ihn das Wachstum der Dienstleistungsproduktion gleichzeitig eine Veränderung in der Qualität der Arbeit und der Gesellschaft insgesamt.[8] Dreh- und Angelpunkt der Hoffnung Fourastiés war etwas Negatives, die These von der Resistenz der Dienstleistungen gegen den technischen Fortschritt. Aufgrund dieser Resistenz seien bei Dienstleistungen nur minimale Produktivitätsfortschritte zu erzielen. Wenn die Nachfrage nach Dienstleistungen steige, müsse dies dazu führen, dass immer mehr Menschen im Dienstleistungssektor beschäftigt würden, ohne dass „der Hunger nach Tertiärem" gestillt werden könnte. Die Dienstleistungsgesellschaft werde deshalb eine Gesellschaft dauerhafter Vollbeschäftigung sein. Zwar war Fourastié kein Soziologe, sondern Diplomingenieur und Ökonom, aber dennoch beschäftigte er sich mit der Gesellschaft, in der er lebte. Ausgangspunkt seiner Beobachtungen waren die periodisch wiederkehrenden Wirtschaftkrisen, die Klassenkämpfe und Weltkriege, die seit der Industrialisierung in Europa zu verzeichnen waren.
Beobachten wir gegenwärtig unsere Gesellschaft, so fällt auf, dass sich seit Fourastié zumindest an den periodisch wiederkehrenden Wirtschaftskrisen nichts verändert hat. Neu aber ist die damit einhergehende Dauerarbeitslosigkeit, die sich seit Mitte 1970 in Deutschland etabliert hat. Gerade in diesem Zusammenhang bekommt der Begriff der Dienstleistungsgesellschaft eine neue Dimension. So schreibt ein Autor des Internetmagazins TELEPOLIS[9] bereits 1997 in einem Artikel mit der Ausgangsfrage nach dem „Mehr – Wert durch Dienst – Leistung?“ für den Standort Deutschland, dass sich Politiker wie Manager auf den Begriff der Dienstleistung als Waffe gegen die Arbeitslosigkeit besinnen, nachdem das „Zauberwort“ Multimedia die mit ihm verbundene Hoffnung auf ein Jobwunder nicht erfüllt hat. Und weiter führt er aus, dass insbesondere der Bundeskanzler[10] auf Dienstleistungen als „Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung im 21. Jahrhundert“ setzt. Für ihn bieten sie „Chancen für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze“, in einer an „akuten Mangel an Erwerbsarbeit geplagten Republik“.[11]
Das war vor fünf Jahren. Seither hat der Begriff Dienstleistung Eingang gefunden sowohl in unserem täglichen Sprachgebrauch als auch „im Wirtschaftsteil der seriösen Presse“.[12] Selbst die Gewerkschaften sehen ihre Veränderungen im Wandel von Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaft.[13] So steht beispielsweise der Name der größten Gewerkschaft Deutschlands - Ver.di - für vereinte Dienstleistungsgewerkschaft.[14]
Darüber hinaus ist der Begriff Dienstleistung aber nicht nur für die Gewerkschaften, sondern für alle entgeltlichen Tätigkeitsbereiche unserer Gesellschaft zu einem Marketingbegriff geworden. Ein Blick ins Internet zeigt, das man heute nicht nur Werbeagenturen der Gaststätten- und Hotelverbände findet, die mit dem Begriff „Dienstleistung“ Werbung betreiben. Auch alle anderen Branchen bemühen sich mittlerweile mit diesem Aushängeschild um Kunden.[15]
Es hat den Anschein, als befänden wir uns bereits seit längerem mitten in einer Dienstleistungsgesellschaft von der nach der Vorstellung Fourastiés u. a. „Vollbeschäftigung mit differenzierten Berufsstrukturen und entfalteten humanen Bedürfnissen“ zu erwarten wäre.[16] Fast könnte man meinen, dass das Konzept Fourastiés, welches wir als „vergangen erinnern“, eine reproduktive Bedeutung erlangt. Jedoch muss man bei genauer Betrachtung der (Dienstleistungs-) entwicklung feststellen, dass insbesondere die neu geschaffenen Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich oftmals nicht nur kostengünstig, sondern auch inhuman sind. Hierfür bieten eigens die Fastfood - Ketten mit ihren tayloristischen Strukturen ein „gutes“ Beispiel. Besonders dramatisch aber ist die Entwicklung der Erwerbsarbeitslosigkeit. Noch im März 2002 meldete die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bundesweit 4.296.200 Arbeitslose. Das waren 183.500 mehr als vor einem Jahr und 6200 mehr als vor einem Monat.[17] Damit bildet Deutschland das Schlusslicht in Europa. Eine gesamtgesellschaftliche Verbesserung der Lebensqualität, wie sie Fourastié mit der Dienstleistungsgesellschaft verband, ist unter diesen Umständen lange nicht in Sicht. Grund genug, das Konzept Jean Fourastiés noch einmal genauer zu betrachten. Denn, wenn seine These von der Vollbeschäftigung durch Dienstleistung stimmte, dann müsste es doch schon längst zu einem Rückgang der Erwerbsarbeitslosigkeit gekommen sein. Das ist aber gerade nicht der Fall. Die Frage die sich hieraus ergibt heißt also: Was hat Fourastié mit seiner Theorie gemeint und warum treten die von ihm benannten Vorteile nicht in die Realität? Sind wir vielleicht noch gar nicht in einer Dienstleistungsgesellschaft angekommen? Oder verstehen wir heute unter Dienstleistung etwas anderes, als Fourastié darunter verstanden hat. Eventuell hat Fourastié sich - was die positiven Auswirkungen der Dienstleistungsgesellschaft betrifft -, aber auch nur ganz einfach geirrt?
Zunächst werden die wichtigsten theoretischen Ansätze einer Dienstleistungsgesellschaft vorgestellt. Den Anfang macht das Konzept Jean Fourastiés (2.1) Nachfolgend kommen sowohl seine Befürworter Daniell Bell (2.2), Alan Gartner und Frank Riessmann (2.3) als auch seine Kritiker William J. Baumol (2.4) und Jonathan Gershuny (2.5) „zu Wort“. Ziel dieser Präsentation ist nicht nur die Nennung differenzierter Argumentationen zur These Fourastiés, sondern auch die Darstellung der neben seinem noch darüber hinaus existierenden und im Laufe der Zeit weiterentwickelten theoretischen Ansätzen. Anschließend folgt eine Gegenüberstellung und Bewertung der Dienstleistungstheorien (2.6), sowie ein Zwischenresümee, welches den Versuch einer Antwortfindung auf die oben genannten Fragen birgt (2.7). Um eine ganzheitliche Sicht der Entwicklung unserer „Dienstleistungsgesellschaft“ zu gewährleisten, darf ein separater Blick auf die Stellung der Frau nicht fehlen. Ausgehend von der These, dass der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft entscheidend von der Rolle der Frau abhängt (3), soll im ersten Schritt die Entwicklung der Frauenrolle und ihre Bedeutung auf dem deutschen Arbeitsmarkt skizziert werden. Am Ende dieser Darstellung steht dass Ergebnis, dass sich trotz verbesserter Ausbildung, vermehrter Hochschulabschlüsse und Gleichstellungsgesetze Frauenrolle und Frauenbeschäftigung in Deutschland seit der Zeit der Industrialisierung kaum verändert haben, jedenfalls nicht soviel, als dass sich ein Strukturwandel darauf zurückführen ließe (3.1). Im zweiten Schritt erfolgt eine Auseinandersetzung mit diesem Ergebnis, in dem nach Ursachen der Stagnation gefragt (3.2) sowie damit einhergehenden Folgen für unsere Gesellschaft benannt werden (3.3). Will man Konservativismus und Stagnation in der Dienstleistungsentwicklung vermeiden, so muss zukünftig die forschungsstrategische Fragestellung verändert werden, in dem man sie „geschlechtersensibilisiert“ (3.4). Welche entscheidenden Schritte aber unternommen werden müssen, um nicht nur auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft weiter zu kommen, sondern darüber hinaus auch beide Geschlechter wieder „ohne Unterschied erwerbstätig“ werden zu lassen, wird unter der Überschrift „Die Überquerung des Rubikon“ dargestellt (3.5). Anschließend erfolgt ein Resümee (3.6), sowie eine Stellungnahme (4) der Verfasserin.
Zunächst gilt es jedoch, die bestehenden und für die Diskussion maßgeblichen theoretischen Ansätze einer Dienstleistungsgesellschaft vorzustellen.
2. Theoretische Ansätze zur Dienstleistungsgesellschaft
In allen Theorien zur Dienstleistungsgesellschaft steckt die Kernaussage, dass sich „mit dem ökonomischen und technischen Wandel ein neuer Typus von Gesellschaft herausbilde“, der sich von dem bisherigen u.a. dadurch unterscheidet, dass die Menschen andere „Arbeits- und Lebensbedingungen“ vorfinden und es damit für sie zu einer neuen und besseren Lebensgüte kommt, welche sich aus einem Wandel in der Herstellung sowie einem anderen, neuen Verbraucherverhalten ergibt, dass darin besteht, dass immer mehr Dienstleistungen nachgefragt werden und immer mehr Menschen über „Dienstleistungen“ ihren Lebensunterhalt verdienen.[18]
Beginnen möchte ich zunächst mit dem „Vater der Debatte“[19], mit Jean Fourastié und seiner These über die Entwicklung einer Dienstleistungsgesellschaft.
2.1 Jean Fourastié
Auf Grundlage der Drei-Sektoren-Theorie prognostiziert Jean Fourastié in seinem theoretischen Modell, dass immer weniger Menschen im 20. Jahrhundert in der direkten Produktion ihren Lebensunterhalt verdienen werden. Kern seiner Theorie ist dabei der technische Fortschritt, der eine Produktivitätssteigerung erst möglich werden lässt. In seiner Theorie geht er davon aus, dass es eine „natürliche Struktur des Konsums“ gibt[20]. Diese „natürliche Struktur“ bedeutet einen sich langsam aber automatisch entwickelnden „Stillstand“ hinsichtlich der Nachfrage der Grundbedürfnisse in den Bereichen Lebensmittel, Kleidung und Wohnraum, ausgelöst durch Produktivitätssteigerung im primären und sekundären Sektor. Logische Konsequenz daraus ist seiner Meinung nach, dass im ersten und zweiten Sektor Arbeitskräfte entlassen und in der Folge vom tertiären Sektor aufgefangen werden. Hiernach ändert sich auch die „Konsumnachfrage“ automatisch. So werden die Menschen weniger Interesse an Produkten des Grundbedarfs zeigen, als immer mehr Interesse an gehobenen Gütern und Dienstleistungen, wobei sich die Argumentation von Fourastié überwiegend auf von privaten Haushalten als Endverbraucher nachgefragte und damit konsumorientierte Dienstleistungen konzentriert.[21] Dadurch entsteht im tertiären Sektor eine aus ökonomischer Sicht „verkehrte“ Situation: obwohl die Nachfrage steigt, verändert sich die Produktivität kaum, sie bleibt gering und mittelmäßig.[22] Um die Bedürfnisse am Markt aber dennoch befriedigen zu können, kommt es daher in der Folge zu einer „Ausweitung der Beschäftigung“ im dritten Sektor.[23] Die Nachfrage nach gehobenen Gütern und Dienstleistungen nennt Fourastié den „Hunger nach Tertiärem“[24] und begründet ihn mit zwei Argumenten. Zum einen sind Dienstleistungen effizient, d. h. sie sparen Zeit und schaffen damit beim Einzelnen eine höhere Effektivität. So geht es etwa nicht mehr darum, als Erwerbstätige bzw. Erwerbstätiger den Staubsauger selbst durch die Wohnung zu führen, sondern diese Tätigkeit gegen Entgelt an eine andere Person abzugeben. „Sekundärer Verbrauch erfordert Zeit, tertiärer Verbrauch spart Zeit“[25], so seine Devise. Zum anderen „übernimmt“ die Verfeinerung des individuellen Geschmacks die Aufgabe, insbesondere die „... Differenz zu anderen zu betonen – invidious comparison“.[26] Darüber hinaus sieht Fourastié die Nachfrage auch auf Dauer angelegt, genauer gesagt, er geht davon aus, dass die Nachfrage nach diesen Gütern und Dienstleistungen auch nie versiegen wird. Als Grund für diese Annahme nennt er, dass insbesondere personenbezogene Dienstleistungen vor Rationalisierungen weitestgehend geschützt sind.[27]
Eine andere Begründung für die Ausweitung tertiärer Elemente, vor allem in den industriellen Unternehmungen, sieht Fourastié in der zunehmenden Vergeistigung der Arbeit, die durch den technischen Fortschritt in der Industrie unerlässlich wird.[28] Als Folge für die Gesellschaft wird sich daraus nach Auffassung Fourastiés sowohl eine Erhöhung des allgemeinen Bildungsgrades als auch eine Steigerung des Wohlstandes ergeben.[29]
Ein anderer namhafter Verfechter der Entwicklung einer Dienstleistungsgesellschaft ist der englische Ökonom Daniel Bell.
2.2 Daniell Bell
Wie Fourastié geht auch Bell von der Gültigkeit der These der Melioration aus. Auch er bedient sich des „Drei-Sektoren-Modells“, während er seine Auffassungen darlegt. Im Vordergrund seiner Diskussion steht die zunehmende Konnotation von Wissen und Informationen für das gesamte Produktionssystem. Damit richtet Bell den Fokus auf die produktionsorientierten Dienstleistungen. Aus seiner Sicht wird die postindustrielle Gesellschaft vor allen dadurch gekennzeichnet, dass die Dienstleistungen gegenüber den Gütern der Industrieproduktion überwiegen.
„Kennzeichnend für eine nachindustrielle Gesellschaft sind ... vor allem zwei Merkmale: die zentrale Stellung des theoretischen Wissens und das zunehmende Übergewicht der Dienstleistungswirtschaft über die produzierende Wirtschaft.“[30]
Technisch qualifizierte und sehr spezielle Arbeitsverrichtungen, verbunden mit einer hohen Agglomeration an Wissen werden an Tragweite gewinnen. Den Ausdruck „Wissen“ definiert Bell „als Sammlung in sich geordneter Aussagen über Fakten oder Ideen, die ein vernünftiges Urteil oder ein experimentelles Ergebnis zum Ausdruck bringen und anderen durch irgendein Kommunikationsmedium in systematischer Form übermittelt werden“.[31] Damit wird das theoretische Wissen richtungsweisend für und eigentliche Ressource in einer postindustriellen Gesellschaft[32], gleich einem „axialem Prinzip“, einer Achse also, um die sich die Gesellschaft dreht.[33] War das axiale Prinzip einer Industriegesellschaft das Wirtschaftswachstum, soll das der postindustriellen Gesellschaft die „Zentralität theoretischen Wissens als Quelle von Innovationen und Ausgangspunkt der gesellschaftlich – politischen Programmatik“ sein.[34] Mit Hilfe modernster Technologie wird es der Gesellschaft möglich sein, Risiken frühzeitig zu erkennen und ihnen damit präventiv entgegenzutreten. Planerische und gestalterische Interaktionen zwischen Staat und Wirtschaft bekämen eine Realität und würden nicht mehr konträr zum Wirtschaftsverlauf vonstatten gehen. Die Schlüsselpositionen , die es zur Lösung dieses Problems zu besetzen gilt, würden dabei von Ingenieuren oder Wissenschaftlern eingenommen. Berufe also, die zur Gruppe der wissensintensiven professionals gehören. Theoretisches Wissen ist in der postindustriellen Gesellschaft nach Auffassung von Bell Macht, das immer mehr an Bedeutung gewinnen wird und in dessen Folge Wissenschaftler und Technokraten zur künftigen politischen Elite gehören werden.[35]
Diese Darstellung Bells ist nach Ansicht von Gottschall die „... Vision einer Gesellschaft, in der die Normen und kulturellen Muster von Wissenschaftlern und Technokraten dominieren, eine Vision, die... näher am militärisch – industriellen Komplex angesiedelt ist als an der Vorstellung einer Gesellschaft, in der die Menschen ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen.“[36] Sie bezieht sich dabei auch auf Häußermann und Siebel, die zum gleichen Ergebnis kommen.[37]
Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Ressource Wissen heute im 21. Jahrhundert einen nicht unbedeutenden Stellenwert in unserer Gesellschaft hat, und dies nicht nur im Dienstleistungsbereich sondern auch und gerade auf (landes)politischer Ebene, wie die vielen Beispiele enger bis engster Zusammenarbeit zwischen Forschungs- und Wissenschaftsinstitute sowie der Wissenschaftsabteilung des Senator für Bildung und Wissenschaft hier in Bremen beweisen. Aber auch die Beratung des englischen Premies Tony Blairs durch Antony Giddens oder unseres Bundeskanzlers Gerhard Schröders durch Ulrich Beck sind zwei weitere wesentliche Beispiele, für die Richtigkeit seiner Annahme.
Als nächstes folgt der theoretische Ansatz von Alan Gartner und Frank Riessman. Sie sind die Dritten im Bunde der Optimisten, die die These von der Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft, welche mit Melioration gleichzusetzen ist, mit Nachdruck vertreten.[38]
2.3 Alan Gartner und Frank Riessman
Sie konzentrieren sich in ihrer Arbeit aber in erster Linie „auf die Folgen der Expansion von konsumorientierten Dienstleistungen“, woraus sie einen Anstieg „postmateriellen Orientierungen mit der Konsequenz einer veränderten Struktur politischer Konflikte“ ableiten.[39] In der Folge werden sich Politiker und Interessengruppen nach 1968 kaum noch mit Verteilungsfragen beschäftigen sondern damit, wie sich „Lebensqualität, persönliche Freiheit, Partizipation und Selbstbestimmung“ ermöglichen und steigern lassen.[40]
Gartner und Riessman verbinden mit der Veränderung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft vor allen Dingen die Aussicht darauf, dass die Menschen ihre Geschicke selbst steuern und lenken.[41] Sie beziehen sich dabei vornehmlich auf die Ausweitung der personenbezogene Dienstleistungen. Insbesondere deren Vormarsch bewerten sie als eine Veränderung der Wertvorstellungen und einen Gewinn der Demokratie innerhalb der Gesellschaft. Nicht nur, dass die personenbezogenen Dienstleistungen von Natur aus „wohltätig“ sind, weil sie bereits das Ziel des Wohlergehens oder des Nutzens des Konsumenten sowie des Produzenten in sich tragen, oder weil sie in erster Linie „im zwischenmenschlichen Bereich angesiedelt sind“.[42] Sondern auch, weil personenbezogene Dienstleistungen bedeuten, dass der Konsument in die Dienstleistung bzw. in den Dienstleistungsprozess eingebunden wird. Dies wiederum führt zu einer neuen Macht des Konsumenten, „die möglicherweise Einfluss auf die Qualität von Dienstleistungen nehmen und auch das Expertentum der professionals durch Selbsthilfeeinrichtungen infrage stellen kann.“[43] Gerade weil die Arbeit dieser Experten unmittelbar auf das Wohlbefinden des Konsumenten ausgerichtet ist, kann dieser sie leichter kontrollieren als die Arbeit eines Tischlers in einem Betrieb.
[...]
[1] Vgl. Esser (1996), S. 326.
[2] Vgl. Pongs (1999), S. 17.
[3] Pongs (1999), S.281.
[4] Luhmann, zitiert nach Pongs (1999), S. 15.
[5] Walter Siebel; Dienstleistungsgesellschaft und Arbeitsmarkt; < http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/publikationen/bisverlag/unireden/ur89/kap4.pdf>. ( 07.05.2002).
[6] Die französische Originalausgabe erschien 1949 unter dem Titel ,,Le Grand Espoir Du XXe Siècle".
[7] Häußermann/Siebel (1995), S.29.
[8] vgl. Häußermann/Siebel (1995), S.34ff.
[9] Stefan Krempl; 1997; „Mehr – Wert durch Dienst – Leistung? Der Standort Deutschland im globalen Servicemarkt“; <http://www.telepolis.de/deutsch/special/eco/1312/1.html >. ( 07.05.2002).
[10] Helmuth Kohl
[11] ebenda.
[12] vgl. Gottschall (2001), S. 217.
[13] vgl. Schulte, Dieter, in: WirtschaftsWoche-Interview vom 18.4.2002: Die SPD und die Zukunft der Gewerkschaften.
[14] Die Dienstleistungsgewerkschaft, wie sie im Sprachgebrauch auch genannt wird, wurde im März 2001 gegründet und stellt einen Zusammenschluß aus den bis dahin bedeutendsten Gewerkschaften Deutschlands dar.
[15] vgl. <http://www.google.de/search?q=Werbeagentur+Dienstleistung&hl=de&meta=>
[16] Walter Siebel; Dienstleistungsgesellschaft und Arbeitsmarkt; < http://docserver.bis.uni- oldenburg.de/publikationen/bisverlag/unireden/ur89/kap4.pdf>. ( 07.05.2002).
[17] < http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/0,1251,WIRT-0-179323,00.html> . (13.5.02).
[18] vgl. Häußermann/Siebel (1995), S.27.
[19] Häußermann/Siebel (1995), S.29.
[20] Fourastié, zitiert nach Häußermann/Siebel (1995), S. 30.
[21] vgl. Häußermann/ Siebel, (1995), S. 14; Vgl. ebenso Baethge (2001), S11.
[22] vgl. Häußermann/Siebel (1995), S. 32.
[23] vgl. Gottschall (2001), S. 219.
[24] Fourastie (1954), S. 274.
[25] Fourastié (1954), S. 275.
[26] Veblen, zitiert nach Häußermann/Siebel (1995), S. 32.
[27] vgl. Fourastié (1954), S. 32.
[28] vgl. Fourastié (1954), S. 276.
[29] vgl. Fourastié (1954), S. 310, 311.
[30] Bell (1976), S. 13.
[31] Bell (1979), zitiert nach Häußermann/Siebel (1995), S. 39.
[32] vgl. Häußermann/ Siebel (1995), S. 38f.
[33] Bell (1976), S. 27.
[34] Bell (1976), S. 32.
[35] vgl. Häußermann/ Siebel (1995), S. 39f.
[36] vgl. Gottschall (2001), S. 221.
[37] vgl. Häußermann/ Siebel (1995), S. 40.
[38] vgl. Häußermann/ Siebel (1995), S. 37.
[39] vgl. Gottschall (2001), S. 221.
[40] ebenda.
[41] vgl. Häußermann/ Siebel (1995), S. 40.
[42] Gartner/ Riessman, zitiert nach Häußerman/ Siebel (1995), S. 42.
[43] Gottschall (2001), S. 221
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