Scheinbar ungeniert bedient sich das Märchen einer großen Zahl verschiedenster Darstellungen von Grausamkeit und Gewalt. Selbst in der letzten, stark überarbeiteten Ausgabe der "Kinder- und Hausmärchen" der Brüder GRIMM fände sich eine erschreckende Zusammenstellung von Grausamkeiten. Anscheinend aber seien zahlreiche Züge von Grausamkeit nicht aus der Sammlung der KHM genommen worden, weil sie wesentlich zum Grundbestand der Erzählungstypen gehörten [vgl. RÖHRICH, S. 124]. Dafür spricht, dass die Darstellung von Grausamkeit durchaus nicht auf die Erzählungen der Brüder GRIMM beschränkt ist:
ANTTI AARNE veröffentlichte 1910 ein "Verzeichnis von Märchentypen", welches STITH THOMPSON 1961 erweiterte. Es entstand ein literarisch-volkskundlicher Märchentypenkatalog, welcher die in zahllosen Varianten weltumlaufenden Erzählungen auf gewisse Grundtypen zurückführt [vgl. LÜTHI, S. 110].
Innerhalb dieses Typenkataloges lassen sich zudem verschiedene Motive von Grausamkeit auffinden, wie z. B. Brudertötung, Einmauern, Kannibalismus oder Kindstötung. RÖHRICH untersuchte anhand einzelner zentraler Beispiele, wie vielseitig grausame Motive hinsichtlich ihrer kulturhistorischen und psychologischen Beziehung sind [vgl. RÖHRICH, S. 126]. Er unterscheidet 11 Motive von Grausamkeit, und auch hier finden sich Motive von Frauenmord, Menschenopfern, Kannibalismus, Zerstückelung, oder Motive von der Sitte des Hinrichtens und grausamer Strafen.
In dieser Arbeit soll anhand konkreter Beispiele aufgezeigt werden, wie Grausamkeit im Märchen auftritt und wie dieses Auftreten interpretiert werden kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problematisierung der Methode
- Hauptteil
- Die dargestellte Grausamkeit
- Hinrichtungen
- Erklärungsmodelle
- Strukturelle Bedingtheit und epische Gesetze
- Rechtsgeschichte und kulturhistorische Relativität von Grausamkeit
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Darstellung von Grausamkeit im Märchen und analysiert die möglichen Interpretationen dieses Phänomens. Dabei werden konkrete Beispiele aus dem Märchenschaffen beleuchtet und verschiedene Ansätze der Märchenforschung berücksichtigt.
- Die verschiedenen Formen der Grausamkeit im Märchen
- Der Einfluss der Rechtsgeschichte und Kulturgeschichte auf die Wahrnehmung von Grausamkeit
- Die strukturelle Bedingtheit und epische Gesetze des Märchens
- Die Rolle der Grausamkeit in der psychologischen und soziologischen Interpretation von Märchen
- Die Interdisziplinarität der Märchenforschung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die problematische Methode, mit der Grausamkeit im Märchen untersucht wird. Es werden drei verschiedene Ansätze der Märchenforschung (didaktisch, volkskundlich und literaturwissenschaftlich) gegenübergestellt und deren Fokus auf die Grausamkeit dargestellt. Die Kritik an den einseitigen Betrachtungsweisen führt zur Forderung nach einer interdisziplinären Herangehensweise, die volkskundliche und literaturwissenschaftliche Aspekte vereint.
Der Hauptteil widmet sich der Darstellung von Grausamkeit im Märchen und analysiert die verschiedenen Formen, in denen sie auftritt. Es werden Beispiele für Hinrichtungen und Tötungen in Märchen beleuchtet. Weiterhin werden verschiedene Erklärungsmodelle für die Darstellung von Grausamkeit im Märchen vorgestellt, die sowohl strukturelle Bedingtheiten als auch kulturhistorische und rechtsgeschichtliche Faktoren berücksichtigen.
Schlüsselwörter
Grausamkeit, Märchen, Volksbuchtradition, Rechtsgeschichte, Kulturgeschichte, Strukturelle Bedingtheit, Epische Gesetze, Märchendidaktik, Volkskunde, Literaturwissenschaft, Interdisziplinarität
- Arbeit zitieren
- Kerstin Prinz (Autor:in), 2003, Grausamkeit im Märchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63888