Frauen im Blues. Chancen und Illusionen


Term Paper (Advanced seminar), 2005

38 Pages


Excerpt


Inhalt:

1.) Einleitung

2.) Grundvoraussetzungen für die Stellung der afroamerikanischen Frau im 20. Jahrhundert
2.1) Die soziale Rolle der Frau in Westafrika vor der Sklaverei
2.2) Die Rolle der Sklavin
2.3) Die soziale Rolle der Afroamerikanerin nach der Sklaverei

3.) Die musikalische Tradition der Afroamerikaner. Westafrikanischen Bräuche, Work Songs, Negro Spirituals Field Hollers und Country Blues

4.) Classic Blues – Frauenkarrieren
4.1 Der Markt
4.2) Vorläufer des Classic Womens Blues. Vaudeville-, Minstrelsy- und Variety-Shows
4.3) Werdegang
4.4) Arbeitsbedingungen
4.5) Biographien ausgewählter Künstlerinnen
4.5.1) Ma Rainey, „Mother of the Blues“
4.5.2) Bessie Smith, „The Empress“
4.5.3) Alberta Hunter

5.) Texte, Selbstdarstellung und Rezeption der Classic Blues Sängerinnen

6.) Fazit

1.) Einleitung

Im Sommersemester 2005 hatten wir die Gelegenheit, uns im Rahmen eines Referats, das wir im Seminar „Afro-American Blues“ gehalten haben, mit dem Thema des Classic Blues auseinander zu setzen. Diese Hausarbeit stellt nun die Fortführung der Auseinandersetzung mit dem Thema dar. Bereits während der Vorbereitung des Referats hatte sich unser konkretes Interesse an bestimmten Fragen entwickelt, deren Beantwortung wir hier nachzugehen versuchen, im Bestreben danach, sie zu einem Gesamtbild zusammenzufügen.

Die Geschichte des Blues reicht vom Ende der Sklaverei in den Vereinigten Staaten bis in die Gegenwart. Da scheint es nicht ungewöhnlich, wenn sich in einer derartigen Zeitspanne verschiedene Stile dieser Musikrichtung entwickelten bzw. noch entwickeln und Trends variieren. Beschäftigt man sich jedoch näher mit der Geschichte des Blues, hebt sich eine Phase durch besonderen Glamour und durch ihre außerordentlich erfolgreichen Karrieren von anderen ab.

Für die Dauer einer Dekade standen ausschließlich afroamerikanische Frauen im Rampenlicht der Unterhaltungsindustrie. Namen wie Ma Rainey und Bessie Smith sind uns heute noch geläufig und wecken Assoziationen mit einem Frauenbild, das kontrovers zu einer vom weißen Mann dominierten Gesellschaft, mit Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein verbunden wird. Worin möglicherweise der Ursprung dieses selbstbewussten afroamerikanischen Frauenbildes liegt und welche Chancen und Illusionen für die gesellschaftliche Position der afroamerikanischen Frau in der Periode des Classic Blues lagen, dessen Sängerinnen von 1920 bis Anfang der 30er Jahre Karriere machten, soll in dieser Hausarbeit näher untersucht werden.

Hierzu wollen wir uns über eine Auseinandersetzung mit der Rolle der afroamerikanischen Frau vor, in und nach der Sklaverei, sowie einer Betrachtung der musikalischen Tradition der Afroamerikaner, zu der Zeit des Classic Blues vorarbeiten. Zur Auseinandersetzung mit dieser Ära haben wir wiederum den Bereich des Marktes, der Vorläufer, des Werdegangs und der Arbeitsbedingungen, der Betrachtung dreier Lebensgeschichten von Künstlerinnen, sowie in kurzer Form den Texten, der Selbstdarstellung und der gesellschaftlichen Reaktion des Classic Blues, herangezogen.

Unser Versuch gilt also dem Aufzeigen eines Gesamtbildes, dass, anhand der vorliegenden Punkte, einen Endruck der Chancen und Illusionen gibt, denen sich afroamerikanische Frauen, hier insbesondere im Classic Blues, gegenübergestellt sahen.

2.) Grundvoraussetzungen für die Stellung der afroamerikanischen Frau im 20. Jahrhundert

Um zu ergründen, warum es in den 20er Jahren zum Erfolgsboom der Classic Blues Sängerinnen kam, scheint es sinnvoll, sich zunächst mit der Geschichte der afroamerikanischen Frau und ihrer sozialen Stellung auseinanderzusetzen. Welche Rolle nimmt die Frau vor, während und nach der Sklaverei in den Vereinigten Staaten ein und worin unterscheidet sie sich in ihrer sozialen Rolle von der weißen Amerikanerin? Dies sind Fragen, die in den Unterpunkten dieses Kapitels näher untersucht werden sollen.

Der politisch korrekte Terminus Afroamerikanerin als Bezeichnung für diese besondere ethnische Gruppe mag hier bereits als Indiz dafür genommen werden, welche tragende Rolle die ursprüngliche Herkunft für die Identität der schwarzen Amerikanerin einnimmt. Zwar wird der Begriff alltäglich gebraucht, doch stellt sich die Frage, ob er auf semantischer Ebene nicht oft primär als Unterscheidung von Äußerlichkeiten fungiert, während der kulturelle Unterschied dabei eine untergeordnete Rolle übernimmt. Denn in der weißen amerikanischen Gesellschaft wurde bis ins 20.Jahrhundert behauptet die primitive Rasse hätte niemals so etwas wie Kultur besessen[1] und die bis heute weit verbreitete Annahme, die an die ursprüngliche Herkunft gekoppelte Identität der Afroamerikaner sei durch die Sklaverei zerstört worden und viele afrikanische Traditionen hätten nicht überleben können, da sie entweder unterdrückt wurden oder nicht nützlich auf das Leben im fremden Land übertragen werden konnten[2], führen dazu, dass die andersartige kulturelle Prägung der Afroamerikaner fasst unbedeutend wirkt.

Ihren Ursprung könnten derartige Absprachen jeglicher afrikanischer Prägung der schwarzen Amerikaner vielleicht dort haben, wo die Thematik der gewaltsamen Umsiedlung von Westafrikanern nach Nordamerika mit ungenauen Daten gehandhabt wird und die Verwendung von Begriffen wie seit dem 17. Jahrhundert oder gar vor langer Zeit zu Fehldeutungen führt.[3] Für das Beispiel der gewaltsamen Umsiedlung von Afrikanern nach Nordamerika heißt dies konkret, dass ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung davon ausgeht, die Versklavung von Afrikanern belaufe sich hauptsächlich auf das ausgehende 17. und das 18. Jahrhundert.[4]

Diese Vermutung beinhaltet folglich die Annahme, dass nur wenige Generationen von Sklaven ein ursprüngliches Band mit Afrika gehabt haben könnten, das ihre auf amerikanischem Boden geborenen Kinder und Nachfolgesklaven nicht mehr teilten. Zugegeben waren die Gelegenheiten zum Austausch von Werten und Bräuchen zwischen den Generationen von Sklaven rar oder gar nicht gegeben, denn häufig wurden Babys der mütterlichen Obhut bereits im Alter von einem Jahr entrissen.[5]

Daher wird kaum zu belegen sein, in wie fern während der Sklaverei die generationsübergreifende Vermittlung von afrikanischen Werten möglich war. Fakt ist jedoch, dass bis 1850 neue Sklaven aus Westafrika eingeschifft wurden.[6] Nur 15 Jahre später, 1865, wurde die Sklaverei offiziell beendet und es gab nun sicher Möglichkeiten, noch vorhandene afrikanische Werte an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Der Einfluss afrikanischer Werte erweist sich daher als weitaus aktueller und dürfte somit prägnanter für die Afroamerikaner des frühen 20. Jahrhunderts gewesen sein als vermutet. Daher muss, um die soziale Identität der Afroamerikanerin von 1920 zu ergründen, auf Zustände in Westafrika vor der Versklavung seiner Einwohner eingegangen werden, bevor die Situation der afroamerikanischen Frau während und nach der Sklaverei fortführend untersucht werden kann.

2.1) Die soziale Rolle der Frau in Westafrika vor der Sklaverei

In diesem Abschnitt befassen wir uns mit westafrikanischen Gesellschaften des späten siebzehnten, achtzehnten und des frühen bis mittleren neunzehnten Jahrhunderts, denn in jener Zeit wurden Frauen dieser Region als Sklavinnen nach Amerika verschleppt. Nichts von ihrem Besitz konnten diese Frauen mit in die neue Welt nehmen - außer ihrer Kultur. Dass die Meinungen was diesen Punkt angeht auseinanderklaffen und bezweifelt wird, ob die afrikanische Prägung dieser Frauen sich während der Sklaverei halten konnte, wurde bereits im vorausgehenden Teil dieser Arbeit aufgeführt. Es ist hierbei aber zunächst zu bedenken, dass die westafrikanischen Frauen als sie in Amerika ankamen erwachsene, sozialisierte Personen mit festen sozialen Rollen, verbunden mit speziellen Erwartungen und Vorstellungen von Verhalten waren.[7]

Es muss also die Frage gestellt werden, was einige ihrer Werte, Ideen und Verhaltensregeln als westafrikanische Frauen waren. Dies übergreifend für eine so große und verallgemeinerte Region wie „Westafrika“ aufzudecken kann im Detail nicht möglich sein. Der folgende Teil, in dem ich mich auf die Ergebnisse von La Frances Rodgers-Rose beziehe[8], ist daher durchaus unvollständig und beleuchtet lediglich einige in dieser Region beobachtete Vorstellungen der sozialen Rolle der Frau. Dennoch sind diese Beobachtungen hilfreich, wenn nicht unabdinglich, um die Situation der afroamerikanischen Frau im eingehenden zwanzigsten Jahrhundert beleuchten zu können.

In westafrikanischen Gesellschaften war die Mutterrolle die bedeutendste Rolle einer Frau. Die Fähigkeit Kinder zu gebären brachte ihr großen Respekt und gottähnliche Verehrung der sie umgebenden Männer, denn die Frau sicherte den Erhalt der Nation und auch in der Mythologie war das Universum von einer Frau geboren worden.

Doch obgleich die Mutterrolle die bedeutendste für die Frau war, so war sie keineswegs die Einzige. Die westafrikanische Frau war zuständig für die Ernährung ihrer Familie und baute zusammen mit anderen Frauen selbst Nahrung an, erntete sie selbst und hielt die Felder in stand. Auch in der Wirtschaft hatte sie ihren festen Platz. Bestimmte Industrien, wie die Produktion und der Verkauf von Stoffen, Töpferwaren und anderem standen unter ihrer Kontrolle. Sie nahm folglich eine hohe ökonomische Position ein, denn sie war Händlerin und was sie verdiente gehörte ihr selbst, so dass einige Frauen unabhängig und wohlhabend werden konnten. Ihren Pflichten als verheiratete Frau musste sie im polygamen System nur in einem bestimmten Turnus nachkommen und blieb auch nach der Heirat selbst für ihre Versorgung zuständig. Wenn sie schwanger geworden war, verließ sie das Haus ihres Mannes, um das Kind selbständig großzuziehen. Sie blieb fortan mit ihren Nachkommen in ihrem eigenen Haus wohnen, von wo aus sie ihren Mann nur gelegentlich besuchte, um ihren ehelichen Pflichten nachzukommen.

Resümierend lässt sich also feststellen, dass die Westafrikanerin sich im Vergleich mit der Europäerin und der Amerikanerin für eine in patriarchalischer Gesellschaft lebende Frau also großer gesellschaftlicher Wertschätzung und relativ hoher Selbständigkeit und Unabhängigkeit erfreute. Mit diesem Selbstverständnis kam sie als Sklavin nach Amerika.

2.2) Die Rolle der Sklavin

In Amerika angekommen, erfuhr die afrikanische Frau, dass sie nichts wert war, sie wurde ihrer Freiheit beraubt, misshandelt, vergewaltigt und auf alle erdenklich anderen Weisen erniedrigt. Mutterschaft war nicht länger ein heiliges Phänomen, das es zu schützen galt. Stattdessen wurden die Sklavinnen gezwungen, jedes Jahr bzw. so oft wie möglich schwanger zu werden.[9] Sie wurden zu „Arbeits- und Gebärmaschinen“ degradiert[10] und man gewährte ihnen nur wenig Zeit um sich körperlich von den Strapazen der Schwangerschaft und der Geburt zu erholen; bereits nach wenigen Tagen mussten sie mit ihrem Baby wieder zur gewohnten Arbeit erscheinen.[11] Viele Frauen hatten mit hohen Säuglingssterberaten zu kämpfen, weil die harte körperliche Arbeit ihre Milchproduktion einschränkte oder weil sie aufgrund der Arbeit nicht in regelmäßigen Abständen stillen konnten.[12]

So sehr die amerikanische Gesellschaft die „sexuelle Reinheit“ weißer Frauen zu bewahren versuchte, so wenig galt diese Schutzhaltung gegenüber der afroamerikanischen Sklavin.[13] Sexuelle Nötigung gehörte zum Alltag auf den Plantagen. Vergewaltigungen und bewusstes Schwängern von Sklavinnen dienten als Praktiken, um noch mehr Einschüchterung zu schaffen, die das Machtverhältnis der Weißen über die Schwarzen sichern sollte.[14]

Abgesehen von diesem Verständnis definierten weiße Männer die Sexualität schwarzer Frauen absolut konträr zur Sexualität weißer Frauen: Während sie propagandierten, dass weiße Frauen keinen sexuellen Trieb zu verspüren hätten (die angesehenste Autorität in diesem Gebiet, Dr. William Sanger, behauptete z.B. dass Frauen, die Lust am sexuellen Akt verspürten, in der Folge Promiskuität, Prostitution und schließlich einem grausamen Tod entgegen zu sehen hätten)[15], machten sie die schwarze Frau zum willkommenen Objekt ihrer eigenen Begierde und erfanden einen Mythos, der ihnen die vermeintliche Legitimation zur Vergewaltigung schwarzer Frauen geben sollte. Dieser Mythos setzte sich aus zweierlei Behauptungen zusammen. Zum einen war das Gerücht verbreitet, schwarze Frauen verfügten, ihrer barbarischen Wesensart entsprechend, über einen animalischen Sextrieb.[16] Seine Steigerung fand dieses Gerücht aber in der Behauptung, schwarze Frauen seien zu jeder Zeit bereit zum Geschlechtsverkehr, was als Legitimation missbraucht wurde um selbst in den unmöglichsten Situationen (beispielsweise im Beisein der Männer und Kinder der Frauen) über die Sklavinnen herzufallen.[17]

Abgesehen von diesem schrecklichen Schicksal der sexuellen Ausbeutung hatten weibliche Sklaven im Gegensatz zu den männlichen Sklaven, auch die Belastung durch Arbeit betreffend, doppelt zu leiden: Sie hatten die gleichen Arbeiten wie die Männer im Feld (oder im Haus) zu verrichten, doch während die Männer nach der harten Arbeit zur Ruhe kommen konnten, hatten die Frauen noch in der Nacht ihren häuslichen Pflichten nachzukommen.[18] Wie einst in Westafrika waren es auch hier die Frauen, die die Versorgung ihrer Familie durch zusätzliches Anbauen und Kochen von Nahrung sicherte. S. J. Kleinberg, auf die wir uns in diesem Teil der Arbeit häufig stützen, beruft sich auf die Historikerin Brenda E. Stevenson und beschreibt die Sklavinnen afrikanischer Herkunft in dieser Hinsicht als selbständige und selbstbestimmte Überlebenskünstlerinnen, die sich auf ihre aus Afrika mitgebrachten Fähigkeiten, sich und ihre Familie bzw. Gemeinschaft selbst zu versorgen, beriefen und mit ihren männlichen Partnern in egalitären Verhältnissen lebten.[19]

An dieser Stelle muss sicher kritisch hinterfragt werden in wie weit Sklavinnen selbstbestimmt sein können, aber man kann sich unseres Erachtens darauf einlassen, dass sich die Afroamerikanerinnen als Sklavinnen innerhalb ihrer eigenen Familien bzw. Gemeinschaften selbst versorgten, weil sie zum einen zwar durch die vorgefundenen Gegebenheiten der Sklaverei dazu gezwungen waren, zum anderen aber auch weil sie ursprünglich so sozialisiert waren[20] und sich auf ein afrikanisches Rollenverständnis der Frau zurückberufen konnten, das von Männern unabhängig war.

Durch die Sklaverei lernten schwarze Frauen, dass sie in der Lage waren sowohl so genannte „Männerarbeit“ als auch „Frauenarbeit“ zu verrichten und dass sie stark genug waren, Härte, Not und große Schmerzen ertragen zu können.[21] All dies waren Erfahrungen, die dem sexistischen Ordnungsgefüge der weißen Gesellschaft widersprachen, die der afroamerikanischen Frau sicher großes Selbstvertrauen in ihre Belastbarkeit und die damit verbundene Fähigkeit ohne männliche Hilfe überleben zu können gaben und die es folglich erschwert haben müssen, die afroamerikanische Frau nach Ende der Sklaverei in die dem Mann untergeordnete Rolle der weißen Frau zu zwängen.

2.3) Die soziale Rolle der Afroamerikanerin nach der Sklaverei

Als die Sklaverei 1865 ihr Ende fand, endete laut LeRoi Jones auch die einzige Phase, in der Afroamerikaner ihren festen Platz in der Amerikanischen Gesellschaft hatten.[22] Das mag zunächst absurd klingen, tatsächlich ist es aber so, dass den Afroamerikanern in der weißen, nach wie vor rassistischen, amerikanischen Gesellschaft keine wesentliche Funktion zukam und die ehemaligen Sklaven damit zu kämpfen hatten, sich in der unverwandten Umwelt „in Freiheit“ zurecht zu finden, die seit Jahrhunderten auf ein weißes Patriarchat ausgerichtet war.[23] So verwundert es auch nicht, wenn die „Separate-but-Equal-Politik“, in der die Erniedrigung der Schwarzen durch Rassentrennung ihre Fortsetzung fand, zunächst von den ehemaligen Sklaven hingenommen wurde und sie die sozio-ökonomischen Konzepte der weißen Gesellschaft für sich selbst zu übernehmen versuchten[24], ohne das Wertesystem dieser Kultur, an der sie sich orientierten, zu hinterfragen.[25]

So kam es, dass afroamerikanische Frauen nach dem Ende der Sklaverei Werte der weißen Gesellschaft übernahmen. Sie begannen die Männerarbeit (Feldarbeit) als Erniedrigung zu empfinden und wünschten sich in ihrer Rolle als Frau vornehmlich der Erziehung ihrer Kinder und den häuslichen Aufgaben zuwenden zu können. Da aber die meisten afroamerikanischen Frauen mit ihren Familien in ländlichen Gegenden der Südstaaten Amerikas lebten und von der Arbeit im ausbeuterischen Sharecroppingsystem abhängig waren, konnten die meisten von ihnen sich dem weißen stereotypen Verständnis von Weiblichkeit, das mit wirtschaftlicher Passivität einherging, gar nicht anpassen.[26] Es blieb dabei, dass die schwarze Frau eben so wie der Mann harte körperliche Arbeit verrichten musste um das Überleben der Familie zu sichern.

Schwarze Familien, die nicht in Sharecroppingsysteme einstiegen, machten sogar häufig die Erfahrung, dass die Frauen zur ökonomischen Hauptstütze der Familie wurden, während die Männer zu Hause blieben und eine entscheidend unwichtigere Rolle in der familiären Hierarchie übernahmen.[27] Diese Situation ging daraus hervor, dass farbige Männer Probleme hatten Arbeit, die nicht landwirtschaftlicher Art war, zu finden[28], während schwarze Frauen in so genannten häuslichen Berufsfeldern oder als Dienstmädchen Einstellungen fanden.[29] Doch auch wenn Frauen zunächst noch bessere Chancen hatten, Geld zu verdienen, blieben die Berufsfelder, die für sie geöffnet waren bis 1920 auf geistig unanspruchsvolle Jobs im häuslichen Bereich begrenzt. Sogar für schwarze Frauen mit Schulabschluss blieben viele Türen geschlossen, so dass zwischen 1890 und 1920 weniger als 1% nicht weißer Frauen einem Bürojob nachgingen und nur 3% in gehobenen Berufen tätig waren, hauptsächlich als Lehrerinnen in so genannten „Segregated Schools“. Ebenso wie die wenigen Lehrerinnen wurden auch schwarze Krankenschwestern, von denen bis 1920 nur einige hundert existierten, ausschließlich in speziellen Einrichtungen für Schwarze beschäftigt; selbst während des Ersten Weltkriegs wurden sie von Krankenhäusern der Armee sowie von allen übrigen Krankenhäusern mit weißen Patienten abgewiesen.[30]

Stellen als Dienstmädchen oder landwirtschaftliche Berufe blieben so bis weit in die erste Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts noch die hauptsächlichen Berufsfelder für afroamerikanische Frauen, die aufgrund der Vorurteile Weißer daran gehindert wurden, verantwortungsvollere oder besser bezahlte Positionen einnehmen zu können[31], während die Chancen auf gehobene Berufe für schwarze Männer mit Schulbildung im Zwanzigsten Jahrhundert allmählich stiegen.[32] Die Unterordnung der afroamerikanischen Frau konnte also trotz all ihrer Erfahrungen, die zur Hinterfragung dieses Prozesses hätten führen müssen, nicht komplett aufgehalten werden.

Dennoch ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass - wenn auch patriarchalische Werte auf die afroamerikanische Gemeinschaft übergriffen - sich diese nicht in vergleichbarer Weise wie in der weißen Gesellschaft durchsetzen konnten. Die Erfahrungen der ehemaligen Sklaven mussten zwangsläufig zu einer anderen Sozialisation dieser Gruppe von Menschen führen. Schließlich beinhalteten sie doch solch gravierende Unterschiede zur weißen Gesellschaft wie die Erfahrung, dass die Familie - als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen zur Förderung des patriarchalischen Systems - während der Sklaverei in ihrem traditionellen Sinne nicht existierte.

Das Fehlen dieser wichtigen sozialen Institution als „Verteiler“ sozialer Rollen, besonders die der männlichen Rolle als Herrscher über die familiäre Einheit, führte dazu, dass die soziale Rolle der afroamerikanischen Frau auch nach dem Ende der Sklaverei weitaus weniger festgelegt war, als die der weißen Frau in Amerika.[33] In gewisser Weise lässt sich so für die afroamerikanische Frau während und nach der Sklaverei sagen, dass sie in vielen Bereichen zwar Opfer männlicher Gewalt war, dass ihre ökonomische und gesellschaftliche Position jedoch noch höher zu bewerten ist, als jene, die sie in Westafrika innehielt; denn im Gegensatz zur westafrikanischen Gesellschaft, in der viele Traditionen von männlichen Leitbildern rollenspezifisch festgelegt worden waren, war die afroamerikanische Frau in der Phase nach der Sklaverei in der Lage bestimmte Traditionen ebenso für sich zu entwickeln und zu beanspruchen wie es die Männer ihrer sozialen Gruppe taten.[34]

Eine dieser Traditionen der Afroamerikaner, die durch die afroamerikanischen Frauen bis zu ihrer Perfektion ausgeübt wurden, sollte die Musik bzw. der Blues werden.

Seine Bedeutung und Funktion im Leben vieler afroamerikanischer Frauen soll nun im folgenden Abschnitt beschrieben werden.

[...]


[1] vgl. Finn 1986, S.190

[2] vgl. Juchert; Zagratzki. 2004, S.20

[3] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.15

[4] vgl. ebd.

[5] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.18

[6] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.16

[7] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.15

[8] der komplette folgende Abschnitt bezieht sich auf Rodgers-Rose 1980, S.16-17.

[9] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.18

[10] vgl. Kleinberg 1999, S.25

[11] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.18

[12] vgl. Kleinberg 1999, S.46

[13] vgl. Kleinberg 1999, S.23

[14] vgl. Kleinberg 1999, S.44

[15] vgl. Bullough 1973, S.325

[16] vgl. Hooks 1981, S.63

[17] vgl. Kleinberg 1999, S.44f.

[18] vgl. Kleinberg 1999, S.25

[19] vgl. Kleinberg 1999, S.47

[20] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.21

[21] vgl. Hooks 1981, S.71

[22] vgl. Jones 1965, S. 55

[23] vgl. Jones 1965, S. 55

[24] vgl. Jones 1965, S.54

[25] vgl. Hooks 1981, S.5

[26] vgl. Kleinberg 1999, S.48

[27] vgl. Bullough 1973, S.317

[28] vgl. Jones 1975, S.51

[29] vgl. Bullough 1973 S. 317

[30] vgl. Kleinberg 1999, S. 112

[31] vgl. Kleinberg 1999, S.213

[32] vgl. Rodgers-Rose 1980, S.23

[33] vgl. Jones 1965, S. 56

[34] vgl. Jones 1965, S. 56

Excerpt out of 38 pages

Details

Title
Frauen im Blues. Chancen und Illusionen
College
Carl von Ossietzky University of Oldenburg
Course
Afroamerican Blues
Authors
Year
2005
Pages
38
Catalog Number
V63981
ISBN (eBook)
9783638569033
ISBN (Book)
9783656781141
File size
583 KB
Language
German
Keywords
Frauen, Blues, Chancen, Illusionen
Quote paper
Florian Zibell (Author)Christina Zoller (Author), 2005, Frauen im Blues. Chancen und Illusionen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63981

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