Hilla und Bernd Becher. Versuch einer Darstellung


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

24 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung
1.1 Das Bild
1.2 …seine Voraussetzungen
1.3 …seine Aussage

Aufnehmen und aufgenommen werden
2.1 Die Anfänge
2.2 Erste Ausstellungen
2.3 Reisen

Rezeption und Reaktion
3.1 Parallelen
3.2 Ausgezeichnet und kritisiert
3.3 Vorschlag für eine Sehweise

Abbildungsnachweis

Bibliographie (Auswahl)

Hilla und Bernd Becher

Versuch einer Darstellung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hilla und Bernd Becher sind seit nunmehr vierzig Jahren in deutschen und internationalen Museen und Galerien präsent. Spätestens seitdem ihre Fotobände in der Grundausstattung mittelgroßer Buchhandlungen angekommen sind, wird die Frage, ob es sich beim Werk der Bechers um Kunst handelt, und wenn ja, wo diese zu verorten sei, kaum mehr diskutiert. Dabei war diese Frage in der Anfangszeit ihrer Arbeit, in den sechziger und siebziger Jahren durchaus von Relevanz. In einem 1972 erschienen Artikel im Artforum wird eine Äußerung Hilla Bechers folgendermaßen zitiert: „The question if this is a work of art or not is not very interesting for us. Probably it is situated in between the established categories. Anyway the audience which is interested in art would be the most open-minded and willing to think about it.”[1] Auch in aktuellen Publikationen halten es die Autoren gelegentlich für notwendig, eingangs zu erwähnen, dass Hilla und Bernd Becher „künstlerische Ansprüche souverän erfüllen“[2]. Es scheint in dieser Frage demnach noch Unsicherheit zu geben. Obschon schwer einzuordnen, hat ihr Werk seinen festen Platz im Interesse der Rezipienten gefunden. Aus diesem Grund wird in der folgenden Darstellung ihrer Arbeit der Schwerpunkt auf der Frage nach der Natur dieses Werkes und der Frage nach den Bedürfnissen, die es anspricht liegen.

Sich eine Fotografie von Hilla und Bernd Becher anzuschauen, heißt immer, sich mehrere Fotografien anzuschauen. Die Bilder verweisen aufeinander und entstehen um dieser Verweise willen. In einem Bild sind die anderen in diesem Sinne für den Betrachter mit präsent. Es ist deshalb ratsam als Ausgangspunkt eine Bildgruppe zu wählen, in diesem Fall eine Typologie, wie es die Bechers nennen.

1.1 Das Bild…

Neun Wassertürme, fotografiert zwischen 1963 und 1998 sind hier abgebildet. An jenem aus Lahnstein soll zunächst gezeigt werden, was nahezu allen Fotografien der Bechers gemein ist.

Der Wasserturm ist mit allen Details zu erkennen, die Schäden an der Außenwand des eigentlichen Tanks treten ebenso deutlich hervor, wie die Struktur der Ziegelsteine aus denen der Turm gemauert ist oder des Geländers auf halber Höhe. Am Wasserturm selbst gibt es keine absoluten Weiß- oder Schwarztöne, die Details überzeichnen könnten. Alles ist bei mittlerem Kontrast und sehr fein differenzierten Grautönen zu erkennen. Dies wird vor allem durch die gleichmäßige Ausleuchtung, die so nur bei bedecktem Himmel gegeben ist, erreicht. Offenbar geht es den Fotografen vorrangig um die Struktur des Objektes. Farbfotografien, die als solche von dieser Struktur ablenken könnten, sind bei den Bechers nie zu finden.

Das allein der Wasserturm von den Fotografen gemeint ist, wird durch seine zentrale Stellung, die, soweit möglich, den gesamten Bildraum ausfüllt deutlich. Weitere Gebäude, deren Erscheinen aufgrund des Bildformats nicht vermieden werden kann, sind ohne bildkompositorische Rücksicht angeschnitten. Der Ausschnitt bezieht sich allein auf die Größe des Wasserturms, des Objekts. Es sind keine Menschen auf dem Bild zu erkennen, die von dem gemeinten Objekt ablenken könnten. Dieses Bild ist insofern eine Ausnahme im Werk der Bechers, als auf ihm, wenn auch nur teilweise, Autos zu erkennen sind die Aufschluss über die Zeit geben können in der es entstanden ist. Dasselbe gilt für das Bild rechts daneben, auf dem ebenfalls partiell Autos eines deutlich moderneren Typs sichtbar sind. Betrachtet man beide Bilder oberflächlich nebeneinander fällt auf, dass eine Aussage über das Alter der Türme dennoch in keiner Weise getroffen werden kann. Obschon die Fotos im Abstand von 20 Jahren gemacht wurden erscheinen sie vielmehr gleich alt. Vergleicht man die Bilder dieser Typologie, ist festzustellen, dass diese Bildbeschreibung, bezüglich der gestalterischen Eigenschaften auf alle anderen übertragbar ist.

1.2 …seine Voraussetzungen…

Hilla und Bernd Becher benutzen für ihre Arbeiten ausschließlich eine Großformatkamera mit dementsprechend großen Planfilmen (9×12cm oder 18×16cm). Diese ermöglichen eine sehr feine Auflösung und somit einen hohen Detailreichtum. Zugleich müssen längere Belichtungszeiten in Kauf genommen werden (ca. 10-60 Sekunden), was wiederum erklären mag, warum nur sehr selten Menschen auf ihren Fotografien zu sehen sind. Die Großformatkamera bietet außerdem die Möglichkeit, stürzende Linien, die aus der Untersicht entstehen, auszugleichen. Für die Bechers ist dies ein sehr entscheidender Faktor, denn die Objekte sollen in ihren Größenverhältnissen realistisch auf den Betrachter wirken. Die verwendeten Filme sind häufig orthochromatisch, dass heißt unempfindlich gegen Rottöne. Solche Filme werden sonst zum Dokumentieren graphischer Objekte verwendet. Sie unterstreichen die Struktur der Objekte, um die es den Bechers geht. Sollte sich einmal nicht vermeiden lassen, dass Wolken im Blickfeld sind, die vom Objekt ablenken, können diese durch eine passende (Blau-) Filterung unsichtbar gemacht werden. Bei direkter Sonneneinstrahlung verwenden die Bechers Filter, die Schatten weniger deutlich hervortreten lassen und auch Details im Schattenbereich erkennbar machen. In der Regel wird starkes direktes Licht aber vermieden, vor allem dadurch, dass nach Möglichkeit nur Fotografien bei bedecktem Himmel entstehen, bzw. im diffusen Licht der Wintermonate. Diese haben zudem den Vorteil, dass Bäume und Sträucher nicht belaubt sind und die Sicht auf die Objekte weniger gestört ist.

In den meisten Fällen kommen Weitwinkelobjektive zum Einsatz, deren Brennweite wiederum nicht zu kurz sein darf, um Verzerrungen zu vermeiden. Der Einsatz solcher Objektive liegt oft darin begründet, dass kein Kamerastandpunkt gefunden werden kann, der entfernt genug ist um Objektive mit normaler Brennweite zuzulassen.

Um die Kamera an einer geeigneten Stelle zu positionieren betreiben Hilla und Bernd Becher mitunter erheblichen Aufwand. Um dem idealen Kamera-Standpunkt, der für sie immer auf der mittleren Höhe des Objektes liegt, nahe zu kommen, werden sehr hohe Stative mit Leitern und oft ein kleiner Reisebus als Plattform benutzt. Bei einigen Objekten, speziell bei Hochöfen und Fördertürmen müssen nicht selten relativ gefährliche Stellen auf benachbarten Industrieanlagen aufgesucht werden. Dies kann so weit gehen, dass sich die Bechers auf die geeignete Höhe abseilen. Ein zusätzliches Hemmnis liegt in der Beschaffung von Aufnahmegenehmigungen, die die Betreiber der Anlagen oft deswegen ungern erteilen, weil sie das Risiko eines Unfalls, beziehungsweise eine Einmischung in innere Angelegenheiten fürchten.

1.3 …seine Aussage

Vermutlich würde man eine Fotografie der Bechers für sich genommen, ohne das Wissen von einem Kontext in der sie steht für banal halten. Sie erschiene banal, weil sie in keiner Weise einen Zugang anbietet. Der Betrachter ist scheinbar direkt mit dem fotografierten Objekt konfrontiert und allein gelassen. Die Künstler, Hilla und Bernd Becher verzichten auf eine Aussage: „Eigentlich strebten wir eine möglichst objektive Gegenstandsbeschreibung an, jenseits von subjektiven Kompositionsverfahren. Wir vermieden Ausschnitte subjektiver Wahl.“[3]

Die Fotografien bieten erst im Vergleich Möglichkeiten zu einer Erschließung, die nicht beliebig ist. „Die Information, die wir geben wollen, entsteht erst durch die Reihung, durch die Gegenüberstellung ähnlicher oder verschiedener Objekte der gleichen Funktion.“[4] Es spielen daher die verschiedenen Verfahren solcher Vergleiche bei den Bechers eine entscheidende Rolle:

„lm Großen folgt unsere Kategorienbildung nämlich quasi wissenschaftlichen Kriterien. Da bilden wir Werkgruppen, die von der Funktion der Objekte ausgeht – also Werkgruppen wie Kalköfen, Kühltürme, Hochöfen, Fördertürme, Wassertürme, Gasbehälter, Silos usw. Inzwischen haben wir in jeder Kategorie dermaßen viele Aufnahmen gesammelt, dass Buch- und Ausstellungsprojekte heute – im Gegensatz zu früher – nur noch Beispiele aus einer einzigen Kategorie präsentieren können, weil sie sonst zu umfangreich würden. Innerhalb dieser Kategorien gibt es dann Familien von Objekten, die sich aus den verwendeten Baumaterialien herleiten: Holz, Stein, Eisen und Beton. Und erst innerhalb dieser Objekt-Familien kommen intuitive Auswahlkriterien zum Tragen: was sind die Grundformen oder Typen eines hölzernen Wasserturms beispielsweise. Das sieht man erst, wenn man etliche von ihnen nebeneinander legt. Und aus verschiedenen Beispielen für eine Grundform, einen Objekt-Typ bauen wir unsere Tableaus. Es sei denn, ein Objekt-Typ wie der Hochofen beispielsweise ist optisch derart kompliziert, daß es verschiedene Ansichten von ihm braucht, um ihn vollständig zu verstehen. In solchen Fällen gibt es auch Tableaus, die aus mehreren Ansichten ein und desselben Objektes bestehen.“[5] Diese Tableaus nennen die Bechers auch „Abwicklungen“. In der Regel meint dieser Begriff eine Umrundung des Objektes und die Anfertigung von vier Aufnahmen der jeweiligen Fronten und von vier Übereck-Aufnahmen. Werden, wie bei den gezeigten Wassertürmen, Objekte eines Typs nebeneinander gestellt, sprechen die Bechers von „Typologie“. Die Ähnlichkeit dieses Verfahrens mit wissenschaftlichen, etwa aus der Morphologie bekannten ist nicht zufällig, so meint Hilla Becher 2004 in einem Interview: „Es ist wie mit der Systematik in der Biologie, wo Tiergattungen in Familien, Arten und Unterarten unterteilt wurden. Ohne dieses Ordnungsprinzip, das wir auf Gebäude übertrugen, hätten wir den Überblick verloren.“[6]

Die Bedeutung oder Aussage einer wissenschaftlichen Objektsammlung hängt allerdings nie von dieser selbst ab, sondern immer – anders als bei Kunstwerken – ausschließlich von ihren Betrachtern, deren Analyse zu einer Aussage hinführt. Dies mag erklären, warum der Zugang zu den Bildern von Hilla und Bernd Becher im Laufe der Zeit recht ungleichartig gewesen ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

[...]


[1] Andre, Carl, A Note on Bernhard and Hilla Becher, in: Artforum, Dezember 1972

[2] Honnef, Klaus, Bernd und Hilla Becher, in: Bernd und Hilla Becher. Erasmuspreis. Festschrift 2002, München 2002, S. 61

[3] Hilla und Bernd Becher, Die Geburt des fotografischen Blicks aus dem Geist der Historie. Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum 171, 2004, S.172 (im Folgenden zitiert: Interview Kunstforum 2004)

[4] Kat. Ausst. Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht. 2. Biennale Nürnberg 1971. hrsg. von Janni Müller-Hauck, Nürnberg 1971, S. 343

[5] Romain, Lothar, Interview mit Bernd und Hilla Becher, in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 7, München 1989, S. 15 (im Folgenden zitiert: Interview Krit. Lex. 1989)

[6] Interview Kunstforum 2004, S. 173

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Hilla und Bernd Becher. Versuch einer Darstellung
Université
Free University of Berlin  (Institut für Kunstgeschichte)
Cours
Photographie nach 1945 in Deutschland
Note
1,3
Auteur
Année
2005
Pages
24
N° de catalogue
V64159
ISBN (ebook)
9783638599061
ISBN (Livre)
9783638669740
Taille d'un fichier
2593 KB
Langue
allemand
Annotations
Eine kritische Darstellung der Arbeit von Hilla und Bernd Becher. Besonderes Augenmerk wird auf die Rezeption und Einordnung in den Kunstkontext gelegt.
Mots clés
Hilla, Bernd, Becher, Versuch, Darstellung, Photographie, Deutschland
Citation du texte
Axel Lambrette (Auteur), 2005, Hilla und Bernd Becher. Versuch einer Darstellung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64159

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