Nachdem mit der Verhaftung Pinochets Chiles Vergangenheit im Brennpunkt der internationalen Berichterstattung stand, wurde das Thema seitdem kaum wieder aufgegriffen. In dieser Studie kann hoffentlich aufgezeigt werden, dass das Thema der jüngsten Vergangenheit in Chile aber ein immer noch auf den Nägeln brennendes Thema ist. Auch wenn mit dem Tod Pinochets das Interesse an einer Aufarbeitung der Diktatur in den Medien vielfach erloschen zu sein scheint.
Durch die Erörterung der Geschichtsbilder der Jugendlichen in Chile werden Zusammenhänge und Hintergründe deutlich, die auf den ersten Blick nicht miteinander verbunden zu sein scheinen. Hinter dem Versuch, diese Zusammenhänge zu klären und die Hintergründe zu verstehen, steht das Interesse an den Grenzen der Verständigung. In wie weit ist ein wirklicher Dialog zwischen einzelnen Individuen möglich? Wo erfährt der Versuch zu kommunizieren seine Grenzen?
Bei der Betrachtung der Fallstudie werden allgemeine Fragen aufgeworfen: Zu welchem Zeitpunkt genau wird die Vergangenheit eigentlich zu einer solchen und wie wird die Grenze zur Aktualität gezogen? Warum scheint es manchmal keine gemeinsame Geschichte einer Nation zu geben und wie kommt es dazu? Wenn es keine gemeinsame gibt, warum haben manche Gruppen dann ihre scheinbar ganz eigene Geschichte? Wie kann es dazu kommen, dass Personen, die dieselbe Situation erlebt haben, sie ganz anders sehen? Wie und warum beeinflusst weiterhin die Zugehörigkeit zu einer "Generation" die "Sicht der Dinge"? Spielt schließlich dieses generative Erbe dabei überhaupt eine Rolle oder gelingt es zum Beispiel der Jugend, sich als Individuen immer wieder neu zu erfinden?
Konzepte über Gedächtnis, Vergangenheit, die Konstruktion der sozialen Welt und über Generationen allgemein sowie Jugend im speziellen werden bei der Beantwortung dieser Fragen Einblicke geben. Dabei sind weniger die Mechanismen, Strukturen und Systeme, die ein gesellschaftlich notwendiges Minimum an Verständigung gewährleisten von Interesse, als die Verständigungsmöglichkeiten von Einzelpersonen innerhalb dieser. Also nicht der Rahmen und die Frage, wie er sich konstituiert, stehen im Mittelpunkt, sondern die Analyse der darin lebenden Individuen.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B.1. Die Situation in Chile
- 1.1. Geschichtliche Voraussetzungen
- 1.1.1. Die Rekonziliationspolitik in Chile
- 1.1.2. Probleme der "wirklichen" Aussöhnung
- 1.1.3. Die Rekonziliationspolitik im Umbruch
- 1.2. Politische Umstände
- 1.2.1. Politische Schwierigkeiten
- 1.2.2. Rahmen der politischen Möglichkeiten
- 1.2.3. Die Bedeutung der Wahrheit
- 1.3. Die besondere Situation der Jugendlichen
- 1.3.1. Jugend als Problem
- 1.3.2. Ausgrenzung und Marginalisierung
- 1.3.3. Reaktionen der Jugendlichen
- 1.1. Geschichtliche Voraussetzungen
- 2. Theoretischer Hintergrund
- 2.1. Begriffsklärungen
- 2.2. Theoretische Ansätze
- 2.2.1. Kollektivgedächtnis
- 2.2.1.1. Das "soziale" Gedächtnis
- 2.2.1.2. Die "lebendige" Vergangenheit
- 2.2.1.3. Das "kritische" Ereignis
- 2.2.1.4. Die "kommunizierte" Erinnerung und Identität
- 2.2.1.5. Das "konstruierte" Gedächtnis
- 2.2.1.6. Die "Generationenhypothese"
- 2.2.1.7. Das "gesellschaftliche" Gedächtnis
- 2.2.2. Vergangenheit, Vergangenheitsaufarbeitung, Vergangenheitsbewältigung
- 2.2.2.1. Die Frage der "Bewältigung"
- 2.2.2.2. Die Frage der "Vergänglichkeit"
- 2.2.2.3. Eine Frage des Bewußtseins?
- 22.2.3. Kognitive Dissonanztheorie und Überlegungen zum moralischen Urteil
- 2.2.3.1. Die Dissonanztheorie
- 2.2.3.2. Das moralische Urteil
- 2.2.4. Jugend
- 2.2.4.1. Gruppe
- 2.2.4.2. Generation
- 2.2.4.3. Jugendliche
- 2.2.1. Kollektivgedächtnis
- 3. Empirisches Vorgehen
- 3.1. Begründungszusammenhang
- 3.2. Methode
- 3.3. Das Interview
- 3.3.1. Das Tiefeninterview
- 3.3.2. Zur Situation des Interviews
- 3.3.3. Erstellung des Fragebogens
- 3.4. Thesen
- 4. Befunde
- 4.1. Aktuelle Probleme der Jugend bezüglich der jüngsten Vergangenheit in Chile
- 4.1.1. Eine "lebendige" Vergangenheit für Jugendliche in Chile?
- 4.1.2. Das "kollektive Trauma" Chiles
- 4.1.3. Jugendliche als Opfer eines Kollektivtraumas?
- 4.1.4. "No estoy ni ahí"
- 4.1.5. Im gesellschaftlichen Spannungsfeld Chiles
- 4.1.6. Erinnerung als Verteidigung der Identität
- 4.2. Die Perspektive chilenischer Jugendlicher
- 4.2.1. Kurzbeschreibung der Interviewpartner
- 4.2.2. Gesellschaft und Politik
- 4.2.2.1. Die Zukunft Chiles
- 4.2.2.2. Die gesellschaftliche und politische Situation
- 4.2.3. Kenntnis und Bewertung der jüngsten Geschichte
- 4.2.3.1. Diktatur und Menschenrechte
- 4.2.3.2. Quellen des geschichtlichen Wissens
- 4.2.3.3. Wurzeln der Bewertungen
- 4.2.4. Gerechtigkeit und Dialogfähigkeit
- 4.2.4.1. Zweck vs. Mittel?
- 4.2.4.2. Einigung vs. Auseinandersetzung?
- 4.2.4.3. Gerechtigkeit vs. Wahrheit?
- 4.2.4.4. Dialogkultur vs. Monologkultur?
- 5. Schlußfolgerungen
- 5.1. Das Gestern im Heute
- 5.2. "En qué pais estamos?"
- 5.3. Probleme des Selbstbildes
- 5.4. Schnittpunkt Jugend
- 5.5. Warum den Politikern glauben?
- C. Fazit: "La realidad del otro no se entiende"
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit untersucht die Erfahrungen und Perspektiven chilenischer Jugendlicher im Hinblick auf die jüngste Vergangenheit des Landes. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie die Jugendlichen mit der Diktatur Pinochets und den Folgen der Übergangszeit umgehen. Die Arbeit beleuchtet, wie die jüngste Geschichte Chiles im kollektiven Gedächtnis der Jugendlichen verankert ist und welche Auswirkungen dies auf ihre Identität und ihr Selbstverständnis hat.
- Die Rekonziliationspolitik in Chile und ihre Herausforderungen
- Die Rolle des kollektiven Gedächtnisses bei der Verarbeitung der Vergangenheit
- Die Auswirkungen der jüngsten Geschichte auf die Identität und das Selbstverständnis chilenischer Jugendlicher
- Der Umgang mit Gerechtigkeit und Wahrheit in der chilenischen Gesellschaft
- Die Herausforderungen der Dialogfähigkeit und einer gemeinsamen Zukunft in Chile
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Forschungsgegenstand und die Leitfragen der Arbeit vor. Das Kapitel "Die Situation in Chile" befasst sich mit den geschichtlichen Voraussetzungen, den politischen Umständen und der besonderen Situation der Jugendlichen. Der "Theoretische Hintergrund" erläutert relevante Konzepte wie das Kollektivgedächtnis, die Vergangenheitsbewältigung und die kognitive Dissonanztheorie. Das Kapitel "Empirisches Vorgehen" beschreibt die Methode der Datenerhebung und -analyse. Die "Befunde" präsentieren die Ergebnisse der Interviews mit chilenischen Jugendlichen. Der Schluss zieht aus den Befunden wichtige Erkenntnisse und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsbedarfe.
Schlüsselwörter
Die Diplomarbeit thematisiert die Vergangenheitsbewältigung in Chile, insbesondere im Kontext der Diktatur Pinochets. Wichtige Schlüsselbegriffe sind: Kollektivgedächtnis, Jugend, Identität, Erinnerung, Gerechtigkeit, Wahrheit, Dialogfähigkeit, und die Rekonziliationspolitik. Die Arbeit greift auf empirische Daten aus Tiefeninterviews mit chilenischen Jugendlichen zurück, um die subjektiven Erfahrungen und Perspektiven dieser Generation zu beleuchten.
- 4.1. Aktuelle Probleme der Jugend bezüglich der jüngsten Vergangenheit in Chile
- Quote paper
- Markus Rudolf (Author), 2000, Chile: Kinder der Revolution. Das Gestern im Heute chilenischer Jugendlicher, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64406