Das Geiseldrama von Gladbeck. Wie die journalistische Ethik versagte. Eine Analyse anhand von drei Ethiktheorien


Trabajo de Seminario, 2002

20 Páginas


Extracto


Gliederung

Einleitung

1. Der Ablauf der Geiselnahme von Gladbeck

2. Drei Ansätze der Medienethik
2.1. Wichtige Definitionen im Zusammenhang mit der Medienethik
2.2. Die Individualethik
2.3. Die Mediensystem-Ethik
2.4. Die Publikumsethik

3. Versagen der Ethik in Gladbeck
3.1. Fehler in der Arbeit der einzelnen Journalisten
3.1.1. Journalisten behindern die Polizei
3.1.2. Der Journalist als Akteur
3.1.3. Missverständnis der Aktualitätspflicht
3.1.4. Journalisten als Handlanger der Geiselnehmer
3.2. Mediensystematische Gründe für die Eskalation
3.2.1. Ökonomisierung des Mediensystems
3.2.2. Technische Entwicklung
3.2.3. Das journalistische Berufsverständnis und die Rolle der Redaktionen
3.2.4. Besondere Umstände in Gladbeck
3.3. Das gierige Publikum

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Das Geiseldrama von Gladbeck“ ist zu einem wichtigen Begriff in der Kommunikationsgeschichte geworden. Als Journalist erinnert man sich etwas beschämt, vor allem aber immer fragend und ungläubig daran. Drei Tage lang sorgten zwei Verbrecher für Schlagzeilen in Deutschland: sie überfielen eine Bank, nahmen Menschen als Geiseln und töteten sogar einige von ihnen, bis sie endlich von der Polizei fest genommen wurden. Die deutsche Bevölkerung wusste bestens über die Verfolgungsjagd und die Vorgänge Bescheid – die Journalisten sorgten durch aktuelle Bilder und Interviews Tag und Nacht dafür, dass die Zuschauer und Zeitungsleser über alle Einzelheiten informiert waren. Einige von ihnen nahmen diese Berichterstattungspflicht zu genau.

Drei Tage lang schienen manche Journalisten das Denken und Hinterfragen ausgeschaltet zu haben. Es ging nur noch um Bilder und O-Töne, um Aktualität und Sensation. Und so wurde Opfern die Würde genommen, Geiselnehmer entwickelten sich zu begehrten Gesprächspartnern, und der Polizei war es unmöglich, ihre Arbeit zu machen, weil Reporter überall im Weg waren. Mit anderen Worten, Journalisten haben die Berufsethik komplett ignoriert.

Im Rahmen dieser Arbeit werde ich versuchen, die Ereignisse und Fehlhandlungen von Gladbeck zu analysieren. Ich werde, nach einer Definition der Begriffe „Ethik“ und „Moral“ im Journalismus, drei gängige Ethiktheorien der Kommunikationswissenschaften vorstellen und anschließend versuchen, mithilfe dieser die Gründe für die Eskalation in Gladbeck zu untersuchen. Im Anschluss werde ich aufzeigen, welche Lehren aus den Fehlern von 1988 gezogen wurden.

1. Der Ablauf der Geiselnahme von Gladbeck

Am 16. August 1988 begann die Geiselnahme, die später als das Gladbeck-Drama bekannt wurde und Deutschland drei Tage lang in Atem hielt. Kurz vor acht Uhr morgens betreten Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski die Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck-Rentford und nehmen die Kundenberaterin Andrea Blecker und den Kassierer Reinhold Alles als Geiseln. Sie fordern von der Polizei 300.000 Mark Lösegeld, einen Fluchtwagen und einen Schlüssel zum Tresor. Bereits zu diesem Zeitpunkt geben sie dem Privatsender Radio FFN ein Telefoninterview. Abends verlassen die Bankräuber mit einem von der Polizei bereit gestellten Auto Gladbeck Richtung Bremen. Vorher holen sie noch Rösners Freundin Marion Löblich ab.

Am folgenden Tag bringen die Bankräuber in Bremen-Huckelriede einen vollbesetzten Linienbus in ihre Gewalt. Sie lassen – sehr zum Ärger der Polizei – auch Journalisten in den Bus. Mit den Geiseln an Bord fahren sie gefolgt von Presseautos auf die Autobahn Richtung Rasstätte Grundbergsee. Dort nimmt die Polizei Marion Löblich fest. Aus Wut darüber erschießt Degowski den 15-jährigen Emanuele de Georgi. Löblich wird daraufhin wieder frei gelassen.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag fahren die Bankräuber über die niederländische Grenze. Bei der Verfolgung kommt ein Polizist ums Leben. In Holland steigen die Täter in ein neues, von der Polizei bereit gestelltes Auto um. Mit den Bremerinnen Silke Bischoff und Ines Voitele als Geiseln fahren sie Richtung Köln. Dort geben sie, mitten in der Fußgängerzone, den sie umstellenden Reportern Interviews. Laut der Polizei bieten die Journalisten den Geiselnehmern sogar Hilfe an. „Braucht ihr etwas? Vielleicht Handschellen?“, sollen die Reporter gefragt haben. Ein Journalist (damaliger stellvertretender Chefredakteur des Kölner „Express“) steigt ins Fluchtauto und fährt ein Stück mit den Geiselnehmern mit. Am nächsten Tag erscheint eine mehrseitige Bildserie über seine „Erfahrungen“ im Gangsterauto im Kölner Expresse. Auf der Autobahn bei Bad Honnef greift die Polzeit mit einem Spezialkommando die Täter an. Bei der Schießerei wird die 18-jährige Silke Bischoff getötet. Rösner, Degowski und Löblich werden schließlich fest genommen.

Am 22. März 1991 werden Degowski und Rösner vom Landgericht Essen zur lebenslanger Haft verurteilt, Löblich muss für neun Jahre ins Gefängnis.[1]

2. Drei Ansätze der Medienethik

Genauso wie es eine Ethik in der Medizin, der Juristerei und der Biologie gibt, existiert auch eine Ethik des Journalismus. Im Grundgesetz ist zwar die Pressefreiheit festgeschrieben, doch auch dieser sind moralische Grenzen gesetzt. Wo diese Grenzen liegen, wer die Verantwortung für deren Einhaltung trägt, inwiefern das Publikum mitzuständig ist - das sind Fragen, mit denen sich die Medienethik auseinandersetzt. In gewisser Weise wird mit Hilfe dieser Teildisziplin der Kommunikationswissenschaft versucht, die Funktion der Massenmedien in der Gesellschaft zu klären.[2] In den vergangenen Jahren gewann das Thema immer mehr an Bedeutung. Drei verschiedene Ansätze haben sich dabei besonders durchgesetzt, die sich aber nach Kunzcik/Zipfel auch ergänzen können.[3]

2.1. Wichtige Definitionen im Zusammenhang mit der Medienethik

Der Begriff Moral stammt aus dem lateinischen Wort „mos“ und bedeutet ursprünglich Gewohnheit, Sitte und Brauch. Moral wird definiert als ein „uns anerzogenes Werte-, Sitten- und innere Normengeflecht, auf dessen Basis wir täglich bewusst oder unbewusst unsere Handlungen vollziehen“.[4] Moral bezieht sich auf die Ansprüche und Verhaltensnormen, mit denen der einzelne konfrontiert ist.[5]

Der Begriff Ethik wird aus dem griechischen Wort „ethos“ abgeleitet, was „Sitte“ bedeutet. „“Ethik“ ist jener Zweig der Philosophie, der sittliches Empfinden beschreiben und erklären sowie Kriterien und Maßstäbe für gutes und gerechtes Handeln aufzustellen sucht.“[6] Sie ist auch ein „Nachdenken über unsere (moralisch bedingten und moralisch zu bewertenden) Handlungen“.[7] „Mit Moral bezeichnen wir eine Gesamtheit der Wertungen, Ideale, Tugenden und Institutionen unter ihrem Sollensaspekt. Mit Ethik bezeichnen wir dann jenes Denken, das nach der Begründung der Moral fragt“, fasst Boventer die Definitionen zusammen.[8]

Die Medienethik speziell, so Pürer, „befasst sich folglich mit moralischen Prinzipien des Journalismus, nicht zuletzt also damit, wie Journalisten auf der Basis demokratischer Werte und anderer allgemeiner gesellschaftlicher Übereinkünfte handeln sollen.“[9] Kunzcik/Zipfel definieren die journalistische Ethik folgendermaßen: „Für den Journalismus bedeutet Ethik die Frage nach dem journalistisch Richtigen und Guten.“[10] Boventer sieht die Medienethik in der Frage, welche Art von Journalismus dem menschlichen Wohl dient.[11]

2.2. Die Individualethik

Die Individualethik weist die gesamte ethische Verantwortung dem einzelnen Journalisten zu. „Sie fordert von ihm ein hohes Maß an Moral, Ethik und Verantwortungsbewusstsein.“[12] Der einzelne Journalist entscheidet immer wieder aufs Neue, was und wie er schreiben darf. Es gibt zwar zahlreiche Pressekodizes, die gewisse Richtlinien[13] vorgeben, doch diese können von jedem Journalisten anders interpretiert werden. Hinzu kommt, dass Presseräte, die auf die Einhaltung dieser Richtlinien achten sollen, kaum Sanktionsmöglichkeiten haben und somit beinahe unwirksam sind.

Zur Individualethik im Journalismus gehört auch die Ethikunterscheidung Max Webers in Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Der gesinnungsethisch Handelnde fühlt sich nur der Wahrheit verpflichtet und achtet nicht auf Folgen seines Handelns. Das bedeutet, dass ein gesinnungsethisch handelnder Journalist, die Wirklichkeit darzustellen versucht, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was für Auswirkungen seine Darstellung haben könnte. Der verantwortungsethisch Handelnde dagegen zieht auch die möglichen Folgen seines Handelns in Betracht. „Der journalistischen Individualethik zufolge“, so Pürer, „sollte der handelnde Journalist daher stets auf die Verhältnismäßigkeit der angewendeten Mitteln achten.“[14] Auch Boventer spricht von einer idealen Durchdringung der beiden Typen.[15]

[...]


[1] Vgl. Zusammenfassung der Ereignisse durch die Nachrichtenagentur AFP „Die 54 Stunden der Geiselnahme von Gladbeck“ und die Rheinzeitung „Die 54 Stunden des Schreckens“

[2] Vgl. Kunzcik/Zipfel, 2001, S. 198

[3] ebd., S. 201

[4] Pürer, 2002, S. 45f

[5] Vgl. Kunzcik/Zipfel, 2001, S. 198

[6] Kunzcik/Zipfel, 2001, S. 198

[7] Pürer, 2002, S. 46

[8] Boventer, 1989, S. 14

[9] Pürer, 2002, S. 46

[10] Kunzcik/Zipfel, 2001, S. 198

[11] Vgl. Boventer, 1989, S. 14

[12] Pürer, 2002, S. 47

[13] z. B. von der UNESCO

[14] Pürer, 2002, S. 48

[15] Vgl. Boventer, 1989, S. 45

Final del extracto de 20 páginas

Detalles

Título
Das Geiseldrama von Gladbeck. Wie die journalistische Ethik versagte. Eine Analyse anhand von drei Ethiktheorien
Universidad
LMU Munich  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Curso
Proseminar: Kommunikation als Beruf
Autor
Año
2002
Páginas
20
No. de catálogo
V6474
ISBN (Ebook)
9783638140362
Tamaño de fichero
548 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Geiseldrama, Gladbeck, Ethik, Eine, Analyse, Ethiktheorien, Proseminar, Kommunikation, Beruf
Citar trabajo
Lena Gorelik (Autor), 2002, Das Geiseldrama von Gladbeck. Wie die journalistische Ethik versagte. Eine Analyse anhand von drei Ethiktheorien, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6474

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