Infolge der Innovationen und Entwicklungen in der Biotechnologie, Gentechnik und Biomedizin steht die Menschheit vor einer Vielzahl von ungelösten ethischen Fragen und Problemen. Technische Innovationen stellen die bisherigen Definitionen von Leben und Tod auf den Prüfstand. Reanimations- und Transplantationstechnologien verschieben die Grenzen von Leben und Tod, Reproduktionsmedizin, embryonale Stammzellforschung und therapeutisches Klonen zwingen zu einer Reevaluierung von Leben und Recht auf Leben. Ob Komapatienten oder „überzählige“ Embryonen, wir sehen uns konfrontiert mit einer neuen Form von menschlichem Leben, Leben im „Ausnahmezustand“. Giorgio Agamben spricht in diesem Sinne von „neomorts“ und „faux vivants“: „Der Reanimationsraum, in dem der „neomort“, der „Ultrakomatöse“ und der „faux vivant“ zwischen Leben und Tod schwanken, bildet einen Raum der Ausnahme, in dem das nackte Leben im Reinzustand erscheint, zum ersten Mal vollständig vom Menschen und seiner Technologie kontrolliert.“ Agamben sieht die Mächte, die den Menschen im Ausnahmezustand, den homo sacer, zur Regel machen, verkörpert in einer „Biopolitik“, die die individuelle Existenz bis ins Verborgenste bestimmen möchte. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Begriff der Biopolitik bei Agamben - unter Miteinbeziehung des Begriffs der Biopolitik bzw. Biomacht bei Michel Foucault - hinsichtlich seiner Bedeutung für die modernen Biowissenschaften zu untersuchen. Hierzu soll zunächst ein Überblick über Forschungsstand und aktuelle Entwicklungen in der Biomedizin, insbesondere in der embryonalen Stammzellforschung und in der Reproduktionsmedizin gegeben werden. Wie nahe sind wir wirklich am geklonten Menschen, wie gerechtfertigt sind die Befürchtungen einer neuen Form von Eugenik, z.B. infolge von PID und PND, welche Bedeutung hat dabei die Entschlüsselung des Humangenoms, welche Perspektiven eröffnet die Stammzellforschung, welche ethischen Problematiken impliziert sie? Der Begriff der „Biopolitik“ und seine je spezifischen Ausprägungsformen bei Foucault und Agamben sollen erläutert und kritisch reflektiert werden. Im Zentrum der Diskussion soll u.a. die Frage stehen, inwieweit bestimmte Entwicklungen in der Biomedizin Agambens Szenario einer den „Ausnahmezustand“ zur Regel machenden Biopolitik stützen und welche Konsequenzen sich aus den Biopolitik-Konzepten von Agamben und Foucault für die modernen Biowissenschaften sowie den Umgang mit biowissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Fortschritte in den Biowissenschaften
- Reproduktionsmedizin
- In-Vitro-Fertilisation
- PND, PID und die Möglichkeit zur Selektion
- Vom geklonten Schaf zum geklonten Menschen?
- Stammzellforschung und tissue engineering
- Medizintechnik und Euthanasie
- Reproduktionsmedizin
- Biopolitik: Versuch einer Begriffsbestimmung
- Der Begriff der Biopolitik bei Foucault
- Biopolitik, Bio-Macht und Rassismus
- Diskursanalyse und Gouvernementalität
- Von Foucault zu Agamben
- Homo sacer - Die souveräne Macht und das nackte Leben
- Was von Auschwitz bleibt - Das Archiv und der Zeuge
- Ausnahmezustand
- Kritik der Biopolitikbegriffe bei Foucault und Agamben
- Foucault versus Agamben
- Die Geschichte des Abendlandes aus der Sicht Agambens
- Foucault/Agamben: Biopolitik ohne Biowissenschaften
- Konsequenzen und Relevanz für die Biowissenschaften
- Die homines sacri der Biowissenschaften
- Individuelle „Entscheidungsfreiheit“ anstelle staatlicher Souveranität
- Biopolitische und bioethische Diskurse
- Diskussion
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Begriff der „Biopolitik“ bei Giorgio Agamben - unter Miteinbeziehung des Begriffs der „Biopolitik“ bzw. „Bio-Macht“ bei Michel Foucault hinsichtlich seiner Bedeutung für die modernen Biowissenschaften zu untersuchen. Die Arbeit beleuchtet zunächst die aktuellen Entwicklungen in den Biowissenschaften, insbesondere in der embryonalen Stammzellforschung und der Reproduktionsmedizin, um die Möglichkeiten und Grenzen dieser Bereiche aufzuzeigen.
- Die Bedeutung der Biopolitik für die modernen Biowissenschaften
- Die Entwicklungen und Herausforderungen in den Biowissenschaften, insbesondere in der Reproduktionsmedizin und der Stammzellforschung
- Die Konzepte von Biopolitik bei Foucault und Agamben
- Die ethischen und gesellschaftlichen Folgen von Fortschritten in den Biowissenschaften
- Die Frage, inwieweit die modernen Biowissenschaften das Konzept des „Ausnahmezustands“ nach Agamben unterstützen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt den historischen Kontext der Biowissenschaften vor und beschreibt die revolutionären Entwicklungen in den letzten 50 Jahren. Sie führt die Begriffe „neomorts“ und „faux vivants“ von Giorgio Agamben ein, die auf die neuen Formen des Lebens im Ausnahmezustand verweisen.
- Fortschritte in den Biowissenschaften: Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die wichtigsten Fortschritte in den Biowissenschaften, einschließlich Reproduktionsmedizin (In-vitro-Fertilisation, PND, PID, Klonen), Stammzellforschung und Medizintechnik.
- Biopolitik: Versuch einer Begriffsbestimmung: Dieses Kapitel erläutert den Begriff der Biopolitik und seine Bedeutung für die Analyse von Machtbeziehungen in Bezug auf das Leben.
- Der Begriff der Biopolitik bei Foucault: Dieses Kapitel analysiert Foucaults Konzept der Biopolitik, insbesondere seine Begriffsbildungen von Bio-Macht und Rassismus.
- Von Foucault zu Agamben: Dieses Kapitel beleuchtet Agambens Rezeption von Foucaults Biopolitik und seine Konzepte von Homo sacer, dem nackten Leben und dem Ausnahmezustand.
- Kritik der Biopolitikbegriffe bei Foucault und Agamben: Dieses Kapitel diskutiert kritisch die Biopolitikbegriffe von Foucault und Agamben und ihre Relevanz für die moderne Gesellschaft.
- Konsequenzen und Relevanz für die Biowissenschaften: Dieses Kapitel untersucht die Konsequenzen von Biopolitik für die Biowissenschaften und den Umgang mit biowissenschaftlichen Erkenntnissen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen Biopolitik, Bio-Macht, Homo sacer, Reproduktionsmedizin, Stammzellforschung, Gentechnik, Eugenik, Ausnahmezustand, Diskursanalyse, Gouvernementalität und die ethischen Implikationen von Fortschritten in den Biowissenschaften.
- Quote paper
- Dr.rer.nat., M.A., PhD Christian Grimm (Author), 2006, Der Begriff der Biopolitik bei Michel Foucault und Giorgio Agamben und seine Bedeutung für die modernen Biowissenschaften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65437