Das, was wir heute über die mittelalterlichen Spielleute wissen, stammt meist von schreibenden Mönchen. Unser Mittelalterbild ist durch die Augen der Kirche gefiltert. Doch was sagen die „elenden“ selbst dazu? Wir wissen darüber nichts, denn sie haben nicht geschrieben. Auch Tristan gehört zu den „elenden“. Mit 14 Jahren wird er von fahrenden Kaufleuten geraubt, weil sie an seinem Saitenspiel und seiner Schachkunst Gefallen gefunden hatten. Doch dann wird er aus Angst vor Gottes Strafe von ihnen in einem fremden Land einfach ausgesetzt. Nun tritt Tristan als Kulturbringer auf. Beim Einzug in die Burg Tintajol lässt er sich ein Horn geben und erstaunt die Menge mit fremdartigen Klängen. In dieser Szene wird deutlich, womit man bei Hofe beeindrucken kann: mit Jagdkünsten, Musikalität, Redekunst und natürlich mit dem Aussehen. Um 1200 beginnt die weltliche Oberschicht, die „potentes“, die Sänger und Dichter zu schreiben. Für Guido von Arezzo, der etwa um 1050 die Notenschrift erfunden hat, waren die Spielleute minderwertig, da sie die Sprache und Schrift der Gelehrten nicht beherrschten. Doch vielleicht wussten sie, die Zusammenspieler, viel mehr über Musik als die Zusammenleser. Auch für den höfischen Spielmann Tristan war die Musik nicht gelesen, sondern er spielt seine Noten nach dem Ohr, doch kommt es im „Tristan“ erstmalig zu der Verbindung von Buch und Spiel. Auch wird das erste Mal in der deutschsprachigen Literatur die Musik in einem derartigen Ausmaß thematisiert. Der Detailreichtum lässt auf Gottfrieds eigene musikalische Ausbildung schließen. Und wenn Tristan in den Versen 19188–19218 mit seiner Musik um Isolde Weißhand wirbt, dann wird er hier explizit als Komponist ausgewiesen. In den Versen 3591 – 3600 wird direkt auf die Rezeption der Musik Bezug genommen und auf ihre Wirkung auf die Zuhörer hingewiesen. In Gottfrieds „Tristan“ wird Musik ganz gezielt eingesetzt, um Beziehungen anzubahnen, um bei Hof und anderen Menschen Eindruck zu machen und um sich einzuschmeicheln. Tristan wirbt für sich selbst und seine Kultur, die er an das andere Volk weitergibt. In der Liebesgrotte musizieren die Liebenden dann mit der größten Hingabe und Ausdauer, welches „spil“ wegen der Zweideutigkeit des Ausdrucks auch als Liebesspiel verstanden werden kann. Die Musik und die Ausgiebigkeit, mit der sich das Paar der Musik widmet, werden so zum Gradmesser ihrer Innerlichkeit und damit auch zum Ausdruck ihrer Liebe.
Inhaltsverzeichnis
- Der Tristanstoff bildet seit seinen Anfängen im 12. Jh. eine Antithese zum Artusstoff.
- Wie die Artussage hat auch der Tristanstoff einen realhistorischen Kern und geht auf keltische Quellen zurück.
- Tristan ist eine zutiefst widersprüchliche Figur. Er verkörpert Freude und Leid in seiner Person und wird somit zum klassischen Paradigma der Affekte.
- Gottfrieds Tristan trägt Züge des Götterboten Hermes in sich.
- Ein anderer Autor namens Böschenstein schreibt in seinem Text „Der Sänger Tristan“:
- In dieser Szene wird deutlich, womit man bei Hofe beeindrucken kann: mit Jagdkünsten, Musikalität, Redekunst und natürlich mit dem Aussehen.
- Ein anderer interessanter Aspekt in der Figur des Tristan scheint mir seine „Vaterlosigkeit“ zu sein.
- Obwohl in den höfischen Romanen Deutschlands und Frankreichs das Verhältnis der Helden zu den Eltern generell eine eher untergeordnete Rolle zu spielen scheint, kann man doch sehen, dass gerade im Falle Tristans die „drei“ Väter, die ihn in verschiedenen Stadien seines Lebens begleiten, einen gewissen Stellenwert haben.
- Was für Tristan eine Beziehung zum Vater bedeutet, also eine Innenperspektive des Helden, wird uns nicht geboten.
- Der Mutterbruder („Oheim“) stand im scharfen (auch rechtlichen) Unterschied zum Vaterbruder (,,Onkel“).
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit der Figur des Tristan und untersucht sie anhand der mittelalterlichen literarischen Tradition und des Tristanromans von Gottfried von Straßburg. Ziel ist es, die Bedeutung und Vielschichtigkeit der Figur, ihre Widersprüche und die Rolle der Minne in der mittelalterlichen Gesellschaft zu beleuchten.
- Die Antithese zwischen Artusstoff und Tristanstoff
- Der Einfluss keltischer Traditionen auf den Tristanstoff
- Tristan als Symbolfigur und Träger der Minne
- Die Bedeutung von Emotionen und nonverbale Kommunikation im Mittelalter
- Die gesellschaftliche Auffassung von Liebe und Tristans Rolle in der Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel stellt den Tristanstoff im Vergleich zum Artusstoff vor und erklärt die Gegensätze zwischen den beiden Erzähltraditionen.
- Im zweiten Kapitel wird der historische und sprachliche Ursprung der Namen Tristan und Isolde beleuchtet.
- Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der komplexen Persönlichkeit des Tristan, der als Symbolfigur verstanden werden muss und die klassische Verbindung von Freude und Leid verkörpert.
- Kapitel vier untersucht die Parallelen zwischen Tristan und dem Götterboten Hermes und analysiert die Bedeutung von List, Musik und Reise für die Figur.
- Das fünfte Kapitel stellt die Ergebnisse der Dissertation von Ulrich Schönwald vor, in der er den Tristanroman mithilfe von Software auf strukturelle und numerische Zusammenhänge untersucht.
- In Kapitel sechs beleuchtet der Text die Bedeutung von Sängern und Musikern in der mittelalterlichen Gesellschaft und stellt den Zusammenhang zwischen Macht und Herrschaft im Artusstoff her.
- Kapitel sieben befasst sich mit der „Vaterlosigkeit“ des Tristan und der Bedeutung der drei Vaterfiguren, die ihn in verschiedenen Lebensphasen begleiten.
- Das achte Kapitel erläutert die Rolle des Mutterbruders im mittelalterlichen Familienkontext und die Bedeutung des Avunkulats in verschiedenen Kulturen.
Schlüsselwörter
Tristan, Isolde, Artusstoff, Minne, mittelalterliche Literatur, Gottfried von Straßburg, Symbolfigur, Emotionen, Kommunikation, Gesellschaft, Liebe, Hermes, Vaterlosigkeit, Avunkulat, Macht, Herrschaft.
- Arbeit zitieren
- Dr. phil. Daria Hagemeister (Autor:in), 2006, Gottfrieds Tristan und die Musik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65598