Die Vaterfigur in den Werken Franz Kafkas - Hauptblick auf "Das Urteil" mit Seitenblick auf "Die Verwandlung"


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2004

18 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. 1. Kurzer Biographischer Überblick Franz Kafkas

2. Kurzer Biographischer Überblick Kafkas Vater

3. Beziehung zwischen Kafka und seinem Vater

II. 4. Charakteristik der Vaterfigur in "Das Urteil"

5. Charakteristik der Vaterfigur in "Die Verwandlung"

6. Die Vaterfigur im Vergleich: "Das Urteil“ und "Die Verwandlung"

III. 7. Realer Bezug beider Vaterfiguren auf die Beziehung Kafkas zu seinem Vater

8. Schlussbetrachtung: Zielfragen:

9. Literaturliste

Einleitung

Franz Kafka ist einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Es gibt keinen vergleichbaren Schriftsteller, bei dem so sehr persönliche Probleme und vor allem Vater-Sohn-Beziehungen im Vordergrund der literarischen Werke stehen. Bedenkt man dies, so wirft sich dem aufmerksamen Leser die Frage auf, ob Franz Kafka starke persönliche Probleme mit sich und seinem Vater hatte und er deshalb diese Themen in seinen Werken verarbeitete. Falls diese Frage mit “Ja“ zu beantworten ist, ergibt sich mit diesem Erkenntnisgewinn eine völlig andere und tiefgründigere Lektüreerfahrung der kafkaschen Texte. Um diese Frage zu beantworten, benötigt man einen biographischen Überblick der beiden relevanten Personen, also Hermann und Franz Kafka, und deren Beziehung zueinander und den Bezug der Vaterfiguren aus den zwei Beispielwerken "Das Urteil" und "Die Verwandlung" zum realen Vater.

Litt Franz Kafka unter seinem Vater und verwandte er deshalb patriarchale Vaterfiguren in seinen Werken? (Mehr dazu lässt sich in den beiden Werken und vor allem im “Brief an den Vater“ finden.) Oder litt der Vater unter seinem Sohn Franz? und schrieb Franz Kafka deshalb über diese Beziehung, als Entschuldigung? bzw. Empfindet Franz Kafka ein Ungenügendsein gegenüber seinem Vater?

I.
1. Biographischer Überblick: Franz Kafka

Franz Kafka wurde 1883 in Prag als ältestes Kind der jüdischen Familie Kafka geboren. Er hatte zwei sehr früh verstorbene Brüder, Georg (1885-1887) und Heinrich (1887/88). Seine drei Schwestern: Elli (geb. 1889), Valli (geb. 1890) und Ottla (geb. 1892) wurden in Auschwitz ermordet. Während dieser Zeit wechselte die Familie recht oft ihren Wohnsitz. 1889-1893 besuchte Franz die „Deutsche Knabenschule“ und anschließend bis 1901 das „Altstädter Deutsche Gymnasium“. 1896 erhält Franz Kafka die jüdische Konfirmation, Barmizwe. 1901 beginnt er das Studium der Chemie, später das der Germanistik und Kunstgeschichte, auf Geheiß des Vaters dann aber Jura an der „Deutschen Universität Prag“. In dieser Zeit begegnet er auch 1902 das erste Mal Max Brod, der spätere Verleger und Herausgeber von Kafkas Werken. 1906, nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums wird er Konzipient in der Prager Advokatur seines Onkels Dr. Richard Löwy. Am 18. Juni wird Franz Kafka zum Doktor juris. promoviert und tritt ein Referendariat beim Landgericht Prag an. 1908-1922 tritt er in die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag als Aushilfsbeamter (Beförderungen: 1910 Konzipist, 1913 Vizesekretär, 1920 Sekretär, 1922 Obersekretär) ein. 1910 beginnt sein Interesse am Judentum und Zionismus (Bewegung zur Gründung und Sicherung eines nationalen jüdischen Staates; Palästina) zu wachsen. Am 13. August 1912 lernt Franz Kafka bei Max Brod die Prokuristin Felice Bauer aus Berlin kennen. In diesem Jahr entsteht auch “Das Urteil“. Dieses Werk wird in nur einer einzigen Nacht niedergeschrieben. Felice Bauer und Franz Kafka verloben sich am 30. Mai 1914, allerdings wird diese Verlobung am 12. Juli desselben Jahres wieder aufgehoben. Nach dem erstmaligen Wiedersehen mit Felice Bauer 1915 entsteht “Die Verwandlung“. 1917 verloben die Beiden sich wieder, aber auch diese Verlobung wird aufgelöst. Nach einem Blutsturz Kafkas wird erstmalig Lungentuberkulose diagnostiziert. Nach einer erneut gescheiterten Verlobung mit der aus einer tschechisch-jüdischen Handwerkerfamilie stammenden Julie Wohryzek (1919) schreibt Franz Kafka im November 1920 den “Brief an den Vater“. Aufgrund eines Nervenzusammenbruchs wegen Schlaflosigkeit und Verzweifelung wird Franz Kafka 1922 frühzeitig pensioniert. Im Juli/August 1923 fährt er mit der Schwester Elli und ihren Kindern zum Ostseebad Müritz, wo Kafka im Berliner Jüdischen Volksheim die in chassidischer Tradition erzogene und aus Polen stammende Kinderhelferin Dora Diamant kennen lernt und mit ihr nach Berlin übersiedelt. 1924 wird Kehlkopftuberkulose festgestellt. Vom Sanatorium “Wiener Wald“ in Niederösterreich kommt Kafka über die Universitätsklinik Wien am 19. April in das “Sanatorium Dr. Hoffmann“ in Kierling bei Klosterneuburg, wo Dora Diamant und der seit 1921 mit ihm befreundete junge Arzt Robert Klopstock ihn pflegen. Am 3. Juni stirbt Franz Kafka an den Folgen seiner langwierigen Krankheit. Am 11. Juni wird Franz Kafka auf dem jüdischen Friedhof in Prag-Straschnitz beigesetzt.

2. Biographischer Überblick: Hermann Kafka

Hermann Kafka wurde 1852 in der tschechischen Provinz geboren. Nach seinem Tod vermerkt seine Frau Julie Löwy in ihrem kurzen Familienüberblick:

Mein theuerer verstorbener Mann stammte aus Wossek bei Strakonitz. [...][Er] wurde als

14jähriger Knabe in die Fremde geschickt und muste sich selbst ernähren. Er wurde im

zwanzigsten Jahr Soldat und hat es biß zum Zugführer gebracht. In seinem dreißigsten

Lebensjahre hat er mich geheiratet. Er hatte sich mit kleinen Geldmitteln etabliert und hatte

es, da wir beide sehr fleiß waren, zu einem geachteten Namen gebracht.

In seinem Leben strebt Hermann Kafka stets nach wirtschaftlicher Sicherheit und vor allem gesellschaftlichem, ehrenhaftem Ansehen. 1883 wird sein erster Sohn und für ihn „Problemkind“ Franz geboren. Durch seine Erziehung sieht sich Hermann Kafka eher dem Tschechischen als dem Deutschen zugehörig, und schließt sich daher der “Neugegründeten Synagoge“ an, der ersten Prager Synagoge, in der auf tschechisch gepredigt wurde. Seine Kinder werden allerdings alle deutschsprachig erzogen und besuchen auch ausschließlich deutsche Schulen. Gesellschaftliches Ansehen und die öffentliche Meinung bestimmen ganz stark das Handeln Hermann Kafkas und somit auch das seiner Familie, da er ja das patriarchale Oberhaupt ist. Der literarischen Betätigung seines Sohnes Franz bringt er keinerlei Verständnis entgegen. Hermann Kafkas starker Wille zwingt seinen Sohn zum Jura-Studium, welches der Vater durch die Wahl jenes humanistischen Staatsgymnasiums, aus dem die Monarchie ihre Beamtenschaft zu rekrutieren pflegte, vorbereitet hatte. Er selbst verzeichnet stolz 1907 im Prager Adressbuch neben seiner Berufsbezeichnung Händler: “Vereidigter Sachverständiger bei Gericht“. In diese Fußstapfen sollte auch Franz Kafka treten, wenn er schon nicht das Geschäft des Vaters übernehmen wollte. In der Familie ist Hermann Kafka tonangebend, ein absoluter Patriarch. Bis auf seine jüngste Tochter Ottilie und sein ältester Sohn Franz unterwerfen sich alle Familienmitglieder seinen Werten und Ansichten. Hermann Kafka galt als sehr jähzorniger und strenger Mann. In einem Brief an Ottilie bemerkt Franz treffend über die Einstellung des Vaters zu seinen Kindern: “Er kennt keine andere Erprobung, als die des Hungers, der Geldsorgen und vielleicht noch der Krankheit, erkennt, dass wir die ersteren, die zweifellos stark sind, noch nicht bestanden haben und leitet daraus das Recht ab, jedes freie Wort uns zu verbieten.“ 1931 stirbt Hermann Kafka, überlebt also sogar noch seinen eigenen Sohn Franz, der 1924 stirbt.

3. Die Beziehung zwischen Hermann und Franz Kafka – Die Beziehung zwischen Vater und Sohn

Ausgehend vom “Brief an den Vater“ lässt sich diese ganz besondere Vater-Sohn-Beziehung zwischen Hermann und Franz Kafka am besten beschreiben. Franz Kafka ist 36 Jahre alt, als er den Brief verfasst. Er besitzt also das Denken und die Weltanschauung eines Erwachsenen. Liest man den Brief, wird einem allerdings schnell klar, dass Franz Kafka auch in diesem fortgeschrittenen Alter immer noch nicht mit seiner Kindheit bzw. den Qualen seiner Kindheit, ausgelöst vom herrischen Wesen des Vaters, abgeschlossen hat. In diesem Brief geht es hauptsächlich darum, dem Vater klarzumachen, welche Fehler er begangen hat.

[…] du seist gänzlich schuldlos an unserer Entfremdung. Aber ebenso gänzlich schuldlos

bin auch ich. Könnte ich Dich dazu bringen, daß Du das anerkennst, dann wäre - nicht etwa

ein neues Leben möglich, dazu sind wir beide viel zu alt, aber doch eine Art Friede, kein

Aufhören aber doch ein Mildern Deiner unaufhörlichen Vorwürfe.[1]

Franz versucht auf diese Weise mit dem Vater abzuschließen und sich endlich aus seinem „Wirkungskreis“ zu befreien. Um dies zu erreichen, weist der Autor verschiedene Stationen seines Lebens auf, an denen er immer wieder versucht sich vom Vater loszusagen und eigenständig zu werden. Man muss das Problem zuerst an der Wurzel packen. Hier ist natürlich primär die Erziehung und die Kindheit Franz Kafkas zu nennen. Erziehungsskrupel hegte man damals ganz allgemein nicht und schon gar nicht in Kafkas Elternhaus. Die elterliche Erziehung stand bei den Kafkas nicht im Vordergrund, da der Vater ständig in seinem Geschäft präsent war und verlangte, die Mutter dort immer um sich rum zu haben. Allein bei der Charakterbildung der Kinder versucht der Vater seine eigenen Ideale geltend zu machen, aber für Probleme des Lebens und Erwachsenwerdens waren die Eltern nicht da. So beschränkt sich die elterliche Erziehung mehr oder weniger auf Befehle, Gebote und Verbote. Hieraus resultiert, dass Bedienstete die einzigen Bezugspersonen des kleinen Franz waren. Kafka bezeichnet im Brief an den Vater dessen Erziehung als sehr unflexibel, was ihn, als völlig unterschiedlichen Charakter im Vergleich mit seinem Vater, natürlich enorm verunsicherte. “Du kannst ein Kind nur so behandeln, wie du eben selbst geschaffen bist, mit Kraft, Lärm, und Jähzorn, und in diesem Falle schien Dir das auch noch überdies deshalb sehr gut geeignet, weil Du einen kräftigen mutigen Jungen in mir aufziehen wolltest.“[2] In einem Brief an seine Schwester Elli schreibt er über Erziehung allgemein, aber es wird ganz deutlich, dass er von der eigenen Erziehung redet, die die kafkaschen Kinder genossen haben.

Der Eigennutz der Eltern - das eigentliche Elterngefühl - kennt ja keine Grenzen. Noch die

größte Liebe der Eltern ist im Erziehungssinn eigennütziger als die kleinste Liebe des

bezahlten Erziehers. Es ist nicht anders möglich. Die Eltern stehn ja ihren Kindern nicht

frei gegenüber, wie sonst ein Erwachsener dem Kind gegenübersteht, es ist doch das eigene

Blut – noch eine schwere Komplikation: das Blut beider Elternteile. Wenn der Vater (bei

der Mutter ist es entsprechend) ,,erzieht", findet er z. B. in dem Kind Dinge, die er schon in

sich gehaßt hat und nicht überwinden konnte und die er jetzt bestimmt zu überwinden hofft,

denn das schwache Kind scheint ja mehr in seiner Macht als er selbst, und so greift er

blindwütend, ohne die Entwicklung abzuwarten, in den werdenden Menschen, oder er

erkennt z. B. mit Schrecken, daß etwas, was er als eigene Auszeichnung ansieht und was

daher (daher!) in der Familie (in der Familie!) nicht fehlen darf, in dem Kinde fehlt, und so

fängt er an, es ihm einzuhämmern, was ihm auch gelingt, aber gleichzeitig mißlingt, denn er

zerhämmert dabei das Kind ... er sieht in dem Kind nur das Geliebte, er erniedrigt sich zu

seinem Sklaven, er verzehrt es aus Liebe. Das sind, aus Eigenschutz geboren, die zwei

Erziehungsmittel der Eltern: Tyrannei und Sklaverei in allen Abstufungen, wobei sich die

Tyrannei sehr zart äußern kann (,,Du mußt mir glauben, denn ich bin deine Mutter!") und

die Sklaverei sehr stolz (,,Du bist mein Sohn, deshalb werde ich dich zu meinem Retter

machen!"), aber es sind zwei schreckliche Erziehungsmittel, zwei Antierziehungsmittel,

geeignet, das Kind in den Boden, aus dem es kam, zurückzustampfen.

Die Vereinsamung Kafkas, das rätselhafte Sichabschließen wurde primär durch die pragmatische und abstrakte Erziehung verursacht. (Wagenbach 1964, S. 9 ff.) Aus der Sicht des Vaters muss das natürlich alles etwas anders ausgesehen haben. Er versuchte stets, seinen Sohn nach seinen moralischen und sittlichen Idealen zu erziehen, doch stellte früh fest, dass Franz anders war und versuchte dadurch ihn noch heftiger zu formen. Das Studium hatte er zwar abgeschlossen, aber statt seine akademische Ausbildung für eine anständige Karriere zu nutzen, fing er an zu schreiben.

[...]


Quelle der Biographien: www.geo.uni-bonn.de/members/pullmann/kafka/index.shtml

[1] Quelle der Zitate in Kapitel 3: “Brief an den Vater“ Seite 6

[2] Seite 9

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Die Vaterfigur in den Werken Franz Kafkas - Hauptblick auf "Das Urteil" mit Seitenblick auf "Die Verwandlung"
Université
University of Trier  (Universität Trier)
Cours
Proseminar III
Note
2,3
Auteur
Année
2004
Pages
18
N° de catalogue
V65722
ISBN (ebook)
9783638582285
ISBN (Livre)
9783640875566
Taille d'un fichier
548 KB
Langue
allemand
Mots clés
Vaterfigur, Werken, Franz, Kafkas, Hauptblick, Urteil, Seitenblick, Verwandlung, Proseminar
Citation du texte
Achim Oehm (Auteur), 2004, Die Vaterfigur in den Werken Franz Kafkas - Hauptblick auf "Das Urteil" mit Seitenblick auf "Die Verwandlung", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65722

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