Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die umfangreichen empirischen Untersuchungen und die theoretischen Reflexionen über den Autoritarismus im Umfeld der so genannten ‚Frankfurter Schule’. Vor allem hier wird der innere Zusammenhang von Antisemitismus und Autoritarismus sowohl psychoanalytisch, als auch gesellschaftstheoretisch umfassend erklärt. Die Kritischen Theoretiker kommen zu dem Ergebnis, dass autoritäre Verhaltensweisen nicht zufällig entstehen, sondern in unmittelbaren Zusammenhang mit objektiven, gesellschaftlichen Prozessen stehen. Die Forschungen der Denker belegen und erklären die Persistenz des Autoritarismus in der modernen Gesellschaft. Dadurch wird deutlich, dass es unterhalb der demokratischen Oberfläche eine unterschwellige, aber permanente Gefahr gibt, die zu einem erneuten Ausbruch eines eliminatorischen Antisemitismus führen könnte. In Abgrenzung zur sachlich begründeten Anerkennung einer Autorität, spricht man von ‚Autoritarismus’ als einer „irrationalen, konformistischen und auf Macht an sich fixierten Unterwerfung unter Autoritäten, die dem rationalen Eigeninteresse von Menschen widerspricht“ (Rensmann 2005, S. 132). Irrational ist diese Unterwerfung insofern, dass sie lediglich „aus einem Affekt der Bewunderung, Liebe, Furcht oder einer Mischung dieser Gefühle“ (Löwenthal 1990a, S. 258) resultiert. Der Grund für eine solche Hingabe an Autoritäten wird in einer psychoanalytisch bestimmbaren Ich-Schwäche angesehen, die sich als Folge der Sozialisation entwickelt und sich im Antisemitismus ausdrücken kann. Mit den Untersuchungen über autoritäre Persönlichkeiten versuchten die Kritischen Theoretiker einen für die damalige Zeit charakteristischen Menschentypus zu bestimmen, der aber nicht erst mit dem Nationalsozialismus ein allgegenwärtiges Phänomen darstellte. Bereits der typische preußische Untertan verkörpert genau das, was einen autoritären Charakter ausmacht. Heinrich Manns Roman ‚Der Untertan’, den er schon 1906 begann und 1914 fertig stellte, wirkt wie eine literarische Vorwegnahme dessen, was 20 bis 30 Jahre später die Kritischen Theoretiker erforschten. Mann stellt hier mit dem Protagonisten Diederich Heßling eine Parodie des kleinbürgerlichen, kaiserergebenen Deutschen vor, der in sich die Bereitschaft dazu vereint, sich zu unterwerfen und zugleich die Unterwerfung anderer zu fordern. [...]
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Das Frankfurter Institut für Sozialforschung
- 2.1 Die Gründung des Instituts
- 2.2 Der Beginn der Horkheimerschen Ägide am Institut
- 2.3 Die Flucht
- 3 Die Entwicklung der Kritischen Theorie der Gesellschaft und die Bedeutung des Autoritarismus als Gegenstand
- 3.1 Die frühe Kritische Theorie
- 3.2,Interdisziplinärer Materialismus'
- Exkurs I:,Elemente des Antisemitismus'
- 3.3 Auschwitz als Zäsur für die Kritische Theorie
- 4 Die Integration der Psychoanalyse in die Kritische Theorie der Gesellschaft
- 4.1 Die Notwendigkeit der Psychoanalyse zur Erklärung der Gesellschaft
- 4.2 Genese einer analytischen Sozialpsychologie
- Exkurs II: Grundbegriffe der Psychoanalyse
- Das topographische Modell
- Das Instanzenmodell
- Triebtheorie
- Infantile Sexualität
- Charakterstruktur
- 5 Die empirischen Untersuchungen über Autorität
- 5.1 Die Arbeiter- und Angestellten- Enquête
- 5.2,Studien über Autorität und Familie'
- 5.3,Studies in Prejudice'
- 5.3.1,Falsche Propheten'
- 5.3.2 Die autoritäre Persönlichkeit
- 5.3.2.1 Die Fragestellung und Ziele
- 5.3.2.2 Das Vorgehen
- 5.3.2.3 Die F-Skala
- 6 Die Psychopathologie und Subjektgenese des autoritären Charakters
- 6.1 Ich-Schwäche
- 6.2 Gesellschaftliche Ohnmacht und narzisstische Kränkung
- 6.3 Pathische Projektion
- 6.4, Die Psychologie der falschen Beschuldigung'
- 6.5 Ambivalente Gefühle gegenüber den Autoritäten
- 6.6 Cui Bono. Funktion und Wirkung antisemitischer Stereotypie
- 6.7 Die Massenbildung
- 6.8 Die Rolle des Führers und antisemitische Propaganda
- 7 Autoritarismus in der Kritischen Theorie nach 1945
- 7.1 Der Zusammenbruch des Dritten Reichs und die Folgen für den Autoritarismus und Antisemitismus
- Exkurs III: Lügendetektor. Vernehmungen im besiegten Deutschland
- 7.2 Das, Gruppenexperiment'
- 7.2.1 Ergebnisse der Studie
- 7.2.2 Reaktionen auf die Schuldfrage
- 7.2.3 Abwehr der Erinnerung
- 8 Überblick über Kritische Stimmen zur Autoritarismusforschung der Kritischen Theorie
- 9 Zur Aktualität des Autoritarismus
- 9.1 Zur Kontinuität des,autoritären Charakters' im Spätkapitalismus
- 9.1.1 Wandel der Familienstruktur – die,Entväterlichung' der Gesellschaft und ihre Folgen
- 9.1.2 Die Zerstörung des Individuums und der neue Typus' des autoritären Charakters
- 9.1.3 Die Unfähigkeit zur Reflexion
- 9.1.4 Dialektik des Ichs
- 9.1.5 Die, Dialektik des Ichs' und ihre gesellschaftliche Verwobenheit
- Exkurs IV, Sekundärer Antisemitismus'
- 9.2 Ausdrucksweisen des Antisemitismus in der Gegenwart als Indikator der Aktualität des,autoritären Charakters’
- 9.2.1 Antizionismus – der Antisemitismus von links
- 9.2.1.1 Antisemitische Elemente im anti-imperialistischen Weltbild
- 9.2.1.2 Antizionismus als spezielle Form des Anti-Imperialismus
- 9.2.1.3 Antizionismus und,sekundärer Antisemitismus'
- 9.2.2 Die Auseinandersetzungen über Antisemitismus und Geschichte in der politischen Kultur der Bundesrepublik
- 9.2.2.1 Die,Goldhagen-Debatte' und Schuldabwehr im wiedervereinigten Deutschland
- 9.2.2.2 Die,Walser-Bubis-Debatte'
- 9.2.2.3 Die Möllemann-Affäre
- 9.2.2.4 Der Skandal um Martin Hohmann
- 9.2.1 Antizionismus – der Antisemitismus von links
- 9.1 Zur Kontinuität des,autoritären Charakters' im Spätkapitalismus
- 10 Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit befasst sich mit den empirischen Untersuchungen und theoretischen Reflexionen der Kritischen Theorie zum Autoritarismus, insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Autoritarismus. Die Arbeit untersucht, wie die Kritischen Theoretiker diesen Zusammenhang sowohl psychoanalytisch als auch gesellschaftstheoretisch erklären. Sie beleuchtet die Persistenz des Autoritarismus in der modernen Gesellschaft und die unterschwellige Gefahr eines erneuten Ausbruchs von Antisemitismus. Die Arbeit beleuchtet, wie die Kritischen Theoretiker den Autoritarismus als ein Phänomen analysieren, das nicht zufällig entsteht, sondern in direktem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Prozessen steht.
- Die Untersuchung der Kritischen Theorie des Autoritarismus, insbesondere im Kontext des Frankfurter Instituts für Sozialforschung
- Die Analyse des inneren Zusammenhangs von Antisemitismus und Autoritarismus
- Die Erforschung der empirischen Untersuchungen über autoritäre Persönlichkeiten
- Die Darstellung der Aktualität des Autoritarismus in der heutigen Gesellschaft
- Die Untersuchung der Folgen des autoritären Charakters für die Gesellschaft und das Individuum
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Arbeit führt in das Thema ein und erläutert die Relevanz des Themas Autoritarismus und Antisemitismus für die Gegenwart. Das zweite Kapitel widmet sich dem Frankfurter Institut für Sozialforschung, seiner Gründung, der Horkheimerschen Ägide und der Flucht der Mitglieder des Instituts. Das dritte Kapitel beleuchtet die Entwicklung der Kritischen Theorie der Gesellschaft und die Bedeutung des Autoritarismus als Gegenstand. Hier wird die frühe Kritische Theorie, der "Interdisziplinärer Materialismus" und der Einfluss von Auschwitz auf die Kritische Theorie dargestellt. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Integration der Psychoanalyse in die Kritische Theorie der Gesellschaft und erklärt die Notwendigkeit der Psychoanalyse zur Erklärung des Autoritarismus. Das fünfte Kapitel analysiert die empirischen Untersuchungen über Autorität, insbesondere die "Arbeiter- und Angestellten- Enquête", "Studien über Autorität und Familie" und "Studies in Prejudice". Das sechste Kapitel untersucht die Psychopathologie und Subjektgenese des autoritären Charakters, wobei Themen wie Ich-Schwäche, gesellschaftliche Ohnmacht, pathische Projektion und die Rolle des Führers beleuchtet werden. Das siebte Kapitel befasst sich mit dem Autoritarismus in der Kritischen Theorie nach 1945, insbesondere mit den Folgen des Zusammenbruchs des Dritten Reichs für den Autoritarismus und Antisemitismus. Das achte Kapitel gibt einen Überblick über kritische Stimmen zur Autoritarismusforschung der Kritischen Theorie. Das neunte Kapitel untersucht die Aktualität des Autoritarismus in der heutigen Gesellschaft, unter anderem im Kontext des Spätkapitalismus und des Antisemitismus. Das zehnte Kapitel fasst die zentralen Punkte der Arbeit zusammen und bietet einen Ausblick auf zukünftige Forschungsansätze.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Schlüsselbegriffe Autoritarismus, Antisemitismus, Kritische Theorie, Frankfurter Institut für Sozialforschung, Psychoanalyse, empirische Forschung, Gesellschaftstheorie, Spätkapitalismus, Charakterstruktur, Aktualität. Die Arbeit untersucht den Zusammenhang zwischen diesen Begriffen und beleuchtet die Entstehung und Persistenz des Autoritarismus in der modernen Gesellschaft. Dabei werden die Erkenntnisse der Kritischen Theoretiker, insbesondere die psychoanalytischen und gesellschaftstheoretischen Erklärungen für den Zusammenhang zwischen Autoritarismus und Antisemitismus, berücksichtigt.
- Citar trabajo
- Christian Uhrheimer (Autor), 2006, Die Kritische Theorie des Autoritarismus. Empirische Untersuchungen über Autorität und die Aktualität von Autoritarismus, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65730